Donnerstag, 16. Oktober 2025

Darüber reden, um nicht mehr darüber zu reden

Österreich hadert in diesen Tagen mit der Justiz und der Rechtsordnung. Zuerst der Freispruch für die zehn jungen Burschen, die sich an einer Zwölfjährigen vergingen. Dann in der Vorwoche das Diversionsurteil für August Wöginger, das von vielen als allzu billig gesehen wird. Und dazwischen Fälle wie jener der zwei Buben in Oberösterreich, die mit der Polizei ungestraft Katz und Maus spielen können, oder wie der Fall "Waltraud". Das ist der Fall jenes ehemaligen Wiener Stundenhotelbetreibers, der zuerst das Geschlecht wechseln wollte, um als Frau um vier Jahre früher in Pension gehen zu können und der es mit eben diesem Vorhaben zuletzt darauf anlegte, in einem Frauengefängnis unterzukommen.

Und dabei begann in dieser Woche erst der größte Prozess, der wohl auch für viel Aufsehen sorgen wird - Rene Benko steht vor Gericht. Und alle, die schon jetzt von Zweifeln geplagt werden, werden wohl ganz genau hinschauen.

Die Gazetten sind voll und die Leserbriefspalten, an den Stammtischen und wo immer diskutiert wird, geht es rund. Das Unverständnis ist groß, die Aufregung auch. Viele können nicht nachvollziehen, wie die Justiz zu ihren Urteilen gekommen ist und wundern sich nur mehr, was in Österreich alles möglich ist.

Österreich hat damit ein heikles Thema auf dem Tisch. Ein sehr heikles. Eines, das man nicht haben sollte. Schon gar nicht in einer ohnehin so fragilen gesellschaftlichen Situation wie die, in die man in den vergangenen Jahren hingeraten ist. Daher muss man, auch wenn es als nicht statthaft gilt, über Justiz, Recht und Rechtsordnung reden. Ob man will oder nicht. Man muss darüber reden, damit darüber nicht mehr geredet wird.

Zu viel steht auf dem Spiel. Bei vielen Menschen wachsen die Sorgen um den Rechtsstaat, viele sind dabei, das Vertrauen in diesen zu verlieren. Viele werden damit in die Hände von Populisten und ihren Parteien getrieben, weil sie nicht nachvollziehen können, wie und warum Urteile zustande gekommen sind.

Es geht dabei nicht darum, dem Druck der Straße und populistischen Forderungen nachzugeben und Gesetze anzupassen. Aber es muss darum gehen, den Rechtsstaat, das Recht und die Justiz besser zu erklären. Es muss darum gehen, auch für die breite Bevölkerung und nicht nur für ein paar Spezialisten oder Fachkollegen, Urteile, Bescheide und alles Ähnliche nachvollziehbar zu machen. Die Justiz muss sich besser erklären, denn Recht muss auch verstanden werden. Das Thema ist heikel. Fraglos. Denn zu den Anforderungen gehört nicht nur, dass Recht gerecht ist, sondern wohl auch, dass die Menschen die Rechtsvorschriften verstehen und nachvollziehen können und dass sie nicht überfordert werden.

Das Eis ist freilich dünn, auf dem man sich da bewegen muss. Aber man darf sich nicht davor drücken. Darüber zu reden bedeutet ja nicht automatisch, den Stammtischen oder populistischen Politikern nachzugeben. Vielmehr gilt es Brücken zu bauen und Wege zu finden, die Entscheidungen von Gerichten nachvollziehbar und so wirklich unantastbar zu machen. Auch wenn das vielen als nicht opportun gelten mag. Aber Recht ist auch ein lebendiger Organismus. Und der verlangt Verantwortung.

Auf einem anderen Blatt steht die Rolle von Politikern und Anwälten, die in Verfahren nicht an Schweigepflichten und Ähnliches gebunden sind. Ligitations-PR ist zu einer eigenen Branche geworden, um bei prominenten Verfahren in der Öffentlichkeit Stimmung für Beklagte zu machen. Allzu oft widersteht man nicht der Versuchung, zu laufenden Verfahren Stellung nehmen, sich gar einzumischen oder gar Urteile abzugeben oder die Justiz zu kritisieren. Allzu oft sind sie es, die das Vertrauen in Justiz und Rechtsprechung und auch das Recht untergraben und zum Spielball von Politik und Medien machen.

Und auf einem dritten Blatt steht die Politik, die mit ihren Gesetzen das Feld für die Stimmung im Land aufbereitet, die jetzt Sorgen macht. Zu oft macht man es sich zu einfach und lagert die Verantwortung einfach aus auf Richter oder auch Beamte in Verwaltungsverfahren, weil man sich um die oft nötige Klarheit drückt.

