Donnerstag, 29. September 2011

Flucht aus der Verantwortung





"Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“. Das war bisher die Parademethode in der Welt der Politik, mit heiklen Themen umzugehen, die man - aus welchen Gründen immer - nicht entscheiden will oder kann. Neuerdings macht sich eine neue Methode breit, die dasselbe Ziel hat: Man versucht, die Lösung von Problemen und offenen Themen an jene zu delegieren, die darunter leiden, damit zu kämpfen haben, die das in der Öffentlichkeit thematisieren oder es sogar wagen, Forderungen zu stellen.

Den Universitätsrektoren ging es so, den Landespolitikern und den Bürgermeistern in den Gemeinden. Den unter chronischer Finanznot leidenden und entsprechend auf Studiengebühren drängenden Universitäten wurde angeboten, die Wiedereinführung dieser Gebühren und die Gestaltung deren Höhe selbst in die Hand zu nehmen. Die Grundbesteuerung und deren Gestaltung, auf Bundesebene Streitthema allerersten Ranges, soll in die Hände der Länder gelegt werden. Bei der Kindergartenfinanzierung geisterten ähnliche Vorschläge durch die Gazetten. Und in Sachen der von den Sozialdemokraten so vehement geforderten Reichensteuer kam gar der Vorschlag, sie auf freiwilliger Basis einzuführen - ausgerechnet vom Vizekanzler der Republik.

Jetzt könnte man freilich sagen: "Das ist gut so.“ Endlich wird nicht von oben entschieden, die Betroffenen könnten sich selbst die Dinge so richten, wie sie sie brauchen. Basisdemokratisch, wie das in einschlägigen Kreisen heißt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als um die Manifestation des politischen Stillstands, der Führungsschwäche und der Unfähigkeit, zu Entscheidungen zu finden.

Die Absicht derer, von denen solche Vorschläge kommen, liegt auf der Hand. Man will die Probleme wegschieben und damit sich selbst aus der Schusslinie bringen.

Darauf versteht man sich in Österreich wie kaum anderswo. Verantwortung abschieben, das tut man im Land zwischen Neusiedlersee und Bodensee gerne. Da hat man es zu hoher Kultur gebracht. Nicht nur in der Politik, auch im Privaten. Ich? Warum? Nein! Der!

Verantwortung zu übernehmen gilt längst nicht mehr als Tugend, sondern oftmals nur mehr als Dummheit.

Entsprechend entwickelt sich unser Land. Festgefahren in einem großen Polit-Mikado, in dem sich niemand mehr traut, Verantwortung zu übernehmen. Paralysiert in einem Killer-Klima. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Aus dem Verkehr gezogen nicht nur von einem hemmungslosen Boulevard, sondern auch von ebenso hemmungslos schlagzeilensüchtigen Parteien, die nichts anderes im Sinn haben als einander in die Parade zu fahren.

Die Bereitschaft, Verantwortung übernehmen zu wollen, die Bereitschaft auch in heiklen Situationen Entscheidungen zu treffen, geht zunehmend verloren. Da schaut man lieber weg, da geht man nicht hin, da drückt man sich.

Dem entspricht das Politpersonal und dem entspricht die Politik. Und entsprechend wird das Land regiert. Ganz oben in Wien, und ganz unten im Dorf. Und dazwischen auch.

Das hat auch mit Courage zu tun, angesichts des Zustandes, in dem sich die heimische Politik zuweilen präsentiert, sogar mit Zivilcourage im eigentlichen Sinn - mit "sozial verantwortlichem Handeln“.

Diese Zivilcourage ist einzufordern. Es darf nicht als "dumm“ gelten, Verantwortung zu übernehmen, sich zu engagieren, mitzureden und Entscheidungen zu treffen. Und es ist einzufordern, diese Zivilcourage zuzulassen, die andere Meinung, den Diskurs.

