Donnerstag, 26. September 2019

...und alle Fragen offen



Jetzt sind es nur noch Tage. Und viele sagen wohl -endlich. Der Wahlkampf, den wir in den vergangenen Wochen und Monaten ertragen mussten, hatte durchaus eine ähnliche Qualität, wie der Abend der zwei betrunkenen Politiker auf Ibiza, der ihn auslöste. Er war laut, zuweilen derb und er war oft einfach daneben. Nach all dem, was geboten wurde und nach all dem, was in diesen Wochen an Fronten aufgebaut wurde und nach all dem, was gezeigt wurde, weiß man zwar, wozu die Politikerinnen, die Politiker und ihre Parteien fähig sind, wenn es darum geht, ihre Gegenspieler zu beschädigen und schlecht zu machen, sie anzuschwärzen, sie zu vernadern und zu desavouieren - aber man weiß nicht, ob sie es auch verstehen, Politik zu machen. Politik in dem Sinne, die sie als die Kunst des Möglichen definiert. Und nicht die im Sinne des Durchsetzens und Drüberfahrens, sondern Politik für die Menschen und für das Land, und nicht Politik gegen den politischen Gegner.

Denn zu oft hatte es den Anschein, als ginge es nur um Letzteres. Erhebliche Zweifel über die Politikfähigkeit der Parteien sind daher nach all dem, was in den vergangenen Wochen geboten wurde, durchaus angebracht. Freilich könnte man sagen, dass für Politik ja gar keine Zeit war, weil seit Wochen alle miteinander von einer Fernsehdiskussion zur anderen, von einem Interview zum anderen und von einer Elefantenrunde zur anderen pendelten, um sich das immer Gleiche ins Gesicht zu sagen.

Dass all das, was seit dem Misstrauensantrag Ende Mai, mit dem die Ära Kurz I beendet wurde, geboten und bekannt wurde, freilich das Vertrauen in die Politik und die Demokratie gestärkt hat, sei in Zweifel gezogen. Und da sei gar nicht auf die Vorgänge in der Villa auf Ibiza verwiesen und auf die jüngste Strache-Spesengeschichten. Da sei auch auf so Unappetitlichkeiten wie die Schredderaffäre oder Daten-Hacks verwiesen, oder auf die staunenswerten Methoden der Parteienfinazierung, die tief in die Politikmaschinerie blicken ließen. Oder aber auch auf all die Energie, die die Opposition darein setzte, den ehemaligen Kanzler und alles, was er tat und sagte in einer Art schlecht zu machen, die in ihrer Qualität neu war. Da war oft nichts mehr von Respekt zu sehen, sondern wurde oft mit Hass gespielt  - und damit die Politik an sich und nicht nur das türkise Zielobjekt diskreditiert.

Die einzige Gemeinsamkeit, die die Parteien zeigten, war ihre Schamlosigkeit, Geld auszugeben. Und die ist nur verantwortungslos und nichts anderes zu nennen. Nicht eine, sondern zwei Runden des euphemistisch sogenannten "Freien Spiels der Kräfte" wurden im Nationalrat von allen weidlich ausgenutzt, um ihre Klientel zu befriedigen. Hacklerregelung für die einen, Steuerreform für die anderen. Dass es am Ende mehr als fünf Milliarden Euro sind, die bleiern auf den Budgets der nächsten Jahre liegen, ist wohl nicht das, was man Politik nennen kann, die man erwarten würde, schon gar nicht eine, die von Verantwortung getragen ist.

Aus dem Wahlkampf geht keine der Parteien als Sieger hervor. Überzeugend war niemand, und alle bekamen ihre Kratzer ab. Bei vielen waren es sogar Schrammen. Vergessen waren alle Versprechen nach der Ibiza-Affäre, auf eine saubere und verantwortungsvolle Politik wert zu legen.

Selten scheinen die Gräben so tief gewesen zu sein zwischen den Parteien. Alle Brücken zwischen den Parteien scheinen am Ende dieses Wahlkampfs abgebrochen zu sein. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass längst das Rätseln über mögliche Koalitionen begonnen hat. Niemand kann sich vorstellen, wer mit wem das Land regieren könnte. Denn viel öfter, als man Gemeinsamkeiten und damit Möglichkeiten sieht, sieht man die Unvereinbarkeiten und die Unterschiede, die eine Zusammenarbeit nicht für möglich erscheinen lassen.