Das Resultat finden immer mehr Menschen in diesem Land bedrückend. "Justitia", die Göttin der Gerechtigkeit, wird meist mit Augenbinde dargestellt, die die Unparteilichkeit des Rechts symbolisieren soll. In Österreich ist das gerade dabei anders interpretiert zu werden -als Blindheit vor der Realität.

Und das sollte nicht sein.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Oktober 2025

Freitag, 10. Oktober 2025

Leben in der Kuckucksuhr

Ganz Österreich wartet auf den großen Schub. Nicht erst seit Wochen oder Monaten, sondern seit Jahren. Die Politik bringt ihn nicht zusammen, weil die Politiker nichts zusammenbringen. Jedenfalls nicht das, was das Land braucht. Und auch die Wirtschaft bringt ihn nicht zusammen. Weil die Politik nichts zusammenbringt. Und auch, weil es an Grundsätzlichem fehlt. An Freude an Selbstständigkeit, am Gestalten. Daran, Verantwortung zu übernehmen. Darauf, etwas aufzubauen. Darauf, sich nicht auf andere und den Staat zu verlassen, sondern auf die eigenen Fähigkeiten. Daran, dass man sich etwas zutraut und daran, dass man sein Schicksal selbst in die Hände nehmen will. Kurzum -es fehlt immer öfter an dem, was man unter Unternehmergeist versteht. Der sei abhandengekommen, meinten erst kürzlich Ökonomen, Manager und Investoren, die sich vorgenommen haben, dem nicht mehr zuzuschauen. Sie wollen das Unternehmertum, sagen sie, "in der DNA verankern", in der Kultur des Landes ist damit gemeint.

Das könnte schwierig werden. Aber das weiß man längst in diesem Land, in dem gerade alles schwierig zu sein scheint. Unternehmer zu werden, gilt hierzulande alles andere als attraktiv. Nur magere 5,4 Prozent jener Österreicherinnen und Österreicher zwischen 18 und 64 Jahren, die bisher nicht unternehmerisch tätig waren, denken daran, in den nächsten drei Jahren ein Unternehmen zu gründen. Auch wenn sie im Job als durchaus ehrgeizig und ambitioniert gelten, wie ihnen Umfragen immer wieder bescheinigen. Geringer ist die Lust, sich selbstständig zu machen, nur in Polen. Und sie ist vor allem bei Start-ups weit entfernt von Ländern wie den Niederlanden und sogar Großbritannien. Dagegen wirkt Österreich eher, als liege es in Agonie.

Dabei spielen Jungunternehmen eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, das gesamtwirtschaftliche Potenzial der Volkswirtschaft zu fördern. Würde Österreich bei der Dynamik der Unternehmensgründungen zu den Niederlanden aufschließen, könnte das bis zu 26.000 Arbeitsplätze und ein Plus von zwölf Milliarden Euro beim Bruttoinlandsprodukt bringen, hat Eco Austria errechnet.

Aber damit schaut es nicht wirklich gut aus. Viele aus der Generation Z und viele Millennials haben zwar zu tun, ihre Lebenshaltungskosten zu decken, sind aber weit davon entfernt, eine Führungsposition anzustreben oder gar ein Unternehmen zu gründen. Das will man sich dann doch nicht antun. Was nicht wunder nimmt, wenn man von der Einstellung hört, die in den Köpfen der jungen Leute dominiert. Man hält schlicht nur wenig von Unternehmen und gesteht ihnen keinen positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu. Und damit nicht genug. Wenn stimmt, was die Agenda Austria ermittelte, weiß man auch gar nicht viel davon. "Die Wissenslücken in Sachen Wirtschaft sind groß", heißt es dort. Sehr groß offenbar. Beispiele gefällig? 60 Prozent halten den Staat für zuständig zu entscheiden, was im-und exportiert wird. Ebenso viele meinen die Inflation stärke die Kaufkraft und mehr als die Hälfte, dass höhere Zinsen die Staatsschulden senken würden.

Das ist starker Tobak. Und wohl eine Folge dessen, woran unsere Gesellschaft schon lange leidet. Man lebt lieber in der Kuckucksuhr. Man befasst sich gar nicht mehr damit, Verantwortung zu übernehmen, sondern hält es mehr mit der Vollkaskomentalität und lässt machen.