Diese Forderung richtet sich an alle. Sie richtet sich aber besonders an all jene, die meist mit einer gewissen Abschätzigkeit als Politiker in der zweiten Reihe bezeichnet werden. Die könnten ihre Aufgabe überdenken und beweisen, dass sie diese Abschätzigkeit nicht verdienen und nicht bloß als Lautsprecher ihrer Parteiführer in der Politik sind, gerade genug zum Handheben bei Abstimmungen.

Sie könnten in der derzeitigen Situation, wo sich Politikverdrossenheit und Stillstand breit machen, eine ganz besondere Rolle übernehmen, einen anderen Stil einfordern, neue Wege verlangen, Mut unterstützen und nicht verhindern.

Es steht freilich zu befürchten, dass diese Aufforderung ins Leere geht. Denn dafür gälte es genau das zu tun, was in Österreich offenbar kaum jemand will oder sich traut - Verantwortung zu übernehmen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung 29.September 2011

Samstag, 24. September 2011

Rauchmühle bald Geschichte





Die Rauchmühle in Salzburg stellt den Betrieb ein. Damit endet die 700-jährige Geschichte des Mühlenstandorts an der Glan.


HANS GMEINER Salzburg-STADT (SN). Salzburg verliert einen seiner bedeutendsten und traditionsreichsten Agrarbetriebe. Die Rauchmühle in Salzburg-Lehen, mit einer jährlichen Vermahlungsmenge von 25.000 Tonnen Getreide größter Mühlenbetrieb des Bundeslandes, wird mit Jahresende stillgelegt.

Den Standort am Gailenbachweg, an dem vor mehr als 700 Jahren die erste Mühle errichtet wurde, will das Tiroler Familienunternehmen Rauch als Umschlaglager erhalten. Die Vermahlung soll künftig am Innsbrucker Hauptstandort konzentriert werden.

„Wir sind gezwungen, Rationalisierungsschritte zu setzen“, sagt Bernhard Rauch. Die Anforderungen an die Lebensmittelindustrie würden immer höher, Maschinen, Zertifizierung und Qualitätssicherung immer aufwendiger und teurer und der Wettbewerb immer schärfer. „Dazu kommen die schwierige Situation bei den Rohstoffpreisen und der Druck der Diskonter.“ Vor dem Hintergrund habe man entschieden, den Standort Innsbruck auszubauen. „Dort können wir die Menge verarbeiten, die wir bisher in Salzburg vermahlen haben.“

Leicht hat man es sich bei Rauch nicht gemacht. „Es waren bereits seit mehreren Jahren Überlegungen in Gang.“ Dass nun auch Vonwiller, der größte österreichische Mühlenbetrieb, mit dem man die Mühle in Salzburg seit 2000 gemeinsam führte, die Zusammenarbeit beenden wollte, beschleunigte die Entscheidung.

Rauch setzt in Salzburg zehn Mill. Euro um. Insgesamt vermahlt das Unternehmen jährlich 70.000 Tonnen Weizen und Roggen. Damit zählt man zu den Top 4 der Branche in Österreich. Der Umsatz des Familienunternehmens, zu dem auch ein Futtermittelwerk in Hall/Tirol gehört, liegt bei 40 Mill. Euro. In Salzburg sind 18 Mitarbeiter von der Betriebseinstellung betroffen. „Vier werden im Lager in Salzburg weiterbeschäftigt“, sagt Rauch. Sieben weitere hätten neue Arbeitsplätze gefunden, zwei gingen in Pension. „Jene die noch keinen neuen Arbeitsplatz haben, werden wir bei der Suche unterstützen.“

Als Markt will Rauch Salzburg nicht verlieren. „Wir verstehen uns als Regionalfirma für Westösterreich und möchten unsere Salzburger Kunden weiter mit der gewohnten Qualität bedienen.“ Ein Teil des Standorts in Salzburg könnte für den Wohnbau genutzt werden. Rauch: „Es gibt Überlegungen, aber keine konkreten Pläne.“


Salzburger Nachrichten Lokal / 23.09.2011

Donnerstag, 22. September 2011

Agrarprodukte nach Maß





Angesichts der Preissprünge und schwieriger Märkte gewinnt die Vertragslandwirtschaft an Bedeutung.


