Freitag, 29. September 2023

Der EU geht das Agrarland aus

Von Überschüssen binnen 20 Jahren in eine Ära der Knappheit.

Hans Gmeiner

Wien. Die Zeiten der Weizenberge und Milchseen sind endgültig vorbei. Die internationale Versorgungslage ist angesichts des rasanten Zuwachses der Weltbevölkerung inzwischen bei praktisch allen wichtigen Agrarprodukten angespannt. Die Subventionierung von weniger produktiven Wirtschaftsweisen und Flächenstilllegungen, wie sie insbesondere in der EU immer noch die Agrarpolitik bestimmen, hält der deutsche Agrarprofessor Harald von Witzke vor diesem Hintergrund für kontraproduktiv. „Auch in der EU hat die Ära der Knappheit begonnen“, sagte der Wissenschafter in Wien bei der Diskussionsveranstaltung der IG Pflanzenschutz mit dem Titel „Operation gelungen – Bauer tot“. „Inzwischen nutzt die Union per Saldo jährlich bis zu 34 Mill. Hektar außerhalb ihrer Grenzen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse“, sagte von Witzke.

Dementsprechend stoßen die aktuellen Pläne der EU wie der Green Deal oder die Renaturierungspläne, die eine weitere Extensivierung der Produktion und Flächenstilllegungen bringen sollen, bei ihm auf Ablehnung. Der Nahrungsbedarf der Welt steige in den Jahrzehnten zwischen 2000 und 2050 um 120 Prozent, die Weltbevölkerung wachse bis 2050 auf rund 10 Mrd. Menschen. „Dabei werden weltweit die landwirtschaftlich genutzten Flächen immer knapper und sind die Bodenreserven begrenzt.“ Sie in Produktion zu bringen schade dem Klima weitaus mehr als die bessere Nutzung bestehender Agrarflächen. „Die EU verfolgt dennoch konsistent eine anachronistische agrarpolitische Strategie, die klimaschädlich ist und Naturkapital der Welt vernichtet“, warnte von Witzke.

Bei der heimischen Bauernschaft, aber auch der Industrie gehen solche Sätze hinunter wie Öl. Dort beklagt man, dass man nicht gehört wird. „Trotz praktischer Erfahrung und bester Ausbildung, die auch wir Bauern haben, wird am grünen Tisch irgendwo entschieden“, sagt etwa Ernst Karpfinger, Präsident der heimischen Rübenbauern. „Wir kommen in dem Dialog gar nicht vor.“ Ins gleiche Horn stößt Christian Stockmar, Sprecher der IG Pflanzenschutz. „Man mag den Green Deal umsetzen, aber unter Beteiligung der betroffenen Landwirte und unter Einbeziehung von Experten auch aus der Industrie und nicht auf Grundlage von NGO-Dogmen und Ideologien.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 29. September 2023

Donnerstag, 28. September 2023

Das Gift des Klima-Populismus

"Es gibt seit Jahrzehnten wissenschaftlichen Konsens darüber, dass der Klimawandel real ist und menschengemacht. Alles andere ist die Augen verschließen vor der Realität", sagen Klimaforscher. Von Experten, Leuten, die sich teilweise über Jahrzehnte intensiv mit dem Klima auseinandergesetzt haben, hört man nichts anders. Die Fakten könnten deutlicher nicht sein. Wir erleben gerade den heißesten September in der Geschichte. Gab es in Wien Mitte der Achtziger Jahre gerade einmal zwölf Hitzetage, über die man sich damals richtig freute, so sind es inzwischen an die 40 und die meisten leiden inzwischen darunter. Die vergangenen Jahre waren weltweit die wärmsten überhaupt. Und es wird, sagen alle Prognosen, wohl noch schlimmer. Viele Schadereignisse sind kaum mehr versicherbar, die Wirtschaft leidet und die Menschen sowieso. Selbst wir in Österreich bleiben, wir mussten es heuer bitter erleben, nicht verschont.

Die Fakten sind erdrückend, die Prognosen auch. Die Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel sind dennoch überschaubar. Es bedarf sehr viel mehr, um der Entwicklung gegenzusteuern, als das, was wir bisher getan haben. Und dennoch werden die Stimmen immer lauter, immer aggressiver und oft auch immer unverschämter, ungeduldiger und radikaler, die sagen, das alles sei eine Lüge, die die Veränderung des Klimas in Abrede stellen, die den Klimawandel leugnen und dahinter nichts anderes als ein Geschäftsmodell sehen, mit dem irgendjemand die Welt groß abzocken will.

Von einem Konsens, von einem Ziehen an einem Strang scheint man mittlerweile weiter entfernt zu sein denn je. Weltweit, in Europa, aber auch in Österreich. Sehr viel eher ist das Gegenteil der Fall. Die Fronten scheinen sich zu verhärten. Es geht in eine falsche Richtung. Statt an wirksamen Maßnahmen zu arbeiten, macht sich auf beiden Seiten ein Klimapopulismus breit, der uns nicht weiterbringt. Das ist gefährlich und der notwendigen Sache nicht zuträglich. Vor allem wird es der Aufgabe nicht gerecht.

Populistische Parteien sind längst dabei sich des Themas zu bewältigen und damit ihre Spiele zu spielen und den Ton vorzugeben, dem sich auch die restlichen Partein nicht mehr entziehen mögen. Man denke nur den Schlingerkurs in Sachen Klimapolitik, den hierzulande die Volkspartei, aber auch die Sozialdemokraten unter ständigem Schielen auf Umfragen fahren. Und das gilt nicht nur für Österreich. In Deutschland und vielen anderen Ländern ist es nicht anders.

