Donnerstag, 29. August 2019

Eine Gesellschaft von Maulhelden



Greta Thunberg segelte in den vergangenen zwei Wochen von Europa in die USA. Wenn es nach dem Hype ginge, den die junge Schwedin im vergangenen Jahr in Europa nicht nur bei den jungen Menschen auslöste, müssten wir längst dabei sein, unser Verhalten völlig zu verändern, damit wir die Welt noch retten. Doch einstweilen zumindest ist nirgendwo etwas davon zu merken. Auch nicht in Österreich, wo auch alle Parteien die Umwelt als Wahlkampfthema Nummer eins entdeckt haben und wo sich die Grünen wieder im Höhenflug befinden.

In den Statistiken lässt sich nirgendwo festmachen, dass ein Ruck durch die Gesellschaft geht und sich ein neues Denken breitmacht. In dem Land, das weit wie kaum ein anderes hinter den selbst gesetzten Klimazielen herhinkt, wächst etwa der Pkw-Bestand schier ungebremst weiter. Erstmals wurde in den vergangenen Monaten die lange als magisch geltende Marke von fünf Millionen Pkw auf unseren Straßen überschritten.

Und auch, wenn man vielerorts Problembewusstsein zu zeigen meint, wenn man Worte wie "Flugscham" in die Konversation einfließen lässt, meldet der Flughafen Wien neue Rekorde und die Austrian Airlines freuen sich allein im Juli über einen Passagierzuwachs von 5,7 Prozent. 1,5 Millionen Reisende hoben allein in diesem Monat mit der heimischen Airline ab, um fast 100.000 mehr als noch im Jahr zuvor. Das entspricht der Bevölkerungszahl, die irgendwo zwischen jener von Städten wie Wels und Klagenfurt liegt.

Zahlen wie diese passen so gar nicht zu den Umfragen, in denen wir unsere Sorge um die Umwelt so gerne beteuern und versprechen, alles dafür zu tun, dass sich das Weltklima nicht noch weiter aufheizt. Wir sind halt offenbar nicht mehr als eine Gesellschaft von Maulhelden.

Man kennt das. Zwischen Reden und Tun liegen meist Welten. Warum das so ist, ist oft schwer nachzuvollziehen. Was macht es so schwer -zumal dann, wenn man eine Sache für so wichtig hält, wie man es vorgeblich beim Klimawandel tut? Ist es allein die menschliche Trägheit? Hat es damit zu tun, dass man das Gefühl hat, der Geschnapste zu sein, wenn man selbst verzichtet, der Nachbar aber nicht? Lässt man alle Vorsätze fallen, weil man glaubt, ohnehin nichts bewirken zu können? Oder fehlen die Vorbilder?

Preis, Bequemlichkeit und Gewohnheit scheinen immer noch sehr viel weiter oben zu stehen in der Werteskala als die Sorge um die Umwelt und die Bereitschaft, dafür das Verhalten auch wirklich zu ändern. Im privaten Bereich genauso wie im öffentlichen.

Die Bauern etwa leiden schon lange darunter, dass Versprechen und Absichtserklärungen, die sich in Umfragen manifestieren, nichts mit dem Verhalten der Konsumenten an den Supermarktkassen zu tun haben. Man kennt das freilich auch aus anderen Sparten. Jüngst sorgte in Oberösterreich für einen Riesenwirbel, dass ein Bauunternehmen im Rahmen eines Straßenbauauftrages des Landes Oberösterreich Granit-Leistensteine aus dem tausende Kilometer entfernten China importiert hatte -just für eine Straße im Mühlviertel, der Granit-Region im Land ob der Enns. Tausende Kilometer Transport wegen ein paar tausend Euro, die man sich erspart?

Da wie dort verweist man darauf, dass alles seine Richtigkeit habe. Das mag sein. Aber ist es deswegen auch richtig? Ist es nicht die Politik, die all diese Vorschriften gemacht hat, auf die man sich im Fall des Falles beruft, um die Hände in Unschuld zu waschen?