HANS GMEINER Hörsching (SN). Seit zehn Jahren lässt sich die Welser Großbäckerei Resch von Bauern in ganz Österreich agrarische Rohstoffe nach Maß erzeugen. Zuerst war es Weizen für die Resch & frisch-Semmeln und -Salzstangerl, dann kamen Roggen und Dinkel dazu, Gewürze und Kürbiskerne. 350 Bauern liefern mittlerweile für Resch, 2300 Hektar groß ist die Fläche, auf der nur für den Welser Bäckereibetrieb produziert wird. Eine genau nach den Bedürfnissen seiner Bäckerei definierte Qualität der Feldfrüchte, nachvollziehbare Herkunft und unabhängige Kontrollen sind die Säulen des Konzepts von Resch, der neben Ölz und Anker zu den Großen der Branche zählt. Dafür nimmt man um 20 Prozent höhere Rohstoffkosten in Kauf.

Auf die Frage, ob sich das bisher ausgezahlt hat, sagt Firmenchef Josef Resch ohne zu zögern: „Ja, sicher. Die Firma ist heute wesentlich wertiger, das schätzen die Konsumenten.“ Gut 4,5 Mill. Euro ließ sich Resch in den vergangenen zehn Jahren den Mehraufwand (höhere Preise für die Bauern, Extraaufwendungen für Kontrolle und Abwicklung über Handel und Mühlen) kosten.

Der Weg, den Resch vor zehn Jahren einschlug, ist inzwischen für die gesamte Lebensmittelbranche, die Industrie, aber auch für den Handel interessant geworden. Von den rund 1,4 Mill. Hektar Ackerland in Österreich wird laut Günther Rohrer von der Landwirtschaftskammer Österreich mehr als ein Drittel auf Basis von Verträgen bewirtschaftet.

„Angesichts der Preissprünge und der oft ungewissen Versorgungslage sucht man Sicherheit und Stabilität“, sagt Karl Fischer von der Crop Control, einer Tochter der saatbaulinz. Sein Unternehmen wickelt nicht nur für Resch, sondern auch für die VOG (Rapso), Backaldrin (purpur), den Sojaverarbeiter Mona, „ja!natürlich“ und für Brauereien Vertragsprojekte mit Ackerbauern ab. 28.000 Hektar betreut die Crop Control, neben der RWA einer der Großen in der heimischen Getreide-Vertragslandwirtschaft, inzwischen. Der Umsatz liegt bei 30 Mill. Euro.

Vertraglich gesicherte Produktion von Agrarrohstoffen gehört für Unternehmen wie u. a. Agrana, Jungbunzlauer, die großen Kartoffelverarbeiter wie Kellys, aber auch Handelsketten wie Rewe (ja!natürlich) und Hofer (zurück zum Ursprung) inzwischen zum täglichen Brot. In der Milchwirtschaft hat die vertragliche Bindung der Bauern eine lange Tradition, ebenso in der Geflügel- und Eiererzeugung. Nur bei Schweine- und Rindfleisch gibt es wenige Vertragsprojekte.


