Donnerstag, 8. Januar 2009

Bauern sind auch keine Heiligen





In der heimischen Landwirtschaft klagt es wieder einmal aus allen Ecken. Die Bauern sind unrund, weil die Konsumenten gerne das Angebot in den Supermärkten annehmen und nicht mehr so freudig wie in den vergangenen Jahren zu heimischer Teebutter greifen, sondern gerne auch zu billiger Importbutter.

Da leuchten gleich alle Alarmsignale dunkelrot und die Maschinerie beginnt zu laufen. Wenn nicht gerade die IG-Milch ihre "Rebellen" zum Demonstrieren schickt, tut es der Bauernbund. "Eines von zehn Milchpackerln mehr aus dem Ausland bedeutet in jeder Landgemeinde einen Arbeitslosen mehr", lässt man einen Universitätsprofessor ausrechnen.

Da kam zupass, dass man sich wegen des irischen Dioxinfleischs gleich auch über die Fleischimporte echauffieren konnte.

Ja, warum dürfen's denn das überhaupt?

Allzu viele Bauern und Agrarfunktionäre fragen sich das ernsthaft. Immer noch. Und man kann sich immer noch in Rage reden. Ausländische Lebensmittel? Massenware, keine Qualität, ja, eine Gefahr für die Gesundheit! Teufelszeug! Österreich, die einzige Insel der Seligen.

Irgendetwas kriegen da viele in der Landwirtschaft nicht auf die Reihe. Auf der einen Seite sind sie stolz auf die Exporterfolge der vergangenen Jahre und darauf, dass die Produkte aus Österreich überall so beliebt sind. Jedes Jahr werden neue Exportrekorde gefeiert. Bei Milch und Käse, bei Fleisch, bei Futtermitteln und bei vielen, vielen anderen Produkten.

Die Entwicklung der Agrarexporte ist seit dem EU-Beitritt eine der großen Erfolgsstories der heimischen Wirtschaft: Die Exporte haben sich auf mehr als sieben Milliarden Euro vervierfacht. Selbst wenn man Exportschlager wie Red Bull weglässt, das ebenfalls in der Statistik der Agrarexporte geführt wird, bleibt noch ein riesiger Zuwachs.

Auf der anderen Seite wollen viele Bauern nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Importe, gegen die sie immer wieder Sturm laufen, in den vergangenen Jahren deutlich weniger angestiegen sind, mithin die heimische Landwirtschaft zu den Gewinnern zählt. Erstmals hat Österreich im Vorjahr sogar mehr Lebensmittel und Agrarprodukte exportiert als importiert.

Da sei die Frage erlaubt, wer muss sich da mehr fürchten? Die österreichischen Bauern vor Fleisch, Käse, Milchprodukten aus Frankreich, Deutschland, Italien, Südamerika, Polen oder wie all die Länder heißen, die ständig als Bedrohungsszenario im Mund geführt werden. Oder sind es nicht doch die Bauern in Deutschland, Tschechien, Ungarn, Polen, die sich mehr ärgern könnten, weil in ihren Ländern so viele österreichische Produkte verkauft werden und ihnen Absatzmöglichkeiten wegnehmen?

Allein die Ausfuhren von Milch und Milchprodukten wuchsen zwischen 1995 und 2007 von 186 Millionen Euro auf 860 Millionen Euro. Wenn man dann schon beklagt, dass eines von zehn Milchpackerln aus dem Ausland einen Arbeitsplatz kostet, dann soll man einmal ausrechnen, wie viele Arbeitsplätze der Zuwachs der heimischen Exporte gebracht hat.

Man mag sich gar nicht ausdenken, was wäre, wenn wir hätten, was manch österreichischer Bauer sich so sehnlich wünscht: dichte Grenzen. Aber über so etwas reden die Bauern nicht gerne. Es hat Tradition, dass man gerne unterschiedliche Maßstäbe anlegt, wenn es denn nur dem eigenen Vorteil, der eigenen Position dienen könnte. Mit Verlaub - alle Scheinheiligkeit inklusive. Denn, was von den Konsumenten eingefordert wird, lassen die Bauern selbst allzu oft vermissen, wenn es nur um den eigenen finanziellen Vorteil geht.

Sie sind, so ehrlich müssen sie sein, selbst alles andere als Heilige. Was hat man da nicht schon alles erlebt: Aus Tschechien, Polen, ja sogar aus Russland wurden nach dem Fall des Eisernen Vorhanges Landmaschinen und Traktoren herbeigekarrt. Für Futter- und Pflanzenschutzmittel, die auch in Österreich erzeugt wurden, fuhr man bis Frankreich und weit hinunter nach Osteuropa. Und nur ein geringer Teil der Milchbauern, die ganz besonders laut von Konsumenten und Handel Treue zu österreichischen Produkten einmahnen, fahren Steyr- oder Lindner-Traktoren.

Gerade die am lautesten schreien, fahren oft selbst am weitesten, wenn sie nur weniger zahlen müssen.

Man versteht auch den Unmut und die Verärgerung mancher Geschäftsleute, die immer wieder erleben müssen, wie schwer sich Bauern tun, Abmachungen zu respektieren, oder wenn sie Verständnis bräuchten. Da vergessen die Bauern links und rechts sehr schnell alles. Sind die Preise hoch, will man alles - auch im Nachhinein und ganz selbstverständlich. Sind die Preise tief, will man davon nichts wissen und pocht auf Verständnis. Und das mit der Faust und Politikern im Rücken, die Stimmen erhoffen. Man frage nur, was Getreideaufkäufer in den vergangenen zwei Jahren alles erlebt haben.

Und, ganz ehrlich, man möchte in vielen bäuerlichen Vorratskammern nicht Mauserl sein. In wie vielen Fällen müsste man sich da wohl von Nudeln vom Diskonter, von Billig-Käse einer Handels-Eigenmarke, von Semmeln und Brot aus der jüngsten Supermarktaktion und von Aktions-Fleisch aus der Tiefkühltheke ernähren? Und dass man oft auch auf billige Butter aus Ostdeutschland stoßen würde, ist auch nicht so unwahrscheinlich. Man weiß ja auch auf den Bauernhöfen zu sparen. Gerade dort.

Die Lage der Bauern, das wissen wir, ist nicht einfach. In den vergangenen Monaten hat sich alles wieder zum Schlechteren gewendet. Das freilich nicht nur für die Bauern. Darum sollten die Agrarier den Blick für die Realität schärfen, doch wieder einmal über den Tellerrand schauen und sich nicht in einer wehleidigen Nabelbeschau ergehen. Sie werden draufkommen: Die da draußen sind auch nicht schlechter, schon gar nicht so schlecht und böse, wie die Bauern oft meinen. Vielleicht sind sie ja gar nicht anders als sie selbst.

Hans Gmeiner
"Raiffeisenzeitung" Nr. 01+02/09 vom 08.01.2009

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1