Montag, 18. März 2024

EU-Entwaldungsverordnung regt Bauern auf

Rinder- und Sojabauern sowie Forstwirtschaft warnen vor Bürokratie und fordern Ausnahmen.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Eigentlich sollte die Entwaldungsverordnung der EU, die 2023 beschlossen wurde und bis Ende dieses Jahres auch in Österreich umgesetzt werden soll, klimaschädliche Waldrodungen in Brasilien und Indonesien bremsen. Es soll sichergestellt werden, dass Soja, Rindfleisch und andere Produkte nicht mehr nach Europa importiert werden dürfen, wenn für deren Erzeugung Wälder gerodet wurden.

Was gut gemeint ist, droht sich für die Land- und Forstwirtschaft in Europa und damit auch Österreich zu einem Bürokratiemonster auszuwachsen, das viel kostet, aber nichts bringt. Die Verordnung verlangt von allen Beteiligten der Wertschöpfungskette nachvollziehbare Angaben über die Produktion inklusive Geodaten, die beweisen, dass für die Ware kein Baum gefällt wurde. Oder es ist im Detail anzugeben, wo das Holz herkommt. Das gilt für Bauern und Waldbesitzer genauso wie für Metzger und Sägewerker, für Pellets-und Mehlerzeuger und reicht zum Einzelhandel.

Die Aufregung ist groß. „In einem Land wie Österreich, wo die Waldfläche und der Holzvorrat kontinuierlich wachsen, kann man das weder erklären noch ist es in der Praxis durchführbar“, sagt Werner Habermann, Geschäftsführer der Arge Rind, Dachorganisation der heimischen Rindererzeuger. „Jeder Bauer müsste bei jedem Einzeltier beim Verkauf nachweisen, dass für die Fütterung kein Baum geschlägert wurde und es vor dem Verkauf in eine EU-Datenbank eingeben.“ Damit nicht genug. „Auf einer Alm, die man in den vergangenen Jahren durch Entfernung von Bäumen vor der Verwaldung schützte, dürfte dann kein Vieh mehr weiden, es könnte nicht verkauft werden.“

Karl Fischer, Obmann des Vereins Soja aus Österreich, sieht eine Gängelung der Sojabauern, die „eindeutig zu weit“ gehe. Europa verteuere die eigene Produktion ohne zusätzlichen Nutzen, zumal Soja aus Brasilien, das auf Flächen erzeugt wird, die vor 2020 gerodet und abgebrannt wurden, von der Verordnung ausgenommen ist und weiter uneingeschränkt nach Europa geliefert werden könne.

Auch in der Wald- und Holzwirtschaft läuft man gegen die Verordnung Sturm. Selbst von Kleinwaldbesitzern werden künftig für jeden Baum, den sie schlägern, Geodaten und der gleiche Bürokratieaufwand wie von der Forstindustrie verlangt. „Da kann man wirklich nur den Kopf schütteln, schließlich ist bei uns der Wald ohnehin bereits einer der strengst kontrollierten Bereiche mit mehreren Zertifizierungsebenen vor allem in Sachen Nachhaltigkeit“, sagt Rudolf Ortner, Holzindustrieller in Oberösterreich. Allein in seinem Betrieb müsste er zwei Vollzeitmitarbeiter abstellen, die sich nur um Geodaten und Parzellennummern kümmern, die für den Herkunftsnachweis nötig sind.

Alle Beteiligten hoffen nun, dass es doch noch gelingt, der Entwaldungsverordnung den Schrecken zu nehmen. Für Habermann passt nicht zusammen, dass die EU immer vom Bürokratieabbau redet, gleichzeitig aber so etwas wie die Entwaldungsverordnung umsetzen will. „Unsere Forderung ist klar, es muss gelingen, dass Länder wie Österreich, die einen Waldzuwachs nachweisen können, von der Verordnung ausgenommen werden.“