Salzburger Nachrichten Wirtschaft / 22.09.2011

Österreich ist international von der Rolle





O du mein Österreich! Welch tolle Tage waren das im Frühsommer - ein Kaiserbegräbnis. Mit allem drum und dran. Tagelang Schlagzeilen, Geschichten, Fernseh-Übertragungen, Analysen und Anekdoten. Seitenweise und stundenlang. Man konnte sich in vergangenen Zeiten weiden, man konnte sich wichtig fühlen, groß und bedeutend - ein Hauch von damals, als Österreich in der Welt noch etwas galt.
Man versteht es immer noch solche Ereignisse zu inszenieren und damit Bedeutung zu suggerieren. Der Realität entspricht das freilich längst nicht mehr. Denn in der ist Österreich von der internationalen politischen Landkarte so gut wie verschwunden. Und das nicht, weil wir keinen Kaiser mehr haben und weil wir nur mehr ein kleines Land sind.
Österreich hat sich mit Anlauf und Vorsatz und mit einer großen Portion Ungeschick selbst ins Aus gestellt. Der Politik, ja der Gesellschaft insgesamt, ist jede Weltläufigkeit abhanden gekommen. Internationales Engagement gilt heute nicht mehr viel. Längst hat man sich dem xenophoben Klima in diesem Land ergeben. Man will gar nicht mehr über den Tellerrand schauen, gar Verantwortung übernehmen. Man ist sich lieber selbst genug. "Weltberühmt in Österreich" reicht heute. Mehr will niemand.
Das Bild, das Österreich, zumal das politische Österreich, im Ausland abgibt, ist zum Erbarmen. Die letzten Monate lieferten Beispiele genug, die zuweilen an Peinlichkeit nicht zu überbieten waren. Da versetzte der Kanzler kurzfristig den polnischen Staatspräsidenten wegen eines privaten Termins. Da ließ die Justiz einen russischen Kriegsverbrecher laufen und machte Österreich zum internationalen Gespött, das sich mit Vorwürfen auseinandersetzen muss, wie Russlands Pudel gehandelt zu haben. Dann der unsägliche Wiener Gemeinderat, der sich in Libyen wichtig und Österreich lächerlich machte. Gar nicht zu reden vom Dilettantismus, mit dem die ehemalige Außenministerin Ursula Plassnik als Kandidatin für den OECD-Vorsitz und Franz Fischler mit seinen Avancen FAO-Chef zu werden, scheiterten. Und das alles ganz abgesehen davon, dass das Land von einem Kanzler regiert wird, der sich lange sträubte überhaupt nach Brüssel zu fahre und in dem der Außenminister wenig Verve an den Tag legt ein ernst zunehmendes Gegenstück dazu zu geben, sondern sich der Beschäftigung mit seiner Partei hingibt.
Dabei ist da von dem Bild, das das politische Österreich derzeit bietet, noch gar nicht die Rede.
Die Folgen sind beschämend.
Österreich ist international von der Rolle. Weltweit sowieso, aber auch innerhalb der EU. Kein Wunder ist da, dass Österreich samt seinen Politikern längst zu den Leichtgewichten zählt. Bei den großen Themen hat man wenig zu melden. Auch wenn man das daheim mitunter gerne ganz anders darstellt. Man ist Mitläufer - im besten Fall.
Praktisch nichts mehr von dem ist mehr da, was in den vergangenen Jahrzehnten Österreich zu einem wichtigen Drehpunkt in der internationalen Politik machte.
Wien ist zwar noch Sitz einiger UN-Organisationen und anderer internationalen Einrichtungen. Aber längst trifft sich die internationale Politik nicht mehr in Wien oder in Österreich. Und Rat sucht bei einem österreichischen Politiker schon lange niemand mehr.
Das legendäre Treffen Kennedys mit Chrustschow, die Proteste gegen Nixon in Salzburg, Präsident Fords Stolperer aus dem Flugzeug waren nicht nur internationale Ereignisse. Sie streichelten damals auch die österreichische Seele und gaben der Nation Gelegenheit, daran ihr Selbstbewusstsein aufzurichten. Österreich war Drehscheibe der internationalen Politik.
Österreich war wer. Diese Zeiten sind heute vorbei.
Damals, beim EU-Beitritt, und erst recht, als es um die Osterweiterung ging, war viel die Rede von der neuen Rolle Österreichs in Europa. Daraus ist nichts geworden. Nicht nur das. Das Land weiter entfernt davon denn je.
Ohne Folgen sind all der Dilettantismus, die Peinlichkeiten und das Desinteresse nicht. Statt internationale Politik auch im eigenen Interesse mitzugestalten, bleibt man Passagier. Und das nicht in der Business-Class, sondern in der Holzklasse.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung 22. September 2011

