Mittwoch, 31. Oktober 2018

Die Signale der Nachhaltigkeitsministerin



Knapp elf Monate ist Elisabeth Köstinger nun im Amt. Zum Herzeigen hat sie als Landwirtschaftsministerin noch wenig. Außer dem Dürrepaket (das freilich auch von manchen als dürr empfunden wurde) gibt es einstweilen für die Bauern nicht viel Zählbares. Vielleicht ist es dafür auch noch zu früh dafür.

Aber wenn es schon wenig Agrarpolitik gab in den vergangenen Monaten, gab es doch viele Signale, in denen sich zeigte, wie die Landwirtschaftsministerin tickt. Und die weisen in eine Richtung, die vor allem den konventionellen Landwirten in diesem Land, die achtzig Prozent der Bauern ausmachen und die fast neunzig Prozent der heimischen Nahrungsmittel erzeugen, durchaus Sorgen machen kann.

Da war zunächst einmal das kategorische Njet zur Verlängerung des Einsatzes von Neonicotinoiden im Rübenbau – und sei es auch nur, um mit Notsituationen zurechtzukommen, wie heuer beim Käferbefall auf den Rübenfeldern im Osten Österreichs. Ohne mit der Wimper zu zucken nahm sie in Kauf, dass hunderte Rübenbauern große Verluste schlucken mussten und nun ernsthaft überlegen, ob sie mit den Rüben überhaupt weitermachen. Ein fleckenloses Image als Sauberfrau schien ihr mehr wert zu sein, als ein guter Ruf bei den Bauern. Statt dessen verschrieb sie sich dem Motto „wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ‘ ich einen Arbeitskreis“ und berief mehrere Arbeitsgruppen ein, die Lösungen für die Zuckerbauern finden sollten. Ergebnisse stehen noch aus.

Ähnlich agiert sie beim Thema Glyphosat. Auch da ist ihr offenbar das Image wichtiger, als eine tragbare Lösung für die Bauern. 

Für Irritation sorgte auch, dass Köstinger kürzlich just die „ja!natürlich“-Schweinderl-Spots mit dem „Umweltzeichen für Green Producing“ auszeichnete, wo doch nicht nur diese Spots in der Landwirtschaft sehr kontrovers diskutiert werden, sondern wo die Bio-Marke von Rewe gerade im Sommer mit ihrer völlig überzogenen Bodenschutz-Kampagne die Bauern samt Bauernbund auf die Barrikaden trieb. 

Und irritierend war auch, dass sie ausgerechnet der TV-Köchin Sarah Wiener beim Rat der Agrarminister in Österreich eine große Bühne bot, um gegen die konventionelle Landwirtschaft und die Agrarindustrie vom Leder zu ziehen. Ausgerechnet jene Sarah Wiener, die vor wenigen Jahren einen nicht weniger als 710 ha großen Bio-Betrieb mit rund 180 Milch- und knapp 100 Mutterkühen sowie 250 Mastrindern samt 635 Kw-Biogasanlage und eigener Schlachterei kaufte. 

Viele in diesem Land werden sich über diese Signale freuen. Vor allem in nicht-bäuerlichen Kreisen kommen sie wohl gut. 

Hier soll gar nicht bestritten werden, dass sich die österreichische Landwirtschaft weiterentwickeln muss, nicht zuletzt, weil der gesellschaftliche Druck sehr groß ist. Es ist aber dennoch Gefühl für diese Weiterentwicklung einzumahnen und es ist vor Einseitigkeit zu warnen. Angesichts der Signale, die die Landwirtschaftsministerin in den vergangenen Monaten setzte, nimmt nicht Wunder, dass die Skepsis in bäuerlichen Kreisen wächst.

Was Köstinger wirklich kann, und was die Signale zu bedeuten haben, wird sich spätestens daran zeigen, was sie bei der EU-Agrarreform zustande bringt.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 1. November 2018

Donnerstag, 25. Oktober 2018

Vorwärts, zurück?