Dabei sind die offiziellen Zahlen gar nicht so schlecht, wie man meinen könnte. Dass es 2024 mit mehr als 36.000 gewerblichen Neugründungen einen neuen Rekord gegeben hat, klingt auch besser, als es ist. Weil davon auszugehen ist, dass mehr als 50 Prozent der Neugründungen nach fünf Jahren nicht mehr aktiv oder insolvent sind, wie die Statistik Austria einmal erhoben hat, schaut das Bild gleich nicht mehr so gut aus.

Man scheitert, woran in Österreich so viele scheitern -vor allem an der Bürokratie und an Regulierungen bei der Gründung, an Kapitalvorschriften, aber auch am nötigen Wissen. Schlechte Geschäftsplanung, Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen gelten als die wichtigsten Gründe dafür, dass über vielen jungen Unternehmungen bald der Pleitegeier kreist.

Die Hoffnung sollte man freilich nicht aufgeben. In den vergangenen Jahren wurden einige Initiativen auf den Weg gebracht. Es ist gut, dass sie das wurden. Aber wirklich gegriffen haben sie noch nicht. Nur das aber wäre das, was zählt. Leider.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. Oktober 2025

Donnerstag, 2. Oktober 2025

Und wir klatschen begeistert dazu

Es gibt ja allerhand "Washings", um etwas sauber zu waschen, was nicht so sauber ist. Green-Washing ist wohl am populärsten. Es geht dabei darum, etwas zu schönen und sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen, um Image und Eindruck zu machen. Auch Health-Washing ist, wiewohl nicht ganz so bekannt, allgegenwärtig. Da werden Produkte als gesund und natürlich dargestellt obwohl sie es eigentlich kaum sind und ihre Wirkung nicht wirklich bewiesen werden kann. Dann kennt man natürlich das White-Washing, die eigentlich ursprüngliche Form und Bedeutung von Washing - da werden gerne kritische Aspekte und Dinge, die das Bild trüben könnten, einfach unter den Tisch fallen gelassen oder wortreich beschönigt, um das Image fleckenlos erscheinen zu lassen.

Und es gibt auch das Sport-Washing. In den vergangenen zwei Wochen erlebte die Welt ein besonders eindrückliches Beispiel dieser Methode, um mit großen Sportereignissen oder teuren Sponsorings von politischen Problemen, unethischem Verhalten oder gar Menschenrechtsverletzungen abzulenken und das schlechte Image aufzumöbeln. Ruanda richtete als erstes afrikanisches Land die Rad-Weltmeisterschaft aus. Aus Kalkül, wie man annehmen darf. Denn dort trifft das alles zu. Das Land wird mit harter Hand regiert. Man pflegt gute Beziehungen zu Russland und China. Und Großbritannien und die USA machte man sich zum Freund, weil man sich anbot, Migranten aufzunehmen. Und jetzt diente eben die Rad-WM als Vehikel, die Position weiter zu festigen.

Widerstand und Kritik waren überschaubar, das internationale Echo gewünscht groß. Die Welt ist inzwischen so etwas gewöhnt. Sport-Washing funktioniert besser als jedes andere Washing. Schon Adolf Hitler wusste das, als er 1936 zu den Olympischen Spielen nach Berlin lud. Putin, damals noch hofiert von ganz Österreich inklusive Karl Schranz, wusste es, als er Russland zum Gastgeber der Spiele in Sotchi machte. Und der chinesischen Führung gelang es gar innerhalb weniger Jahr sowohl die Sommer-als auch die Winterspiele zu beherbergen.

Für die Sportler und ihre Funktionäre heißt es meist Augen zu und durch. Der durchschnittliche Fan denkt sich nicht viel dabei. Wir klatschen begeistert Beifall. Und rechtfertigen damit die Strategie -zumindest aus der Sicht derer, die darauf setzen. Und am Ende bleibt immer der Glanz für die Veranstalter.

Sogar für die Scheichs in Katar, für deren Fußball-WM tausende Bau-Arbeiter ihr Leben lassen mussten. "Sie sind gestorben wie die Sklaven beim Bau der Pyramiden" schrieben Kritiker bitter, ohne Wirkung. Und seit Neymar, Ronaldo oder Benzema dem Ruf Saudi-Arabiens, dort zu kicken, nachgaben und die Formel 1 dort ihre Runden dreht, ist keine Rede mehr von der dunklen Seites des dortigen Regimes, von der strengen Justiz mit ihren archaischen Strafen oder gar von der Todesstrafe, die dort, wie übrigens in vielen anderen Ländern auch, die auf Sportwashing setzen, gang und gäbe ist und öffentlich zelebriert wird. Man bewundert die Projekte des Wüstenstaates, macht Geschäfte ohne Wenn und Aber und Reisen nach Saudi-Arabien gelten arglos als der letzte Schrei. Ein Muss für viele.