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 18. März 2024

Donnerstag, 14. März 2024

Der falsche Feind

Der Fortschritt ist nicht gut angesehen in unserer Gesellschaft. Eine regelrechte Fortschrittsfeindlichkeit hat sich breitgemacht und eingenistet in vielen Köpfen. Viele sehnen sich zurück nach den alten Zeiten, die vielen als gut gelten, und man verdrängt dabei, dass sie meistens alles andere als gut waren, und zumeist richtig schlecht. Schon gar wenn es um die täglichen Dinge geht, um die persönlichen Verhältnisse, um die Gesundheit, um die Ernährung auch und die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Da ist noch gar nicht die Rede von den sozialen und den politischen Verhältnissen und von den Lebensumständen insgesamt. Nicht einmal übersichtlicher war es in den Zeiten, die so gerne als die guten alten Zeiten beschworen und verklärt werden. Und gar nicht zu reden davon, dass inzwischen viele daraus ein Geschäftsmodell gemacht haben. In der Wirtschaft und in der Politik vor allem.

Zuweilen scheint es, als hätte die Gesellschaft die Orientierung verloren, wenn es um die Entwicklung geht und um die Notwendigkeiten. Da geht der Blick selten über den Tellerrand hinaus und ist bestimmt vor allem von eigenen Interessen und der eigenen Situation. Das sei jedem Einzelnen unbenommen, das darf aber keine Entschuldigung dafür sein, im Großen die Dinge nicht voranzutreiben. Für die Menschen, aber auch für die Umwelt. Denn was der Fortschritt erreicht, kann immer wieder erstaunen. Und es passt oft überhaupt nicht zu dem, wie darüber gedacht und diskutiert wird.

Der Fortschritt ist oft kaum zu merken, im Ergebnis ist ihm aber oft nachgerade ein Wunder eigen, über das man nicht genug staunen kann - in der Lebenserwartung, in der Medizin, in der Landwirtschaft und in vielen anderen Bereichen.

"1960 ernährte die Landwirtschaft ca. drei Milliarden Menschen, 2020 waren es nicht ganz acht Milliarden Menschen", war dieser Tage auf X (vormals Twitter) zu lesen. "In derselben Zeit wurden weltweit die Produktionsflächen von 4,4 Mrd. auf 4,7 Mrd. Hektar ausgedehnt." Nachsatz: "In Europa nahmen die Flächen deutlich ab, dagegen gab es Zunahmen in Südamerika und Afrika." Jetzt kann man freilich sehr viele Argumente und auch viel Kritik an der Landwirtschaft einbringen -über die ungleiche Verteilung, die Ausbeutung auch bis hin zu Lebensmittelverschwendung und zur Umweltbelastung, und man kann anführen, dass zuletzt der Welthunger wieder zu einem größeren Problem geworden ist. Was bleibt, ist dennoch mehr als erstaunlich. Heute ernährt die Landwirtschaft, die sich so viel Kritik gefallen lassen muss und die für viele, vor allem in Europa, ein rotes Tuch ist, von der im Großen und Ganzen gleich gebliebenen Fläche fast drei Mal so viele Menschen wie vor sechzig Jahren.

Und was auch bleibt, ist die Frage, was mit den Milliarden Menschen geworden wäre, wenn es diesen Fortschritt in der Landwirtschaft, der so vielen als des Teufels gilt, nicht gegeben hätte? Man mag gar nicht nachdenken darüber.

Und man mag auch gar nicht nachdenken darüber, was es bedeutet, dass just in Europa die Flächen in dieser Zeit zurückgingen. Denn das passt zum verqueren Verhältnis zum Fortschritt, das sich bis hin zu einer regelrechten Fortschrittsfeindlichkeit entwickelte, die auf dem alten Kontinent in den vergangenen Jahrzehnten zur Kultur geworden ist. Das passt freilich auch dazu, wie sich Europa von internationalen Entwicklungen abschottet, sich aus der Verantwortung stiehlt und für sich arbeiten lässt.

In der Landwirtschaft, die man in der eigenen Umgebung mit Auflagen und Vorschriften knebelt, wobei man gleichzeitig keine Hemmungen hat, aus anderen Weltregionen zu importieren, wo all die Auflagen nicht gelten, ist das besonders augenscheinlich.