Die Zahl der Anträge auf die deutsche Staatsbürgerschaft in Großbritannien ist laut Medien seit dem Brexit-Votum stark gestiegen", stand dieser Tage in unseren Zeitungen zu lesen. Die Antragsteller seien meist Menschen, die vor dem NS-Regime nach Großbritannien geflohen sind, und deren Nachkommen. Das kann einen nachdenklich machen. Angesichts der grundlegenden, wie vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbaren Wende, die sich in Großbritannien abzeichnet, suchen nun die Menschen genau dort Zuflucht, wo sie und ihre Vorfahren einst verjagt und verfolgt wurden. 

Alles zurück. Alles was war, scheint mit einem Mal nichts mehr zu sein. Nur mehr Sorge um die Zukunft, Angst womöglich auch, jedenfalls große Verunsicherung. 

Es ist in diesen Monaten, als drehe sich die Welt mit einem Mal verkehrt. Zurück in Zeiten, die man längst überwunden glaubte. Nicht nur in Großbritannien. Die Welt, in der wir aufgewachsen sind und in der wir seit Jahrzehnten mehr oder wenig friedlich leben und unserer Wege gehen, mit der wir haderten, in der wir aber alles in allem so gut lebten, wie nie eine Generation vor uns, ist dabei aufgelöst zu werden. Aufgelöst von verantwortungslosen und auch unfähigen Politikern, die von den rund um die Welt gehenden Wellen des Populismus an die Macht gespült wurden.

Auf einmal ist Thema, von dem man glaubte, dass es nie mehr Thema sein wird. Der Brexit ist das ja nicht nur für die seinerzeit Geflüchteten und ihren Nachkommen. Der mögliche Austritt Großbritanniens aus der EU droht auch uns, die Europäischen Union und das ganze restliche Europa, weit zurück in Zeiten zu werfen, von denen man glaubte, dass es sie nie mehr wieder geben werde. 

Kommt der harte Brexit, wird es so sein, wie es früher war. So wie in den Zeiten, die damals Anlass für die Briten und auch für andere europäische Staaten waren, nach neuen Wegen der Zusammenarbeit zu suchen. Aber daran denkt heute niemand. Schon gar nicht denkt man in Londons Regierungsviertel daran. 

Da lässt man es allemal lieber krachen. Vorwärts, wir müssen zurück, ist salonfähige Devise. 

Auch bei US-Präsident Trump. Er legt sich mit Putin an und will das Atomwaffenabkommen, das die USA und die Sowjetunion in den 1980er-Jahren abschlossen, aufkündigen. Wie groß war die Erleichterung damals, als es gelang den Kalten Krieg, der über Jahrzehnte Europa als Geisel der Supermächte hielt, zu überwinden. Mit wie viel Sorgfalt hat man sich um die Einigung bemüht und vor allem in den Jahrzehnten seither, diese auch zu bewahren. Zu unser aller Wohl. Und nun soll es damit auf einmal wieder vorbei sein? Zurück an den Start? Zurück in die finsteren Zeiten einer zweigeteilten Welt?

In Italien sind Politiker an die Macht gekommen, die sich nichts dabei denken die Europäische Union zu demolieren, denen die gemeinsame Währung nichts wert ist und die sich ohne Skrupel über alles hinwegsetzen, was Europa gemeinsam erarbeitete.

Es ist, als ob gerade vieles von dem ausgehebelt wird, worauf unsere Generation baute. Mit einem Mal steht die offene Gesellschaft auf dem Spiel, in der Meinungsfreiheit oberstes Gut war und die Menschenrechte hochgehalten wurden. Offene Grenzen werden wieder geschlossen und damit ein Lebensgefühl eingesperrt, das so vielen Menschen so viel galt. Sogar darüber, wie viel Demokratie sein darf oder muss wird diskutiert. Und überall steht die Solidarität der Gesellschaft, über Jahrzehnte aufgebaut und entwickelt, mit einem Mal wieder auf dem Spiel. Vor zehn Jahren hätte man das nicht für möglich gehalten.