Bemerkenswert ist freilich, dass sich die Kräfteverhältnisse nicht so, wie man es nach einem Ereignis in der Dimension des Ibiza-Skandals erwarten würde, verschieben werden. Just die Freiheitlichen scheinen mit relativ geringen Einbußen davonzukommen, während die Sozialdemokraten, die nicht zuletzt wegen ihrer Erwartungen die Neuwahlen auslösten, allen Umfragen zufolge mit kräftigen Einbußen rechnen müssen.

Es wird spannend, was am Sonntag passieren wird. Der vor sechs Jahren verstorbene Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki hätte zum Ende dieses Wahlkampfs vielleicht gesagt, was er zum Ende jeder der von ihm moderierten Sendung "Das literarische Quartett" sagte -"Freunde, wir sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen."


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 26. September 2019

Donnerstag, 19. September 2019

Fakten haben keine Lobby



Verunsicherung und Angst sind in den vergangenen Jahren zu den Hauptmerkmalen unserer überdrehten Gesellschaft geworden. Allerorten fehlt es an Vertrauen. An Vertrauen in die Politik und öffentliche Einrichtungen, in Unternehmen, in die Wissenschaft. Vieles wird einfach nicht mehr geglaubt, alles wird hinterfragt, hinter allem werden List und Tücke vermutet. Und überall, so scheint es mitunter, wittert man Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit.

Verfolgt man die öffentliche Diskussion, möchte man meinen, die Gefahren seien noch nie so groß gewesen wie derzeit und alles so schlecht wie nie zuvor. Wer anderes sagt, hat einen schweren Stand.

Es gibt viele solcher Themen. Eines davon ist das weite Feld der Landwirtschaft, der Lebensmittel und der Ernährung. Wie kaum sonst wo hat sich dort oft Hysterie breitgemacht, obwohl etwa die Nahrungsmittel noch nie so sicher waren wie heute. Das freilich will niemand hören. Wohl auch, weil's in keines der Konzepte passt, mit denen viele ihre Geschäfte machen.

"Die persönliche Risikowahrnehmung ist eine Bauch-und keine Kopfsache", sagte jüngst der Chef der Agentur für Ernährungssicherheit Ages, die in vielen Bereichen Daten liefert, die ganz anderes belegen, als es dem Bild, das die Öffentlichkeit hat, entsprechen würde. Da ist nichts davon, dass man, wie heute oft der Eindruck vermittelt wird, mit jedem Lebensmittel heutzutage auch gleich einen ganzen Giftcocktail aus Pflanzenschutzmitteln zu sich nimmt. Da ist gar nichts davon. Aber in Sachen Nahrungsmittel hält sich wohl jeder für einen Experten.

Pflanzenschutzmittel gehören heute, sagt auch die Ages, zu den bestuntersuchten Substanzen. Und die Angst, die sie verursachen, steht in keinerlei Verhältnis zur Wirklichkeit. Von den tausenden Proben, die die Ages seit dem Jahr 2010 durchführte, wurden nur neun Proben als gesundheitsschädlich bewertet. In mehr als der Hälfte der Proben waren keinerlei Rückstände von Pflanzenschutzmitteln festzustellen. Und Höchstwert-Überschreitungen, die freilich noch keine Schädlichkeit für die Gesundheit bedeuten, gab es in den vergangenen zehn Jahren nur zwischen 0,8 und 2,8 Prozent der untersuchten Proben. Und von den 345 Lebensmittel-Rückrufen und -Warnungen seit 2010 waren nur zwei auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln zurückzuführen.

Mikrobielle Verunreinigungen waren dagegen in 146 Fällen der Grund für Rückrufe und Warnungen, heißt es im aktuellen "Risikometer Umwelt &Gesundheit" der Ages. Die mitunter grassierende Panik scheint da gänzlich unangebracht. "Das größte Risiko bei Obst und Gemüse ist zu wenig Obst und Gemüse zu essen", sagen die Wissenschaftler angesichts dieser Ergebnisse.