All die Millionen und Milliarden, die man da hineinsteckte, haben sich bezahlt gemacht. Und schon hat man die nächsten Ziele im Visier. Längst sind Staaten wie Saudi-Arabien dick im internationalen Sportgeschäft, Ölstaaten kaufen ganze Fußballklubs in Europa um mitzumischen, im Rennsport hat man die Finger drin, im Golf und im Tennis.

Sponsoring kennt man seit Jahrzehnten. Damit ist man vertraut. Was ist anders, wenn Staaten auftreten, fragt man. Die Grenze ist tatsächlich fließend. Geht es beim Sponsoring um Erhöhung der Verkaufszahlen und Marketing, steht beim Sport-Washing das Ziel im Vordergrund, mit Großveranstaltungen das angekratzte Image von Staaten und Regierung aufzupolieren. Das sollte man nicht vergessen.

Nicht ohne Grund wählen meist Diktatoren und Despoten diese Methode. So wie jetzt Ruanda. Und dort denkt man offenbar auch schon weiter. Was die Saudis können und die Scheichs am Golf, gefällt auch dort offenbar. In den vergangenen Jahren gelang es, den FC Bayern München, Arsenal und Paris Saint-Germain für Trikotwerbung zu gewinnen. Damit ist es seit einigen Wochen bei den Bayern zwar vorbei, den Fuß aber hat man in München dennoch in der Tür - die Bayern wollen sich weiter um die Talenteförderung im schwarzafrikanischen Land annehmen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. Oktober 2025

Donnerstag, 25. September 2025

Nachhaltigkeit mit der Schubraupe

Wo sind die Zeiten geblieben? Früher wurde, zumal dann, wenn das nötige Geld vorhanden war, für Jahrzehnte gebaut, wenn nicht für Jahrhunderte. Massiv musste es sein, aushalten musste es etwas und langlebig musste es sein - kurzum das, was man heute gerne nachhaltig nennt. Freilich, heute hat man dafür außer großen Worten oft nicht sehr viel übrig dafür. Und die Worte können sehr groß sein, wie man weiß. Vor allem dann, wenn neue Bauwerke eröffnet oder in Betrieb genommen werden. "Wir übernehmen Verantwortung auf dem Weg nach morgen", heißt es da gerne, oder "Wir denken heute an morgen".

Viele reden so. Besonders gerne aber die Supermarktketten, die sich, man weiß es, meist nicht genug selbst loben können -gerade auch, wenn sie wieder irgendwo eine neue Filiale eröffnen. Draußen vor der Stadt beim Kreisverkehr, mit großen Parkflächen und oft auf dem brachem Land. Oder weil sie den Standort erneuert haben. Im Klartext bedeutet das oft nichts anderes, als dass innerhalb weniger Monate der alte Markt, der vor vielleicht gerade einmal zwanzig Jahren errichtet wurde, mit der Schubraupe mir nix, dir nix kurzerhand weggeschoben wurde, um innerhalb weniger Wochen einen neuen Markt hinzustellen. Die Presseaussendung des Händlers lobt dann das neue Bauwerk, diese Nachhaltigkeit mit der Schubraupe, wie man sie versteht, dennoch unverdrossen als "Vorzeigeprojekt in Sachen Nachhaltigkeit".

Man sieht das immer wieder. Und man wundert sich immer wieder. Und man fragt sich, wie man dazu kommt. Und man fragt sich nicht nur bei Supermarktketten, sondern auch bei Möbelhäusern, bei Geschäftszentren und ähnlichen seinerzeit schnell und billig hingestellten Bauten, die nichts wert sind und bald im Weg stehen und plötzlich wieder weg sind. Oft bleibt nicht mehr als ein Haufen Schutt.

In Linz etwa steht vor der Stadt seit mittlerweile mehr als zehn Jahren ein komplettes und riesiges Einkaufszentrum leer und wird nur rudimentär genutzt. Aber in Linz steht auch ein Rathaus, das in den 1980ern gebaut wurde und über dessen Abriss nun ernsthaft diskutiert wird. Detail am Rande -der dortige Bürgermeister residierte nie in dem Bau direkt an der Donau, sondern immer im traditionsreichen alten Rathaus auf dem Linzer Hauptplatz, dessen Wurzeln in das 17. Jahrhundert zurückgehen.