Dass, wie schon bei Corona oder auch bei der Migration, nicht wenige Medien den Klimaschutz als Thema entdeckt haben, mit dem sich vorzügliche Auflage und Quoten machen lassen, macht die Sache nicht besser. Besser macht auch nicht, dass sich auch bei der Klimaschutzbewegung ein aktionistischer Populismus breitmacht, der zur Verhärtung der Fronten beiträgt und zum Auseinanderdriften der Gesellschaft beiträgt.

Es ist, als hätte man das Ziel, möglichst viele Menschen mitzunehmen und für die Sache Klimaschutz zu gewinnen, aus den Augen verloren. Ob die "Klimakleber" der Sache dienen, ist längst umstritten. Sehr wohl ist eher anzunehmen, was selbst der Chefredakteur eines Wiener Stadtmagazins so formulierte: "Ich glaube die 'Letzte Generation' demobilisiert die Klimabewegung." Er sei überzeugt, kommt er zum Schluss, "die Klimakleber-Proteste schaden, sie spalten, sie radikalisieren auch jene, die eigentlich für die gute Sache mobilisierbar wären".

Was wir erleben, verunsichert. Auch wenn die Fakten klar zu sein scheinen. Man versteht die Sorgen, die sich viele, vor allem junge Menschen, machen. Man versteht, dass sich bei ihnen Zukunftsängste breit machen und man lernt, dass es etwas gibt, was Ecological Grief genannt wird - Trauer um die Umwelt, die zur psychischen Belastung wird.

Man fragt sich in all dem Getöse, in dem der Klimaschutz unterzugehen droht, dennoch, was man von all dem halten soll. Nicht nur, weil man vielleicht hofft, mit einem bequemen Weg davonzukommen, sondern auch weil man nichts mit radikalen Forderungen zu tun haben möchte, sondern an faktenorientierte Lösungen glaubt.

Das ist fordernd. Das Schlimmste wäre wohl, wenn der Klimaschutz zwischen den politischen Fronten aufgerieben würde und dadurch Maßnahmen blockiert würden - und wenn kein Weg gefunden, sondern alle Bemühungen blockiert würden.

Und wenn man nicht wieder vom Klima-Populismus lässt. Auf der einen Seite und auf der anderen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. September 2023

Samstag, 23. September 2023

Dürre bringt Versicherer an ihre Grenzen

Dürreschäden nehmen weltweit zu, in Österreich lagen sie in zehn Jahren bei einer Milliarde Euro.

Hans Gmeiner 

München. Vor gut einem Jahrzehnt mussten die Agrarversicherer nach einer Dürrekatastrophe in den USA ein Vielfaches von dem an Entschädigungen auszahlen, was sie an Prämien eingenommen hatten. Im Vorjahr war es in Brasilien nach einer monatelangen Trockenheit in den wichtigsten Sojaanbaugebieten nicht viel anders. Und heuer blickt man mit Bangen nach Südeuropa und insbesondere auf die Iberische Halbinsel, wo man mit bisher noch nie da gewesenen Dürreschäden zurechtkommen muss. Solche Ereignisse, die Jahr für Jahr immer öfter auftreten, sorgen nicht nur bei lokalen Agrarversicherern, sondern auch bei den großen internationalen Rückversicherern immer öfter für regelrechte „Erdbeben“, wie sie das nennen. Angesichts der Größe und Häufigkeit der Schäden stoßen sie zunehmend an ihre Grenzen. Vor allem kleinere Rückversicherer sind weltweit dabei, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Wer bleibt, versucht mit Prämienerhöhungen, höheren Selbstbehalten, Begrenzung der Deckung oder dem Anpassen von Messzahlen durchzukommen. Die Nachfrage steigt, mittlerweile gehen bei großen Rückversicherern sogar aus Regionen wie Skandinavien Anfragen zur Dürre ein, wo man solche Probleme nicht vermuten würde.

In Österreich ist das nicht anders. Bei der Hagelversicherung, bei der sich die Bauern gegen Wetterkatastrophen versichern können, ist die Dürre inzwischen mit einem Anteil von 40 Prozent am Schadensvolumen das mit Abstand wichtigste Thema. Auf den Hagel, der der Versicherung dereinst den Namen gab, entfallen indes nur mehr rund 23 Prozent der Entschädigungen, die der Versicherer auszahlt. Für die vergangenen zehn Jahre beziffert Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung, die Dürreschäden in Österreich mit rund einer Mrd. Euro. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sei mit einem Anstieg der volkswirtschaftlichen Schäden durch Dürre, aber auch Hagel, Frost, Sturm und Überschwemmungen auf bis zu acht Mrd. Euro pro Jahr zu rechnen.

In den nächsten Jahren wird sich die Lage nicht nur in Österreich weiter zuspitzen. „Viele wetterbedingte Naturkatastrophen werden häufiger und heftiger“. sagt Andreas Lang, Klimaexperte bei der Munich Re, einem der größten und weltweit agierenden Rückversicherer. Schon jetzt sind die Schäden durch Ernteausfälle und verstärktes Auftreten von Pflanzenkrankheiten als Folge von Dürren enorm hoch.