Der Fortschritt in dieser Sparte, die oft so angefeindet wird, ist nur ein Beispiel. In vielen anderen Bereichen ist es freilich nicht anders. Es ist angesehen, den Fortschritt zu knebeln. Die Gefahren, die damit verbunden sind, nimmt man in Kauf. Mit einer sturen Haltung, die sich allem verschließt. Dabei sind intelligente Lösungen mehr denn je gefragt. Es ist hoch an der Zeit, die Wege dafür freizumachen -und auch, den Aufwand dafür auf sich zu nehmen. Offen und in geordneten Bahnen freilich. Um nicht Feind der eigenen Zukunft zu werden. Nicht nur der eigenen, das vor allem.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. März 2024

Donnerstag, 7. März 2024

Aus der Zeit gekickt

Der Wirbel nach dem letzten Derby der Wiener Austria gegen Rapid war beträchtlich. Homophobe Gesänge, Beschimpfungen, Gegröle, Triumphgeheul aus der untersten Schublade. Völlig enthemmt meinten vom Sportdirektor, über Nationalspieler und andere Stars bis hinunter zum Co-Trainer einige Rapidler den Sieg über den Stadtrivalen feiern zu müssen. Völlig losgelöst und ohne Boden. "Österreichs primitivstes Stadiongeheul" nannte es die "Presse". "Der Derbysieg wurde zur Rapid-Blamage", war anderswo zu lesen. Zu einer Blamage, die mit einem Mal weit über das Stadion-Rund hinausging und für Empörung und Entsetzen sorgte.

"Die Inhalte der Videos stehen in keinerlei Einklang mit den Werten, für die der Fußball insgesamt und die österreichische Bundesliga im Speziellen steht", gab sich Rapid in einer Stellungnahme zu den Entgleisungen kleinlaut. Das mag ja stimmen, zumindest wenn man sehr guten Willens ist, das zu glauben. Die Realität aber ist wohl eine andere. Es ist eine Realität, vor der man oft die Augen zumacht, eine Realität, in der noch gelebt und in der über vieles hinweggesehen wird, was überall längst nicht mehr akzeptiert wird, was anderswo längst ist, was man NoGo nennt, und was oft sehr zu Recht gar nicht mehr erlaubt ist. Dazu sorgen Hooligans immer wieder für Schlagzeilen und Skandale und ihre martialischen Rituale für Staunen.

Im Sport ist es eben anders. Immer noch und immer noch akzeptiert. Als "Part of the Game" im wahrsten Sinn des Wortes. Und trotz aller Bemühungen, Abkommen und Vereinbarungen, mit denen man negativen Entwicklungen entgegenwirken möchte. Sport ist ein Reservat, in dem noch vieles von dem gilt und Realität ist, was man längst schon überwunden glaubte. Die Umgangsformen sind rau und grob, der Ton und die Einstellungen der Menschen, die sichtbar werden, zuweilen zum Erbarmen und zum Erschrecken. Als ob die Zeit stehenglieben wäre, werden schier alle Ausrutscher oft nachgerade verklärt und kleingeredet und Werte zelebriert, die man längst und aus guten Gründen auf den Müllhalden der Geschichte wähnte. Eine Welt voll von Machos und Ehrgeizlingen, die keine Grenzen kennen.

Eine Welt ohne Bremsen. "Archaisch" nennt man das gerne. Ganz oben genauso wie ganz unten. Im Stadion in Wien genauso wie am Fußballplatz draußen vor dem Dorf, wo es nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch auf den Zuschauerrängen rau zugeht. Selbst bei Matches von Kindern gibt es da oft kein Halten. "Rote Karte für rabiate Fußballfans", berichteten etwa vor einigen Jahren die OÖ Nachrichten von den Zuständen abseits von Kameras und Mikrofonen. Zwei Spieler-Mütter seien aufeinander losgegangen und hätten ihre Söhne gegeneinander aufgehetzt, hieß es da. Und anderswo hätten Mütter und Väter den Platz gestürmt und Funktionären und Linienrichtern Prügel angedroht.

Der Sport sei ja kein Mädchenpensionat, heißt es dann gerne achselzuckend, und man bringt die Emotionen ins Spiel, die damit verbunden seien. Da schalte halt schon einmal das Hirn aus, heißt es dann. Man bewegt sich im Grenzbereich. Eskalationen sind programmiert. Und einkalkuliert.