Freilich kann man sagen, was wir jetzt erleben, ist nichts als die Folge von Fehlentwicklungen, denen man zu lange zuschaute. Man kann sagen, man habe es sich zu bequem gemacht. Und man kann auch Verständnis finden für die neuen Rabauken an den Schalthebeln der internationalen Politik und ihnen vielleicht sogar auch applaudieren.

Aber es ist zu fragen, ob das ein Grund sein darf, all die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte einfach auf den Müll der Geschichte zu kippen. Oder ob es nicht doch bedeutend klüger wäre, auf den eingeschlagenen Wegen weiterzugehen. Auch wenn das vielen noch so mühsam erscheint.

Denn alles, was sich da jetzt als neue Wege abzeichnet, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit noch sehr viel mühsamer.


Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 25. Oktober 2018

Donnerstag, 18. Oktober 2018

20 Hektar, schickes Thema



Dass in Österreich täglich 20 Hektar Böden zubetoniert werden, dass das nicht gut fürs Klima ist, dass dadurch die Eigenversorgung mit Lebensmitteln unter Druck kommen kann, dass die Tiervielfalt gefährdet ist und auch, dass Österreich Europameister im Verbauen von Grünflächen ist, gehört inzwischen zu den Stehsätzen von Politikerinnen und Politikern jedweder Couleur. "Wir verlieren den Boden unter den Füßen" schallt es von überall her. Vom Bodenverbrauch zu reden, ist schick geworden. Viel mehr freilich noch nicht. Die tägliche Wirklichkeit ist eine andere. Und das Bewusstsein darum, worum es wirklich geht, ist sehr überschaubar. Trotz aller gegenteiliger Beteuerungen. 

Erst kürzlich sorgte die Präsentation einer Studie des Handelsverbandes für Schlagzeilen. Da hat man keine Scheu, Lockerungen der Raumordnung zu verlangen. Viele Parkplätze und Raum für große Verkaufsflächen fordern ausgerechnet die, die einen Gutteil der Verantwortung dafür tragen, dass Österreich schon jetzt ein echtes Problem mit dem Bodenverbrauch hat. Keine Rede davon, dass wir mit 1,8 Quadratmeter ohnehin schon die größte Supermarktfläche pro Kopf haben. Und schon gar keine Scham macht, dass man von den Kunden nachhaltiges Einkaufen fordert, selbst aber nicht im Entferntesten daran denkt, nachhaltig zu handeln. Nachhaltiges Bauen ist im Handel ein Fremdwort, man stellt die billigsten Gebäude ohne jede Qualität in die Landschaft, ist stolz auf die größten Parkflächen und schert sich keinen Deut um die Folgen.

Supermärkte sollten aus Sicht der Branche wieder vermehrt dort entstehen, wo es idealtypische Standorte mit vielen Parkplätzen und großen Verkaufsflächen gibt, hieß es in den Medien. Und der Linzer Uni-Professor Schneider, Spezialist für Studien aller Art und der gleiche Mann, der sich von der Hagelversicherung als Unterstützer im Kampf gegen den Bodenverbrauch vermarkten lässt, liefert dann auch noch flugs die entsprechenden Zahlen, was das brächte, wenn die Zügel gelockert würden. Auf Beträge von weit jenseits der 500 Millionen Euro kommt er.

So wie im Handelsverband denkt man immer noch fast überall. Boden braucht man, Boden muss verfügbar sein. Am besten unbelastet, am besten frei und am besten möglichst billig und ohne Auflagen. Im Handel, im Gewerbe, in der Industrie, bei der Bahn. Mehr Gedanken zu verschwenden ist man nicht willens. Nicht an die Folgen, nicht an neue Wege, Ideen und an verträgliche Lösungen. Und kaum welche auch an die mögliche Nutzung von ungenutzten Gebäuden und Betriebsflächen.