In nahezu jeder Stadt und in jedem Ort gibt es solche Bauwerke, die schnell und billig errichtet wurden, bei denen Architektur und Qualität nichts zählten, und schon gar nicht das, was man heute Nachhaltigkeit nennt. Selbst Privathäuser, seinerzeit oft noch mit eigener Hand und massiv gebaut, strahlen inzwischen oft eine Billigkeit aus, die signalisiert, als seien sie nur für Jahre, jedenfalls nicht aber für Generationen gebaut.

Für all das mag es Erklärungen geben. Und bei vielen Bauwerken muss man nachgerade froh sein, dass sie so schnell wieder abgerissen werden. Und dennoch bleibt die Frage nach der Nachhaltigkeit, nach dem Verbrauch von Ressourcen und von Böden. Und, um wieder auf die Supermärkte zurückzukommen, nach dem tatsächlichen Fortschritt. Die Parkflächen werden bei solchen Projekten kaum je verringert, und auch die neuen Märkte scheinen nur gebaut zu sein, um im Fall des Falles, wenn es neue Trends verlangen, wieder schnell abgerissen zu werden.

Aber es ist nicht nur das, was einem aufstößt. Es ist vor allem die Chuzpe, mit der man sich in Sachen Nachhaltigkeit wortreich zu Vorreitern erklärt und auch keine Scheu hat, das von anderen zu verlangen, obwohl die eigene Weste alles andere als sauber ist, vor allem nicht so blitzsauber, wie man das gerne hinstellt. Die Lebensmittelwirtschaft und die Bauern wissen ein Lied davon zu singen, was von ihnen alles verlangt wird. Unvergessen der Biolandwirt aus der Nachbarschaft, der am Sonntag bei heftigem Regen und eigentlich unbefahrbarem Acker Biokraut ernten musste - aus Angst, dass er von seiner ach so nachhaltigen und umweltfreundlichen Supermarktkette ausgelistet wird, wenn er für Montag nicht liefert.

Und doch sei, gleichsam zur Ehrenrettung, angeführt, dass das Thema Nachhaltigkeit bei den heimischen Supermarktketten durchaus viel Platz einnimmt und dabei auch viel vorangebracht wird. Keine Ehre aber ist -nicht nur bei ihnen -zu retten, wenn dabei zweierlei Maß angelegt wird.

Und das ist zu oft der Fall. Leider.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. September 2025

Warum Österreich bei Saatgut punktet

Das kleine Österreich feiert auf dem internationalen Saatgutmarkt beeindruckende Erfolge. Jedes fünfte Sojafeld in der EU ist heute mit Sorten aus österreichischer Züchtung bestellt.

Hans Gmeiner 

Linz. Es ist eine dieser Geschichten vom kleinen David gegen den riesigen Goliath. Obwohl vier internationale Konzerne mehr als 60 Prozent des Saatgutweltmarktes in der Hand haben, gelingt es einem Unternehmen aus der im internationalen Vergleich kleinen österreichischen Saatgutwirtschaft, zu einer internationalen Größe zu werden. Und das ausgerechnet bei Soja, einer der weltweit wichtigsten Feldfrüchte. Als vor zwanzig Jahren die Saatgutriesen das Interesse an der Züchtung von gentechnikfreiem Soja verloren, weil das in den Hauptanbauländern wie Brasilien oder den USA nicht mehr gefragt war, witterte man im kleinen Österreich die große Chance. Die gemeinsam von der Saatbau Linz und der Probstdorfer Saatzucht gegründete Saatzucht Donau sicherte das Know-how und baute in der Saatzuchtstation Reichersberg im Innviertel die Züchtung von GVO-freien Sojasorten aus.

20 Jahre später hat man 70 registrierte Sojasorten, ist Marktführer in Europa, und Saatzucht-Donau-Geschäftsführer Johann Birschitzky ist stolz darauf, dass jedes fünfte Sojafeld in der EU heute mit Sorten aus österreichischer Züchtung bestellt wird. Und nicht nur das. GVO-freies Sojasaatgut aus Österreich wird inzwischen auch in Kanada und den USA ausgesät und man verkauft den großen Saatgutkonzernen inzwischen sogar Lizenzen.