Freitag, 16. September 2011

Vorbereitung auf das Ende der Milchquote





HANS GMEINER Bad Mitterndorf (SN). So wie die Dinge liegen, wird der europäische Milchmarkt in gut dreieinhalb Jahren, im Frühjahr 2015, liberalisiert. Von der Politik verordnete Produktionsquoten und Lieferrechte, die den Markt derzeit bestimmen, werden dann verschwinden. Sowohl in den heimischen Molkereien als auch auf den Bauernhöfen laufen bereits die Vorbereitungen auf die Zeit nach dem Ende der Quoten an. Geht es für die Milchverarbeiter um die Sicherung des Rohstoffs, stehen für die Bauern Absatzsicherheit und Wettbewerbsfähigkeit im Mittelpunkt.

Milchverarbeiter wie die Berglandmilch oder die Kärntnermilch sind dabei, die Bauern enger an sich zu binden. Während sich in Kärnten die Bauern in Zukunft statt wie bisher ein Jahr künftig auf zwei Jahre verpflichten, die Molkerei nicht zu wechseln, setzt die Berglandmilch auf eine Verlängerung der jährlichen Kündigungsfrist.

Aktivitäten von bäuerlichen Liefergemeinschaften wie der Freien Milch Austria, die bereits rund 70 Mill. Kilogramm vermarktet, scheinen den Molkereien Sorgen zu machen. Risiko will man da keines eingehen. „Wir haben Verpflichtungen gegenüber Kunden und brauchen diese Sicherheit“, verteidigt Helmut Petschar, Sprecher der heimischen Milchwirtschaft und Chef der Kärntnermilch, die Verdoppelung der Bindungsfrist. Auch die Bauern würden davon profitieren. „Wir verpflichten uns ja ihnen gegenüber, dafür zu sorgen, dass sie in diesem Zeitraum die Milch auch vermarkten können.“

Auch auf den Höfen beginnt man schon jetzt, die Weichen zu stellen. Wer Milchproduzent bleiben will, baut die Produktion aus. „Die großen werden größer, die kleinen geben auf“, sagt Petschar. Die Offensive schlägt sich bereits in der Statistik nieder. Im Vorjahr wuchs die Milchproduktion um zwei Prozent, heuer sogar um vier Prozent. Damit liegt Österreich über dem EU-Schnitt (plus 2,5 Prozent) und zählt mit Irland und Frankreich zu den Ländern mit der größten Steigerung.

Der Bauernmilchpreis liegt derzeit knapp unter der magischen Grenze von 40 Cent. Dabei wird es heuer bleiben, meint Petschar. Die Konsumenten müssen sich freilich auf höhere Preise einstellen. Käse und Fruchtjoghurt sollen schon bald um sechs bis acht Prozent teurer werden.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft / 16.09.2011

Freitag, 9. September 2011

Bunkerstimmung auf den heimischen Bauernhöfen





HANS GMEINER Ried (SN). Zunächst wollte Bundespräsident Heinz Fischer der Einladung der Schweinebauern, deren Stand auf der Rieder Messe zu besuchen, nicht recht nachkommen. Dann stand er doch vor einem eigens aufgebauten Zuchtsauenstand in dem 14 aufgeweckte Ferkel an den Zitzen ihrer Muttersau nuckelten, und das Staatsoberhaupt ließ sich die Sicht der Bauern zum in der Öffentlichkeit seit Monaten so umstrittenen Thema Zuchtsauenhaltung erklären. Damit war er mittendrin in dem, was Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich Donnerstag als „heißen Herbst“ ankündigte.

„Ich erwarte vom Bundespräsidenten Unterstützung für eine Branche, die in Not ist“, rief der Minister, ganz Volkstribun, Hunderten Schweinebauern in einer Diskussionsveranstaltung zu. Sie alle standen in eigens angefertigten T-Shirts vor ihm. „Ich will mein Schnitzel aus Österreich“ war darauf auf der Vorderseite zu lesen. Und auf dem Rücken stand in großen Lettern „BM Stöger will Ferkeltod“.

