Donnerstag, 27. Oktober 2022

Die Normalität der Politik

Seit Tagen haben die Leitartikler und Kommentatoren Hochbetrieb, um die Folgen der Aussagen von Thomas Schmid bei der WKStA einzuordnen. Von der "lädierten Republik" wird geschrieben, von einer "Banausenrepublik" und davon, dass sich "hinter jedem Abgrund ein neuer Abgrund" auftut. "Das darf doch alles nicht wahr sein", stöhnte der Bundespräsident und mit ihm das ganze Land. Österreich hadert wieder einmal mit seinen Politikern, mit der Politik, mit dem, was dort passiert und mit dem, was sie anrichtet. Viele sehen sich bestätigt in ihrer Meinung, viele sind dabei, angesichts der jüngsten Ereignisse endgültig ihr Vertrauen zu verlieren, viele wenden sich ab und wollen am liebsten nichts mehr sehen und hören davon.

Politik, auch wenn das viele anders sehen und es sich für viele anders anfühlt, ist freilich nicht nur bei uns in der Krise und "zum Vergessen", wie man gerne sagt, wenn man dabei ist, sich in Rage zu reden. Und die Verwerfungen und der Wirbel können, auch wenn man das in Österreich kaum glauben mag, noch ganz andere Dimensionen haben. Man denke nur daran, was in diesen Tagen in Großbritannien abgeht, man denke an Deutschland, an Italien, an Frankreich oder an die USA, die immer noch mit dem Nachwehen der Trump-Ära zu kämpfen haben.

"Regierungsimplosion im Vereinigten Königreich -wie sich die Briten zum Gespött Europas machten", hieß es in diesen Tagen in den internationalen Gazetten. Als "Bananeninsel" wird seither über das einst stolze Großbritannien wenig zimperlich gespottet. Zimperlich freilich geht man auf der Insel mit seinen Politikern auch nicht um. Schon vor Wochen stellte ein Boulevardblatt einen Salatkopf auf und fragte, ob eher dieser Salatkopf verwelke oder doch eher die neue Premierministerin das Handtuch werfe. Nun, mittlerweile weiß man -der Salatkopf hielt länger.

In Italien, seit jeher für die Skandale in der Politik berüchtigt, ringt man in diesen Tagen darum, mit der neuen Ministerpräsidentin zurechtzukommen, die als Mussolini-Verehrerin und als Postfaschistin gilt. In Deutschland arbeitet man sich an Scholz, Habeck und Lindner ab und fürchtet unter der von vielen als zaudernd empfundenen Führung des sozialdemokratischen Kanzlers eine "Verzwergung" des führenden westeuropäischen Industrielandes. Und in den USA wurde gerade einer der mächtigsten Berater des ehemaligen Präsidenten ins Gefängnis gesteckt. Klare Verhältnisse, eine Politik der ruhigen Hand gar, zielorientiert und erfolgreich und wenn schon nicht skandalfrei, so doch skandalarm, gibt es heute kaum wo.

Zu fragen ist freilich, ob das jemals anders war. Wohl kaum. Im medialen Dauerfeuer empfinden wir es heute anders. Aber Krisen, Skandale, Verwerfungen, Implosionen hat es immer in irgendeinem Land zu irgendeiner Zeit gegeben. Nicht zuletzt deswegen ist auch schwer zu beantworten, ob die Politik heute schlechter und dreister ist, als sie es vor Jahren oder Jahrzehnten war. Es sei nur daran erinnert, wie sich früher bei uns in Österreich über Jahrzehnte Rot und Schwarz das Land und alles, was man haben konnte, teilten -von lukrativen Posten bis zu Wirtschaftszweigen. Und das sogar unter dem Mantel der Legalität, den man sich selbst geschneidert hat.