Die Antwort ist wohl "ja". Und darum ist auch von der Politik zu fordern, dass sie diese Vorschriften anpasst. Auch wenn das nur ein Anfang sein mag. Die Preise waren nun über Jahrzehnte eines der wichtigsten Kriterien, wenn es in der Wirtschaft um gleiche Chancen und Marktbedingungen ging.

Nun ist es an der Zeit, andere Schwerpunkte zu setzen. Im heimischen Vergaberecht genauso wie bei Abkommen auf internationaler Ebene, wo derzeit vor allem die Landwirtschaft heftig um das Mercosur-Abkommen der EU mit südamerikanischen Staaten ringt. Der ökologische Fußabdruck der Transporte oder die Ökobilanz der Produkte könnten solche Ansätze sein. Gefordert sind nicht nur internationale Einrichtungen, sondern auch genauso Bund und Länder in Österreich im Rahmen ihrer Möglichkeiten und in ihrem eigenen Umfeld.

Mag sein, dass dann nicht mehr alles so billig ist - aber viele der Maulhelden täten sich wohl leichter, ihre Umweltgesinnung wirklich zu leben.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. August 2019

Montag, 19. August 2019

Österreich neu schmecken






Regionale Herkunft: Darauf setzen nicht nur Bauern, sondern auch Gastronomiebetriebe. Dennoch fehlt oft gegenseitiges Verständnis. Der Neustart für das Netzwerk Kulinarik soll das ändern.

Hans Gmeiner


Wien. Seit Monaten hetzt Christina Mutenthaler von einem Termin zum nächsten. Meetings, Konferenzen, Besprechungen, sogar Speed-Datings gibt es. Alles mit dem Ziel, dass Vertreter der Landwirtschaft, des Gewerbes, der Gastronomie und des Tourismus die gegenseitigen Sorgen, Wünsche und Chancen besser kennenlernen.

Nach dem Scheitern der Kooperation von AMA-Marketing und Biopionier Werner Lampert und der Diskussion um finanzielle Ungereimtheiten soll Mutenthaler nun unter dem Dach der AMA-Marketing GesmbH das Netzwerk Kulinarik auf neue Beine stellen. Ziel ist es, Landwirtschaft, Lebensmittelgewerbe (Manufakturen, wie Mutenthaler sie nennt) sowie Gastronomie und Tourismus zusammenzuspannen, die zahllosen Initiativen zu bündeln und Doppelgleisigkeiten zu vermeiden. „Man kann so viel machen, das Potenzial ist mit 46.000 bäuerlichen Direktvermarktern, 6000 Manufakturen und 60.000 Gastronomiebetrieben enorm groß“ – die Ziele auch. „Wir wollen Österreich als die Kulinarik-Destination Europas positionieren.“

Mutenthaler weiß, dass man davon noch ein gutes Stück entfernt ist. Einstweilen gehe es nicht um Marken oder Gütesiegel, sondern schlicht um Verständnis füreinander. In dem breit angelegten Strategie- und Leitbildprozess, an dem in den vergangenen Monaten mehr als 400 Interessenten teilnahmen, zeigte sich immer wieder, dass viele der Akteure kaum etwas voneinander wussten. „Ich will keine Blasen machen“, sagt die neue Chefin. Einen Plan, wie sie das Netzwerk Kulinarik in einem neuen Anlauf zum Erfolg führen will, hat sie dennoch. Bis Oktober soll die neue Struktur stehen. Die bestehenden Cluster für Gastronomie und die Vermarktung landwirtschaftlicher Spezialitäten sollen zusammengeführt werden. Zu den tragenden Säulen des Konzepts gehört der Aufbau eines neuen, national anerkannten Systems der Qualitäts- und Herkunftssicherung auf freiwilliger Basis für bäuerliche Direktvermarkter, Manufakturen und die Gastronomie. Die Kriterien dafür sind bereits in Brüssel zur Notifizierung eingereicht. Abgelöst werden sollen das AMA-Gastrosiegel, das AMA-Handwerksiegel und das Siegel „Gutes vom Bauernhof“.