Fragen, wie sie sich nach dem Wiener Derby stellen, drängen sich auch anderswo auf. So kam im vergangenen Herbst aus dem Block der Hardcore-Fans des Linzer Clubs LASK bei den Heimspielen in den ersten 19.08 Minuten (1908 ist das Gründungsjahr des LASK) kein Laut. Nur Stille und Schweigen. Der Grund dafür passt irgendwie zu dem, was in Wien jetzt so großes Thema ist - man protestierte damit gegen die rosa-farbenen Trikots der Linzer, die der neue Sponsor mit sich brachte.

Diese Farbe des Sponsors sorgte übrigens nicht zum ersten Mal für Aufregung. Schon als der Mondseer Wasseraufbereiter und LASK-Sponsor BWT, der auf die Farbe rosa kam, um aufzufallen, als Teamsponsor in die Formel 1 kam, war die Aufregung beträchtlich. Ein Männer-Sport und die Farbe rosa -das geht für viele nicht zusammen. Immer noch. Und die Gründe dafür sind wohl die nämlichen, für die sich die Rapid-Gröler rechtfertigen müssen.

Darein fügt sich, was wir derzeit rund um den Chef des Formel 1-Teams von Red Bull erleben. Wie er verteidigt wird. Und wie viele rund um ihn die Augen zu machen. Blind vor Euphorie, Begeisterung und falscher Verehrung. Und erblindet für die Realität und für das, was ihm vorgeworfen wird.

Das freilich gilt nicht nur im Fussball und in der Formel 1, sondern auch in vielen anderen Sportarten -die viel zu oft aus einer Welt sind, die man längst untergegangen glaubte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. März 2024 

Donnerstag, 29. Februar 2024

Österreich lässt machen

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine befindet sich nun im dritten Jahr. Für das Land, das seit dem Februar 2022 den Russen standhält, gab es zahllose Solidaritätsbekundungen aus aller Welt. Der "heldenhafte Widerstand" wurde gewürdigt und die Sinnlosigkeit des Krieges beschworen. Das ist alles schön und gut, aber man weiß, dass die Ukraine anderes will und braucht. Gerade jetzt, gerade in diesen Wochen und Monaten, wo sich die Lage zu wenden droht.

Das alles spiegelt freilich die Stimmung und die Zurückhaltung wider, die sich im vergangenen Jahr breitgemacht haben. Die Unterstützung bröckelt, die tatsächlich gelebte Solidarität, die sich in konkreter Hilfe äußert für die Ukraine, auch. Man will, so der Eindruck, in Europa genauso wie in den USA den Krieg loswerden. Irgendwie.

Immer öfter und immer unverhohlener wird die Einstellung jeglicher Hilfe und jeglicher Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert. Auch in Österreich. Von SP-Chef Babler etwa gab es zum zweiten Jahrestag des Überfalls Russlands keine klare Stellungnahme zur Unterstützung der Ukraine. Und die Freiheitlichen machen keinen Hehl draus, dass sie die Unterstützung für die Ukraine lieber heute als morgen einstellen würden. Dass man damit Putin in die Hände spielt, blendet man aus oder nimmt es in Kauf.

Vor kurzem hat der Chefstratege des Bundesheeres in einem Interview gemeint, dass den Österreicherinnen und Österreichern durch die Neutralität der Sinn dafür verloren gegangen ist, was auf der Welt los ist. Die vergangenen Wochen und Monate scheinen diese Einschätzung auf Punkt und Beistrich zu bestätigen.

Ausblenden, wegschauen, wegdrücken, ducken, aussitzen, wohin man schaut. Auch in Sachen Ukraine bleibt sich Österreich treu. Man bleibt auf den Zuschauerrängen, man hat allerlei Erklärungen und man vermeidet jede Konsequenz. Nicht einmal zum Minenräumen will man Fachkräfte in die Ukraine schicken. Man könnte sich ja etwas vertun. Es ist mit der Ukraine und dem Umgang mit diesem Thema wie mit allen Themen, die mehr verlangen als billige Ränkespiele, mit denen man durch den Tag kommt. Österreich bleibt auch da Österreich. Da versteckt man sich allemal lieber hinter der Neutralität, setzt darauf, dass man von NATO-Staaten umgeben ist, und darauf, dass andere EU-Staaten bereit sind zu helfen.