Ein Vorschlag von Gesundheitsminister Alois Stöger zur Änderung der Zuchtschweinehaltung, die von der Volksanwaltschaft verlangt wurde, bringt das Bauernblut in Wallung. Die Landwirte verstehen nicht, dass in Österreich die Standards strenger als in den übrigen EU-Ländern sein sollen und fürchten um die Wettbewerbsfähigkeit. „Es geht um alles“, sagt Walter Lederhilger, Chef der Schweinebauern. „30, wenn nicht 40 Prozent“ der Schweinezüchter verschwänden. Die Versorgung und damit das heimische Schnitzel seien gefährdet.

Die Haltung der Zuchtschweine ist derzeit nicht der einzige Aufreger unter den Bauern. Die Diskussion um Vermögensbesteuerung, Einheitswerte und EU-Agrarreform tun ein Übriges, um auf den Höfen Bunkerstimmung entstehen zu lassen. Viele Bauern fühlen sich zu wenig geschätzt.

Veranstaltungen wie die Messe in Ried kommen da wie gerufen, das Wir-Gefühl zu stärken, sich Mut zuzureden und gegenseitig recht zu geben. Die Politiker wissen das zu bedienen. „Die Tierschützer wollen überhaupt kein Fleisch, die wollen, dass wir Salatblätter essen“, sagt da der Landwirtschaftsminister. Ähnlich äußert sich Bauernbundpräsident Fritz Grillitsch: „Was ich derzeit auf der politischen Ebene erlebe, haben die Bauern nicht verdient.“

Damit mag Grillitsch recht haben, aber außerhalb des Bierzelts schaut die Welt anders aus. Während Berlakovich in Ried verkündete, Stöger sei bereit, die Verhandlungen mit den Bauern über die Zuchtsauenhaltung fortzusetzen, kam aus dem Gesundheitsministerium heftige Klage über die Sturheit der Bauernvertreter.

Was alles wie kommen wird, wird sich weisen. Zumindest im Bierzelt demonstrieren die heimischen Agrarpolitiker Stärke und Erfahrung. „In der Politik bin ich kein heuriger Hase“, sagte Berlakovich. Die nächsten Monate geben ihm eine Fülle von Gelegenheiten, das zu beweisen.


Salzburger Nachrichten Wirtschaft 09.09.2011

Dienstag, 6. September 2011

Bittersüßes Zuckergeschäft





Die Reform des EU-Zuckermarkts floppt. Zucker ist teuer wie nie, Arbeitsplätze sind weg, die Bauern haben nichts davon.

HANS GMEINER Salzburg (SN). Die Ernte der Zuckerrüben beginnt heuer früher als üblich. Seit Wochenbeginn fahren die Erntemaschinen der Bauern, am Donnerstag läuft die Produktion in der Zuckerfabrik in Tulln an. „Die Agrana hat keinen Zucker mehr“, heißt es unter den Rübenbauern. „Stimmt nicht“, kontert Johann Marihart, der Chef des heimischen Zuckerriesen. „Wir liefern ganz normal und wollen mit dem früheren Termin vor allem die Fabriken besser auslasten.“ Dass Zucker gesucht ist, mag er aber nicht verneinen.

Vor zehn Jahren, als Länder wie Brasilien begannen, sich über die Welthandelsorganisation WTO Zugang zum europäischen Markt zu verschaffen, rechnete damit niemand. Zucker gab es damals reichlich und billig. Die EU war mit ihrer Zuckermarktordnung, die die Grenzen dicht hielt und Bauern und Industrie sicheren Absatz und weit über dem Weltmarkt liegende Preise garantierte, eine uneinnehmbare Festung.

Eine Position, die nicht haltbar war. Brüssel musste einlenken und fuhr die Jahres-Zuckerproduktion zwischen 2006 und 2009 um rund 30 Prozent auf zwölf Millionen Tonnen Zucker zurück. Die Preise für die Bauern wurden um mehr als ein Drittel gesenkt, blieben aber garantiert und über dem damaligen Weltmarktniveau. Den ärmsten Ländern der Welt wurden zudem Lieferkontingente garantiert und damals deutlich über dem Weltmarkt liegende Preise zugestanden.