Und zu hinterfragen ist wohl auch, ob die aktuelle Politikergeneration wirklich schwächer und schlechter ist als ihre Vorgängergenerationen. Schwaches, wenig glanzvolles und eitles Polit-Personal hat es immer gegeben. Und viele der Politiker, die wir heute verehren und die als groß gelten, waren in ihren aktiven Zeiten oft alles andere als unumstritten. Dass Politik und Politiker heute als schlechter, unfähiger und inkompetenter empfunden werden als früher, hat wohl auch mit der permanenten Informationsflut, den Sozialen Medien, der Sensationsgier und einem modern gewordenen Populismus und seinem immanenten Interesse an Skandalisierung zu tun.

Entschuldigung darf das freilich keine sein. Wir sollten und dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Politik schlecht ist und Skandale normal sind. Woran wir alle, die gesamte Gesellschaft, aber arbeiten sollten, ist entspannter und sachlicher damit umzugehen -allein, um die Gräben nicht noch tiefer und die Fronten nicht noch härter werden zu lassen, wie das in Österreichs Parteienlandschaft, aber auch in der Gesellschaft mittlerweile der Fall ist.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Oktober 2022

Donnerstag, 20. Oktober 2022

Vorwärts zurück?

Der gemeine österreichische Medienkonsument ist verdutzt in diesen Tagen und dazu geneigt, sich verwundert die Augen zu reiben. Da wird in den Zeitungen und im Fernsehen der ehemalige Kanzler Kurz rauf und runter interviewt. Und da scheut sein Vorgänger Kern seit Monaten keine Fotografen, schon gar nicht, wenn es um Fotos mit dem neuen Shooting-Star der Szene, Marco Pogo alias Dominik Wlazny, geht. Was wollen die Herren? Ist da was? Haben wir wieder 2015/16? Dreht sich das Land und die Politik zurück?

Was bei den beiden genannten Herren weniger zu befürchten ist, ist es angesichts der Bilder von den flugs aufgebauten Zelten für die Geflüchteten umso mehr. "Monumente des Versagens" nannten sie Kritiker und "Totalversagen", und betroffene Bürgermeister stellten umgehend Autobahnblockaden in Aussicht, während sich die Freiheitlichen freuen, wie man ihnen wieder in die Hände spielt und Wähler zutreibt. Alles wie damals 2015/2016. Als ob nicht sechs, sieben Jahre seither vergangen wären und als ob man nichts gelernt und zusammengebracht hätte. Die Fortschritte dürften in der Tat sehr überschaubar gewesen sein, nicht viel mehr als hohle Phrasen um das Publikum ruhig zu halten, ohne aber in der Sache sowohl national und schon gar nicht auf europäischer Ebene wirklich vorangekommen zu sein.

Die neue Krise rund um die Geflüchteten und die Aufregung sind typisch österreichisch. Aufschieben, wird schon werden und ist eh nicht so schlimm -aussitzen eben, wie man es kennt. Alles nur kein Fortschritt. Irgendwann freilich wird man von der Wirklichkeit eingeholt. Immer.

Die Geschichte der österreichischen Politik ist voll davon. Erst jüngst schlug, im Zusammenhang mit dem Budget, wieder die Finanzierung des Pensionssystems auf. "Wir versenken fast die gesamten Lohnsteuereinnahmen im Pensionsloch", ätzte Agenda Austria-Chef Franz Schellhorn wieder einmal spitzzüngig und scharf. 17 Milliarden Euro nehme die Regierung an neuen Schulden auf, das liege auch an den steigenden Pensionsausgaben.

In einer Krise, wie wir sie jetzt zu meistern haben, und wie sie wohl noch lange andauern wird, ist das pures Gift. Die Staatsschulden sind hoch wie noch nie zuvor. Sie wieder zumindest einigermaßen in den Griff zu kriegen, wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Im wahrsten Sinn ein "Budget für Generationen", wie es "Die Presse" nannte. Eine Last für Generationen war wohl gemeint damit.

Aber wir sind dabei, uns daran zu gewöhnen. "Lieber ein paar Feuerlöscher zu viel als einen Flächenbrand", sagt der Finanzminister zu seinem Erstlingswerk und formuliert, was seit dem denkwürdigen "Koste es, was es wolle" von seinerzeit zur Maxime geworden zu sein scheint. Geld spielt keine Rolle.

