Donnerstag, 21. Juli 2016

Ein Sommer-Albtraum



Für viele Briten war's wie ein böser Traum, als sie am 24. Juni aufwachten und zur Kenntnis nehmen mussten, dass sich die Populisten vom Schlage eines Nigel Farage oder eines Boris Johnson durchgesetzt haben und die Mehrheit ihrer Landsleute für einen Austritt aus der EU stimmte.

Seither ist einem auch in Österreich mulmig. Eine Abstimmung möglicherweise auch in Österreich? Mit einem Mal ist sie ein Thema. Der freiheitliche Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer befeuerte mit Interviews diese Öxit-Fantasien, die von Gruppen wie seiner Partei seit geraumer Zeit geschürt werden und die gar nicht wenige Anhänger haben. Die EU gilt nicht viel in diesem Land. Brüssel gilt hierzulande vielen Menschen als der Sitz des Bösen, der Bürokraten und eines unersättlichen Verwaltungsapparats, der längst jeden Kontakt zum wirklichen Leben verloren hat. In Konstellationen, die Leute wie Strache oder Hofer an Schlüsselpositionen der Macht in Österreich bringen, scheint vor diesem Hintergrund ein Öxit mit einem Mal möglich.

Mit einem Mal wird realistisch, dass auch bei uns durchaus über kurz oder lang Wirklichkeit werden könnte, was nun bereits in Großbritannien Realität ist. Österreich verlässt die EU - möglicherweise, weil sich auch hier viele Menschen von Blendern leiten lassen und weil sich auch in unserem Land viel zu viele in die innere Emigration verabschiedet haben, was die Politik und die Gänge, die sie geht, betrifft.

Österreich mit einem Mal abgekoppelt von einer großen Gemeinschaft? Ohne viel Gewicht und ohne viele Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen? Die kleine Alpenrepublik auf sich selbst zurückgeworfen? Ein kleines Land eingezwängt zwischen Deutschland, Tschechien, Ungarn und Italien? Plötzlich abgeschnitten von wichtigen Märkten, die man sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht zuletzt dank des EU-Beitritts aufbaute? In die man investierte, im Vertrauen darauf, dass sie langfristig Chancen bieten? Die Landwirtschaft, die in wichtigen Sparten wie Milch großteils vom Export lebt, ohne freien Zugang nicht einmal zu Deutschland und Italien? Man mag sich gar nicht vorstellen, welche Opfer so ein Umbruch der Bevölkerung abverlangen würde. Welche Mühsal er wäre, was alles verloren gehen würde, wie lange das dauern würde und was man alles auf sich nehmen müsste. Und das nicht nur, weil man sich für den Italien-Urlaub wieder stundenlang in Thörl-Maglern anstellen müsste oder am Brenner.

Vielen Österreichern läuft es angesichts solcher Aussichten kalt über den Rücken. Sie fürchten um Österreichs Zukunft, um das offene Klima in der Gesellschaft. Sie fürchten die Rückkehr des Kleingeistes und der Beschränkung, ausgeliefert möglicherweise Leuten, denen der Blick bis zum Tellerrand schon zu weit ist, geschweige denn der darüber hinaus. Sie fürchten, um die Chancen für ihr Leben und das ihrer Kinder beschnitten zu werden. Und man mag sich gar nicht vorstellen, was es heißt, Österreich hätte dann sein Schicksal selbst in der Hand und könnte es nach seinen Bedürfnissen gestalten. Denn, wovon Öxit-Phantasten träumen, ist mit Verlaub in vielen Fällen wohl eher als Drohung zu verstehen. In Sachen Bürokratie etwa sind wir, wie man leidvoll weiß, Weltmeister. Und in den meisten anderen Disziplinen des politischen und wirtschaftlichen Lebens ist auch nicht zu erwarten, dass sich automatisch alles zum Besseren wenden würde, träte Österreich tatsächlich aus der Europäischen Union aus. Ganz sicherlich nicht.

In den vergangenen Jahren konnte man die EU-Feindlichkeit und die EU-Feindseligkeiten, die in diesem Land Kultur wurden, als Einstellungen abtun, die zur Politik gehören, als nichts Besonderes, sondern als etwas im politischen Geschäft Normales, mit dem sich halt manche Richtungen zu profitieren suchten.

Seit der Entscheidung der Briten für den Brexit ist das anders. Mit einem Mal ist klar, dass Gedankenspiele mit einer Öxit-Abstimmung "scharf" sind. Im wahrsten Sinn des Wortes. Sie sind als Bedrohung zu sehen. Die Zeit des Geredes ist vorbei.

Man kann sich nur wünschen, dass die Österreicherinnen und Österreicher kühlen Kopf bewahren, dass sie erkennen, worum es geht. Und dass sie dann auch entsprechend handeln, wenn es denn wirklich erforderlich werden sollte. Gleiches gilt freilich auch für die Verantwortlichen in der Europäischen Union. Kommt von dort nichts, wird der Kampf gegen einen EU-Zerfall ein Kampf gegen Windmühlen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. Juli 2016

Montag, 18. Juli 2016

Wie der Bauernhof zum Therapiezentrum wird



Für immer mehr Bauern sind Angebote im Sozialbereich eine wirtschaftliche Perspektive. „Green Care“ wird ab Herbst auch an landwirtschaftlichen Fachschulen angeboten.