Vor allem in unproduktiven Regionen wie in Osteuropa wurden 80 von 180 Zuckerfabriken geschlossen, und der Rübenanbau wurde eingestellt. 25.000 Arbeitsplätze gingen verloren. Die EU wurde vom Nettoexporteur von Zucker zum Nettoimporteur.

„Das kann nicht falsch sein, dachte man sich damals bei der EU, weil es ja billigere Zuckerproduzenten als die Europäer gibt“, sagt Marihart, der auch Sprecher der Europäischen Zuckerindustrie ist. Eine grobe Fehleinschätzung. Marihart: „Die Situation hat sich inzwischen dramatisch geändert.“ Die immer stärker werdende brasilianische Währung, der Ausbau der Biospritprojekte in Brasilien und die allgemeine Rohstoff-Hausse hätten die Preise in die Höhe getrieben. „Dazu kamen die Beschränkung der Produktion in Europa und die daher fehlenden EU-Exporte“, sagt Marihart.

Ab 2008 explodierte der Zuckerpreis auf den Weltmärkten. Mit umgerechnet rund 500 Euro je Tonne liegt er heute mehr als doppelt so hoch wie noch in den Jahren davor.

Das stellte auch die Zuckermarkt-Liberalisierung der EU auf den Kopf. Auf dem Weltmarkt sind die Preise inzwischen höher als in der EU. Weil sogar die ärmsten Länder der Welt auf ihre Sonderkonditionen in Europa verzichten und ihre Ware lieber auf dem freien Markt verkaufen, hat man bei der Versorgung alle Hände voll zu tun. Seit zwei Jahren behilft sich die EU mit Sonderaktionen, um die Versorgung zu sichern. Vor diesem Hintergrund verlangen sowohl die Zuckerindustrie als auch die Rübenbauern von der EU-Kommission eine Umkehr. „Es geht um die Steigerung der Wertschöpfung in Europa“, betont Marihart.

Auch für die Rübenbauern erweist sich die Zuckermarktordnung, die sie eigentlich schützen soll, nun als Bremse. Weil ihre Preise langfristig vor dem Anbau im Frühjahr festgelegt werden, bekamen sie von der Preisexplosion bisher kaum etwas zu spüren.

Das Verhältnis der Bauern zur Agrana ist vor diesem Hintergrund gespannt. In den Verhandlungen im Frühjahr gestand der heimische Zuckerriese seinen Lieferanten erst nach großem Druck eine Erhöhung des Angebots zu. Jetzt pochen die Bauern auf eine Nachzahlung. „Die Rübenpreise gehören nicht allein der Agrana“, sagt Rübenbauern-Präsident Ernst Karpfinger. „Wenn die Preise dauerhaft hoch bleiben, müssen wir über eine Nachzahlung reden.“

Das könnte durchaus notwendig werden. Derzeit deutet nichts auf ein Absinken des Weltmarktpreises bei Zucker hin. Brasilien erwartet eine schlechte Ernte und muss sogar Biosprit aus den USA importieren, weil man selbst zu wenig Zuckerrohr für dessen Erzeugung hat.

Die Bauern trauen dem derzeitigen Preishoch dennoch nicht. Daher laufen sie Sturm gegen die 2015 beabsichtigte völlige Marktliberalisierung. Sicherheit und Berechenbarkeit sind ihnen lieber. „Eine Marktordnung schützt nicht nur Bauern, sondern auch Konsumenten vor Preissprüngen“, sagt Karpfinger.