In großen Teilen der Welt steht die Landwirtschaft dieser Entwicklung schutzlos gegenüber. Nach Schätzungen der Branche sind derzeit rund 60 Prozent der versicherbaren Ernten nicht durch Versicherungen geschützt. Die immer höheren Prämien kann die Landwirtschaft ohne staatliche Unterstützung kaum aufbringen. Das aber leisten sich nur wenige Staaten. Die größte Tradition hat die Versicherung der Ernten in den USA. Dort ist sie sogar zusammen mit einer Versicherung der Erlöse traditionell integraler Bestandteil der Agrarpolitik.

In den vergangenen Jahren holten aber auch Länder wie China und Indien stark auf. Weiße Flecken auf der Landkarte sind Regionen wie Afrika oder Südamerika, wo es kaum Versicherungsschutz für die Landwirtschaft gibt. Und auch in Europa gibt es einen großen weißen Fleck: In Deutschland sind nur knapp 70 Prozent der Bauern gegen Hagel, Sturm und Starkregen versichert, nicht aber gegen Dürre. Das gesamte Prämienvolumen ist dort nicht höher als in Österreich, obwohl das Land vier Mal so groß ist. Einzig Bayern ermöglicht durch entsprechende Unterstützung der Landwirtschaft seit heuer einen umfassenden Versicherungsschutz.

Auch wenn die Klimaziele planmäßig erreicht würden, sollte man sich in der Landwirtschaft aber auch außerhalb davon keine Illusionen machen. „Das Klimasystem hat eine hohe Trägheit“, sagt Klimaexperte Lang. „Auch wenn wir den CO2-Ausstoß sofort stoppen, werden wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Folgen der fortschreitenden Erwärmung immer stärker sehen.“ Nachsatz: „Anpassung ist daher neben Emissionsreduzierung entscheidend.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 23. September 2023

Donnerstag, 21. September 2023

Der Neid ist gut aufgehoben im Land

Zuerst wurde der junge Mateschitz freigegeben. Dann mussten die Privatjets als Zielschiebe herhalten. Und dann rückte der neue SP-Vorsitzende Andreas Babler mit seinen Steuerplänen heraus. Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer. Alles umweht von einer Überzeugung, die ein französischer Dichter dereinst so formulierte: "Hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrechen." Die 68er prägten dafür seinerzeit den einprägsamen Schlachtruf "Eat the Rich".

Spätestens seither ist der Neid wieder ein Thema und im Land lodert eine Neiddebatte. Der Boden könnte fruchtbarer nicht sein, wo sich doch zwischen Neusiedler See und Bodensee so viele allzu gerne dem Gefühl hingeben, benachteiligt und zu kurz gekommen zu sein. Wo man andere vorzugsweise als ungerechtermaßen bevorzugt empfindet und kaum je einer auf die Idee kommt, sich zu fragen, ob man vielleicht selbst etwas anders oder gar besser hätte machen können, und schon kaum je, ob man etwas falsch gemacht hat. In Österreich ist, so gesehen, der Neid in einer großen Familie aufgehoben, mit vielen Brüdern und Schwestern. Man mag gar nicht an die Lottogewinnerin denken, die in der vorigen Woche mehr als 20 Millionen Euro gewann. Die Zahl derer, die ihr das Glück neiden und am liebsten einen guten Teil davon hätten, wird wohl die Zahl jener weit übertreffen, die sich mit ihr freuen und ihr das Glück gar gönnen. Österreich eben.

Angesichts dessen, was da in den vergangenen Wochen losgetreten wurde, versteht man Sätze wie "Neid ist ein Gefühl wie ein böses Geschwür" oder "Neid ist die einzige Todsünde, die keinen Spaß macht", sagt man auch. In Österreich könnte das anders sein. Dass Neid von den sieben Todsünden "die dümmste" sei, wie der US-Investor Warren Buffet meinte, kann man hingegen gut nachvollziehen. Und seine Erklärung dafür auch: "Wer auf andere neidisch ist, fühlt sich deswegen nicht besser, sondern schlechter."

Neid gehört in Österreich immer schon zum Kulturgut. Der Neid ist bei uns nicht Triebfeder dafür, etwas besser zu machen, sondern viel eher Triebfeder dafür, dass die Stimmung immer schlechter wird.

Die Freiheitlichen haben das Potenzial von Neid als Mittel der Politik -vor allem Ausländern und Migranten gegenüber -schon lange erkannt und es zur Erfolgsmasche gemacht. Nun wollen offensichtlich auch die Sozialdemokraten darauf setzen. Auf Neid vor allem denen gegenüber, die man für reich hält. Von mehr sozialer Gerechtigkeit wird schwadroniert und von Ausgleich.

Dass das wirklich gut ist, was da angezettelt wurde, bleibt zu bezweifeln. Babler flogen in den vergangenen Wochen jedenfalls spitze Kommentare der führenden Federn des Landes nur so um die Ohren. "Wie wäre es mit einem vernünftigen Steuerkonzept?", hieß es da zuvorderst. Schließlich besteuere Österreich derzeit Mittelverdiener "als ob sie Großverdiener wären und als ob Einkommen durch Arbeit etwas Unanständiges wäre". Anstatt nachzudenken, "wie Staat und Verwaltung effizienter werden können, um die Steuerlast der arbeitenden Bevölkerung zu reduzieren", halte der SP-Chef Ausschau, "welche Kuh als nächste gemolken werden könnte". Kurzum: "Die Sozialdemokraten betreiben Steuerpolitik ja neuerdings als eine Art Bastelworkshop."