Dazu passt das Ergebnis einer Umfrage, die vor wenigen Tagen für Aufmerksamkeit sorgte. "Nur jeder dritte Österreicher wäre bereit, sein Land zu verteidigen", vermeldeten die Zeitungen. Das ist nicht wirklich viel angesichts einer Gefahrenlage, die es seit dem Zweiten Weltkrieg für Österreich noch nie gegeben hat.

Aber nicht nur das. Auch sonst zeigt man sich hierzulande eher reserviert gegenüber dem, was in der Ukraine passiert. Hierzulande lehnen 42 Prozent die Fortführung der Hilfeleistungen für die Ukraine "eher" oder sogar "dezidiert" ab, und gut ein Drittel hält für falsch, dass sich Österreich an den Sanktionen gegen Russland beteiligt. Nur knapp mehr als die Hälfte der Befragten sind der Ansicht, dass der russische Angriff durch nichts zu rechtfertigen sei, aber jeder Vierte hängt der Erzählung an, dass die NATO den russischen Angriffskrieg provoziert habe.

Da bleibt oft kaum mehr als Zweckoptimismus, auch wenn der mitunter nachgerade skurill daherkommt. Etwa, wenn der Militärkommandant von Oberösterreich die Bereitschaft von nur einem Drittel der Bevölkerung, das Land zu verteidigen, als eine "in der derzeitigen Situation gute Nachricht" bezeichnet, im nächsten Satz aber darauf hinweist, dass "uns ein möglicher Gegner nach unserem Wehrwillen einschätzt" und uns nur in Ruhe lassen werde, wenn der Selbstbehauptungswille hoch sei. Aber so ist Österreich. So ist man in Österreich.

Auch wenn die Umfragen das nicht so deutlich zeigen -nicht wenige schütteln nur mehr den Kopf. Selbst Beobachter, die seinerzeit den Zivildienst absolvierten, mögen nicht mehr zuschauen, wie das Land jedes internationale Renommee verspielt, die Augen verschließt und sich aus jeder Verantwortung drückt. "Wir werden außenund verteidigungspolitisch nirgendwo mehr ernst genommen, wir sind opportunistische Strizzis", klagen dann selbst solche Leute und suchen Zuflucht im Zynismus. "Wir sind am Ende, da werden auch die Pandur-Panzer nicht viel helfen." Nachsatz: "Da muss man eher befürchten, dass wieder ein großer Beschaffungsskandal herauskommt."

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. Februar 2024

Dienstag, 27. Februar 2024

„Der Bauer ist kein Spielzeug“

„Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut, bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut“ reimte Adelbert von Chamisso vor bald 200 Jahren in seiner Ballade „Das Riesenspielzeug“ über ein „Riesen-Fräulein“, das in ihr Tuch einpackt, was sie da sieht und es ihrem Vater präsentiert. „Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön“ schwärmt sie und zeigt ihm was sie auf den Feldern gefunden hat. Der Vater freilich war alles andere als erfreut. „Der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn!“ fuhr er sie an und befahl ihre alles zurückzubringen.

Diese Ballade mag und mag ihren Sinn nicht verlieren. Versuchung ist für viele immer noch riesengroß, die Landwirtschaft als Spielwiese zu sehen und die Bauern als Spielzeug - für ihre ökonomischen Interessen und natürlich auch für ihre politischen Interessen.

Für beides erlebte die heimische Landwirtschaft in den vergangenen Wochen - wieder einmal -eindrückliche Beispiele. Da ist zunächst die jüngste Volte des Handels, die für Ärger bei den Bauern und für Proteste sorgte. Die heimische Putenmäster, die sich schon vor Jahren darauf einigten, deutlich höhere Tierwohlstandards als im Ausland einzuhalten, mussten wieder einmal zur Kenntnis nehmen, dass das dem Handel herzlich egal ist. Dort hat man keine Scheu Billig-Putenfleisch aus ausländischer Qual-Mast in die Regale zu legen, um gute Geschäfte zu machen.