Auf das Anpassen, auf das Reagieren, auf das Nachjustieren und Stellen von Weichen scheint man auch in diesem Fall wieder vergessen zu haben. All das kann auf der langen Bank, auf die es geschoben wird, warten. Nicht einmal auf mehr Treffsicherheit von Maßnahmen und Förderungen mag man pochen. Und schon gar nicht auf Einsparungen. Es herrscht ja Krise, und selbst da will man keinen möglichen Applaus auslassen.

Auch wenn das Budget für den Wegfall der kalten Progression und für die Valorisierung der Sozialleistungen zu loben ist, darf man den Handlungsbedarf, der dadurch eher sogar noch verschärft wurde, nicht übersehen. Aber auch dieser Handlungsbedarf ist nicht neu, sondern wurde schon damals, als die eingangs angeführten Herren das Ruder in der heimischen Politik in der Hand hielten, in jedem besseren Kommentar eingemahnt.

Der Fortschritt ist also auch hier überschaubar. Das mag auch mit dem Lauf der Dinge zu tun haben, den die Politik nach dem Abtreten der ehemaligen Kanzler Kurz und Kern genommen hat, respektive der durch ihr Handeln verursacht wurde.

Ihr Rückzug, der des einen wie der des anderen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, war kein geordneter. Und man kann streiten darüber, ob ihre Regierungszeit damals eine gute war. Man kann aber kaum streiten darüber, dass die politische Führung des Landes seither eher eine von Notlösungen geprägte war. Freilich eine ohne Alternative. Denn die Opposition, oder auch nur Teile von ihr, sind das ganz sicher nicht. Sie ergeht sich ungeachtet der Anforderungen in populistischer Kleinkariertheit und lässt jede Perspektive und Linie, zumal große und überzeugende, vermissen, die eine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen sein könnte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Oktober 2022

Donnerstag, 13. Oktober 2022

Lernen vom Nobelpreisträger

"Wir sind Nobelpreis" hat keine Zeitung geschrieben. Auch sonst blieb es rund um den Physik-Nobelpreis für Anton Zeilinger verhältnismäßig unaufgeregt im Land. Die Versuche, den strahlenden Glanz des Nobelpreises für den österreichischen Paradewissenschafter für sich zu nutzen, blieben beschränkt und im Rahmen. Was Zeilinger wirklich macht und wofür er den Nobelpreis erhielt, verstehen in diesem Land wohl die wenigsten. Am ehesten kann man sein Tun noch begreifen, wenn man hört, dass man ihn "Mr. Beam" nennt.

Zeilinger ist erfrischend unkonventionell und fällt damit im österreichischen Umfeld auf. Nicht abgehoben, offen und nicht zurückgezogen im elfenbeinernen Turm der Wissenschaften, sondern unter den Leuten, auf Bällen gar und im Wissenschaftsbetrieb neben seiner Forschertätigkeit in verantwortungsvollen Positionen wie etwa als Präsident der Akademie der Wissenschaften. Dazu passt, dass er sich in der ersten Stellungnahme nicht nur, wie das wohl jeder täte, bei seiner Familie bedankte, die ihn immer unterstützt habe, sondern auch, und das täte wohl kaum jemand anderer, bei den österreichischen Steuerzahlern -denn, "na es ist einfach so", ohne diese wäre sein Erfolg nicht möglich gewesen.

Von Zeilinger kann man lernen. Und man sollte es auch. Er sagte viel, was schon lange nicht mehr gesagt wurde in der Öffentlichkeit, zumal von einem Mann seines Zuschnitts. Er hob hervor, dass sein Studium kaum verschult war, dass er die Fächer frei wählen durfte und als Jungforscher großzügige Förderungen bekam, um seine Ideen zu erproben. Das kann nicht genug hervorgehoben werden in einer Zeit der Zugangsbeschränkungen zu den Unis, der Verschulungen des Lehrbetriebs an den Universitäten, der viel zu oft zugeschnitten ist auf Karrierechancen der Studierenden und die Bedürfnisse von Geldgebern. "Wichtig ist, dass Forschung nicht allein aus dem Nutzen definiert werden kann", sagte Zeilinger in einem der zahllosen Interviews der vergangenen Tage. Ihm sei von früh an möglich gewesen, Dinge zu machen, die ihn interessierten.