Wertschätzung schaut anders aus. Denn es ist in der Tat nicht so, dass es in diesem Land an Geld fehlt. Österreich zählt zu den Ländern mit der höchsten Steuerlast. Und Österreich zählt zu den Ländern, wo man die wirklich großen Themen wie nachhaltige Neustruktierung der öffentlichen Haushalte, wie die Senkung der Lohnnebenkosten und vieles andere, so lange wie kaum sonstwo vor sich herschiebt und nicht angreift.

Aber das spielt auch bei Bablers Plänen offenbar keine Rolle. Das macht ihn angreifbar. Darum ist wohl jenen recht zu geben, die in seinen Steuerplänen nichts sehen, was irgendetwas besser machen würde in diesem Land, in dem der Großteil der Bevölkerung ohnehin mehr vom System bezieht, als es einzahlt, und in dem die obersten zehn Prozent schon jetzt die Hälfte ihres Einkommens zur Finanzierung des Staates abliefern, während gut ein Drittel für ihre Einkommen überhaupt keine Steuern zahlen.

Man darf neugierig sein, wie er damit umgeht. Ob er noch liefert, was da gefordert wird. Oder ob er den billigen Weg gehen will. Und ob der so ausschauen wird, wie der, der schon bei Erbschafts-und Vermögenssteuern mit all den wechselnden Höchstgrenzen und Varianten eher als Eiertanz denn als zielgerichtet wirkte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. September 2023

Donnerstag, 14. September 2023

Wie wir uns den Kickl machen

Die Aufregung wächst im Land, die Aufgeregtheit auch. Die Stimmung heizt sich auf, als Wahlkampfstimmung gar wird immer öfter beurteilt, was wir in diesen Wochen erleben. Im Zentrum aller Spekulationen steht einer, der das Ganze am unaufgeregtesten beobachten kann, weil alles auf ihn zuzulaufen scheint. Herbert Kickl ist der Mann, der in der Innenpolitik die stärksten Karten in der Hand hat und um den sich alles dreht. Für den alles zu laufen scheint, auch wenn er nichts dazu beiträgt. Die Magazine des Landes liefern große Geschichten über ihn, als gehe es um einen Wettlauf. "Ist Herbert Kickl noch zu stoppen?" schreit es von den Titelseiten, man fragt "Kanzler Kickl?". Und mit Geschichten wie "Vom Redenschreiber zum FPÖ-Chef" wird allerorten an der Heldensaga gestrickt. Und das alles, obwohl ihn angeblich keiner will, schon gar keiner von denen, die da über ihn schreiben, die ihn für eine Gefahr halten und vor ihm zu warnen. Dass sie damit genau das Gegenteil erreichen, ist, wie schon seinerzeit bei Jörg Haider, kein Thema, darf offenbar kein Thema sein, sonst müsste man die eigene Unfähigkeit und das eigene Versagen eingestehen. 

Dabei ist nicht zu übersehen - je mehr über Kickl geschrieben wird, desto besser werden seine Umfragewerte und desto größer die Gefahr, vor der man wortreich warnt und die man verhindern will - ein Kanzler namens Herbert Kickl. Dabei machte der schon seinerzeit als Kurzzeit-Innenminister nicht nur auf dem hohen Ross schlechte Figur. 

Die mediale Dauererregtheit ist nicht das einzige, das an dieser, man kann es ruhig Kickl-Mania, nennen, Schuld trägt. In all den aufgeregten Analysen, Papieren und Reden ist kaum etwas zu finden in dem Kickls Ansichten, Ideen und Pläne Stück für Stück auseinandergenommen werden, die aufzeigen was schlecht ist an ihnen und was gar nicht geht. Da verharrt man lieber in den ewigen - und natürlich zu Recht erhobenen - Vorwürfen, dass er ein Rechtsaußen ist und ergeht sich sehr viel lieber in der eigenen Gutheit, einen wie ihn wortreich abzukanzeln, als dass man Fakten liefert, die auch jene verstehen, die Kickl wählen und wählen wollen. 

Bemerkenswert ist auch wie wenig man sich mit Kickls politischem Schaffen mit seinem Scheitern und mit seinen Verfehlungen als Innenminister oder mit der Postenschacherei und schrägen Personalentscheidungen in seinem Umfeld auseinandersetzt. Sie kommen kaum vor, schon gar nicht als substanzielle Analyse. So als hätte an alles vergessen und so, als sei es im Nachhinein als verzeihlich anzusehen. Dabei hätte der jetzige FP-Chef angesichts der Performance, die er als Träger einer offiziellen und verantwortungsvollen Position in diesem Land lieferte, durchaus die Punze "Polit-Pleitier" verdient, der dem Land nachhaltig Schaden zugefügt hat.  Und gar nicht zu reden davon, wie leicht man ihn aus Ibiza entkommen ließ. 

Stattdessen, und das ist ein weiteres Thema, das in der Diskussion unterbelichtet erscheint, macht man alle anderen schlecht, die Kickl verhindern könnten und müssten - von Nehammer, über Meinl-Reisinger bis Babler. Dass jetzt auch wieder Kurz über allem schwebt macht die Sache nur noch schlimmer. Was sollen da die Leute denken? Wen sollen sie wählen?

Kickl darf sich die Hände reiben. Die Arbeit wird für ihn erledigt. Da können Nehammer und auch der Bundespräsident noch so oft sagen "Nicht mit Kickl". Wenn man so weiter macht, kommt Kickl nicht einmal in die Gefahr Fehler zu machen, weil er keine machen muss. Er muss nichts anderes tun, als das, was er immer tut - lästern, provozieren, Missstände aufzeigen. 