Hans Gmeiner Buchkirchen. Dienstag ist „Kuhtag“ am Putti-Hof. „Da können die Kinder der Gruppe, die die Caritas bringt, beim Melken helfen, beim Buttermachen und beim Füttern“, erklärt Andreas Purtscheller. Gemeinsam mit seiner Frau Heike, einer Waldorfpädagogin, betreibt der ehemalige Pilot der Tyrolean im Lachgraben zwischen Buchkirchen und Mistelbach in Oberösterreich einen Bauernhof. Hier aber steht nicht die landwirtschaftliche Produktion im Mittelpunkt, sondern soziale Dienstleistungen.

„Naturkinder im Garten“ hieß 2011 das erste Projekt der beiden Quereinsteiger, bei dem sie private Kinderbetreuung anbieten. Inzwischen gibt es auch reitpädagogische Betreuung am Putti-Hof und das Projekt „Sprungbrett“, bei dem gemeinsam mit Caritas und pro mente Oberösterreich junge Menschen mit Beeinträchtigungen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Zudem bietet man Jugendlichen und Erwachsenen mit oder ohne Beeinträchtigung Beschäftigungsmöglichkeiten in Werkstätte, Garten und Stallungen. Zu tun gibt es genug auf dem Hof, auf dem sich Kühe, Pferde, Esel, Ziegen, Schweine und Hühner tummeln. Dazu lernen im Rahmen des Projekts „Schule am Bauernhof“ Jahr für Jahr Hunderte Schüler aus der Umgebung auf dem Putti-Hof die Landwirtschaft aus nächster Nähe kennen.

Der kleine Hof ist einer von bisher 18 zertifizierten Green-Care-Betrieben in Österreich, der erste in Oberösterreich. In Salzburg gibt es bisher zwei solche zertifizierte Green-Care-Betriebe. Der Reiterhof der Familie Rohrmoser in St. Johann im Pongau wird als Therapiebauernhof für Kinder und Erwachsene mit Einschränkungen geführt. Und das Zacherlgut der Familie Schroffner in Thalgau bietet Psychotherapie, bei der die Tiere am Hof eine wichtige Rolle spielen.

„Das Zertifikat, für das eine Reihe von Voraussetzungen wie berufliche Qualifikation, aktive Mitarbeit oder Kooperation mit geeigneten Institutionen verlangt wird, ist freiwillig und soll allen Beteiligten Sicherheit geben“, sagt der Obmann von Green Care in Österreich, Robert Fitzthum. Dabei stehe die Sicherung der Qualität im Vordergrund. Kontrolliert wird von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle in regelmäßigen Abständen.

Mit Green-Care-Angeboten versuchen inzwischen viele Bauern in ganz Österreich ein zusätzliches Standbein aufzubauen. Das Angebotsspektrum reicht von Kindergärten auf Bauernhöfen über Programme für Schüler bis hin zur Seniorenbetreuung. Im Mittelpunkt stehe der Bauernhof als Arbeitsort, der für Menschen mit Beeinträchtigungen und für arbeitssuchende Jugendliche und ältere Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, sagt Green-Care-Geschäftsführerin Nicole Prop. Der Schwerpunkt könne aber auch auf Bildung liegen, auf Gesundheitsförderung oder einfach auch beim Leben, wenn es um innovative Tagesbetreuung- oder Wohnmodelle gehe.

Zu den bisher zertifizierten Betrieben dürften bald neue kommen. „Wir haben 50 Betriebe in der Pipeline“, sagt Prop. Bisher habe es knapp 700 Anfragen gegeben. Auch die jüngste Jahrestagung von Green Care Ende Juni in Wien habe heuer alle Erwartungen übertroffen. „Das Interesse wächst unübersehbar“, sagt die Geschäftsführerin erfreut.

Dabei ist der Aufbau eines Green-Care-Angebots als zusätzlicher Betriebszweig einer Landwirtschaft sehr anspruchsvoll. „Es muss von den persönlichen, räumlichen und betrieblichen Voraussetzungen bis hin zu den Kooperationspartnern sehr vieles zusammenpassen“, sagt Robert Fitzthum. Dementsprechend langwierig gestalte sich oft die Umstellung.

Rückenwind gibt es von der Politik. Green Care bekommt Fördermittel aus der Ländlichen Entwicklung. Bei den Landwirtschaftskammern sind in allen Bundesländern inzwischen Beratungsstellen eingerichtet. Seit zwei Jahren gibt es an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik auch einen eigenen Green-Care-Lehrgang samt Masterabschluss.