Salzburger Nachrichten Wirtschaft / 06.09.2011

Freitag, 2. September 2011

Die Hoffnung stirbt zuletzt






Sommer ist's und die Bauern, respektive deren Vertreter, werden wieder einmal am Nasenring vorgeführt. Im vorigen Jahr war's ein "Schwarzbuch", das die Landwirtschaft in die Schlagzeilen brachte, heuer waren es - wie vor zwei Jahren - die angeblich so hohen Lebensmittelpreise und die "bösen" Schweinebauern, die partout nicht von den Käfigen lassen wollen. Zum Drüberstreuen wurde auch wieder die Vermögenssteuer in Spiel gebracht und holte die Arbeiterkammer die Verfassungsklage gegen die steuerliche Behandlung der Bauern aus der Mottenkiste.

Allerorten wurde reagiert, wie es von denen gewünscht war, die der Landwirtschaft ans Zeug flicken wollen. Der Bauernbundpräsident gab das bitzelnde Rumpelstilzchen, der Kammerpräsident versandte über seine Pressestelle getragene Worte der Empörung. Und der Minister sagte, was er am liebsten sagt: "Ich wehre mich dagegen, dafür bin ich nicht zu haben".

Die Landwirtschaft, vielen ohnehin als Festung und Hort der Abkassiererei und Klüngelei ein Dorn im Auge, aber verlor wieder ein Stück vom einst so untadeligen Ruf.

Freilich kann man sagen, da werde politisch motiviert gegen die Agrarier kampagnisiert. Und es ist auch Verständnis aufzubringen für die Klage, dass all das ungerecht sei.

Faktum freilich ist, dass die Landwirtschaft in der Kritik steht. Faktum freilich ist auch, dass die Landwirtschaft, vor allem die Bauernvertretung, das in den Griff bekommen muss. Aber Faktum ist auch, dass sie genau das nicht tut, ja sogar ziemlich erbärmlich dabei ausschaut. Nicht erst heuer, sondern schon seit Längerem.

Das aber hat damit zu tun, dass man immer noch in jener Vergangenheit festhängt, als man zeitweise so etwas wie das politische Liebkind der Nation war - tüchtige Landschaftspfleger, kreuzbrave Umwelterhalter und ehrliche Nahrungsmittelerzeuger, denen niemand etwas verwehren wollte.

Diese Zeiten aber sind augenscheinlich vorbei. Das heile Bild von der heimischen Landwirtschaft hat Kratzer. Längst schaut die Gesellschaft viel genauer hin, was die Bauern machen, zumal, was sie mit dem Geld machen, das man für sie bereitstellt.

Die Stimmung ist labil geworden.

Und da ist es fatal, wenn die Vertretung der Bauern es nicht schafft, Gehör zu finden, es verlernt hat, mit Signalen der Gesellschaft umzugehen, mit den politischen Kräften im Lande nicht kommunizieren kann und Probleme damit hat, die Konsumentinnen und Konsumenten zu gewinnen.

Dass sich die Agrarpolitik in dieser Situation dem Stillstand und der Sicherung der Vergangenheit verschrieben hat, in der neue Initiativen eher abgestellt und boykottiert als unterstützt werden, ist vor diesem Hintergrund nur kontraproduktiv zu nennen.

Die Landwirtschaft ist mit diesem Politikverständnis und mit dieser Politik dabei, das Heft aus der Hand zu geben. Politische Erfolge sind ohnehin schon spärlich geworden. Nachhaltiges, Zukunftweisendes, Substanzielles, das den Bauern Perspektiven geben könnte, ist wenig in Sicht. Initiativen wie Berlakovichs Unternehmen Landwirtschaft 2020, die dafür Basis sein könnten, scheinen zu verschlampen. Von den sieben Arbeitsfeldern, die im Frühjahr 2010 großspurig angekündigt wurden, lieferten erst zwei Zwischenergebnisse. Bei allen anderen enden die Internet-Berichte im September oder Oktober des Vorjahres.

Ein schlechtes Zeichen für die bevorstehenden Verhandlungen zur Agrarreform, bei der es um die Zukunft geht? Hoffentlich nicht, kann man den Bauern da nur wünschen.


Gmeiner-meint Blick ins Land 2. 9. 2011

 
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