So weit so schlecht. Und auch so wenig überraschend, weil es immer wieder vorkommt.

Eine neue Dimension aber, die Landwirtschaft als Spielzeug und Spielweise für eigene Interessen zu nutzen, brachte der burgenländische Landeshauptmann ins Land. Da war zunächst einmal die Geschichte mit den Übergangsfristen für die Spaltenböden in der Schweinehaltung, die just er vor den Verfassungsgerichtshof brachte und mit der er die ohnehin geplagte Schweinbranche noch mehr unter Druck brachte, als sie ohnehin schon war. Aus Tierwohlgründen alleine wird das wohl nicht gewesen sein, auch wenn er das noch so oft behaupten mag, noch dazu wo die Schweinehaltung im Burgenland kaum Bedeutung hat. Ganz abgesehen davon, ob das, wenn er es schon deswegen für notwendig hielt, überhaupt zu seinen Aufgaben gehört.

Aber das alleine war dem burgenländischen Landeschef nicht genug. Erst vor wenigen Tagen ließ er mit der Ankündigung aufhorchen, im Burgenland eine eigene Landes-Molkerei zu planen. Fixe Absatzmöglichkeiten soll sie den Bauern bieten und Preisstabilität dazu. Die Verwunderung war groß. Die Häme auch. Das Land als Molkerei-Betreiber? Da braucht er nur in die Staaten östlich seines Landes zu schauen – dort hat man schon vor geraumer Zeit erleben müssen, wie solche Vorhaben ausgehen. Ganz abgesehen davon, dass sich die wenigen burgenländischen Milchbauern bei ihren Molkereien dem Vernehmen nach ohnehin gut aufgehoben fühlen und keinen Sinn in solchen Plänen sehen. 

Um es auf den Punkt zu bringen – all das ist nichts denn eine Zumutung. Eine dreiste noch dazu. Denn, wie hieß es schon in der Ballade vom Riesen-Fräulein? „Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!“

Gmeiner meint - Blick ins Land 27. Februar 2024


Donnerstag, 22. Februar 2024

Die Bürokratie und wir

Für die Bauern ist die Bürokratie eine der größten Plagen, die Lehrer jammern und die Wirtschaft kämpft vehement gegen das Lieferkettengesetz, während das nächste Paragrafen-Monstrum, die Entwaldungs-Verordnung, bereits ihre Schatten vorauswirft. Die wuchernde Bürokratie ist längst zu einer Volksplage geworden, zu einer regelrechten Landseuche. Man ergeht sich in Verwunderung und Verärgerung. Man wird nicht müde, skurrile Beispiele zu zitieren und auch nicht von der Politik Bekämpfungsmaßnahmen zu verlangen. Der Erfolg ist bescheiden, der Kampf gegen die wuchernde Bürokratie ist zur politischen Folklore geworden. Er fehlt in keinem Wahlprogramm und auch in keinem Regierungsprogramm. Ohne große Konsequenzen. Auch an dieser Stelle sind die Bürokratie und ihre Auswüchse immer wieder Thema, wurde schon oft darüber geschrieben und gelästert.

Bürokratie ist oft nichts denn ein Machtinstrument und oft nichts denn Schikane. Aber es gibt rund um die wuchernde Bürokratie auch eine andere Seite. Zumindest in sehr vielen Bereichen. Die freilich spielt bei all den Klagen kaum eine Rolle -all der Vorschriftenwust, in dem wir uns gefangen fühlen, an dem wir zu ersticken drohen und der so oft nichts denn kontraproduktiv ist, hat auch mit uns selbst zu tun. Mit Entwicklungen in der Gesellschaft, die zum einen nachvollziehbar und verständlich sind, die zum anderen aber auch zu denken geben sollten. Denn die wachsende Bürokratie hat auch sehr viel damit zu tun, dass es kaum mehr Handschlagqualität gibt, dass man sich auf nichts mehr verlassen will und kann, und dass man sich immer in der Gefahr sieht, hereingelegt, übervorteilt und schlicht angelogen zu werden. Es hat damit zu tun, dass Transparenz und Nachvollziehbarkeit heute eine hohe Bedeutung haben, dass man Gerechtigkeit und Klarheit will -und auch, dass man sich nichts mehr gefallen lassen will. Und es hat auch ganz viel damit zu tun, dass Eigenverantwortung heute nur mehr ganz kleingeschrieben wird und für viele ein Fremdwort ist, und deswegen jede Eventualität ausgeschlossen werden muss.