Die meisten lebensmittelbedingten Erkrankungen werden durch Mikroorganismen wie Bakterien und Viren verursacht, heißt es bei der Ages. "Während Rückstände von Arzneimitteln und Pestiziden an der Spitze der Besorgnisskala stehen, spielen Krankheitserreger wie Campylobacter und Salmonellen nur eine untergeordnete Rolle." Aber diese Fakten haben in unserer Zeit der Fake-News keine Lobby. Schon vor Jahren geißelte der Chef des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung die Küche als den größten Hort von Gefahren. Jedes Jahr erkranken ihm zufolge allein in Deutschland nachweislich mehr als 70.000 Menschen an einer Campylobacter-Infektion, die meist eine Folge mangelnder Küchenhygiene und fehlerhaften Umgangs mit heiklen Lebensmitteln wie Hühnerfleisch ist. "Man stelle sich vor, 70.000 Menschen würden sich statt mit Campylobacter an den Rückständen eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels vergiften -da müsste dann wohl gleich die ganze Regierung zurücktreten."

Freilich ist Sorglosigkeit auch angesichts dieser Fakten nicht angebracht. Angebracht aber wäre, den Fakten mehr Beachtung zu schenken. Und angebracht wäre auch ein bisschen mehr Gelassenheit. Zu der freilich könnten auch die beitragen, die die Fakten liefern -wenn sie sich nicht so oft in ihren elfenbeinernen Türmen verstecken würden, sondern sich öfter trauen würden, sich der öffentlichen Diskussion zu stellen, die freilich mitunter einem wilden Getümmel gleicht. Schließlich haben auch sie das ihre dazu beigetragen, dass das Vertrauen zerschlissen ist. Vielleicht ist man sich zu nobel dafür. Man sollte es nicht sein. Dafür geht es um zu viel.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. September 2019

Freitag, 13. September 2019

Brexit bedroht Milchmarkt



Bauernmilchpreise bleiben trotz Lieferrückgangs unter Druck.

Hans Gmeiner


Gmunden. Die Halbierung der Butterpreise von knapp sieben Euro je Kilogramm vor knapp drei Jahren auf derzeit gerade einmal 3,40 Euro pro Kilogramm macht den Bauern und ihren Vertretern Sorgen. Sie befürchten einen weiteren Druck auf die Preise. Schon in den vergangenen Monaten kam es zu weiteren Preiskorrekturen nach unten, obwohl die Anlieferung der Bauern nach den Erhöhungen im Gefolge des Quotenendes heuer bereits um 1,2 Prozent sank. Insgesamt liegt aber das Preisniveau noch über dem des Vorjahres. Dabei wird es auch bleiben, will Helmut Petschar, Chef der Kärtnermilch und Sprecher der heimischen Milchverarbeiter, keine Unruhe erzeugen. „Die Eiweißnotierungen, die auf dem Milchpulvermarkt bestimmend sind, schwächen die Folgen des niedrigen Fettpreises ab, der für Butter maßgeblich ist“, sagte er am Donnerstag bei der Jahrestagung der Branche in Gmunden.

Viel größeres Kopfzerbrechen bereiten den Molkereien derzeit die möglichen Folgen des Brexit, geht es doch um einen Markt, der jährlich 480.000 Tonnen Käse und 90.000 Tonnen Butter vor allem aus der EU aufnimmt. „Das ist ungefähr das doppelte Volumen dessen, was 2014 der plötzliche Ausfall des russischen Marktes im Gefolge der Sanktionen ausmachte“, sagte Petschar. Damals wurde die Milchwirtschaft inklusive der Landwirtschaft heftig durchgebeutelt. Die Bauernpreise stürzten um fast ein Drittel ab. Auch wenn der britische Markt für Österreichs Milchwirtschaft eine untergeordnete Rolle spielt, können die Folgen gravierend sein. Zu erwarten ist, dass die Mengen, die dort nicht mehr untergebracht werden können, auf den europäischen Markt drängen und die Preise drücken.

„Wir können nur abwarten“, sagt Petschar. Bei der Russland-Krise habe es auch keine Vorbereitungen gegeben, sagt Michael Waidacher, Chef der Gmundner Molkerei. „Was kommt, wird vor allem von den Großen auf dem Milchmarkt abhängen.“


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 13. September 2019

Donnerstag, 12. September 2019

Bemerkenswerte Nonchalence



Im Umgang mit ihrer eigenen Arbeit entwickeln vor allem die Parteien, die über Jahrzehnte als Regierungsparteien die Geschicke des Landes bestimmten oder zumindest mitbestimmten, eine bemerkenswerte Nonchalance. Da hat man keine Probleme, das Land für schlecht zu erklären, Fehlentwicklungen anzuprangern und Maßnahmen zu fordern, als hätte man nie Verantwortung für den Gang der Dinge in diesem Land getragen und auch nie die Möglichkeit gehabt, das zu ändern und zu tun, womit man nun bei den Wählern um Stimmen buhlt. Dabei liefert man oft nichts anderes als einen Beleg für das eigene Unvermögen.

