Österreich hadert in diesen Tagen mit der Justiz und der Rechtsordnung. Zuerst der Freispruch für die zehn jungen Burschen, die sich an einer Zwölfjährigen vergingen. Dann in der Vorwoche das Diversionsurteil für August Wöginger, das von vielen als allzu billig gesehen wird. Und dazwischen Fälle wie jener der zwei Buben in Oberösterreich, die mit der Polizei ungestraft Katz und Maus spielen können, oder wie der Fall "Waltraud". Das ist der Fall jenes ehemaligen Wiener Stundenhotelbetreibers, der zuerst das Geschlecht wechseln wollte, um als Frau um vier Jahre früher in Pension gehen zu können und der es mit eben diesem Vorhaben zuletzt darauf anlegte, in einem Frauengefängnis unterzukommen.
Und dabei begann in dieser Woche erst der größte Prozess, der wohl auch für viel Aufsehen sorgen wird - Rene Benko steht vor Gericht. Und alle, die schon jetzt von Zweifeln geplagt werden, werden wohl ganz genau hinschauen.Die Gazetten sind voll und die Leserbriefspalten, an den Stammtischen und wo immer diskutiert wird, geht es rund. Das Unverständnis ist groß, die Aufregung auch. Viele können nicht nachvollziehen, wie die Justiz zu ihren Urteilen gekommen ist und wundern sich nur mehr, was in Österreich alles möglich ist.
Österreich hat damit ein heikles Thema auf dem Tisch. Ein sehr heikles. Eines, das man nicht haben sollte. Schon gar nicht in einer ohnehin so fragilen gesellschaftlichen Situation wie die, in die man in den vergangenen Jahren hingeraten ist. Daher muss man, auch wenn es als nicht statthaft gilt, über Justiz, Recht und Rechtsordnung reden. Ob man will oder nicht. Man muss darüber reden, damit darüber nicht mehr geredet wird.
Zu viel steht auf dem Spiel. Bei vielen Menschen wachsen die Sorgen um den Rechtsstaat, viele sind dabei, das Vertrauen in diesen zu verlieren. Viele werden damit in die Hände von Populisten und ihren Parteien getrieben, weil sie nicht nachvollziehen können, wie und warum Urteile zustande gekommen sind.
Es geht dabei nicht darum, dem Druck der Straße und populistischen Forderungen nachzugeben und Gesetze anzupassen. Aber es muss darum gehen, den Rechtsstaat, das Recht und die Justiz besser zu erklären. Es muss darum gehen, auch für die breite Bevölkerung und nicht nur für ein paar Spezialisten oder Fachkollegen, Urteile, Bescheide und alles Ähnliche nachvollziehbar zu machen. Die Justiz muss sich besser erklären, denn Recht muss auch verstanden werden. Das Thema ist heikel. Fraglos. Denn zu den Anforderungen gehört nicht nur, dass Recht gerecht ist, sondern wohl auch, dass die Menschen die Rechtsvorschriften verstehen und nachvollziehen können und dass sie nicht überfordert werden.
Das Eis ist freilich dünn, auf dem man sich da bewegen muss. Aber man darf sich nicht davor drücken. Darüber zu reden bedeutet ja nicht automatisch, den Stammtischen oder populistischen Politikern nachzugeben. Vielmehr gilt es Brücken zu bauen und Wege zu finden, die Entscheidungen von Gerichten nachvollziehbar und so wirklich unantastbar zu machen. Auch wenn das vielen als nicht opportun gelten mag. Aber Recht ist auch ein lebendiger Organismus. Und der verlangt Verantwortung.
Auf einem anderen Blatt steht die Rolle von Politikern und Anwälten, die in Verfahren nicht an Schweigepflichten und Ähnliches gebunden sind. Ligitations-PR ist zu einer eigenen Branche geworden, um bei prominenten Verfahren in der Öffentlichkeit Stimmung für Beklagte zu machen. Allzu oft widersteht man nicht der Versuchung, zu laufenden Verfahren Stellung nehmen, sich gar einzumischen oder gar Urteile abzugeben oder die Justiz zu kritisieren. Allzu oft sind sie es, die das Vertrauen in Justiz und Rechtsprechung und auch das Recht untergraben und zum Spielball von Politik und Medien machen.
Und auf einem dritten Blatt steht die Politik, die mit ihren Gesetzen das Feld für die Stimmung im Land aufbereitet, die jetzt Sorgen macht. Zu oft macht man es sich zu einfach und lagert die Verantwortung einfach aus auf Richter oder auch Beamte in Verwaltungsverfahren, weil man sich um die oft nötige Klarheit drückt.
Das Resultat finden immer mehr Menschen in diesem Land bedrückend. "Justitia", die Göttin der Gerechtigkeit, wird meist mit Augenbinde dargestellt, die die Unparteilichkeit des Rechts symbolisieren soll. In Österreich ist das gerade dabei anders interpretiert zu werden -als Blindheit vor der Realität.
Und das sollte nicht sein.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Oktober 2025
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