Deutschland hat ähnliche Probleme mit der AfD, wie sie Österreich mit der FPÖ hat. Man erklärt die Leute, die diese Partei und ihre Protagonisten wählen für unterbelichtet, und jagt gleichzeitig die Regierungsparteien und CDU, CSU und wie sie alle heißen Tag für Tag wie die sprichwörtliche Sau durchs Dorf als gäbe es kein Morgen und wird nicht müde sie allesamt für
unfähig zu erklären.

Das aber ist keine Basis Leute wie Kickl oder Parteien wie die FPÖ oder in Deutschland die AfD in den Griff zu kriegen. Im Gegenteil. Sie werden dadurch nur stärker. Nicht umsonst kann es sich Kickl mit einem Mal leisten sich von den Identitären nicht mehr zu distanzieren und sie zu einer NGO zu machen - genauso wenig wie von dem ungeheuerlichen Video der Freiheitlichen Jugend.  

Aber davon will niemand hören. Schon gar nicht die, die immer vorgeben Kickl verhindern zu wollen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. September 2023



Montag, 11. September 2023

„Wir haben keine Turbokühe“

Wer in Österreich ein Milchprodukt konsumiert, muss kein schlechtes Gewissen haben, sagt Berglandmilch-Chef Josef Braunshofer.

 Hans Gmeiner 

Tierwohl, saubere Energie und Nachhaltigkeit werden bei Österreichs größtem Milchverarbeiter großgeschrieben. Das verlangt Bauern, die sie beliefern, einiges ab.

 SN: Wie läuft es auf dem Milchmarkt? 

Braunshofer: Was haben die Konsumenten, was haben die Bauern zu erwarten? Josef Braunshofer: Die Preisspitze auf dem Milchmarkt ist überschritten. Für die Konsumenten wurde es billiger, auch bei den Bauernpreisen ging es nach unten. Im zweiten Halbjahr erwarten wir stabile Marktverhältnisse. Inflationstreiber sind wir jedenfalls nicht.

SN: Wie ist das Verhältnis zum Handel, der ja vor allem für die Bauern immer wieder Reibebaum ist? 

Braunshofer: Das muss man professionell sehen. Wir kommen ohne Handel nicht zum Konsumenten und der Handel braucht Produkte in den Regalen, die wir ihm liefern. Da geht es darum, dass wir eine Einigung finden, dass wir Produkte anbieten, die für die Konsumenten interessant sind und auch für den Handel. 

SN: Wie hat sich das Geschäft in den vergangenen Jahren verändert? 

Braunshofer: Die Art und Weise, wie Produkte konsumiert und eingekauft werden, ist anders geworden. Die Bequemlichkeit ist gestiegen, auch das Umweltbewusstsein. Das Thema Tierwohl hat eine ganz andere Bedeutung. Vor 20 Jahren hat es im Bereich der Handelseigenmarken noch keine Preiseinstiegsschienen wie Clever oder S-Budget gegeben. Es ist wichtig geworden, mehr als das Produkt zu liefern. Qualität und Regionalität als Argumente reichen allein nicht. Bei uns sind das Glyphosat-Verzicht, ausschließlich europäisches und GVO-freies Futter, Tierwohl. Wir müssen etwas bieten, das die Konsumenten zu unseren Produkten greifen lässt. Und zwar jedes Mal, wenn sie vor dem Regal stehen. Dass sie sagen: „Ja, das passt – die Bauern produzieren, wie ich als Konsument oder Konsumentin das haben will.“ Wir müssen daher alles vom Regal her denken.

SN: Wie sieht aus Sicht des Milchverarbeiters das Umfeld der Landwirtschaft aus? 

Braunshofer: Wir haben als genossenschaftliches Unternehmen eine besondere Stellung. Bauern sind Hauptlieferanten und Eigentümer gleichzeitig. Die Milchproduktion ist viel stärker vertikal integriert als andere landwirtschaftliche Bereiche. Und wir haben noch starke Herstellermarken, die in den Händen der Bauern sind. Es muss uns gelingen, dass damit mehr Wertschöpfung auf den Bauernhöfen landet und dass die Milchproduktion auch für die nächste Generation interessant bleibt.

SN: Auch die Milch als Nahrungsmittel ist nicht mehr sakrosankt. Stichwort Tierwohl oder Umweltbelastung mit Methan, die großteils den Kühen zugeschrieben wird. Was heißt das für die Bauern? Was für die Milchverarbeiter? 

Braunshofer: Deutlich mehr als 50 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Welt können nur über Grünland genutzt werden. Wenn ich die Leute vernünftig ernähren will, brauche ich Wiederkäuer wie Kühe. Die Evolution hat da was Tolles hervorgebracht – aus dem für den Menschen nicht verwertbaren Produkt Gras produzieren sie hochwertiges Eiweiß, Vitamine, Milchzucker, Fett und Muskelmasse, also Fleisch. Wir müssen das Beste draus machen. Konsumenten wollen, dass es Kühen gut geht, Kritik an der Haltung wird lauter. Wenn man ein Milchprodukt konsumiert, soll man kein schlechtes Gewissen haben. Wir haben keine Turbokühe, der Anteil von Gras und Heu in der Fütterung ist hoch wie kaum sonst wo, die österreichische Kuh trinkt nur Trinkwasser und kein aufbereitetes Wasser. Wir schreiben unseren Bauern seit drei Jahren vor, dass das Kalb nur echte Milch zum Trinken bekommen darf und artgerecht ernährt werden muss. Zudem haben wir immer mehr Bauern, die ihre Kälber nicht einzeln, sondern in einer Gruppe halten. Das sind Dinge, die wir weiter voranbringen wollen. 