Denn das ist die viel zu wenig beachtete, wiewohl um keinen Deut weniger dramatische andere Seite der Medaille. Auf gut 40.000 Hektar schätzt das Umweltbundesamt inzwischen die Fläche leerstehender Gewerbe-,Industrie-und Wohnimmobilien, aber auch tausender Bauernhöfe -eine Fläche so groß wie Wien, auf der es meist zwar alle infrastrukturellen Einrichtungen wie die nötigen Anschlüsse ans Straßen-, Energie-, Wasser und Kanalnetz gibt, aber sonst nichts mehr. Keine lärmenden Maschinen, keine blinkenden Computer, keinen Verkehr, dafür aber vor sich hingammelnde Asphaltflächen, bröckelnde Gebäude und jede Menge Spinnweben.

Initiativen, diese Flächen zu beleben, sind rar. Da und dort gibt es Projekte, da und dort Versuche. Erfolge aber gibt es wenige. Da fehlt es an der nötigen Unterstützung und am nötigen Druck.

Die Politik scheint auf allen Linien zu versagen. Sie schafft es nicht, die Anforderung, Orts-und Stadtkerne als Lebensraum zu erhalten, mit den Bedürfnissen von Unternehmungen zu verknüpfen und dabei den Bodenverbrauch zu verkleinern. Die Unternehmungen wiederum verschwenden kaum Gedanken daran, diesen Erfordernissen entgegenzukommen.

Mehr als zahnlose Konzepte von unzuständigen Stellen, wie den "Masterplan für den ländlichen Raum" des Landwirtschaftsministeriums, gibt es kaum. Und allenfalls vage Ideen, wie raschere Abschreibungen und weniger Auflagen für alte Häuser oder restriktivere Umwidmungen. In diesem Klima devastieren immer mehr Landstriche und verschwindet immer mehr wertvoller Boden unter Asphalt und Beton.

"Die Raumordnung ist kollektiver Selbstmord", sagt Kurt Weinberger, der als Generaldirektor der Hagelversicherung den Bodenverbrauch und seine Folgen in Österreich zum Thema gemacht hat.

Es schauen aber dennoch alle zu. Vor allem auch die, zu deren Rede-Bausteinen Sätze zum Thema Bodenverbrauch gehören.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. Oktober 2018

Donnerstag, 11. Oktober 2018

Richtiges mit Bosheit gemacht



Türkis-Blau hat die Wahlen vor einem Jahr nicht ohne Grund gewonnen. Die Stimmung im Land war danach, sie hatten ein Programm, das die Menschen ansprach und man versprach all die Probleme, die von Rot-Schwarz durch die Jahre gewälzt wurden, anzugreifen und zu einer Lösung zu bringen.

Und man tut das durchaus auch. Nicht überall, wo man es sich wünschen würde zwar, und oft auch dort, wo man eigentlich keinen Bedarf sah als den, einer kleinen Gruppe aus der Wählerklientel gerecht zu werden. Aber man versucht zu handeln. Meist aufs erste Hinschauen nachvollziehbar, verständlich, gut, höchst an der Zeit und durchaus vernünftig. Vieles von dem wünschten sich viele in diesem Land schon lange. Vieles wurde lange gefordert. Und wegen vielem wählten viele Türkis und Blau. Dennoch ist einiges aber noch nicht viel besser

geworden. Viel eher entsteht immer öfter der Eindruck, dass man manches Richtige durchaus hätte besser machen können und dass man oft gar das Richtige nachgerade gerne mit Bosheit macht. Statt in der gebotenen Sachlichkeit, der gebotenen Rücksicht und im gebotenen Respekt vorzugehen und die Dinge zu diskutieren, geht es viel zu oft um das Begleichen offener Rechnungen aus der Vergangenheit und um nichts denn Machtdemonstration. Da wird viel zu oft einfach drübergefahren. Da düpiert man schier lustvoll die Oppositionsparteien und Sozialpartner durch überfallsartige Ankündigungen und Beschlüsse, durch verkürzte Begutachtungsfristen und vielem anderen, was die Trickkiste sonst noch hergibt. Da fehlt es oft an Respekt vor dem Gegenüber und an der Gesprächsbereitschaft. Und da riskiert man allemal lieber eine Spaltung der Gesellschaft, als auch andere Meinungen zu berücksichtigen.

