Donnerstag, 3. Dezember 2020

Stammbucheintrag

Das Land und seine Bewohner ringen mit der Pandemie. Immer mehr gerät die Situation aus allen Fugen. Immer größer wird die Verwirrung und immer weniger die Geschlossenheit und der Zusammenhalt. Es ist wie eine Fahrt im dicken Nebel. Orientierung gibt es praktisch keine mehr.

Dass es dazu gekommen ist, hat zu einem guten Stück die Politik zu verantworten. Je nach Blickwinkel der Kanzler, der Gesundheitsminister, Landeshauptleute, Oppositionspolitiker. Das ist gängige Meinung und die ist sicherlich so falsch nicht. Die Performance all dieser Leute war und ist, selbst eingedenk der völlig neuen und nachgerade herkulischen Herausforderung, allenfalls respektabel, aber ganz sicher nicht berauschend.

So weit, so schlecht. Was in der öffentlichen Diskussion seit langem unterbelichtet ist, ist die Rolle der Wissenschaft von medizinischen Experten und auch von Ärzten. Denn dass die Stimmung im Land so ist, wie sie ist, dass alles in Zweifel gezogen wird und den Österreicherinnen und Österreichern die Orientierung und auch das Vertrauen verloren gegangen ist -das alles ist auch und wohl vor allem Exponenten der Fachwelt anzukreiden, die allzu oft ihrer Eitelkeit erlagen und immer noch erliegen und oft an keinem Mikrofon und an keiner Kamera vorbeigehen zu können scheinen, weil man die Gelegenheit zu Ruhm, und sei der auch noch zu zweifelhaft, nicht ungenützt lassen will.

Der ORF-Report hat vorige Woche einigen aus dieser Spezies den Spiegel vorgehalten. Etwa dem Ages-Experten Allerberger, der noch im März zu Beginn der Pandemie auf die Frage, ob es Sinn mache, eine Schutzmaske zu kaufen, antwortete "Ich würde das Geld für diese FFP-Maske, das sind doch zwei, drei Euro, für Besseres verwenden - einen Kaffee und sich ganz ruhig entspannen und die Zeitung lesen und genießen." Auch der Herr Sprenger kam in dem Beitrag vor, jener "Public-Health-Experte", der nach wenigen Wochen aus dem Beratergremium des Gesundheitsministers ausscherte, um fürderhin in Zeitungs-und Fernsehinterviews mit rechthaberischem Unterton Unruhe zu stiften.

Auch die Ärzte und die Ärztekammern trugen nach Kräften ihren Teil zur heutigen Gemütslage des Landes bei. Nur logisch nimmt sich im Nahhinein aus, dass etwa die Ärztekammer Oberösterreich just den beiden genannten Herren noch im September mit einem großen Presseauftritt eine Bühne bot. "Tenor damals", hieß es im "Report","die Lage sei unter Kontrolle, kein Grund zur Panik".

Und da ist noch gar nicht die Rede von Sucharit Bhakdi, einem pensionierten Uniprofessor und deutschen Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, der auf Servus-TV Woche für Woche einem Guru nicht unähnlich seine Fangemeinde mit eigenwilligen und nicht selten kruden Thesen und Informationen zu Corona füttert. Bhakdi hat gemeinsam mit dem Mateschitz-Sender Corona-Skepsis zum Geschäftsmodell gemacht. Unter dem Mantel der Aufklärung wird Woche für Woche aber nichts anderes als Zweifel und Unsicherheit gesät.

Diese und einige ihrer Kolleginnen und Kollegen wurden schnell zu Kristallisationspunkten, von denen aus die Verunsicherung wuchs und die Zweifel wucherten. Schließlich konnten sich plötzlich auch Hinz und Kunz auf "Fachmeinungen" berufen und zu ihrer Verbreitung beitragen und man bei der Bekämpfung der Pandemie mit einem nur mehr geringen Verständnis für Maßnahmen zu kämpfen hat.

Dass das möglich war, hat wohl auch damit zu tun, dass viele Wissenschafter, die etwas zu sagen hätten, in diesem Land sich allzu oft das Licht der Öffentlichkeit nicht antun wollen, sondern lieber in ihren Instituten und Kämmerleins bleiben. Man kennt das seit Jahren und Jahrzehnten. Und man kennt das nicht nur aus der Medizin.

Damit freilich wird das Feld allzu oft Leuten überlassen, die anderes antreibt als Verantwortung. Wie gefährlich das werden kann, zeigt sich jetzt. Der Politikexperte Peter Filzmaier brachte es dieser Tage auf den Punkt. Seine Empfehlung: "Der persönliche Ehrgeiz täglich irgendwo zitiert zu werden, sollte für mehr Qualität gezügelt werden". Die akademische Diskussion sei wichtig, weil sie die Wissenschaft und die Erkenntnis voranbringe. "Nicht über alles davon sollte jedoch im Fernsehen, in den Zeitungen oder in Onlinemedien gestritten werden."

Insbesondere den medizinischen Experten sei das ins diesen Tagen ins Stammbuch geschrieben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Dezember 2020

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