Im Konzept ganz oben steht der Aufbau einer gemeinsamen Datenbank mit Schnittstellen zu regionalen Kulinarik-Initiativen. Zudem werden Beratungspackages bereitgestellt. Einen neuen Ansatz gibt es auch für die Genussregionen, seit Anfang August verwaltet die AMA-Marketing die Marke „Genussregion Österreich“ wieder selbst. Das Konzept soll in die Kulinarikstrategie eingebunden werden. Der Vertrag mit der Genussregion Marketing GmbH wurde gekündigt.

Beim Netzwerk Kulinarik können alle Gruppen mitmachen, die die Kriterien erfüllen. Für das Netzwerk stehen 15 Mill. Euro bereit. 6,5 Mill. Euro sind für die Förderung von Projekten vorgesehen, die von Netzwerk-Mitgliedern gemeinsam entwickelt werden. „Einzelförderungen für Unternehmen oder Organisationen gibt es nicht, weil es um Vernetzung geht“, heißt es.

Nicht dabei sind vorerst der Handel und die Einrichtungen für die Gemeinschaftsverpflegung. Dabei soll es nicht bleiben. „Am Anfang war uns wichtig zu sehen, was wir selbst brauchen“, sagt Mutenthaler. Die ersten Termine mit Vertretern des Handels hat sie aber schon absolviert.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 19.August 2019

Mittwoch, 14. August 2019

Fleckerlteppiche der Lustbarkeiten



Lassen wir all diese Dinge, wie die Dauerstaus auf den Straßen und Autobahnen in den Süden, die Meldungen von überfüllten Zügen und von Flugzeugverspätungen, vergessen wir die diversen Streikdrohungen, die einem Jahr für Jahr und immer mehr die Urlaubsfreuden vergällen. Reden wir doch einmal über Österreich, das sich so gerne als schönstes Urlaubsland der Welt feiert und sich für unwiderstehlich hält.

Es gibt wunderbare Flecken in unserem Land, traumhaft schöne Landstriche und Regionen, all die Berge und die Seen sind ganz unglaubliche und dass die Sterne von einst nichts mehr mit heute zu tun haben, dass man in dem Ferienort doch ein etwas gewöhnungsbedürftiges Verhältnis zu Ruhe hat, und dass man bei der Wahl des Lokals für das Abendessen wohl besser auch gleich ordentliche Abstriche macht -wenn man denn überhaupt eines außerhalb der Hotel-und Apartmentwelten findet.

Freilich ist das nicht immer so. Aber es ist sehr viel öfter so, als man in Österreich, in dem der Fremdenverkehr einer der wichtigsten Wirtschaftszweige ist, annehmen möchte. Natürlich gibt es all die Perlen, von denen man das ganz Jahr über träumt, aber man muss Jahr für Jahr mehr Glück haben sie zu finden. Das wird immer schwieriger. Denn Urlaub in Österreich ist immer öfter nicht ganz das, was man sich erwartet. Reden darüber mag im üblich gewordenen Erfolgstaumel freilich niemand, sprechen doch die Zahlen eine ganz andere Sprache.