Ein eindrückliches Beispiel lieferte dieser Tage der VP-Bauernbund bei der Landwirtschaftsmesse in Ried. Dort forderte die Bauernspitze wortreich und eindrücklich vor der Presse "mehr Tempo" bei Maßnahmen zur Rettung des Klimas. Schließlich habe man "unsere Werkstatt unter freiem Himmel" und treffe "uns der Klimawandel zuerst". Das ist bemerkenswert, saß dort auch die ehemalige Umweltministerin Elisabeth Köstinger, bekanntermaßen auch Vizepräsidentin der ÖVP-Bauern, auf dem Podium. Sie war zwar bis vor drei Monaten die letzte einer ganzen Reihe von VP-Ministern, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für die Umweltpolitik in diesem Land verantwortlich war.

"Mehr Tempo" zu machen, wie man forderte, hätte auch dann wohl möglich sein müssen. Zumindest haben sie und ihre Vorgänger es in der Hand gehabt, sehr lange Zeit sogar, "mehr Tempo" zu machen. Sie taten das offenbar nicht. Freilich, oft ging das nicht, weil die Widerstände zu groß waren, aber dennoch muss man sich die Frage gefallen lassen, ob man nicht doch zu wenig dahinter war oder gar, ob man nicht gut genug war. Köstinger muss sich im Wahlkampf sogar vorhalten lassen, dass Österreich bei den Klimazielen weit hinterherhinkt. Die Forderung nach "mehr Tempo" jedenfalls nimmt sich vor diesem Hintergrund befremdlich aus und steht im Geruch, aus dem eigenen Unvermögen der vergangenen Jahre nun vor den Wahlen sogar Kapital schlagen zu wollen.

Dieser Eindruck freilich beschränkt sich nicht allein auf die ÖVP. Noch sehr viel häufiger drängt er sich bei der SPÖ auf, die mit ihren Forderungen, seit sie in Opposition ist, so tut, als sei sie in diesem Land nicht über Jahrzehnte an den Schalthebeln der Macht gesessen. Da wird das Sozialwesen schlecht geredet und das Gesundheitswesen, da wird über das Schulsystem geklagt und über die immer noch mangelhafte Gleichstellung der Frauen und vieles andere mehr. Ganz so, als hätte man immer nur zusehen müssen, wie alles den Bach hinuntergeht. Da fordert die Spitzenkandidatin forsch eine "öffentliche, staatlich finanzierte Pflegegarantie, damit sich die Menschen drauf verlassen können, dass sie im Alter ihre Pflege bekommen". Da will sie eine "Jobgarantie für alle Arbeitslosen","leistbare und klimafreundliche Mobilität" und ein Öffi-Ticket um 365 Euro jährlich.

Das mag alles -auch wenn man anderer Meinung sein mag -recht und schön sein. Aber warum hat man das in den Jahrzehnten, in denen man an der Macht war, nicht zusammengebracht, wenn jetzt so getan wird, als ob Österreich daran zerbreche. Hat man da etwas versäumt? Übersehen? Vergessen? Hat man zu wenig Weitblick gehabt? Oder versucht man auch in diesen Fällen aus den eigenen Versäumnissen und all dem, was man nicht zusammengebracht hat, im aktuellen Wahlkampf Kapital zu schlagen.

Die gemeine Wählerin und der gemeine Wähler könnten da durchaus fragen, warum sie diese Parteien noch einmal wählen sollen. Die, die da ihre eigene Vergangenheit so oft schlecht machen, haben doch ihre Chance gehabt, die haben ihre Chance vertan, die haben ja gezeigt, dass sie nicht so gut sind, wie sie versprechen und dass sie nichts zusammenbringen, was sie in Aussicht stellen. Eigentlich dürfte da nicht verwundern, wenn die Wählerinnen und Wähler sagen, jetzt sollen es andere zeigen, ob sie es können.

