Donnerstag, 7. Juli 2016
Gelernter Selbstschutz
"Ich hoffe sehr, dass diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes dazu führt, dass man auf allen Ebenen, die verantwortlich sind, in Zukunft die Sache wirklich ernst nimmt und auf Punkt und Beistrich die Vorschriften einhält." Das sagte der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Gerhart Holzinger, nach der Wahlaufhebung in einem Interview. Diese Aufforderung ist nur zu unterstreichen. Was rund um die Wahlen geschehen ist, kann nicht sein und darf auch nicht sein. Da ist dem Gerichtspräsidenten nur beizupflichten. Da sollte es auch nichts zu diskutieren geben.
Holzinger fügte aber noch etwas dazu. "Das ist ja im Übrigen gar nicht so schwer", sagte er in dem Interview abschließend. Darüber sollte man freilich schon diskutieren. Denn, dass das "nicht so schwer" ist, mag man ihm nicht einmal für die Vorschriften rund um die Bundespräsidentenwahlen konzedieren. Schon gar nicht mag man sich seiner Meinung anschließen, wenn es um viele, viele Gesetze, Verordnungen und Vorschriften geht, an die sich die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land halten müssen, deren Sinn sie nicht verstehen, deren Inhalt sie nicht nachvollziehen können und die sie oft als nichts, denn als Schikane empfinden.
Da nimmt nicht Wunder, dass man sie sich zurechtbiegt, um sich mit ihnen zu arrangieren. Für viele ist das nichts anderes als Selbstschutz. Bei den Bundespräsidentenwahlen waren es die vorgeschriebenen Zeiten, was wann wie gemacht werden durfte und an die man sich nicht halten wollte, weil sie als unpassend empfunden wurden. Es ging um die Farben von Kuverts und um anderes mehr, das weniger mit der Wahl und ihrem Ausgang, als vielmehr mit einer als überzogen erscheinenden Bürokratie zu tun hatte. In anderen Fällen liegen die Dinge zwar anders, sind in der Struktur aber ähnlich. Der Bogen reicht von Geschwindigkeitsbegrenzungen, die oft nicht nachvollziehbar sind, über die Registrierkassenpflicht , die Mehrwertsteuervorschriften bis hin zu den Vorschriften für Ausschreibungen und den Regularien unter denen die Banken zu leiden haben.
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes ist daher nicht nur die Frage zu stellen, warum bei der Wahl dieser saloppe Umgang mit den Gesetzen passieren konnte, sondern es ist auch die Frage nach der Qualität der Gesetze und damit nach der Qualität der Gesetzgebung im Generellen zu stellen. Und ob diese Qualität gut ist, sei in Frage gestellt.
Viele der Gesetze und Vorschriften werden als kompliziert empfunden und oft auch als weltfremd. Wo früher klare und praxisgerechte Formulierungen standen, stehen heute zehn Absätze mit zehn Anmerkungen, die ohne anwaltlichen Beistand kaum mehr zu verstehen sind und die zu erfüllen in der Praxis zuweilen kaum möglich ist. Solche Vorschriften einzuhalten ist für viele oft nichts denn eine Mühseligkeit. Selbst wer genauestens aufpasst, ist nicht vor Fehlern gefeit.
Die Gesetze, die in Österreich von Gesetzgebern in Bund und Ländern verabschiedet werden, füllen jedes Jahr einen Regal-Meter. Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, ein Land wolle sich selbst strangulieren. Nicht ohne Grund werden die Klagen über die überbordende Bürokratie immer lauter. Das Geld, das dabei verschwendet wird, ist nicht mehr zu zählen und auch nicht die Arbeitskraft und die Energie.
Die oft schlechte Qualität der Gesetze und die Vorschriftenwut, die sich breit gemacht hat, hat aber auch das Rechtsverständnis und das Rechtbewusstsein respektive das Unrechtsbewusstsein in diesem längst nachhaltig erschüttert. Und sie tragen auch ihren Anteil an der Politikverdrossenheit.
Die Bundespräsidentenwahl ist auch dafür ein typisches Beispiel. Und das nicht nur, weil die Zeitpläne realitätsfern waren. Typisch macht sie auch, dass sich über Jahre niemand daran gestoßen hat, dass man bei Wahlen dieser Art mit Überzeugung die Dinge arglos und ohne Unrechtsbewusstsein zurechtbog, die nun das Missfallen des Verfassungsgerichtshofes fanden. Nicht einmal viele von den Journalistinnen und Journalisten, die nun alles besser wissen, stießen sich daran und nutzten und schätzten bisher die frühe Übermittlung von Detailergebnissen durch Austria Presseagentur, an der sich nun der Verfassungsgerichtshof stieß.
Aber sie sind ja, wie die Frauen und Männer in den Wahlbehörden auch, nur Österreicherinnen und Österreicher. Und als solche haben auch sie gelernt, sich Gesetze und Vorschriften so zurechtzubiegen, dass man mit ihnen leben kann.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Juli 2016
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