Man sollte es dennoch tun. Denn immer öfter Schätze, mit denen in der Tat kaum andere Länder mithalten können. Auch die heurige Sommersaison scheint, nach allem was zu hören ist, wieder eine gute zu werden. Warum das aber so ist, erschließt sich einem Österreich-Urlauber freilich nicht immer ganz leicht, wenn er in einer Pension in einem dieser Orte, die immer mit so tollen Worten beworben werden, sein Zimmer bezogen hat, nach der anstrengenden Anreise Ruhe sucht und nach der Erholung nach einer Möglichkeit, gut zu essen. Da fällt dann auf, dass die Pension und das Zimmer schon viel bessere Jahre gesehen haben zeigen sich an ganzen Regionen Verschleißerscheinungen. Beliebig zugepflasterte Landschaften, zerschlissen regelrecht vom jahrzehntelangen Anbiedern an die Urlaubsgäste, die das Geld bringen sollen, überrollt vom Tourismus und dem, was für den Erfolg wichtig gehalten wird. Oft nichts als schnell hingebaute Gebäude, billige Architektur ohne Konzept, schrille Farben und noch schrillere Lokalkonzepte sollen Gäste anziehen. Wie potemkinsche Unterhaltungsregionen.

Viele Regionen und Orte sind in den vergangenen Jahren unter die Räder gekommen. Mit falschen Konzepten und überzogenen Erwartungen haben sie oft Identität und Herz verloren. Viele der touristischen Glanzpunkte kommen nicht mehr zur Geltung wegen einer verfehlten Raumordnungspolitik. Alles scheint viel zu oft willkürlich zusammengewürfelt und kein Fleck verschont worden zu sein. Urlaubsregionen als Fleckerlteppiche der Lustbarkeiten.

Eins scheint sich ins andere zu fügen. Nicht nur in den zerschlissenen Regionen finden sich viel öfter als man meinen möchte verschlissene Beherbergungsbetriebe. Bei allem Bemühen können oft auch angesehene Häuser meist nicht übertünchen, dass sie der Zug der Zeit überfahren hat. War es seinerzeit meist besonders reizvoll im Urlaub "besser" zu wohnen als daheim, so ist es heute meist umgekehrt. Der Gast muss Abstriche in Kauf nehmen, oft sogar jede Menge. Und die Augen zumachen.

Und dann ist da noch die Gastronomie oder was sich dafür hält. Im Land der Kulinarik-Initiativen und des permanenten Feinkostladen-Geredes ist es immer noch meist ein Glücksfall, ein Lokal zu finden, in dem man sich wohlfühlt und auch noch Essen bekommt, das Freude macht. Wenn man nicht von vorneherein eines kennt, wird es schwer. Reinfälle haben eine weitaus höhere Wahrscheinlichkeit als Glücksfälle, wenn man ein Lokal zum Essen sucht. Immer noch.

Es ist freilich nur selten eine grenzenlose Profitgier, die dafür verantwortlich zu machen ist. Geschuldet ist diese Entwicklung weitaus häufiger einem äußerst schwierigen wirtschaftlichen Umfeld und oft absurden Vorschriften, die es meist unmöglich machen, einträglich zu wirtschaften und die jede Entwicklung bremsen.

Aber reden mag auch darüber niemand. Könnte ja das schöne Bild zerstören, das man sich vormacht.

Man sollte dennoch den Mut dazu aufbringen. Und mehr auf Österreich schauen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. August 2019

Donnerstag, 8. August 2019

„Kurios“, wie man mit Wissenschaft umgeht



Wenn Helga Kromp-Kolb, Österreichs Parade-Klimaforscherin und Professorin an der Universität für Bodenkultur Sätze sagt wie „Der Klimawandel ist schon so weit fortgeschritten, dass es nicht mehr nur mit Wohlfühllösungen geht“, hängt das ganze Land an ihren Lippen und nimmt jedes Wort als gefährliche Warnung.

Wenn Siegrid Steinkellner, international anerkannte Pflanzenschutzexpertin und ebenfalls Professorin an der Universität für Bodenkultur, Sätze sagt, wie „Die Rückstandsdaten der erhältlichen Glyphosatprodukte lassen auf keine Gefahr für die menschliche Gesundheit schließen“ wird sie als Verantwortliche der Glyphosat-Machbarkeitsstudie durch allerlei Bosheiten und Unterstellungen angefeindet und werden ihre Feststellungen in Zweifel gezogen.