In der Aufgeregtheit der heutigen Zeit nimmt sich das wie aus ebendieser gefallen. Solche Töne waren schon lange nicht mehr zu hören in der Öffentlichkeit. Nicht in dieser Klarheit und nicht von jemand dieses Kalibers. Darein fügt sich nahtlos sein Rat, den er, gefragt ebenfalls in einem Interview, den jungen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern mitgeben möchte. "Wenn du an etwas dran bist, das du spannend findest, dann mach das und pfeif drauf, was andere sagen, das ist das Allerwichtigste", sagte er darauf. Eine Anleitung fürs Leben in einer immer schnelleren Zeit, die man gar hoch genug wertschätzen kann.

Zeilingers Nobelpreis kommt für Österreichs Wissenschaft in einer schwierigen Zeit. Und doch ist es vielleicht gerade deswegen die rechte Zeit. Nicht nur, dass es an allen Ecken und Enden an Geld zu mangeln scheint, dass die steigenden Kosten Milliardenlöcher in die Budgets der heimischen Forschungsstätten reißen. Man hat auch damit zu kämpfen, dass das Vertrauen in die Wissenschaft und auch die Glaubwürdigkeit in den vergangenen Jahren regelrecht abmontiert wurden. Das Verständnis für wissenschaftliches Tun, gar für Grundlagenforschung ohne genaue Ziele und Vorgaben, ist in diesem Land endlich geworden. Da fuhr die Politik drüber und der Covid-Pöbel. In kaum einem anderen Land ist die Wissenschaftsskepsis so groß. Die Wissenschaft ist damit überfordert und ging in der Diskussion, so sie sich denn überhaupt darauf einließ, unter. Da scheint allzu vielen der elfenbeinerne Turm als die sicherere Position, in der man trachtet, das Ungemach über sich ergehen zu lassen.

Österreich spielt trotz Zeilinger und einiger anderer herausragender Namen auf der internationalen Wissenschafts-Bühne nicht in der Top-Liga. Man darf sich allenfalls freuen drüber, dass wir Europameister bei den Patentanmeldungen sind. Ernster zu nehmen ist wohl, dass im letzten weltweiten Uni-Ranking nur zwei heimische Universitäten unter den Top 200 zu finden sind. "Vergleichbare Länder wie die Schweiz oder die Niederlande können da ganz andere Zahlen vorweisen", merken Zeitungskommentatoren spitz an.

Heinz Faßmann, als Präsident der Akademie der Wissenschaften Nachfolger Zeilingers, sagte, er hoffe, dass sich all die Gratulanten von heute auch morgen an ihr Bekenntnis zur Grundlagenforschung erinnern. Bleibt wohl nichts, als mit ihm zu hoffen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Oktober 2022

Donnerstag, 6. Oktober 2022

Großmäuler als Bettvorleger

In Gang gekommen ist der Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten in den vergangenen Wochen nie wirklich. Keine Wunder, dass neuerdings immer öfter von einem müden Wahlkampf geschrieben wird, der da nun in die Zielgerade biegt. Vorübergehend sah es zwar so aus, als könnte es dem regierenden Bundespräsidenten passieren, dass er doch in eine Stichwahl muss, zwischenzeitlich scheint aber selbst diese Gefahr und damit das einzige Spannungsmoment, das es geben hätte können, gebannt und höchst unwahrscheinlich. Alle Umfragen haben Alexander Van der Bellen klar vorne. Freilich kann man darüber diskutieren, ob die knapp 60 Prozent, die ihm prognostiziert werden, befriedigend sein können, und es besteht wohl kein Zweifel, dass sich einige finden werden, die das Schlappe nennen werden.

