Donnerstag, 6. November 2025

Der Herr Wöginger und wir

Das Land erregt sich seit Wochen an der Causa August Wöginger. Die Diversion erscheint vielen als zu mild, das Urteil soll nun noch einmal aufgemacht werden. Das hinwiederum sorgt auch für Aufregung. Mit Wonne arbeitet man sich an der Volkspartei ab und an der Politik insgesamt. Antikorruptionsexperten werden mit Warnungen vor einem Vertrauensverlust in staatliche Institutionen zitiert. Für die Opposition ist es ein gefundenes Fressen. Nicht nur der politische Gegner wird gegeißelt, auch die Justiz wird in Zweifel gezogen und angepatzt.

Was freilich gar nicht vorkommt, ist, dass dieses Urteil und was dem VP-Klubobmann vorgeworfen wird, nicht nur die Abgründe der Politik spiegelt, sondern auch die der Gesellschaft.

Denn was da im Innviertel geschah, ist nicht neu. "Das System Wöginger war jahrzehntelang so etwas wie die Geschäftsordnung der Österreich AG", sagt einer, der den Politbetrieb im Land von innen und außen kennt. "Wer was anderes sagt, ist ein Heuchler", fügt er hinzu. Und hat wohl recht damit. Mitgetan haben in diesem System alle. Bei jeder Partei, vor allem aber bei der Volkspartei und der SPÖ.

Alle haben gewusst, wie die Wege gehen. Die Mechanismen waren bekannt und wurden genutzt und benutzt. Von vielen. Man erwartete, und erwartet immer noch, dass sich Politiker für einen einsetzen und auch, dass sie etwas richten. Tun sie das nicht, müssen sie um seine Stimme und auch um ihr Renommee bangen. Oft jedenfalls. Die Gesellschaft, die Wähler, sind es meist, die genau das von Wöginger und seiner Kollegenschaft, gleich aus welcher Partei, seit jeher einfordern und erwarten. Das spiegelt nichts anders als das Verständnis von Politik der meisten Menschen hierzulande. Neu ist eigentlich nur, dass Wöginger nun sagt, dass er die Dinge heute ganz anders als damals vor neun Jahren sehe und er, wenn er gewusst hätte, welche Konsequenzen sein Handeln hat, das nicht mehr tun würde.

Es reicht noch heute, Politiker jedweder Couleur bei öffentlichen Auftritten zu beobachten. Die allermeisten sind umschwirrt von Sekretärinnen und Sekretären, die einzig deshalb mit dabei sind, um die Wünsche und Anliegen der Wählerinnen und Wähler, die das persönliche Gespräch suchen, aufzunehmen. Sei es die Bitte, sich für einen Job für den Sohn oder die Tochter einzusetzen bei der Gemeinde oder beim Land oder in einem öffentlichen Unternehmen, für eine Förderung für eine Wohnung oder eine Maschine, für Nachsicht bei einer Behördenkontrolle, bei der es etwas auszusetzen gab, für die Verlegung einer Hochspannungsleitung oder einer Straße, oder für einen Platz im Studentenheim.

Die Anliegen, die bei solchen Gelegenheiten vorgebracht werden, sind zahllos. Und ganz selten geht es dabei darum, dass wirklich die politische Diskussion gesucht wird, dass EU-Themen diskutiert werden, die Verkehrspolitik oder gar weltpolitische Themen.

Nicht anders ist es bei den zahllosen Sprechtagen, die Politikerinnen und Politiker im ganzen Land abhalten. Da geht es um nichts anderes. "Ich war einmal dabei, da sollte ein Minister mit der örtlichen Bank reden, um den Zinssatz für den Kredit günstiger hinzubekommen", erzählt einer aus dem Nähkästchen der Republik. Und unvergessen ist die Antwort, die der Personalchef eines staatsnahen Industriebetriebs für einen Vater parat hatte, der für seinen Sohn wegen eines Jobs fragte. "Keine Chance", bekam der zu hören, "du bist ja nicht bei unserer Partei."

Schon in den vergangenen Jahren, vor allem seit dem EU-Beitritt, hat sich vieles verändert. Objektivierung wurde mit einem Mal vorgeschrieben, Transparenz spielte mit einem Mal eine Rolle und Gerechtigkeit im Wettbewerb.

Das ist auch gut so und war und ist notwendig. Und blieb nicht ohne Folgen -vor allem in der Politik. Nicht wenige führen die Schwäche der SPÖ darauf zurück, dass sie kaum mehr etwas zu vergeben hat. Nicht zuletzt, weil es keine verstaatlichte Industrie mehr gibt. Und nicht wenige führen die Volten der Volkspartei, um an der Macht zu bleiben, drauf zurück, um sich den Einfluss zu bewahren.

Darunter, dass sich die Verhältnisse geändert haben, leiden wohl beide ehemaligen Großparteien. Ob die Causa Wöginger freilich wirklich ein letzter Ausläufer ist, muss sich erst weisen. In der Politik, bei den Parteien.

Aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. November 2025
 
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