Nach einem ähnlichen Muster gelang es der Saatbau Linz, bei Saatmais zu einer Größe zu werden, die inzwischen international Anerkennung findet. „Wir haben einen Markt gefunden, der von den Großen nicht so intensiv bespielt wird“, sagt Josef Aigner, Obmann der bäuerlichen Genossenschaft, die mit mehr als 3300 Mitgliedern, 600 Mitarbeitern und 263 Mill. Euro Umsatz der größte unter den heimischen Saatgutproduzenten ist. „Bei Mais kommen viele große Züchter aus dem Süden und die orientieren sich eher an anderen Klimazonen als den nördlichen, wo unsere Stärken liegen“, sagt Aigner. „Was wir bei unseren klimatischen Verhältnissen züchten, funktioniert hingegen im Wesentlichen in den Anbauregionen rund um die Welt, die auf unseren Breitengraden liegen.“ Das sei auch der Grund für die „schönen Marktanteile“, die man in den vergangenen Jahren in Deutschland, Polen, in Großbritannien und auch in den Niederlanden erreicht habe.

Den Plafond haben die Oberösterreicher damit noch nicht erreicht. Neben Saatmais ist die Saatbau auch mit Saatgut für Getreide, Sonnenblumen und eine Reihe anderer Feldfrüchte und Gräser international im Rennen. 60 Prozent des Umsatzes macht das Unternehmen, das 1000 Sorten aus rund 160 Kulturarten im Angebot hat, inzwischen im Ausland. Derzeit werden mit 17 Tochterunternehmen in Europa, Nordamerika und Asien rund 35 Märkte rund um den Globus bearbeitet. Demnächst soll in Kasachstan, derzeit weltweit der Hotspot schlechthin in Sachen Getreide-, Mais- und Sojaanbau, die nächste Auslandsniederlassung dazukommen.

Alles ist dennoch nicht eitel Wonne. Die Herausforderungen, vor denen die heimische Saatgutwirtschaft steht, zu der insgesamt sieben Unternehmungen gehören, sind groß. Der Klimawandel verlangt neue Antworten der Züchter. Dabei geht es nicht nur um die Sicherung der Erträge, sondern auch um Resistenz gegen Trockenheit und Spätfröste und um Widerstandskraft gegen Schädlinge und Krankheiten. Wie viele andere Wirtschaftszweige auch kämpft man mit der Bürokratie und „unverständlichen Regelungen“ wie etwa der Beizung von Raps. Weil in Österreich keine Beize gegen den Erdfloh zugelassen ist, muss man das Saatgut extra ins Ausland transportieren, um es mit dort zugelassenen Produkten zu beizen. „Der Anbau dieses gebeizten Saatgutes ist dann nach EU-Regelungen in Österreich erlaubt“, sagt man kopfschüttelnd.

Über allen Herausforderungen aber steht die Frage, wie es mit den neuen Züchtungsmethoden, insbesondere mit der Genschere CRISPR/Cas, weitergeht. „Wir stehen im Wettbewerb mit den internationalen Züchtern, wir müssen uns die neuen Techniken anschauen, weil wir nichts versäumen sollten“, sagt Saatbau-Obmann Aigner. „Aber wir sind kritisch, ob das wirklich das bringen wird, was man sich erwartet.“ Mit den neuen Züchtungsmethoden könnte man Zuchtziele wie Stresstoleranz schneller erreichen, sagt Birschitzky. Für beide Vertreter der Saatgutwirtschaft ist ein Verbot der Patentierung jedoch ein Muss. Noch sind viele Fragen offen – auch die, wie man mit den Biobauern umgeht, die die neuen Züchtungsmethoden ablehnen.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 25. September 2025

Donnerstag, 18. September 2025

Man hat ja nur dieses Leben

Oft mag man einfach nicht mehr. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Der erratische Trump, der eiskalte Putin, die Ukraine, die hilflose EU, jetzt auch noch die Drohnen über Polen und Rumänien und das Attentat auf den Trump-Gefolgsmann in den USA. Und zu all dem noch die ganze Israel-Hamas-Gaza-Geschichte. Es prasselt unvermindert über einen herein, jeden Tag, mittlerweile schon seit Jahren. Immer öfter ist inzwischen davon die Rede, dass wir in einer Vorkriegszeit leben. Erst dieser Tage verglich der deutsche Spiegel die heutige Zeit mit jener vor 1939. Manche Parallelen könnten einem Angst machen.

Man mag immer öfter den Fernseher gar nicht mehr einschalten, man mag nichts mehr lesen. Alles wird oft zu viel. Man ist überfordert und mag nicht mehr so viel so Kompliziertes und Komplexes, wie es einem abverlangt wird, verstehen und durchschauen müssen. Und man möchte ab und an die sorglose Leichtigkeit jener haben, denen schon immer egal war, was auf der Welt vorgeht.