Aber es ist nicht alleine das. Dass heute Gesetze und andere Vorschriften kaum mehr mit wenigen Absätzen auskommen, sondern zig Seiten in Anspruch nehmen, ist auch eine Folge davon, dass wir eine Gesellschaft geworden sind, in der es üblich geworden ist, jede Möglichkeit, die sich irgendwie ergibt, bis aufs Letzte auszureizen. Kein Schlupfloch bleibt ungenutzt, keine Möglichkeit, sich einen Vorteil zu verschaffen und etwas für sich herauszuholen.

Da nimmt nicht wunder, dass Gesetzgeber und Unternehmen Heerscharen von Juristen beschäftigen, die in immer komplexeren und komplizierteren Auflagen, Vorschriften und Texten alles daran setzen, möglichst alle Eventualitäten und Haftungen auszuschließen. Und Eventualitäten heißt in solchen Fällen oft auch Tricksereien. Denn auf der anderen Seite ist es kaum anders. Auch dort stehen Heerscharen von Juristen bereit, die genau diese weichen Stellen von Gesetzen, Vorschriften, Verträgen und all dem anderen, was wir als Papierkram und Last empfinden, zu finden versuchen.

Längst ist das in praktisch allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Geschäftsmodell geworden für viele. Nicht nur irgendwo weit weg in der Politik und in der Wirtschaft. Das Muster ist um keinen Deut anders, wenn es bei einem Unfall darum geht, etwas zu finden, mit dem man etwas herausholen könnte oder -umgekehrt -Schadenersatz zu vermeiden. Wenn es darum geht, nach einem Kauf etwas zurückzufordern, weil man die Chance dafür sieht. Oder wenn man dem Nachbarn ans Zeug flicken will, weil der etwas tut, was einem nicht in den Kram passt.

Das alles hat auch damit zu tun, das heute Rechtsschutzversicherungen zum Standard gehören und damit allen Begehrlichkeiten, die man irgendwie durchsetzen will, Tür und Tor geöffnet sind. Kostet ja nichts.

Es ist wie ein permanenter Kampf, dem wir uns alle gerne hingeben und den wir selbst vorantreiben, weil wir so oft das Maß verloren haben. Auch weil wir heute einander grundsätzlich misstrauen. Und auch, weil wir bequem geworden sind. Und vor allem, weil man nicht zu kurz kommen und alle Möglichkeiten ausreizen will.

Daran zu denken, hilft vielleicht beim nächsten Mal, wenn wir an irgendwelchen Vorschriften und Auflagen zu verzweifeln drohen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. Februar 2024

Donnerstag, 15. Februar 2024

"Leistung. Aufstieg. Sicherheit" - Kreisky zum Nachdenken

Es ist, als ob man zuschauen würde. Mehr oder weniger bewusst. Achselzuckend. Man sieht eine Entwicklung, man sieht die Probleme und die Gefahren -aber man tut nicht, was man tun könnte, sollte, müsste. Unvermögen ist oft der Grund dafür, fehlende Möglichkeiten, Desinteresse, Kalkül zuweilen. Meist aber sind es Bequemlichkeit und einfaches Wegschauen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Mit der Ukraine ist es so und mit vielen anderen Themen auch.

Es muss freilich nicht gleich ein Krieg sein und es müssen nicht gleich Gefahren wie die Klimakrise sein. Oft sind es viel einfachere Themen. Themen, die viel weniger komplex und die nicht global sind, sondern die zu lösen und für die Wege zu finden man auch in Österreich selbst in der Hand hätte. Die heimische Industrie und mit ihr die gesamte Wirtschaft sind ein solches Thema. Leidlich geschätzt in der Gesellschaft, oft sogar angefeindet. Da, um zu funktionieren. Mehr nicht und in der vollen Bedeutung kaum begriffen. Schon gar nicht in der Bedeutung, die Wirtschaft und Industrie für den Wohlstand in diesem Land haben. Schon gar nicht in Zeiten wie diesen, in denen die hässliche Seite der Wirtschaft in Form von Signa und Benko für Schlagzeilen sorgt.