Demnächst soll das Angebot sozialer Dienstleistungen auf Bauernhöfen auch an den rund 100 landwirtschaftlichen Fachschulen für Mädchen in ganz Österreich zum Thema gemacht werden. Ab dem heurigen Herbst wird in Schulen in allen Bundesländern Green Care als Wahlfach angeboten.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 18. Juli 2016

Donnerstag, 7. Juli 2016

Gelernter Selbstschutz



"Ich hoffe sehr, dass diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes dazu führt, dass man auf allen Ebenen, die verantwortlich sind, in Zukunft die Sache wirklich ernst nimmt und auf Punkt und Beistrich die Vorschriften einhält." Das sagte der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Gerhart Holzinger, nach der Wahlaufhebung in einem Interview. Diese Aufforderung ist nur zu unterstreichen. Was rund um die Wahlen geschehen ist, kann nicht sein und darf auch nicht sein. Da ist dem Gerichtspräsidenten nur beizupflichten. Da sollte es auch nichts zu diskutieren geben.

Holzinger fügte aber noch etwas dazu. "Das ist ja im Übrigen gar nicht so schwer", sagte er in dem Interview abschließend. Darüber sollte man freilich schon diskutieren. Denn, dass das "nicht so schwer" ist, mag man ihm nicht einmal für die Vorschriften rund um die Bundespräsidentenwahlen konzedieren. Schon gar nicht mag man sich seiner Meinung anschließen, wenn es um viele, viele Gesetze, Verordnungen und Vorschriften geht, an die sich die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land halten müssen, deren Sinn sie nicht verstehen, deren Inhalt sie nicht nachvollziehen können und die sie oft als nichts, denn als Schikane empfinden.

Da nimmt nicht Wunder, dass man sie sich zurechtbiegt, um sich mit ihnen zu arrangieren. Für viele ist das nichts anderes als Selbstschutz. Bei den Bundespräsidentenwahlen waren es die vorgeschriebenen Zeiten, was wann wie gemacht werden durfte und an die man sich nicht halten wollte, weil sie als unpassend empfunden wurden. Es ging um die Farben von Kuverts und um anderes mehr, das weniger mit der Wahl und ihrem Ausgang, als vielmehr mit einer als überzogen erscheinenden Bürokratie zu tun hatte. In anderen Fällen liegen die Dinge zwar anders, sind in der Struktur aber ähnlich. Der Bogen reicht von Geschwindigkeitsbegrenzungen, die oft nicht nachvollziehbar sind, über die Registrierkassenpflicht , die Mehrwertsteuervorschriften bis hin zu den Vorschriften für Ausschreibungen und den Regularien unter denen die Banken zu leiden haben.

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes ist daher nicht nur die Frage zu stellen, warum bei der Wahl dieser saloppe Umgang mit den Gesetzen passieren konnte, sondern es ist auch die Frage nach der Qualität der Gesetze und damit nach der Qualität der Gesetzgebung im Generellen zu stellen. Und ob diese Qualität gut ist, sei in Frage gestellt.

Viele der Gesetze und Vorschriften werden als kompliziert empfunden und oft auch als weltfremd. Wo früher klare und praxisgerechte Formulierungen standen, stehen heute zehn Absätze mit zehn Anmerkungen, die ohne anwaltlichen Beistand kaum mehr zu verstehen sind und die zu erfüllen in der Praxis zuweilen kaum möglich ist. Solche Vorschriften einzuhalten ist für viele oft nichts denn eine Mühseligkeit. Selbst wer genauestens aufpasst, ist nicht vor Fehlern gefeit.

Die Gesetze, die in Österreich von Gesetzgebern in Bund und Ländern verabschiedet werden, füllen jedes Jahr einen Regal-Meter. Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, ein Land wolle sich selbst strangulieren. Nicht ohne Grund werden die Klagen über die überbordende Bürokratie immer lauter. Das Geld, das dabei verschwendet wird, ist nicht mehr zu zählen und auch nicht die Arbeitskraft und die Energie.

Die oft schlechte Qualität der Gesetze und die Vorschriftenwut, die sich breit gemacht hat, hat aber auch das Rechtsverständnis und das Rechtbewusstsein respektive das Unrechtsbewusstsein in diesem längst nachhaltig erschüttert. Und sie tragen auch ihren Anteil an der Politikverdrossenheit.

Die Bundespräsidentenwahl ist auch dafür ein typisches Beispiel. Und das nicht nur, weil die Zeitpläne realitätsfern waren. Typisch macht sie auch, dass sich über Jahre niemand daran gestoßen hat, dass man bei Wahlen dieser Art mit Überzeugung die Dinge arglos und ohne Unrechtsbewusstsein zurechtbog, die nun das Missfallen des Verfassungsgerichtshofes fanden. Nicht einmal viele von den Journalistinnen und Journalisten, die nun alles besser wissen, stießen sich daran und nutzten und schätzten bisher die frühe Übermittlung von Detailergebnissen durch Austria Presseagentur, an der sich nun der Verfassungsgerichtshof stieß.

Aber sie sind ja, wie die Frauen und Männer in den Wahlbehörden auch, nur Österreicherinnen und Österreicher. Und als solche haben auch sie gelernt, sich Gesetze und Vorschriften so zurechtzubiegen, dass man mit ihnen leben kann.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Juli 2016
 
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