Freilich ist die Realität komplexer und die politische Lage anders. Es geht nicht immer alles, und es geht nicht immer alles schnell. Es gibt viele Hindernisse und noch mehr Bremser. Und es gibt, das wohl vor allem in der politischen Realität Österreichs, kaum Alternativen, denen man zutrauen könnte, dass nicht sie auch in vier Jahren in Pressekonferenzen sitzen und "mehr Tempo" fordern für politische Aufgaben, deren Gestaltung sie in den Jahren zuvor zu verantworten hatten.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. September 2019

Freitag, 6. September 2019

Statt Mercosur wollen die Bauern Klimazölle



ÖVP-Chef Kurz verspricht nationale Mittel als Ersatz für mögliche Kürzungen der EU-Gelder.


Hans Gmeiner  


Ried im Innkreis. Stilgerecht im Steireranzug, und nicht im sonst üblichen dunklen Einreiher warf ÖVP-Chef Sebastian Kurz am Donnerstag auf der Rieder Landwirtschaftsmesse Wahlzuckerl unter das bäuerliche Volk. Kurz versprach, man werde allfällige Einbußen bei den EU-Förderungen nach der Agrarreform aus nationalen Mitteln ersetzen.

Nach derzeitigem Verhandlungsstand dürften vor allem als Folge des Brexit rund 110 Mill. Euro weniger pro Jahr für die heimische Landwirtschaft zur Verfügung stehen. Weil ein Großteil der Kürzungen die Mittel für die ländliche Entwicklung betreffen soll, fürchten Bauern vor allem um die Umweltprogramme und die Bergbauernförderung.

Über die gesamte Budgetperiode der EU von sieben Jahren wäre dieses Versprechen somit 770 Mill. Euro schwer. Woher das Geld dafür kommen soll, sagte Kurz nicht. Auch nicht, dass er in seiner Zeit als Bundeskanzler des Nettozahlerlandes Österreich Mehrzahlungen als Ausgleich für die wegen des Brexit fehlenden Mittel verweigerte.

Josef Moosbrugger, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, will die Erwartungen der Bauern daher auch nicht allzu hoch hängen. Er spricht sich dafür aus, dass in Brüssel „anständig verhandelt wird, dann schauen wir, dass wir einen Ausgleich bekommen“.

Aktuell plagen die Bauern ohnehin ganz andere Sorgen. Dürre, Rüsselkäfer in Rüben und Engerlinge in Wiesen seien zu richtigen Plagen geworden, sagt Bauernbundpräsident Georg Strasser. Dazu kommt der Borkenkäfer, der in vielen Wäldern wütet. Laut Moosbrugger ist die Situation von Österreichs Waldbauern „dramatisch“ und die Ertragslage „katastrophal“. „Die Preise decken nicht einmal die Aufarbeitungskosten.“ Er fordert nicht nur ein Klimapaket für den Wald, sondern auch ein „Ende der Scheinheiligkeit“. Was er damit meint? „Raus aus der fossilen Energie und hinein in die erneuerbaren Energieträger muss die erste Maßnahme sein“, sagt der Kammerpräsident. Scharf ins Gericht ging er auch mit Vorschlägen wie einer CO2 -Abgabe oder einer Fleischsteuer. Die seien nichts als Ablenkungsversuche. Die wahren Ursachen lägen nicht bei der Landwirtschaft, „sondern dort, wo alle betroffen sind, etwa beim Verkehr“. Auf scharfe Ablehnung stößt auch das geplante Mercosur-Abkommen, das Rindfleischexporte nach Europa erleichtern soll. „Stattdessen brauchen wir Klimazölle“, sagt Moosbrugger. Auch der Handel bekam sein Fett ab. Es sei „unverständlich, dass derzeit Billigäpfel aus dem Ausland angeboten werden und gleichzeitig von Klimabelastung geredet wird, wo es doch bei uns heuer zu viele Äpfel gibt“.

Die Bauern wollen sich nicht die Schuld am Klimawandel zuschieben lassen. Laut Ex-Ministerin Elisabeth Köstinger trägt die Landwirtschaft zwar weltweit 25 Prozent zu den Treibhausgasemmissionen bei, in Österreich seien es aber wegen der kurzen Wege und der naturschonenden Wirtschaftsweise nur zehn Prozent.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 6. September 2019

Donnerstag, 5. September 2019

Von Kälbchen und vom Stimmvieh



Die Landwirtschaft und ihre Themen irrlichtern durch den Wahlkampf. Um die Bauern, ihre Perspektiven und ihre Zukunft, geht es bisher kaum. Wenn, dann geht es darum, mit ihnen Image zu machen oder sich auf ihrem Rücken zu profilieren. So wie immer eigentlich. Vor allem bei jenen Parteien, die sich zwischen Wahlen kaum für die Landwirtschaft interessieren und eher gegen die Bauern arbeiten, als für sie. Da lässt man sich gerne, wie die sozialdemokratische Spitzenkandidatin, mit einem Kälbchen fotografieren und macht sich, wie ebendiese Dame, für billige Schnitzel stark.  