Was früher gegolten hat, gilt längst nicht mehr. Alle Muster wurden auf den Kopf gestellt. Auf nichts scheint mehr Verlass zu sein, und wem man vertrauen könnte, weiß man auch nicht mehr so recht. Die Welt ist durcheinander. Schwer durcheinander und die Sorge ist groß, ob sie jemals wieder aus diesem Schlamassel herauskommen wird. Man fragt sich, wie ein Mensch wie Trump in den USA auf den Präsidentensessel kommen konnte, das zweite Mal sogar schon. Man fragt sich, wo die Demokraten sind in den Vereinigten Staaten, dass er gar so halt-und zügellos herrschen kann und ihn niemand zu bremsen vermag. Dort wo man immer so stolz war auf die Demokratie. Man hadert mit der Europäischen Union, die hilflos zwischen den Großmächten hin-und hergeschubst wird, zu nichts aus eigener Kraft fähig, sondern immer auf den Goodwill und das Verständnis anderer angewiesen ist und dabei in der Bedeutungslosigkeit unterzugehen und endgültig zum Spielball der Großmächte zu werden. Politisch und wirtschaftlich.

Immer mehr Menschen kommen nicht mehr zurecht damit. Frustriert und ohne Orientierung versinken viele in eine hilflose Wut. Ohne Zuversicht und ohne Vertrauen in die Zukunft, von der nicht zu sagen ist, wie sie sein könnte. Viele ziehen sich zurück. Untersuchungen zeigen immer wieder, dass immer mehr Menschen bewusst ihren Nachrichtenkonsum einschränken. In Deutschland sollen bereits ein Drittel der Menschen Nachrichten meiden. Ganz bewusst. Die meisten Menschen machen das aus reinem Selbstschutz -und sei's drum, um sich nur ein bisschen wohler zu fühlen. Man will sich die eigene Stimmung davon nicht mehr kaputtmachen lassen und fühlt sich von der Menge der Nachrichten über Kriege und Konflikte erschöpft.

Noch geht es uns gut. Den meisten jedenfalls. Und dennoch haben inzwischen immer mehr Sympathie für die Untergangspropheten der populistischen Parteien, die ohne jede Verantwortung alles daransetzen, die fehlende Zuversicht in Stimmen für sich umzuwandeln, obwohl sie nichts zu bieten haben. Sie sind, wir wissen es, erfolgreich dabei.

Die Aufgeregtheit ist eine große. Zuweilen die Aufregung auch. "Eine Krise passt nicht in unser Selbstverständnis", sagt der Philosoph Konrad Paul Liessmann. "Wir empfinden Unberechenbarkeit nicht mehr als normale Unwägbarkeit des Lebens, die es zu akzeptieren gilt". Er bringt das damit in Zusammenhang, dass wir gewohnt sind, die Welt gefügig zu machen. Wenn das nicht möglich ist, sind viele hilflos. "In einer Krise ist dieses Prinzip außer Kraft gesetzt, das Leben erscheint uns wieder unverfügbar", sagt Liessmann in einem Interview. "Alleine eine Situation, die als unverfügbar erlebt wird, kann den modernen Menschen in eine Krise stürzen."

Und in solchen Situationen befinden sich wohl immer mehr von uns. Man will leben, man hat doch nur dieses eine Leben. Und genau das machen die politischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten schwer und immer schwerer. Und dennoch darf man den Mut und die Zuversicht nicht verlieren. Letztere vor allem. Auch wenn es schwerfällt. In der Geschichte hat es solche Konstellationen immer gegeben.

Das ist unsere Verantwortung. Nicht nur der Gesellschaft gegenüber, auch der Familie und der unmittelbaren Umgebung gegenüber. Denn dort hat man, was man sonst oft so schmerzlich vermisst -Einfluss und Gestaltungsmöglichkeit, die Dinge zum Guten zu lenken. Dort zumindest, wenn auch nur im Rahmen des Möglichen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. September 2025

Donnerstag, 11. September 2025

Herkulische Anforderungen

Im "Sommergespräch" des ORF redet der Bundeskanzler eher beiläufig davon, dass er sich für das kommende Jahr eine Pensionsanpassung unter der Inflationsrate wünscht. Mehr brauchte er nicht. Umgehend brach der Sturm der Entrüstung übers Land. Die Senioren-und Pensionistenverbände wetterten lautstark und mächtig, "Pensionistinnen und Pensionisten dürfen nicht doppelt und dreifach belastet werden". Für den Führer der Opposition war eine Steilvorlage, was da der Kanzler in die innenpolitische Arena geworfen hat. Umgehend nutzte er es für seine Zwecke. "Damit werden genau jene bestraft, die Österreich aufgebaut haben", wusste er sofort den Nerv bei den Betroffenen zu treffen. "Schluss mit dem Verrat an unseren Pensionisten", machte er die Sache zu der seinen.

