2020 war ein Annus horribilis. Ein schreckliches Jahr, ein
fürchterliches auch. Aber es war ganz sicher nicht, wie in unserer maßlosen und
zuweilen selbstmitleidstrunkenen Gesellschaft mitunter behauptet wird, das
schrecklichste Jahr in der Geschichte. Das nimmt sich nur wehleidig aus
angesichts der Kriegszeiten und Wirtschaftskrisen, die die Menschheit allein im
vorigen Jahrhundert durchmachen musste und die viele Menschen in manchen
Erdteilen auch heute aushalten müssen. Und es ist nichts als lächerlich, wenn
nicht mehr verlangt wird, als daheim zu bleiben und Weihnachten einmal nicht
wie gewohnt zu feiern und schon gar nicht Silvester.
Freilich ist 2020 ist ein schlimmes Jahr und ein
außergewöhnliches. Aber Jahre wie diese gab es immer in der Geschichte. Nun
erleben Generationen, die über siebzig Jahre ohne große Nöte leben konnte,
erstmals was sie sonst nur aus der Geschichte kennen am eigenen Leib. Eine
Zeit, in der es auf einmal um Verzicht geht und nicht um die Sorge um die
eigenen Ansprüche und darum zu kurz zu kommen.
Dieses Jahr hinterlässt nicht nur in der Wirtschaft Folgen.
In diesem Jahr ist wohl auch viel verloren gegangen was unsere Gesellschaft
zusammenhielt. Zuvorderst wohl das Vertrauen, dass uns nichts passieren kann.
Man muss erkennen, dass es größere Probleme gibt, als die Auswahl des
Urlaubsortes, den Kauf des neuen Autos oder dass man das billigste Angebot im
Supermarkt erwischt.
Vor Augen geführt hat uns das Jahr auch, wie schnell die
gesellschaftliche Solidarität und der Zusammenhalt zerbröseln kann. Man muss
zuschauen, wie sich die Leute von der Politik abwenden und man versteht sie
sogar. Da ist oft nur mehr Verachtung, Selbstmitleid und Rechthaberei und eine
große Sehnsucht nach der Normalität von früher, die man, koste es was es wolle,
durchsetzen möchte. Aber viel zu oft ist da kein Verständnis für das große
Ganze. Da ist nichts mehr von diesem Zusammenrücken und der Solidarisierung
über alle Partei- und Gesellschaftsgrenzen hinweg, von der gegenseitigen
Rücksichtnahme und Unterstützung, die im Frühjahr überall zu spüren war.
Zu dem, was verloren gegangen ist in diesem Jahr, gehört
auch die Bereitschaft zu helfen, gar jemand aufzunehmen und Schutz zu geben.
Moria? Flüchtende? „Ach Gott, lasst uns in Ruhe damit“. Das Jahr hat uns auch
gezeigt, wie wichtig Themen sind, die in Normalzeiten nur geringgeschätzt sind.
Wie etwa Krisenvorsorge und Katstrophenschutz. Und es hat uns auch gezeigt,
dass man auch in Österreich auf die Demokratie aufpassen muss und auf die
Bürgerrechte. Die Geschichte vieler Verordnungen rund um Corona sind beredete
Beispiele dafür und auch das zur Mode gewordene Durchpeitschen von Gesetzen
durch das Parlament - ohne lange Begutachtungen und Diskussionen.
Wie sich all das noch entwickeln und wie es letztendlich ausgehen
wird, ist noch offen. Sorgen sind angebracht. Zumal die Politik all diese
Themen nicht wirklich ernst zu nehmen scheint und sie längst zu ihren
Spielbällen erkoren hat. Das kann sich bitter rächen. Denn was auf uns zukommt
wird alles andere sein als ein Honiglecken. Die harten Zeiten werden wohl erst
noch kommen. Wenn die Folgen in der Wirtschaft nicht mehr mit Milliarden zu
übertünchen sind, wenn sich zeigen wird, dass die Normalität, auf die alle so
hoffen, eine andere sein wird als früher. Wenn die Arbeitsplätze nicht mehr da
sein werden, wenn Unternehmen verschwinden und wenn Gewohnheiten nicht mehr
gelebt werden können wie man sie kannte.
Mit der allerorten so lieb gewordenen Einstellung zwar alles
besser zu wissen, aber für das Leben die Verantwortung am liebsten bei der
Politik, in der Firma, bei den Ärzten oder sonst wo abzugeben, wird kein Staat
zu machen sein, wenn es gilt die Folgen von Corona zu überwinden.
Aber 2020 hinterlässt bei aller Trübsal auch manch Gutes und
Nachhaltiges. Trump ist weg sei da angeführt. Oder Brüssel hat rechtzeitig vor
dem Jahresende „sein Haus noch in Ordnung gebracht“ wie eine Zeitung schrieb.
Und die wohl beste Nachricht des Jahres – es gibt Impfstoffe.
Darüber darf man sich freuen.
Und natürlich auch über die ruhigen Weihnachten und
Silvester, die vor uns liegen. Wie oft hat man sich doch in den vergangenen
Jahren mit all ihrer Hektik genau das gewünscht.
Freilich – es hätte nicht Corona sein müssen, das uns das
beschert.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Dezember 2020