Montag, 18. Juli 2016
Wie der Bauernhof zum Therapiezentrum wird
Für immer mehr Bauern sind Angebote im Sozialbereich eine wirtschaftliche Perspektive. „Green Care“ wird ab Herbst auch an landwirtschaftlichen Fachschulen angeboten.
Hans Gmeiner Buchkirchen. Dienstag ist „Kuhtag“ am Putti-Hof. „Da können die Kinder der Gruppe, die die Caritas bringt, beim Melken helfen, beim Buttermachen und beim Füttern“, erklärt Andreas Purtscheller. Gemeinsam mit seiner Frau Heike, einer Waldorfpädagogin, betreibt der ehemalige Pilot der Tyrolean im Lachgraben zwischen Buchkirchen und Mistelbach in Oberösterreich einen Bauernhof. Hier aber steht nicht die landwirtschaftliche Produktion im Mittelpunkt, sondern soziale Dienstleistungen.
„Naturkinder im Garten“ hieß 2011 das erste Projekt der beiden Quereinsteiger, bei dem sie private Kinderbetreuung anbieten. Inzwischen gibt es auch reitpädagogische Betreuung am Putti-Hof und das Projekt „Sprungbrett“, bei dem gemeinsam mit Caritas und pro mente Oberösterreich junge Menschen mit Beeinträchtigungen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Zudem bietet man Jugendlichen und Erwachsenen mit oder ohne Beeinträchtigung Beschäftigungsmöglichkeiten in Werkstätte, Garten und Stallungen. Zu tun gibt es genug auf dem Hof, auf dem sich Kühe, Pferde, Esel, Ziegen, Schweine und Hühner tummeln. Dazu lernen im Rahmen des Projekts „Schule am Bauernhof“ Jahr für Jahr Hunderte Schüler aus der Umgebung auf dem Putti-Hof die Landwirtschaft aus nächster Nähe kennen.
Der kleine Hof ist einer von bisher 18 zertifizierten Green-Care-Betrieben in Österreich, der erste in Oberösterreich. In Salzburg gibt es bisher zwei solche zertifizierte Green-Care-Betriebe. Der Reiterhof der Familie Rohrmoser in St. Johann im Pongau wird als Therapiebauernhof für Kinder und Erwachsene mit Einschränkungen geführt. Und das Zacherlgut der Familie Schroffner in Thalgau bietet Psychotherapie, bei der die Tiere am Hof eine wichtige Rolle spielen.
„Das Zertifikat, für das eine Reihe von Voraussetzungen wie berufliche Qualifikation, aktive Mitarbeit oder Kooperation mit geeigneten Institutionen verlangt wird, ist freiwillig und soll allen Beteiligten Sicherheit geben“, sagt der Obmann von Green Care in Österreich, Robert Fitzthum. Dabei stehe die Sicherung der Qualität im Vordergrund. Kontrolliert wird von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle in regelmäßigen Abständen.
Mit Green-Care-Angeboten versuchen inzwischen viele Bauern in ganz Österreich ein zusätzliches Standbein aufzubauen. Das Angebotsspektrum reicht von Kindergärten auf Bauernhöfen über Programme für Schüler bis hin zur Seniorenbetreuung. Im Mittelpunkt stehe der Bauernhof als Arbeitsort, der für Menschen mit Beeinträchtigungen und für arbeitssuchende Jugendliche und ältere Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, sagt Green-Care-Geschäftsführerin Nicole Prop. Der Schwerpunkt könne aber auch auf Bildung liegen, auf Gesundheitsförderung oder einfach auch beim Leben, wenn es um innovative Tagesbetreuung- oder Wohnmodelle gehe.
Zu den bisher zertifizierten Betrieben dürften bald neue kommen. „Wir haben 50 Betriebe in der Pipeline“, sagt Prop. Bisher habe es knapp 700 Anfragen gegeben. Auch die jüngste Jahrestagung von Green Care Ende Juni in Wien habe heuer alle Erwartungen übertroffen. „Das Interesse wächst unübersehbar“, sagt die Geschäftsführerin erfreut.
Dabei ist der Aufbau eines Green-Care-Angebots als zusätzlicher Betriebszweig einer Landwirtschaft sehr anspruchsvoll. „Es muss von den persönlichen, räumlichen und betrieblichen Voraussetzungen bis hin zu den Kooperationspartnern sehr vieles zusammenpassen“, sagt Robert Fitzthum. Dementsprechend langwierig gestalte sich oft die Umstellung.
Rückenwind gibt es von der Politik. Green Care bekommt Fördermittel aus der Ländlichen Entwicklung. Bei den Landwirtschaftskammern sind in allen Bundesländern inzwischen Beratungsstellen eingerichtet. Seit zwei Jahren gibt es an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik auch einen eigenen Green-Care-Lehrgang samt Masterabschluss.
Demnächst soll das Angebot sozialer Dienstleistungen auf Bauernhöfen auch an den rund 100 landwirtschaftlichen Fachschulen für Mädchen in ganz Österreich zum Thema gemacht werden. Ab dem heurigen Herbst wird in Schulen in allen Bundesländern Green Care als Wahlfach angeboten.
Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 18. Juli 2016
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