Und seither fragen sich immer mehr im Land, wie soll denn das jetzt wirklich in Zukunft gehen, in diesem Land mit den klammen Kassen, den großen Budgetlöchern und den trüben Aussichten, wenn nach jedem Vorschlag ein Sturm der Entrüstung losbricht? Die Frage ist, ob wir uns das noch leisten können. Auch wenn viel von der Aufregung, wie sich aktuell bei den Pensionisten zeigt, verständlich sein mag, wir werden wohl nicht umhinkommen, damit zurechtkommen zu müssen -mit weniger Geld aus den öffentlichen Töpfen oder zumindest damit, dass Teuerungsraten nicht automatisch abgegolten werden?

Wir haben in den vergangenen Jahren, und vor allem seit den Corona-Jahren, über unsere Verhältnisse gelebt. Koste es, was es wolle, hieß es. Und wir konnten nicht genug kriegen. Warnungen wollten wir nie hören. Und zu kurz kommen wollten wir schon gar nicht. Wann immer es ging, griffen wir mit zwei Händen zu. Wer das nicht getan hat, wurde zuweilen für dumm und ungeschickt erklärt.

Nun ist nicht mehr zu leugnen, dass uns auf den Kopf fällt, dass wir immer nur gefordert haben und uns nie mit weniger zufrieden geben wollten. Jetzt müssen wir die Suppe auslöffeln. Zurückzufinden ist für uns alle eine herkulische Aufgabe. Auch für die Politik. Neben all den Anforderungen, vor denen sie steht, um den Staat schlanker zu machen, um Geld frei zu machen.

Wir haben uns an so viel gewöhnt und empfinden so viel als selbstverständlich. In vielen Bereichen wurde uns Anspruchsdenken regelrecht anerzogen. Wenn man dir gibt, nimm -wenn man dir nimmt, schrei! Das Wort Selbstverantwortung haben viele längst aus ihrem Wortschatz gestrichen.

Es ist verständlich, dass sich viele schwer tun mit dem, was diskutiert wird. Nicht nur von den Pensionisten ist Verständnis gefordert. Auch im Sozialbereich wird man nicht um Kürzungen umhinkommen, im Gesundheitswesen nicht und auch nicht bei den Bauern und in vielen anderen Bereichen.

Es kommen unangenehme Fragen auf uns zu, die wir in den vergangenen Jahren nie aufkommen haben lassen. Viele davon werden auf die Gerechtigkeit abzielen. Schon jetzt ist in manchen Zeitungen davon zu lesen, dass die Idee, kleine Pensionen abermals stärker anzuheben, "schlichtweg ungerecht" sei. "Blanker Unfug" sei das, seien doch Pensionen keine Sozialleistungen, sondern das Ergebnis jahrelanger Einzahlungen. "Was kann nun jemand mit vierzig oder mehr Beitragsjahren dafür, dass der Staat seine Ausgaben nicht im Griff hat" und man "statt einer echten Pensionsreform nur zum Löcherstopfen" imstande ist, fragt man sich.

Es werden nicht die letzten Fragen dieser Art gewesen sein. Es werden noch mehr kommen. Sehr viel mehr, darf man annehmen. Und unangenehme auch. Von der sozialen Bedürftigkeit bis hin zur Berücksichtigung des Lebenswandels etwa. Denn was hat der eine davon, der schaut, dass er seine finanziellen Siebensachen zusammenhält und gesund zu leben versucht, während der andere alle fünf gerade sein lässt und sich auf den Staat und sein Füllhorn verlässt?

Was da auf uns zukommt, ist vielschichtig und schwierig. Und es wird darum gehen, dass vor allem jene, die wirklich Hilfe und Unterstützung brauchen, nicht mit allen über einen Kamm geschoren werden und büßen müssen dafür, dass die anderen nie genug bekommen haben.

Es werden nicht gleich schlechte Zeiten für uns anbrechen und keine Not. Aber wir müssen lernen, mit kleineren Zuwachsraten und mit weniger auszukommen. "Österreich muss kurzfristig auf ein wenig Wohlstand verzichten, um langfristig seinen Wohlstand behalten zu können", stand dieser Tage in einer Zeitung.

Das könnte eine ganz gute Leitlinie sein.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. September 2025

 

 
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