SN: Auch in Sachen Klimaschutz stehen Rinderhaltung und Milchproduktion wegen des Methans in der Kritik. 

Braunshofer: Dieses Kapitel wird gerade neu geschrieben. Man hat herausgefunden, dass sich Methan wesentlich schneller abbaut als bisher angenommen und die Klimaschädlichkeit daher bei Weitem nicht so groß ist. Wir können zudem auch über natürliche Futterzusätze merkbare Methanreduktionen erreichen. Berglandmilch-Bauern füttern nur europäische Futtermittel und leisten so einen Beitrag, dass Regenwälder nicht weiter abgeholzt werden.

SN: Konsumenten und Konsumentinnen sollen kein schlechtes Gewissen haben müssen, sagen Sie. Wo bleiben da die Bauern? 

Braunshofer: Als Genossenschaft tue ich mir da extrem leicht. Alles, was wir erwirtschaften, landet bei den Eigentümern, nämlich bei den Bauern. Und nicht bei einem anonymen Aktionär, der irgendwo sitzt, sondern wie in unserem Fall sind das 8700 österreichische Bauernfamilien.Berglandmilch steht wegen Milchersatzprodukten in der Kritik. 

SN: Wie groß ist der Anteil? 

Braunshofer: Milchersatzprodukte sind eine Nische. Sie wächst, aber es ist nicht so, dass der Absatz durch die Decke schießt. Das mediale Aufsehen ist größer, als es die Realität zeigt. Wir verwenden für diese Produkte ausschließlich heimischen Hafer und heimische Kichererbsen.

SN: Nachhaltigkeit ist ein großes Thema, Umstellung von Gas auf Hackschnitzelheizungen, Mehrwegflaschen. 40 Millionen hat das Unternehmen bisher investiert. Wird das geschätzt? 

Braunshofer: Ich merke, dass es von den Bauern wirklich geschätzt wird und dass es ihnen ein Anliegen ist. Dazu gehört auch, dass wir mit Holz aus ihren Wäldern heizen wollen, da bleibt die Wertschöpfung im Land. Bei den Konsumenten müssen wir noch stärker kommunizieren, dass wir damit einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten.

SN: Wohin geht die Reise in den nächsten Jahren? 

Braunshofer: Wir tun alles, dass wir mit unseren Marken die Nummer eins in Österreich bleiben. Anspruch ist, dass Berglandmilch-Bauern auch in Zukunft Marken und Produkte haben, mit denen sie Wertschöpfung erzielen und mit denen Konsumenten und Exportkunden Freude haben.

Josef Braunshofer ist Generaldirektor von Österreichs größter Molkerei Berglandmilch (Schärdinger, Tirol Milch, Stainzer).

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. September 2023





Samstag, 9. September 2023

Die Ukraine bereitet Getreidebauern Sorgen

Der Getreidemarkt ist derzeit die größte Baustelle der heimischen Agrarpolitik. Aber auch bei Milch blitzt es.

Hans Gmeiner 

Ried/Innkreis. Bei der Rieder Messe beschrieben die Spitzen der heimischen Agrarpolitik am Freitag die Stimmung in der Landwirtschaft mit „ruhige Zufriedenheit“ (Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig), „durchzogen“ (Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger) und allenfalls als „durchwachsen“ (Bauernbundpräsident Georg Strasser). Bei den heimischen Getreidebauern ist die Stimmung in diesen Wochen definitiv schlechter, als sie die drei beschrieben. Die Preise sind nach dem Höhenflug im vergangenen Jahr auf den Warenterminbörsen deutlich zurückgegangen. Verschärft wird der Rückgang durch die höheren Abschläge, die der Handel für Transport und Handelsspanne abzieht. Waren bisher dafür 30 Cent je Kilogramm üblich, so ist nun die Rede von Abschlägen in der Größenordnung von 60 bis 90 Cent. Lag der Erlös für ein Kilogramm Weizen vor Jahresfrist jenseits der 30-Cent-Grenze, so müssen die Bauern heuer mit oft deutlich weniger als 20 Cent zufrieden sein. Die Gerüchteküche kocht wieder einmal über. Verantwortlich dafür machen die Bauern die Exporte der Ukraine über den Land- und Wasserweg nach Europa. Sie gingen nicht, so ihr Vorwurf, weiter in die bedürftigen Länder im Nahen Osten und in Afrika, sondern landeten vorzugsweise in europäischen Silos.

Auch wenn es keine konkreten Zahlen gibt, ist man der festen Überzeugung, dass viel davon auch in Österreich landet und hier den Druck auf den Markt und die Preise erhöht. Neuerdings ist sogar davon die Rede, dass große Partien ukrainischen Mehls in Österreich zu Niedrigstpreisen angeboten werden. Vor diesem Hintergrund verlangen die Bauern, dass der Schutzkorridor, der für die ukrainischen Nachbarstaaten eingerichtet wurde, um dort die Märkte und damit die Bauern zu schützen, auch auf Österreich erweitert wird.