Das Land ist in den vergangenen Wochen erstaunlich gelassen geblieben. Der Wahlkampf wurde in all den Wochen nie ein Kampf. Vielmehr kommt einem in den Sinn, dass da viele großmäulig als Löwen weggesprungen sind und nun dabei sind, als Bettvorleger zu landen. Selbst der blaue Kandidat, der davon redete, dass er "unser Österreich" zurückhole und immer und überall wissen ließ, dass er die Regierung entlassen wolle, wenn er ins Amt käme, schafft nun, wie es aussieht, nicht einmal die Umfragewerte, die seine Partei, die FPÖ, derzeit zusammenbringt.

Da ist der Wiener Rechtsanwalt, der als Kolumnist der "Krone" noch mit seitenweiser Unterstützung seines Blattes starten konnte, dann aber, alleine gelassen, sang-und glanzlos unterging. Nicht viel anders erging des Impfgegner-Kandidaten und dem ehemaligen BZÖ-Generalsekretär und Medien- und Social-Media-Rabauken - das Grosz-Maul brachte es auf ein paar Zeitungszitate, aber das war es auch schon. In dieser Rubrik ist wohl auch der Wahlkampf des Chefs der Bierpartei zu verbuchen. Der konnte immerhin Sympathiepunkte sammeln, rutschte aber aus, sobald die Fragen nach Ideen und Lösungen ernster und insistierender wurden. Nachgerade persönlich tragisch hingegen entwickelte sich die Wahlbewerbung des Waldviertler Schuhfabrikanten. "Wie kann es sein, dass jemand wie er kein soziales Umfeld hat, das ihn vor all diesem Irrsinn bewahrt? Der Typ zerstört gerade sein Lebenswerk -für nichts. Gut gemeint, aber völlig gaga", war auf Twitter zu lesen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Es war wohl ein Wahlkampf zur falschen Zeit und mit falschen Themen für eine Wahl, die zwar auf dem Kalender steht, sonst aber weithin angesichts der klaren Verhältnisse und der Zufriedenheit mit dem Amtsträger nicht für wirklich nötig gehalten wird. Österreich und die Österreicherinnen und Österreicher beschäftigt derzeit anderes als die Wahl eines Staatsoberhauptes. Noch dazu, wo man den aktuellen Bundespräsidenten als einen kennengelernt hat, auf den man sich auch in schwierigen Zeiten verlassen kann. Van der Bellen musste das angesichts der politischen Wirrnisse in den vergangenen Jahren beweisen wie kein anderer Präsident vor ihm. Man schätzt, dass zumindest er ein stabiler Faktor im heimischen Politgefüge ist, das jede Woche aus den Fugen zu geraten droht.

Dennoch sollte man den Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten nicht gleich abhaken und vergessen als einen der skurrilsten Wahlgänge, den dieses Land je gesehen hat. Vor allem die hohe Zahl der Wahlwerber ist durchaus als Ausdruck des populistischen, krawalligen, lautstarken und respektlosen populistischen Verständnisses von Politik zu sehen, das sich in den vergangenen Jahrzehnten in diesem Land breitmacht.

Noch nie bewarben sich, ganz dem Geist der Zeit entsprechend, so viele Kandidaten, ohne überhaupt den Anspruch zu haben, Politiker zu sein, um das höchste Amt im Staat. Ohne Konzepte und Idee, ohne Grundwissen um das Amt, ohne Wissen um Politik und Zusammenhänge und ohne jedes politische Verhältnis und Gespür. Getragen meist von maßloser Selbstüberschätzung oder vom Kalkül, den Wahlkampf als PR-Plattform für das eigene Unternehmen, für Bücher, Schuhe oder Musik zu nutzen.