In der Sache hingegen ist nicht nur von ihr und ihrer Partei wenig zu vernehmen zu den großen Fragen, die die Bauern bewegen. Da beschränkt sich auch bei den meisten anderen Parteien die Agrarpolitik allenfalls auf Zwischenrufe. Da ist kein substanzielles Auseinandersetzen mit Fragen der Agrarpolitik und den Anliegen der Bauern. Da ist meist keine Kontinuität. Allenfalls bezieht man anlassbezogen Stellung.

Anders ist das nur beim VP-Bauernbund und allenfalls bei den Grünen. Man mag zum Bauernbund kritisch stehen, Faktum aber ist, dass er sich als VP-Teilorganisation nicht nur vor Wahlen der Bauern annimmt, sondern auch in den Jahren dazwischen, wo es um mehr geht, als um das Formulieren von netten Forderungen und Wünschen. Die VP-Bauern haben in ihrer Partei, die immerhein über die vergangenen Jahrzehnte immer auch Regierungspartei war, immer noch das, was man politisches Gewicht nennen kann. Auch wenn unter Kurz die Uhren mitunter anders ticken, als es die Bauernbündler über Jahrzehnte gewöhnt waren. Und auch wenn zu fragen ist, was man mit dieser nach wie vor bestehenden Macht macht.

Bei den Grünen ist das Gewicht der Landwirtschaft in der Partei durchaus ähnlich, freilich aber in einem ganz anderen Umfeld, mit dem ein Großteil der Bauern wenig anfangen kann und sich wenig geschätzt und mitunter sogar bedroht fühlt. Aber die Bauern wissen, wie sie dort dran sind. Die Linie der Grünen in der Landwirtschaft kann man schätzen oder man kann sie ablehnen und fürchten.

Die Frage, wie die Bauern dran sind, stellt sich bei den anderen Parteien gleich gar nicht. In der FP, die sich bei Bedarf das Bauernjopperl überzieht, wenn es um Stimmen geht, haben die Bauern, wiewohl nicht wenige von ihnen bei dieser Partei ihr Kreuzerl machen, allem Anschein nach nicht viel zu sagen. Der Umgang mit dem Glyphosatverbot zeigte das. In der SP ist es nicht anders. Dort hält man sich zwar immer noch eine Bauerorganisation, lebt aber ein sehr distanziertes und mitunter gar verlogenes Verhältnis zur Landwirtschaft, das nicht einschätzbar ist. Bei Neos ist das, auch wenn es eine eigene Agrarsprecherin gibt, kaum anders. Und auch nicht bei der Liste Jetzt ist. Dort kandidiert bekanntermaßen ein gewisser Herr Balluch, der Gottseibeiuns der heimischen Tierhalter.

Mit der Landwirtschaft setzen sich diese Parteien kaum auseinander. Und schon gar nicht mit den Bauern und ihren Bedürfnissen.

Dabei gäbe es ein so breites Feld und so viele Möglichkeiten. Aber dafür müsste man die Landwirtschaft und die Bauern ernst nehmen – und in ihnen nicht nur Stimmvieh bei Wahlen sehen.

Gmeiner meint. Blick ins Land, September 2019


Gelegenheit macht auch Diebe



"Man muss das ausnutzen", sagte Ingrid Korosec. Obfrau der VP-Senioren auf die Frage, ob man sich mit der Pensionserhöhung, auf die man sich in der vergangenen Woche einigte, nicht ein großzügiges Wahlzuckerl abgeholt hat. Und "dass es in so einer Situation gerechtfertigt" sei, stehe "außer Frage". Die Politikerin jedenfalls scheint felsenfest davon überzeugt zu sein und hat kein Problem damit, auch zuzugeben, "dass solche Chancen genutzt werden". 