Das freilich ist nicht einfach. Nicht nur, dass der Schutzkorridor in den nächsten Tagen ausläuft, es ist auch unsicher, ob er verlängert wird. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski wäre dafür, die Kommission aber ist dem Vernehmen nach dagegen. Österreichs Landwirtschaftsminister Totschnig versteht die Sorgen der heimischen Bauern, kann aber derzeit keine konkreten Lösungen bieten. „Die Kommission ist am Zug, sie muss die Regeln machen“, sagte er am Freitag in Ried. Es brauche gleiche Bedingungen für alle. „Es kann nicht sein, dass neben uns das Verbot gilt und der Preisdruck bei uns schlagend wird.“ Er sagt aber auch, dass die EU-Statistiken über die Exporte der Ukraine keine Ausschläge für Österreich zeigen. Der Minister lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass es Lösungen für das Problem geben müsse. „Die Kommission muss Regelungen schaffen, dass es zu keinen Marktverwerfungen mehr kommt. Jetzt kommt ja auch noch die Herbsternte dazu.“ Er fordert zudem den raschen Ausbau der Transportkapazitäten entlang der Transitrouten aus der Ukraine und den Ausbau der EU-Häfen, „damit das Getreide dorthin kommt, wo es hinkommen soll, nämlich in den Nahen Osten und nach Afrika“. Zudem verlangt er ein effektives Marktmonitoring, damit die Politik im Fall des Falls rasch reagieren könne.

Während der Getreidemarkt bereits unter Druck steht, baut sich dieser auf dem Milchmarkt erst auf. Mit Sorge beobachtet man das Einbrechen der Preise auf dem deutschen Markt. Darüber, wie man damit umgehen soll, ist man offenbar zwischen Bauernvertretung und Molkereien uneins, lässt sich aus einer Äußerung von Kammerpräsident Moosbrugger schließen. „Wir würden erwarten, dass die Milchverarbeiter gemeinsam mit der bäuerlichen Interessenvertretung Strategien klug und gescheit vorbereiten und nicht allein marschieren.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 9. September 2023

Donnerstag, 7. September 2023

Was kommt da auf uns zu?

"Wir setzen weitere Maßnahmen im Kampf gegen die Teuerung: Die maximalen Mieterhöhungen werden gedeckelt", twittert der Bundeskanzler höchstselbst, wenn auch, wie viele meinen, viel zu spät. Die Bundesgebühren will er einfrieren und das abschöpfen, was man bei Energiekonzernen Übergewinne nennt, was bei Licht nichts anderes ist, als direkt in Unternehmen einzugreifen.

Man staunt, was die Konkurrenz aus einem machen kann - deckeln, einfrieren, abschöpfen. Der Obmann der SPÖ, der Nehammer so gerne nachfolgen würde, könnte es wohl kaum besser. Es ziemt einen, als wäre in diesem Land mit einem Mal ein Bewerb im Gange, wer noch besser das kann, was gemeinhin als links und populär gilt. Und die ÖVP spielt nach Kräften mit.

Das freilich nicht erst jetzt. Schon Nehammers Vor-Vorgänger gab die Devise aus "Koste es, was es wolle", um fürderhin Geld übers Land zu schütten, auf dass niemand Angst haben müsse, sich niemand benachteiligt fühlt und vor allem, dass er so weitermachen konnte, als gäbe es keine Krise. Vollkasko sozusagen.

Irgendwie ist es jetzt so, dass wir den Salat haben und alle unzufrieden sind. Vor allem mit Nehammer und seiner Regierung. Babler und noch viel mehr Kickl geben den Takt vor. Man mag es nicht mehr anders nennen, wenn man beobachtet, was mit einem Mal alles möglich ist. Sie treiben den Kanzler und die Seinen vor sich her, der für sein Tun nicht wirklich belohnt, sondern von allen Seiten angegriffen wird.

Gewonnen hat er nicht viel damit. Nicht mit den Corona-Hilfen und nicht mit dem Mietpreisdeckel und all dem, was der jetzt zu tun verspricht. Man hätte sich mehr erwartet. Zuerst das Geld mit beiden Händen hinauswerfen und jetzt deckeln, einfrieren und abschöpfen ist bemerkenswert wenig, was den Herrschaften eingefallen ist. Vor allem ist es nicht gelungen, die Mitte zu finden. Zuerst war's zu viel, dann war's zu wenig. Und jetzt haben wir alle unsere liebe Not mit dem, was da angerichtet wurde. Jetzt jedenfalls leiden wir unter einer Teuerung, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr kannten, gehören zu den Ländern mit der höchsten Inflationsrate in Europa und müssen nun sogar hören, dass die Wirtschaft in den kommenden Monaten schrumpfen wird.

Aber sei's drum -wir haben es so gewollt. Was haben wir nach Corona-Hilfen verlangt, was hätten wir geschimpft, wenn es die nicht gegeben hätte. Gar nicht genug haben wir kriegen können davon. Und jetzt schreien wir nach Abgeltungen für die Teuerungen und nach Unterstützung und nach Hilfe.

Mit Verlaub, das ist alles irgendwie sehr österreichisch. Das passt zur Versorgungsmentalität, die sich in den vergangenen Jahrzehnten breit gemacht hat und zu dem, was nicht wenige mittlerweile nicht ganz zu Unrecht "Vollkasko-Gesellschaft" nennen. Wenn's brenzlig wird, ist das Erste, dass wir Hilfe und Unterstützung vom Staat fordern. Da gibt man gerne die Verantwortung ab wie eine Jacke an der Garderobe. Da tut man lieber so, als könne man selbst rein gar nichts.