Da fehlte es zumeist an Respekt. An Respekt dem Amt gegenüber, aber auch an Respekt dem Land und den Menschen gegenüber.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Umfragen richtig liegen. Wenn sie das tun, zeigt die Wahl am Sonntag, dass das Gspür der Wählerinnen und Wähler doch noch funktioniert. Und ihnen nicht alles zugemutet werden kann.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. Oktober 2022

Mittwoch, 5. Oktober 2022

„Oneway“ in die Sackgasse?

Österreichs Agrarpolitik ist dabei zu einer PR-Spielwiese zu verkommen. Auf der einen Seite wunderschöne Bilder allerorten, griffige Schlagzeilen und jede Menge Wohlfühlen. Grundtenor dabei je nach aktueller Interessenslage – „Wir sind gut“, „Wir haben recht“ oder „Alles ist gut“. Alle Verbände, alle Kammern, alle Organisationen posten das auf Facebook und Instagram. Jeder Landesrat, respektive jede Landesrätin, und alle anderen tun das auch, die in der Landwirtschaft und Agrarpolitik herum sind. Als wäre das die vorderste Aufgabe. Immer öfter geben sich Agrarpolitik und Verbände kuschelweich und supersoft – und offenbar immer das Bauern-Wolkenkuckucksheim der Kronenzeitung und des ORF im Hinterkopf. Pressekonferenzen werden inzwischen oft als PR-Termine missverstanden. Durchgestylte Veranstaltungen, oft eingebettet in ein Konzept, zu dem mittlerweile sogar gehört, dass unmittelbar nach Ende der Pressekonferenz Facebook und Instagram mit durchdesignten Einschaltungen geflutet werden.

Auf der anderen Seite werken Bauernvertreter, die sich gerne als Rabauken geben und ihr Blendwerk treiben mit Forderungen meist jenseits jeder Realität und Verwirklichungschance um Eindruck zu machen.

Da wie dort wird Diskussion kaum erwartet, im schlechtesten Fall übelgenommen. Und üble Anwürfe und Beschimpfungen hat zuweilen hinzunehmen, wer nicht eins zu eins den Pressetext transportiert. Bei Bio Austria greifen da auch schon einmal Landesobmänner in die unterste Schublade, und schreiben in Facebook-Einträgen von „Hass“ und fehlenden Fähigkeiten „sinnerfassend zu lesen“, wenn sich jemand erlaubt, nicht ausschließlich Jubelmeldungen zu schreiben.

Die Wirklichkeit und ihre Notwendigkeiten kommen dabei immer öfter unter die Räder. Abweichende Meinungen, unpassende Fragen haben da keinen Platz mehr. Und kritische Geister schon gar nicht. Da schicken die Präsidenten, Obmänner und Direktoren im Handumdrehen ihre Gesandten aus, um solche Leute an die Leine zu legen.

Da nimmt nicht Wunder, dass echte, ernsthafte und grundsätzliche Diskussionen über die Landwirtschaft und eingehende Auseinandersetzungen mit großen Themen von nicht-landwirtschaftliche Gruppen geführt werden, dass es sie innerhalb der Landwirtschaft aber kaum mehr gibt. Bauern und die nicht-landwirtschaftliche Öffentlichkeit werden von Agrarpolitik und Verbänden und Gruppen, so scheint es, mittlerweile vorzugsweise als Adressaten von Botschaften gesehen. „Oneway“ – in eine Richtung und Reaktion unerwünscht.

Die Situation ist wenig befriedigend. Vor allem für die Bauern selbst als Betroffene, weil sie auf ehrliche Information angewiesen sind. Aber auch die Glaubwürdigkeit der Landwirtschaft leidet. Echte und werthaltige Informationen kommen inzwischen zu kurz, weil sie aus polit- und PR-strategischen Gründen kaum mehr kommuniziert werden. Wohl auch weil man glaubt schwierige Diskussionen, Irritationen und Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Verständlich mag das ja alles sein. Gut für die Landwirtschaft und die Bauern ist es ganz sicher nicht.

Gmeiner meint - Blick ins Land Oktober 2022

 
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