Typisch dafür war erst jüngst die Ankündigung, die Auflagen für die Anerkennung von NGOs vor allem in behördlichen Verfahren erhöhen zu wollen. Das ist durchaus legitim und auch nachvollziehbar. Das nicht, weil das Einmischen der NGOs in allen möglichen und unmöglichen gesellschaftspolitischen Bereichen als lästig empfunden wird, sondern weil diesen Organisationen meist die Legitimation fehlt. Es ist schwer abzuschätzen, wie groß sie sind, wie sie sich finanzieren und welche Interessen dahinterstehen und warum sie etwa in der Standortpolitik, aber auch Bereichen wie der Agrarpolitik einen derart großen Stellenwert in Anspruch nehmen können. Nicht nachvollziehbar ist, wie die Regierung sie an die Leine nehmen will und wie es kommuniziert wurde. Da schwingt Geringschätzung und pure Bosheit mit. Wie sonst kann einem einfallen, dass man Listen von den Namen der Mitglieder verlangt.

Es ist nicht das einzige Beispiel. In diese Kategorie fällt auch die Zusammenlegung der Sozialversicherungen. Auch dort lässt sich der Eindruck nicht verdrängen, dass es nicht in erster Linie um die Sache ging, sondern doch sehr viel eher darum, dem politischen Gegner nicht nur eins auszuwischen, sondern in seinem Innersten zu schwächen. In diese Kategorie fällt auch die Untersuchung des BVT, die vielleicht notwendig war, aber nie und nimmer derart stümperhaft und peinlich durchgeführt hätte werden dürfen und viele Verstörte, die damit gar nicht zu tun haben.

In diese Kategorie fallen aber auch der Umgang mit Migranten, die geplante Neuregelung der Mindestsicherung oder auch das Thema Kindergeld für nicht-österreichische Arbeitnehmer. Da mag es überall dringlichen Handlungsbedarf gegeben haben. Bei all den Maßnahmen, die man setzte, lässt sich aber beim Beobachter nicht das Gefühl verdrängen, dass es dabei weniger um die Sache ging, sondern dass andere Motive das Handeln leiteten.

Zu deutlich ist oft die Haltung hinter den Maßnahmen zu spüren. Und die ist nicht immer getragen davon, etwas zu verbessern oder zu sparen, sondern da sind viel zu oft nachgerade menschenverachtende Haltungen zu spüren, machttrunkenes Drüberfahren und selbstherrliches Gehabe, das man nicht für möglich gehalten hätte.

Man kann das für unausweichlich erachten im politischen Getriebe. Eine gewisse Härte ist wohl notwendig und es müssen nicht alle applaudieren. "Wo gehobelt wird, da fallen Späne" werden manche wohl denken.

Man sollte freilich überlegen, ihnen beizupflichten . Denn allein an der Macht zu sein, ohne handlungsfähige Opposition, ist kein Freibrief, sondern auch eine Verpflichtung -vor allem die, das Richtige nicht falsch zu machen und schon gar nicht der Bosheit freien Lauf zu lassen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. Oktober 2018

Donnerstag, 4. Oktober 2018

Das Kreuz mit der Kritik



Innenminister Kickl möchte unbotmäßige Zeitungen an die Leine legen. Der Wirbel war groß. Und natürlich ist alleine die Absicht zu verurteilen. Und angesichts des Selbstverständnisses eines Politikers vom Schlage Kickls und einer Partei wie der FPÖ sind die Sorgen um die Pressefreiheit und die Warnungen davor, dass Österreich "in Richtung Ungarn" gehe, wie der Chef der Industriellenvereinigung stellvertretend für viele in diesem Land formulierte, durchaus berechtigt.