Die Wirklichkeit ist eine andere. Und Wirtschaft ist nicht nur Benko und Signa. Gar nicht. Da geht es um sehr viel mehr. Da geht es in der Tat um den Wohlstand von uns allen, da geht es um den Wirtschaftsstandort Österreich. Da geht es um Arbeitsplätze und vieles andere mehr. Und da muss man sich Sorgen machen, weil nichts geschieht, weil niemand eingreifen will. Weil man einfach zuschaut. Das Wort von der "Deindustrialisierung" macht die Runde. "Ich kann nur den Kopf schütteln", sagt KTM-Chef Stefan Pierer, einer der wenigen Wirtschaftsbosse, die frei von der Leber reden und sich kein Blatt vor den Mund nehmen, die keine politischen Rücksichten nehmen und keine zu nehmen brauchen. Die sagen, was gesagt werden muss. Da ist jeder Satz, den er in Interviews sagt, ein Nadelstich. Wie kürzlich mit den "Salzburger Nachrichten": "In Europa hat sich der Glaube an einen Wohlstand ohne Leistung festgesetzt", ist ein solcher Satz. Und auch der gleich darauffolgende: "Und jetzt will man jene, die etwas leisten, noch mehr belasten." Dabei müsste man jene belohnen, die mehr leisten. Dringend nötig aber wäre ein "gesellschaftliches Umdenken", sagt er. "Wir müssen mehr leisten und arbeiten, um unseren Wohlstand zu wahren." Und: "Wir müssen handeln, bevor unsere Sozialsysteme zu bröckeln beginnen." Zu sehen sei nichts davon. Im Gegenteil. "Wir preisen uns aus dem internationalen Wettbewerb hinaus", und man lege sich mit Bürokratie lahm und werde von den Lohnnebenkosten erdrückt.

Die Aussichten der Industrie sind in der Tat eher düster. Die schwache Industriekonjunktur schlage inzwischen auf Dienstleistungsbranchen und den Handel durch und belaste zunehmend den Arbeitsmarkt, sagt das Wifo. Und dass die Wirtschaftslokomotive Deutschland von einer ideologiegetriebenen Ampelregierung lahmgelegt und zum kranken Mann Europa gemacht wurde, macht die Lage gerade in Österreich nicht einfacher.

Österreich muss aufpassen. Was in diesem Land diskutiert wird, macht Sorgen. Noch mehr Sorgen macht, was nicht diskutiert und worüber nicht geredet wird. Jetzt und in den kommenden Monaten erst recht, in denen das Land zuerst im Europa-Wahlkampf und dann im Nationalrats-Wahlkampf unterzugehen droht. Sachlichkeit wird da wohl, man kennt es, kaum eine Rolle spielen. Und auch nicht die wirklich großen Themen, schon gar nicht die Wirtschaftsthemen, die die Basis legen dafür, wie es uns in Zukunft gehen kann und wird.

Die Stimmung im Land ist eine ganz andere. Ungefähr das genaue Gegenteil von der Stimmung, die von dem Mann geschürt wurde, auf den sich jetzt just die zu berufen glauben müssen, die Österreich zum Service-und Nanny-Staat machen wollen und die Gesellschaft als Bankomat verstehen -von Bruno Kreisky. "Leistung. Aufstieg. Sicherheit" plakatierte er in den 1970er Jahren.

Genau das, was Österreich auch heute braucht. Und das ist genau das Gegenteil von Kerns "Hol dir, was dir zusteht" und erst recht von Bablers Vorstellungen, wie das Land vorankommen soll.

So gesehen wäre glatt "ein Schuss Kreisky" zu fordern. Nicht nur für die heimischen Sozialdemokraten und ihr Umfeld, sondern auch für die heimische Wirtschaft und Industrie, ja für das ganze Land.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Februar 2024
 
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