Donnerstag, 18. Oktober 2018

20 Hektar, schickes Thema



Dass in Österreich täglich 20 Hektar Böden zubetoniert werden, dass das nicht gut fürs Klima ist, dass dadurch die Eigenversorgung mit Lebensmitteln unter Druck kommen kann, dass die Tiervielfalt gefährdet ist und auch, dass Österreich Europameister im Verbauen von Grünflächen ist, gehört inzwischen zu den Stehsätzen von Politikerinnen und Politikern jedweder Couleur. "Wir verlieren den Boden unter den Füßen" schallt es von überall her. Vom Bodenverbrauch zu reden, ist schick geworden. Viel mehr freilich noch nicht. Die tägliche Wirklichkeit ist eine andere. Und das Bewusstsein darum, worum es wirklich geht, ist sehr überschaubar. Trotz aller gegenteiliger Beteuerungen. 

Erst kürzlich sorgte die Präsentation einer Studie des Handelsverbandes für Schlagzeilen. Da hat man keine Scheu, Lockerungen der Raumordnung zu verlangen. Viele Parkplätze und Raum für große Verkaufsflächen fordern ausgerechnet die, die einen Gutteil der Verantwortung dafür tragen, dass Österreich schon jetzt ein echtes Problem mit dem Bodenverbrauch hat. Keine Rede davon, dass wir mit 1,8 Quadratmeter ohnehin schon die größte Supermarktfläche pro Kopf haben. Und schon gar keine Scham macht, dass man von den Kunden nachhaltiges Einkaufen fordert, selbst aber nicht im Entferntesten daran denkt, nachhaltig zu handeln. Nachhaltiges Bauen ist im Handel ein Fremdwort, man stellt die billigsten Gebäude ohne jede Qualität in die Landschaft, ist stolz auf die größten Parkflächen und schert sich keinen Deut um die Folgen.

Supermärkte sollten aus Sicht der Branche wieder vermehrt dort entstehen, wo es idealtypische Standorte mit vielen Parkplätzen und großen Verkaufsflächen gibt, hieß es in den Medien. Und der Linzer Uni-Professor Schneider, Spezialist für Studien aller Art und der gleiche Mann, der sich von der Hagelversicherung als Unterstützer im Kampf gegen den Bodenverbrauch vermarkten lässt, liefert dann auch noch flugs die entsprechenden Zahlen, was das brächte, wenn die Zügel gelockert würden. Auf Beträge von weit jenseits der 500 Millionen Euro kommt er.

So wie im Handelsverband denkt man immer noch fast überall. Boden braucht man, Boden muss verfügbar sein. Am besten unbelastet, am besten frei und am besten möglichst billig und ohne Auflagen. Im Handel, im Gewerbe, in der Industrie, bei der Bahn. Mehr Gedanken zu verschwenden ist man nicht willens. Nicht an die Folgen, nicht an neue Wege, Ideen und an verträgliche Lösungen. Und kaum welche auch an die mögliche Nutzung von ungenutzten Gebäuden und Betriebsflächen.

Denn das ist die viel zu wenig beachtete, wiewohl um keinen Deut weniger dramatische andere Seite der Medaille. Auf gut 40.000 Hektar schätzt das Umweltbundesamt inzwischen die Fläche leerstehender Gewerbe-,Industrie-und Wohnimmobilien, aber auch tausender Bauernhöfe -eine Fläche so groß wie Wien, auf der es meist zwar alle infrastrukturellen Einrichtungen wie die nötigen Anschlüsse ans Straßen-, Energie-, Wasser und Kanalnetz gibt, aber sonst nichts mehr. Keine lärmenden Maschinen, keine blinkenden Computer, keinen Verkehr, dafür aber vor sich hingammelnde Asphaltflächen, bröckelnde Gebäude und jede Menge Spinnweben.

Initiativen, diese Flächen zu beleben, sind rar. Da und dort gibt es Projekte, da und dort Versuche. Erfolge aber gibt es wenige. Da fehlt es an der nötigen Unterstützung und am nötigen Druck.

Die Politik scheint auf allen Linien zu versagen. Sie schafft es nicht, die Anforderung, Orts-und Stadtkerne als Lebensraum zu erhalten, mit den Bedürfnissen von Unternehmungen zu verknüpfen und dabei den Bodenverbrauch zu verkleinern. Die Unternehmungen wiederum verschwenden kaum Gedanken daran, diesen Erfordernissen entgegenzukommen.

Mehr als zahnlose Konzepte von unzuständigen Stellen, wie den "Masterplan für den ländlichen Raum" des Landwirtschaftsministeriums, gibt es kaum. Und allenfalls vage Ideen, wie raschere Abschreibungen und weniger Auflagen für alte Häuser oder restriktivere Umwidmungen. In diesem Klima devastieren immer mehr Landstriche und verschwindet immer mehr wertvoller Boden unter Asphalt und Beton.

"Die Raumordnung ist kollektiver Selbstmord", sagt Kurt Weinberger, der als Generaldirektor der Hagelversicherung den Bodenverbrauch und seine Folgen in Österreich zum Thema gemacht hat.

Es schauen aber dennoch alle zu. Vor allem auch die, zu deren Rede-Bausteinen Sätze zum Thema Bodenverbrauch gehören.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. Oktober 2018

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