Donnerstag, 19. März 2020

Das fehlende Feindbild eint das Land



Der Stillstand drückt durch alle Ritzen ins Haus. Selbst am Land. Vorbei die Feixereien. Vorbei das Augenzwinkern. Und unvorstellbar und fern, dass man eine Woche zuvor noch bei Veranstaltungen war und es lustig fand, sich gegenseitig beim Händeschütteln "Gesundheit" zu wünschen.

"Das Virus wird Krankheit, Leid und Tod für viele Menschen in unserem Land bedeuten." Das ist gesessen. "Jeder hat hier in den nächsten Wochen seinen Beitrag zu leisten", fügte Kanzler Sebastian Kurz in diesen dramatischen Stunden des vergangenen Wochenendes noch an.

Jetzt herrschen Sorge und Ernst. Und Demut. Man ist verwundert, wie schnell sich eine Gesellschaft verändern kann, wie sie willens ist alles dazu beizutragen, dass der Spuk möglichst schnell vorüber ist und wie sie Dinge hinnimmt, die gemeinhin als unerhört gelten. Da ist kaum mehr etwas von Untergriffigkeiten, von Anpatzereien und von Maulen. Was ist, ist Betroffenheit.

Vielleicht ist das, neben der Monströsität der Bedrohung freilich, deshalb so, weil es keinen greifbaren Feind gibt und kein Feindbild, dem man die Schuld zuweisen könnte. Weil man nicht, wie man es bisher gewohnt war, gegen etwas sein kann. Gegen Industrieschlote, gegen Atomkraft, auch nicht gegen die Flieger am Himmel, den Verkehr auf den Straßen und auch nicht gegen die Agrarindustrie oder was man dafür hält. Nicht einmal der Bundeskanzler taugt als Feindbild und auch nicht sein grüner Vize oder der grüne Gesundheitsminister.

Es ist schwierig die Lage einzuordnen. "Es ist die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, die wir gerade erleben", sagte der Kanzler in diesen Tagen und man mag ihm nichts entgegenhalten, schon gar nicht, dass er übertreibe. Manche fabulieren bereits von einer Wende im Zusammenleben und hoffen auf eine Art politisches Paradies, das sich nach der Viruskrise breit macht. Mit einsichtigen, hilfsbereiten und geläuterten Akteuren auf den Bühnen der Politik und auch hinter den Türen in der Nachbarschaft. Andere fürchten sich vor nicht absehbaren Folgen für die Wirtschaft, vor Arbeitslosigkeit und vor einer Weltwirtschaftskrise. Und es gibt immer noch die, die glauben, dass es bereits im Sommer so weitergeht, wie man in den vergangenen Jahrzehnten, ja noch vor Monatsfrist gewohnt war.

Was dennoch auffällt, ist eine neue Sachlichkeit, eine die man vor wenigen Monaten, ja Wochen, nicht einmal ansatzweise vermutet hätte. Es herrscht alles in allem Einigkeit und Zustimmung in der Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen gegen das Virus. Die Scharlatane schweigen und auch die Hetzer und Zündler. Es zeigen sich die Stärken von Vernunft und Sachlichkeit und auch die von Wissenschaft. Und es sind die abgemeldet, auf die viele Teile der Gesellschaft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel zu oft hörten. "Plötzlich scheint jedem klar: Gurus, Esoterik und Alternativ-Medizin tragen nichts Positives bei", schreibt man auf Twitter.

Es ist jetzt noch lange nicht die Zeit, Bilanz zu ziehen. Da ist viel zu viel im Fluss. Aber es zeigen sich wichtige Dinge und große Linien und Stränge, die viel von dem bestätigen, was in der Vergangenheit oft viel zu geringgeschätzt oder gleich über Bord geworfen wurde. Freilich noch wollen sich das nur wenig eingestehen, wie etwa der Chefredakteur der "Presse", der am vergangenen Samstag in einem viel beachteten Leitartikel schrieb: "Und ja, auch Journalisten wie ich, die gern über Sparpotenzial im Gesundheitsbereich fabulierten, wünschen sich jetzt noch viel mehr Spitäler, Intensivmediziner, dazugehörige Betten und Beatmungsgeräte."

Auch die Versorgungsicherheit wird da mit einem Mal wichtiger und vielleicht auch ein neues Bild von der Landwirtschaft. "Enorm wertvoll, dass es unsere Bäuerinnen und Bauern gibt!" trommelt der Bauernkammerpräsident unermüdlich und hofft, dass endlich der Wert einer eigenen Landwirtschaft im Land erkannt wird. Auch die Politik zeigt sich in diesen Tagen geläutert und zieht, ganz ungewohnt, wiewohl oft erwünscht, an einem Strang.

Vielerorts scheint man die Dinge neu abzuwägen. Auch die Sache mit dem Virus. Von einer hysterischen Reaktion getraut sich niemand mehr zu reden. Und herunterspielen will es auch niemand mehr.

Da beruhigt man sich lieber, wie es in den Sozialen Medien empfohlen wird: "Deine Großeltern wurden in den Krieg eingezogen. Von dir wird verlangt auf der Couch sitzen zu bleiben." Nachsatz: "Das kannst du."


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. März 2020

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