Freitag, 12. Juni 2009
Saftige Wiesen für Lösungsmittel
Industrierohstoffe aus Gras, Mais und Obstkernen – die Landwirtschaft ist bei der Suche nach Marktchancen sehr findig.
HANS GMEINER Salzburg (SN). Es war der Tag des Horst Steinmüller. „15 Jahre ist es her, als wir das erste Mal darüber redeten“, sagte der Linzer Wissenschafter, als sich kürzlich Vertreter aus Politik und Wirtschaft bei der Eröffnung der ersten Bio-Raffinerie im oberösterreichischen Utzenaich drängten. In Containern auf dem Gelände der dortigen Biogasanlage bekommt der Ausdruck „saftige Wiesen“ eine ganz neue Bedeutung. „Aus dem Silagesaft von Wiesengras gewinnen wir Milchsäure und Aminosäure“, erklärte Steinmüller. Gebraucht werden diese Produkte nicht nur in der Lebensmittelerzeugung. Die Chemieindustrie etwa setzt sie für die Erzeugung von Desinfektions-, Reinigungs- und Lösungsmitteln, die Metallindustrie für den Korrosionsschutz ein. Auch die Kosmetikerzeuger wissen die Stoffe zu schätzen. Sie verwenden sie als Stabilisatoren und Emulgatoren in ihren Produkten.
In der 3,2 Millionen Euro teuren Pilotanlage in Utzenaich werden derzeit pro Stunde aus einer Tonne Grassilage 400 Liter Saft gepresst. „Daraus gewinnen wir jeweils zehn Kilogramm Amino- und Milchsäure“, sagt Steinmüller. „Mit den Kosten liegen wir deutlich unter den Marktpreisen.“„Gras wird wertvoll“ Wenn das so bleibt, könnten die hochtrabenden Erwartungen der Landwirtschaft bald in Erfüllung gehen. Agrarpolitiker wie Oberösterreichs Agrarlandesrat Josef Stockinger kommen schon jetzt ins Schwärmen. In zehn Jahren könnte, so hofft er, der Grünschnitt von 15.000 Hektar Wiesen in zehn Großanlagen nicht nur zu Energie, sondern auch zu Rohstoffen für die Industrie verarbeitet werden. „Gras wird damit wertvoll, das wäre eine echte Hoffnung für die Milchbauern. Sie hätten für das Grünland endlich eine zusätzliche Nutzung außerhalb der Nahrungsmittelkette.“ Die Ackerbauern sind ihnen da voraus. Mehr als zehn Prozent der heimischen Ackerfläche von 1,4 Millionen Hektar werden bereits für die Erzeugung von nachwachsenden Rohstoffen und nicht für die Nahrungsmittelproduktion genutzt.
Allein die Ernte von 60.000 Hektar Mais und Weizen wird in der Agrana-Anlage in Pischelsdorf zu Bioethanol verarbeitet, die Ernte von 10.000 Hektar Raps geht in die Biodiesel-Produktion und von 30.000 bis 40.000 Hektar Mais und anderen Pflanzen wird in Biogasanlagen Wärme und Strom erzeugt.
Immer größere Bedeutung für die heimische Landwirtschaft gewann in den vergangenen Jahren die Produktion von Stärke. In den Werken in Aschach/Donau und Gmünd verarbeitet die Agrana die Ernte von 35.000 Hektar Mais und von 5700 Hektar Kartoffeln.
Längst ist die Lebens- und Futtermittelindustrie nicht mehr der einzige Abnehmer. Ein knappes Drittel der von der Agrana erzeugten Stärkeprodukte geht bereits jetzt als technische Stärke in die Industrie. Sie findet sich in Papier und Wellpappe genauso wie in Fliesenklebern, Spachtelmassen und Putzen oder als Trägermaterial in Tabletten, Pillen oder Dragées. Zusätzliche Nachfrage in den nächsten Jahren erwartet man sich vor allem von Biokunststoffen, für die Stärke ein wichtiger Rohstoff ist.
Neben Agrana stieg im Vorjahr Jungbunzlauer groß in die Verarbeitung von nachwachsenden Rohstoffen ein. Im Werk in Laa an der Thaya will der Konzern jährlich die Ernte von rund 25.000 Hektar Mais zu Zitronensäure nicht nur für die Produktion von Lebensmitteln erzeugen, sondern auch für die Verwendung in Pharmazeutika, Reinigungsmitteln und ähnlichen Produkten. Derzeit läuft die Anlage im Probebetrieb.
Die Landwirtschaft gibt sich damit noch nicht zufrieden. Intensiv wird nach weiteren Absatzmöglichkeiten für Agrarprodukte gesucht. Zu Projekten, wie sie die Forschungsförderungsgesellschaft des Bundes unterstützt, zählen etwa die Erzeugung von Netzgeweben aus Naturgarnen für die Verpackungsindustrie, die Produktion von Kunst- und Schaumstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen oder das „Kernkraftwerk“ der Zukunft – aus Kernen von Kirschen, Marillen und Zwetschken könnten schon bald nicht nur Öl, sondern auch Naturkosmetika oder gar ein Werkstoff für die Industrie gemacht werden.
Wirtschaft / 12.06.2009 / Print
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