Das gilt vor allem dann, wenn es ums Geld geht. Da macht man die Politik verantwortlich und kommt aus dem Fordern nicht mehr heraus. Geht es aber, wie bei Corona etwa, nicht ums Geld, sondern um so etwas wie Solidarität, ist das freilich alles in der Sekunde vergessen. Da pocht man auf das, von dem man meint, dass es persönliche Freiheit ist und auf die Eigenverantwortung. Da soll sich tunlichst niemand einmischen. Da ist man empfindlich und oft sogar mehr als das. Wir haben es erlebt.

Der Boden für Pläne, wie sie im Sog von Kickl und Babler nun allerorten modern zu werden scheinen (sogar die NEOS-Chefin kann sich mittlerweile Erbschaftssteuern vorstellen), ist fruchtbar in diesem Land. Da soll sich niemand Illusionen machen. Da kann noch einiges auf uns zukommen, was viele als gerecht verstehen und notwendig, was aber in Wahrheit nichts anderes als ein dreister Eingriff auf Grundrechte und die Privatsphäre ist, die bisher nicht angetastet wurden. Und das aus guten Gründen.

Sätze wie "Reiche Menschen sind keine zu schützende Minderheit" werden inzwischen arglos hingeschrieben. Dabei geht es weniger darum, dass nicht gesagt wird, wo "reich" beginnt, sondern dass man eine Gruppe ohne jeden Respekt und ohne jede Rücksicht gleichsam zum Freiwild der Gesellschaft erklärt.

Man muss gespannt sein auf das, was da noch alles auf uns zukommt. Nicht nur von Kickl und Babler, sondern auch von allen anderen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. September 2023

Mittwoch, 6. September 2023

Aufregung ist keine Politik – und sei sie noch so hell

Der Bauernbund verfiel vorsorglich gleich in helle Aufregung als die Steuerpläne des neuen SP-Chefs ruchbar wurden. „Eine Erbschaftssteuer würde die Hofnachfolge stark erschweren“ wetterte der Direktor des VP-Bundes. „Selbst kleinstrukturierte Familienbetriebe wären von diesem Eingriff in die Grundlage ihrer täglichen Arbeit – Gebäude, Maschinen, Grund und Boden – schnell betroffen.“ Man will sich ja nichts vertun, wenn sich so eine Chance bietet die Aufregungsmaschinerie anzuwerfen in Zeiten die schnell Vorwahlzeiten werden können

Die Sorgen, die man sich da macht, sind sicherlich nicht unberechtigt. Aber es sind nicht alleine Steuerpläne, die da die Bauernwelt durcheinanderbringen können. Viel konkreter sind andere Pläne und Projekte, bei denen sich die Bauern warm anziehen müssen. Der Green Deal mit all seinen Folgen wie der Pflanzenschutzverordnung oder der Renaturierungsverordnung zählen zuvorderst dazu.

Sie passen der Landwirtschaft nicht wirklich in den Kram. Viel mehr weiß man aber derzeit noch nicht. Und genau das ist das Problem. Die Landwirtschaft gelingt es nach wie vor nicht mit all denen ins Gespräch zu kommen, die die weitreichende Veränderungen verlangen. Das ist vielleicht überhaupt die größte Herausforderung vor der sie steht. Konzept ist freilich bisher auf europäischer Ebene und auch nicht in Österreich kaum eines erkennbar. Aussitzen ist sehr viel eher die Devise und niederstimmen. Noch geht das. Aber klar ist längst, dass wohl nicht zu vermeiden sein, dass auch die Landwirtschaft in die Pflicht genommen wird, wenn es um das Erreichen der Klimaziele geht. Die Fortschritte, die die Landwirtschaft dabei vorzuweisen hat, sind seit Jahren eher bescheiden, auch wenn in anderen Sparten wie beim Verkehr der Aufholbedarf deutlich größer sein mag. Darum muss sich auch die Landwirtschaft mehr einfallen lassen als „nein“ zu sagen und darauf zu verweisen, was man bisher gemacht hat.

Denn das wird von der Gesellschaft heute nicht mehr akzeptiert. Man will mehr. Die Bauern mögen damit noch so hadern. Aber der Abwehrkampf den sie, zumal die konventionelle produzierenden Bauern, derzeit führen, führt, bei allem Verständnis für ihre Sorgen und Probleme, in eine Sackgasse.

Aufregung und Aufgeregtheit sind keine Politik. Es führt kein Weg darum herum, dass die wachsenden Umweltprobleme und ihr Umgang damit und die Erfordernisse der Bauern und der Landwirtschaft unter einen Hut gebracht werden müssen. Was man bisher geleistet und getan hat, ist fraglos von hohem Wert. Das ist auch bei all dem, was da kommen soll, zu berücksichtigen und anzuerkennen. Aber, das muss den Bauern auch in Österreich klar sein, dass man nicht umhinkommen noch mehr zu tun.

Vielleicht sollte man eine Anleihe bei der neuen Obfrau der Biobauern nehmen. „Wir brauchen davor keine Angst zu haben“ sagt sie etwa zur Renaturierungsverordnung der EU, die vorerst verhindert wurde. „Vieles wird schon jetzt gemacht“. Nachsatz: „Zudem wird es auf nationaler Ebene sicher Ausgestaltungsmöglichkeiten geben.“

Und darauf wird es wohl entscheidend ankommen.

Gmeiner meint - Blick ins Land 6. September 2023


 
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