Bei allem erscheint manche Empörung aber doch allzu aufgeregt, ist doch, was Kickls Bürochef in einem E-Mail formulierte, alles andere als neu und durchaus nicht so unüblich, wie manche es darstellen. Kenner der Bräuche auf dem politisch-medialen Parkett schüttelten eher den Kopf, weil es noch niemand so dumm, dreist und einfältig anstellte, Zeitungen an die Leine legen zu wollen. Das geht, in Kreisen der Politik und der Medien weiß man es, weitaus subtiler und erfolgreicher. Fast alle wüssten über aller Empörung über Kickl Beispiele zu nennen, wie man in diesem Land missliebige Zeitungen und Journalisten sich vom Leib zu halten pflegt. Da bestraft man nicht nur mit Nicht-Einladungen zu Terminen oder gar Reisen, sondern auch mit selektiver Handhabung von Informationen oder mehr oder weniger versteckter Gesprächsverweigerung, und wenn noch so oft um einen Termin angefragt wird. Und die sind keinem fremd, welcher Couleur man immer auch ist. Der Bogen der Beispiele, die in den vergangenen Tagen genannt wurden, reicht von Bruno Kreisky über Wolfgang Schüssel und Werner Faymann bis hin zu Christian Kern.

All das zeigt im Wesentlichen nichts anderes, als dass man in Österreich Probleme hat, mit Kritik umzugehen. So wie in diesem Land die Gesprächs-und Diskussionskultur unterentwickelt ist, ist auch die die Kritik-Kultur unterentwickelt. Kritik ist meist kaum erwünscht. Und wenn es sie denn doch gibt, ist das Aussitzen die beliebteste Strategie. Und Abschotten. Dass man sich damit oft auch der Chance begibt, Fehlentwicklungen zu korrigieren und neue Aspekte aufzunehmen und weiterzutragen, nimmt man billigend in Kauf, weil man glaubt, sich Schwierigkeiten zu ersparen. Das gilt ganz besonders auch für die Politik und die Politiker, die sich gerne mit Lakaien und Jasagern umgeben.

Dieser Mangel, mit Kritik umgehen zu können, ist aber bei Gott nicht nur auf Politiker beschränkt, sondern zieht sich durch alle gesellschaftlichen Kreise. Am augenscheinlichsten ist er oft dort, wo man sich damit brüstet, besonders gut mit Kritik umgehen zu können, weil man "ja nur so etwas lernen kann". Ganz oben stehen ausgerechnet die Branchen, die gerne ihre Kundenfreundlichkeit hervorkehren und gar den Eindruck erwecken, sie seien an der Meinung ihrer Klientel interessiert. Haben Sie jemals in einem Restaurant versucht, auf die vom Kellner freundlich vorgetragene Frage, ob denn alles gepasst habe, eine ehrliche Antwort zu geben? Lassen Sie es. Das gibt meist nur Verdruss. Nicht anders ist es, wenn man im Baumarkt etwas sagt, oder in irgendeinem anderen Geschäft, auf einem Amt oder sonst wo. Es geht meist daneben. Und dieser Mangel mit Kritik umzugehen, geht bis tief hinein ins Private. Bei anderen hat man schnell etwas auszusetzen, wehe aber, andere finden an einem selbst etwas auszusetzen.

Die allermeisten fühlen sich sofort auf den Schlips getreten, vermuten dahinter meist nichts denn eine unbotmäßig Bosheit, gezielte Beleidigung und Herabwürdigung und verschließen sich prompt wie Austern, statt zuzuhören.

Freilich, auch mit dem Anbringen von Kritik hat man hierzulande durchaus Probleme. Oft ist es nicht mehr als ein loses Maulen, ein undifferenziertes Dahinschimpfen und eine Rechthaberei oder Besserwisserei um jeden Preis. Und oft ist Kritik auch wirklich nichts als Bosheit. Vor allem in der Politik. Viel zu oft fehlt es an der nötigen Sachlichkeit und an Argumenten. Den Politikern und oft auch den Medien.

Und weil das so ist, sind die Versuche von Politikern, Medien, die ihnen das Leben schwer machen, in den Griff zu kriegen, nicht ganz unverständlich. Wenn dabei allerdings wirklich die staatliche Macht ins Spiel käme, um sich durchzusetzen, würde fraglos eine Grenze überschritten. Denn dann könnten sich die Zeitungen nicht mehr wehren, was ihnen derzeit im Fall von Obstruktionen ja immer freisteht.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 4. Oktober 2018
 
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