Aber darf man das wirklich? Und muss man das wirklich? Nicht alle sehen das so. "Verantwortungsbewusstsein für das Staatsganze sieht anders aus", heißt es erbost auf Twitter. Jetzt mag man Korosec ihre Offenheit und Ehrlichkeit hoch anrechnen. Ob richtig ist, wie sie denkt und Politik macht, ist freilich zu hinterfragen. Denn es ist nicht sie allein, die so denkt. Dieses Denken hat wohl jeder Politiker und jede Politikerin im Blut. Die Frage, ob man so ein Denken wirklich "außer Frage" stellen darf, stellt man sich da gleich gar nicht.
Dabei führt gerade dieses Denken oft schnurstracks in das, woran die heimische Politik immer öfter leidet. Da werden, weil man "das ausnutzen muss", Zuckerl beschlossen, die wenig mit Vernunft und Abwägung zu tun haben und auch nicht viel mit Verantwortung, sondern die Budgets über Jahrzehnte belasten, die sich für die nachfolgenden Generationen sehr schnell als schwere Hypotheken erweisen. 

Von "verkaufter" Jugend sprechen Experten wie Franz Schellhorn, Chef der Agenda Austria, und davon, dass die jüngste Pensionserhöhung "nicht die Behebung einer monetären Notlage älterer Jahrgänge, sondern die gezielte Wählerbestechung der Pensionisten auf Kosten der Jungen" ist. Denn schon jetzt kommt das System mit den vorhandenen Mitteln bei Weitem nicht mehr aus und muss mehr als zehn Milliarden Euro zuschießen. Dabei ist die Situation im Vergleich zu dem, was in den nächsten Jahrzehnten kommt, vergleichsweise harmlos. Kommen heute auf einen Pensionisten immerhin noch 1,7 Einzahler, werden das im Jahr 2050, also in gerade einmal 30 Jahren, nur mehr 1,15 Einzahler sein. 

Wie die VP-Seniorenchefin redet und denkt, ist wohl in der Politik gängiges Muster. Politiker verstehen ihre Arbeit so und sie definieren sich so. Und, das ist hinzuzufügen, Politiker werden auch darüber von den Wählerinnen und Wählern definiert. Wer sich für seine Zielgruppe nicht mit aller Kraft einsetzt und nicht zuallererst die Durchsetzung ihrer Interessen im Fokus hat und wer nichts heimbringt aus Verhandlungen, kann gleich zusammenpacken. Das gliche einem politischen Selbstmord. Die Wähler ließen das nicht zu, auch wenn sie meist auch ganz anders reden -solange es nicht um ihre ureigenen Anliegen und Wünsche geht. 

Wenn es aber ums eigene Geld geht, ist das freilich allzuoft alles anders. Man weiß wohl, dass es anders richtiger wäre und man weiß um mögliche Folgen. Aber man will nichts auslassen. Schon gar nicht Gelegenheiten, wie sie sich in einem Wahlkampf ergeben. Das war schon immer so. Neu ist, dass Stimmen, die zur Vernunft mahnen und die die Folgen und das Staatswohl im Auge haben, völlig untergegangen zu sein scheinen. Ungebremst scheint die Bereitschaft vor Wahlen, immer teurere Beschlüsse zu fassen, die die öffentlichen Haushalte und damit die Zukunft der Jugend über Jahrzehnte belasten.

Weitreichende Konzepte, strukturelle Änderungen und Weichenstellungen, die den Anforderungen gerecht werden, haben es hingegen immer schwerer. Da geht es viel zu oft nicht mehr um nachhaltige Lösungen für die Zukunft, sondern um den schnellen Applaus. Beim Geldausgeben, wie beim Geldeinnehmen.

Allein am vergangenen Wochenende, rechnete eine Tageszeitung vor, präsentierten die Parteien -von der ÖVP bis zu den Grünen - Wünsche, Forderungen und Wahlversprechen, die zusammen ein Volumen von nicht weniger als 1,8 Milliarden Euro ausmachen. Darüber, wie all das finanziert werden soll, wurde kaum geredet. Man muss annehmen, dass das ohne zusätzliche Steuerbelastung nicht geht.

Da ist nachvollziehbar, dass Kritiker das in einem Hochsteuerland wie Österreich als den geraden "Weg in die Steuerhölle empfinden". Auch, weil es in diesem Land allgemeines Verständnis ist, dass Gelegenheiten "ausgenutzt" - wie das VP-Seniorensprecherin nannte -werden müssen, schon gar vor Wahlen. Dem frustrierten Steuerzahler fällt dann sehr schnell ein, dass es auch heißt "Gelegenheit macht Diebe".


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 5. September 2019
 
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