Die Bilder, die in der vorigen Woche aus dem Parlament an der Wiener Ringstraße zu sehen waren, waren gewöhnungsbedürftig. Viktor Orbán, der so selbstbewusste wie selbstherrliche Autokrat aus dem Nachbarland, derzeit als Ratsvorsitzender sogar oberster Repräsentant der Europäischen Union, die er am liebsten aufgelöst sähe, hielt Hof, als wäre er daheim in Budapest. Ein Foto da, ein Foto dort und Wortspenden zum Wahlsieg der FPÖ zum Drüberstreuen.
Die Freiheitlichen, voran der frisch gewählte Parlamentspräsident und der Parteiobmann und ihre Entourage, gaben bei dem Spektakel die Lakaien, freuten sich wie die sprichwörtlichen Schulbuben über den Besuch und taten im noblen Ambiente des Parlaments ganz so, als hätten sie das Sagen in unserem Land. Da saßen auf einmal Leute im österreichischen Parlament, die keine Scheu hatten, mit einem international höchst umstrittenen ausländischen Politiker ohne jedes Mandat Gespräche zu führen und als Gipfel dieser "Polit-Schmiere" auch noch eine "Wiener Erklärung" zu veröffentlichen. Keine Spur davon, dass sie keinen Auftrag und schon gar kein Recht haben, im Namen Österreichs irgendetwas zu unterzeichnen.Mitunter fühlte man sich in einer jener Kickl-Parodien, mit der Christoph Grissemann in der Sendung "Willkommen Österreich" das Land immer wieder unterhält. Mitunter fühlte man sich aber auch ganz anders, kamen einem doch beim schnellen Hinschauen auch Gedanken an einen Staatsstreich unter, bei dem es auch so sein könnte, was man da sah.
Es ist die Anmaßung, die empört, und die Art und Weise, wie die FPÖ interpretiert, dass sie bei den Wahlen die meisten Stimmen erhalten hat. Es fühlt sich jedenfalls fremd an, diese Szenerie zu sehen. Dass auf einmal die FPÖ nicht nur im Plenum und in ihren Klubräumen, sondern in den Repräsentationsräumen im Parlament sitzt und Staatschefs empfängt, ohne irgendeinen Auftrag zu haben. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber das ist wohl die neue Realität.
Es ist wohl zu befürchten, dass so etwas, wie wir es in der vorigen Wochen erleben mussten, zu unserer Zukunft gehört. Es steht zudem zu befürchten, dass man sich daran gewöhnen muss, dass die Freiheitlichen einfach den Staat für ihre Zwecke, für ihre Strategien und für ihre Ziele benutzen und in einer Rolle, in der sie einfach nicht sind und die ihnen mangels Legitimation auch nicht zusteht, dennoch auf mächtig machen.
Freilich kann man sagen, die FPÖ müsse ja das Momentum nutzen und jetzt einmal Profil zeigen. Kann man. Aber die FPÖ sollte auch die Hände reichen und zeigen, dass sie sich bemüht, mit den anderen zusammenzuarbeiten, dass sie Verantwortung für den Staat und für das Gesamte nimmt und dass es nicht nur um die eigene Profilierung geht.
Und auch dem frisch gewählten Parlamentspräsidenten stünde es an, die Rolle des "Parteisoldaten", die er in Interwies immer hervorkehrte, endlich zu verlassen. Er hätte so viele andere Leute auf seinem hierarchischen Niveau einladen können, etwa Kollegen aus anderen Parlamenten. Aber nein -er lädt just den umstrittensten Staatschef in der EU ein, nimmt damit gleichsam das ganze Land als Geisel und schlägt einen Pflock ein, der abgrenzt und abtrennt.
Österreich reagierte aufgeregt und eingeschnappt. Die Kirche im Dorf wollte kaum einer lassen. Ganz abgesehen davon, dass es so ungewöhnlich nicht war, wie getan wurde. Auch andere Parteien begrüßen im Parlament gerne ihre Gäste und treten dabei zuweilen auch in einer Art und Weise auf, die ihnen eigentlich nicht anstehen würde.
Das wirft die grundsätzliche Frage auf, wie das Parlamentsgebäude über die politische Entscheidungsfindung hinaus genutzt werden soll. Und ob dazu auch Veranstaltungen wie der vielkritisierte Orbán-Besuch gehören sollen, zumal dann, wenn sie so ablaufen, wie wir sie erleben mussten.
Dabei geht es nicht um die Frage, ob das Parlament offen sein soll. Das soll es ohne Zweifel. Aber es sollte sehr wohl um die Frage gehen, ob es Bühne oder gar Spielwiese sein soll und darf für parteipolitische Interessen.
Ganz abgesehen davon - hätte Österreichs Politik den Freiheitlichen nicht so in die Hände gespielt, wie man es in den vergangenen Jahren getan hat, wäre uns das alles erspart geblieben.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. November 2024