Der ehemalige ORF-Journalist Raimund Löw, in diesem Fall völlig unverdächtig, wunderte sich auf Twitter. „Bei Klima nehmen wir Wissenschaft sehr ernst, glücklicherweise. Bei Chemie viel weniger. Kurios“ befindet er, nach dem er sich zum Thema Glyphosat informierte.

„Kurios“ – auch viele Bauern empfinden das so. Bemerkenswert ist es allemal, dass im dem einen Fall der Wissenschaft ohne Wenn und Aber geglaubt wird und allfällige Zweifler einen harten Stand haben, dass es im anderen Fall aber genau umgekehrt ist und die Wissenschaft einen harten Stand hat – selbst, wenn es sich in beiden Fällen um Wissenschaftler der gleichen Universität handelt.

Warum das so ist, ist schwer nachzuvollziehen. Die Gründe dafür sind wohl vielfältig, vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass die Landwirtschaft über Jahrzehnte meist auf einem allzu hohen Ross gesessen ist. Dass man nie ein Gespür für die Gesellschaft entwickelte. Dass man diese Gesellschaft viel zu lange in der Pflicht gesehen hat, dankbar sein zu müssen dafür, dass sie von den Bauern etwas zu essen bekommt. Und dass das wohl immer auch die bequemste Position war.

Dabei ist angesichts Erfolgsstory, zu der die Landwirtschaft mit ihren enormen Produktionssteigerungen wurde - zumindest in den Industriestaaten - längst nicht mehr wichtig, dass die Leute etwas zum Essen haben, sondern vor allem, was sie zum Essen haben. Das zur Kenntnis zu nehmen fällt schwer. Leichtfertig hat man Vertrauen verspielt, sich oft allzu oft selbst in den Sack gelogen und für zu wichtig genommen, aber nie hat man ernsthaft versucht, zu erklären, was man tut und warum man es tut.

Jetzt leiden die Bauern darunter, dass weder ihr Fachwissen noch das der Wissenschaft geschätzt und geachtet oder gar anerkannt wird. Welche Mühen und wiviel Wissen dahinterstehen, wird nicht zur Kenntnis genommen, sondern vielmehr wird ihre Arbeit oft in Zweifel gezogen. Was sie sagen scheint keinerlei Gültigkeit zu haben.

Die Landwirtschaft kann sich kaum mehr erwehren, wenn Ratschläge von TV-Köchinnen, von selbernannten NGO-Experten und von Handelsbossen die öffentliche Diskussion und immer öfter auch die Agrarpolitik bestimmen. Selbst wenn die weitab von der Realität auf den Höfen und weitab von den Bedürfnissen und Erfahrungen der Bauern sind.

Zurechtkommen muss die Landwirtschaft aber dennoch damit - die bisherigen Ansätze scheiterten, neue sind notwendig. Dringend. 

Gmeiner meint - Blick ins Land, 8/19

Donnerstag, 1. August 2019

"Übliche Praxis" in honorigen Kreisen



Dass ein Mitarbeiter des Bundeskanzlers kurz vor dessen Abwahl fünf Festplatten schreddern ließ, mag verwundern, ist es doch nicht wirklich ganz alltäglich, wie der gute Mann dabei vorgegangen ist. Was aber noch viel mehr verwundert und erstaunt, ist, dass die Vernichtung von Unterlagen aller Art in den Regierungsbüros im Zuge eines Regierungswechsels nicht nur vom Kurz'schen Umfeld als üblicher Vorgang bezeichnet wird. "Die Löschung bestimmter sensibler, nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegender Daten entspricht der üblichen Praxis bei Regierungswechseln", ließ sogar Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein wissen.

Und so verwundert auch nicht, dass sich vor allem ehemalige Regierungsparteien wie die SPÖ, aber auch die FPÖ dazu sehr zurückhaltend geben und die Diskussion auf Beamte anderer Parteizugehörigkeit in Kanzleramt und Ministerien und die von ihnen vorgeblich ausgehenden Gefahren zu lenken versuchen. Schließlich waren Lkw von derselben Firma, bei der der Kurz-Mitarbeiter die Festplatten vernichten ließ, im Innenministerium vorgefahren, als dort Kickl den Posten räumen musste. Auch nach dem Abgang von Christian Kern waren die Büros besenrein und leer und keinerlei Datenträger oder andere Unterlagen zu finden. Und längst zu den gern erzählten Anekdoten der österreichischen Geschichte gehört auch, dass die Mitglieder der Regierung Schüssel im Jahr 2000 in Büros der SP-geführten Ministerien einziehen mussten, die teilweise verwüstet waren und in denen sogar die Computer-und Telefonanschlüsse aus den Wänden gerissen worden waren.

Da war selten etwas davon zu hören, dass, wie man es erwarten würde, in honorigen Einrichtungen von honorigen Herrschaften die Geschäfte in ordentlicher, korrekter und von Verantwortung dem Amt gegegenüber getragener Weise übergeben wurden. Vielmehr muss man erkennen, dass hierzulande Amtsübergaben auf höchster Ebene nicht auf Grundlage genauer Regeln und Vorschriften abgeführt werden, sondern eher hemdsärmelig, oft wohl auch am Rande der Legalität und jedenfalls in einem riesigen rechtlichen Freiraum.

Es muss ja nicht gleich darum gehen, etwas zu vertuschen. Merkwürdig ist das allemal in einem Land wie Österreich, in dem die Bürokratie und ihre Vorschriften aus jedem Lebenswinkel kriecht und in dem man jedem am liebsten aufs Konto, ins Telefon und in den Computer schauen würde. In dem Gewerbetreibende jeden Handgriff und jeden noch so kleinen Vorgang dokumentieren müssen, in dem man das Gastgewerbe mit einer Registrierkassenpflicht quält und in dem man Bauern mit mitunter absurden Aufzeichnungs-und Belegpflichten karniefelt, auf dass alles transparent und nachvollziehbar ist.

Ganz oben aber, an der Spitze des Staates, darf das offenbar ganz anders sein. Da ist nichts von Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Da richtet man sich die Dinge seit Jahrzehnten selbst. Wenn nötig mit Reißwolf und Verwüstung. Man mag es nicht glauben, wie dort, man mag es nicht anders nennen, gefuhrwerkt wird. Ohne jede Rücksicht, ohne jeden Genierer und, das vor allem, ohne jede Kontrolle. Und wie man das ganz normal findet. Und nicht nur das.

Das lässt tief blicken. Was sind das für Leute, die da an den Schalthebeln unseres Landes sitzen? Wie denkt man dort und welcher politischen Kultur fühlen sie sich verpflichtet? Was bedeuten ihnen die Einrichtungen der Demokratie, die ihnen nicht, wie sie vielleicht meinen, zur Verfügung gestellt wurden, sondern die ihnen von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes im Zuge von Wahlen anvertraut wurden? Und was wird dort alles gemacht, was eigentlich nicht hingehört?

Das störte bisher niemand. Und niemand fand es bisher wert, darüber zu reden. Erst jetzt zeigt sich, wie groß der Graubereich ist, wenn eine Regierung wechselt, und wie groß die Lücken sind. Das Bundesarchivgesetz, das in solchen Fällen angewendet wird, erweist sich offenbar als völlig zahnlos. Was in die Archive kommt, entscheiden allein die Ministerien und ihre Mitarbeiter und sonst niemand. Das Gesetz selbst weist riesige Lücken auf. "Es fehlen die elektronischen Medien und all diese neuen Dinge", sagt der ehemalige Leiter des Staatsarchivs.

Man staunt über solche Lücken und mag es nicht glauben. Aber es passt zu all dem anderen, das man nicht glauben mag, wenn in diesem Land eine Regierung übergeben wird. Von dem man aber dennoch hofft, dass es anders wird.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. August 2019
 
UA-12584698-1