Donnerstag, 14. November 2024

Europa muss zu eigener Kraft finden

Die ganze Welt rätselt darüber, was in den USA passiert ist und über das Warum. Mit einem Mal gibt es so viele Erklärungen dafür, warum Trump gewonnen hat, wie es vor den Wahlen Erklärungen gegeben hat, warum nur Kamala Harris und nicht Trump gewinnen könne.

In Wahrheit ist es für Europa einerlei. Wenn nach dem Wahlergebnis in den USA etwas wirklich klar ist, dann das: Europa muss sich endlich emanzipieren und selbstständig werden. Es muss zu eigener Kraft finden.

Ein realistischer Blick auf die Welt ist dringlicher denn je. Vor allem in Europa, wo gilt, was jemand auf X so formulierte: "Hallo, mein Name ist Wohlstandzentraleuropäer, der von den USA alle Innovationen gratis geliefert bekommt und davon lebt, dass die Menschen in den USA für Militär zahlen, damit ich mir einen riesigen Sozialstaat leiste." Man könnte diesen Tweet mit vielem ergänzen, bis hin zum Green Deal und all den Vorschriften und Auflagen, die der Wirtschaft oder etwa der Landwirtschaft das Leben schwer machen.

"Europa hatte vier Jahre Zeit, sich während der Biden-Regierung auf den schlimmsten Fall vorzubereiten -wirtschafts-und verteidigungspolitisch", schreibt die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit". Aber auch der wohlwollendste Beobachter könne nicht behaupten, dass dies in ausreichendem Maße geschehen sei. "Trumps Triumph ist kein Betriebsunfall der Geschichte", schreibt nicht nur "Die Zeit".

Die Politik ist es, die Europa aus dem Spiel nimmt, und man tut ohne Argwohn so, dass man mit immer mehr Bürokratie, mit Kleinstaaterei und Kleinkrämerei ohne jede Vision und Ehrgeiz auf dem richtigen Weg sei und Themen wie Wettbewerbsfähigkeit keine Rolle spielen. Dass es so nicht geht, in der internationalen Wirtschaft oder Landwirtschaft, in der Verteidigungspolitik und in vielen anderen Bereichen, sich aus der Verantwortung zu ziehen, ist nicht mehr zu übersehen.

Was wir seit Jahren auf der politischen Ebene erleben, spiegelt nichts anderes als eine Kultur wider, die sich nicht nur in Österreichs Gesellschaft, sondern in allen europäischen Staaten, allen voran in Deutschland, auch breit gemacht hat. Man ist immer weniger bereit, Verantwortung zu übernehmen, man fordert und man verlangt alimentiert zu werden. Man lässt machen und ist wenig gewillt, einen eigenen Beitrag zu leisten. Solidarität gilt nichts mehr und auch Zusammenhalt nicht. Und weil sich immer jemand findet in der Politik, der dieser Kultur nachgibt, weniger um wirklich Gutes zu bewirken, sondern eher um Stimmen zu bekommen, sind wir dorthin gekommen, wo wir jetzt stehen.

Und das ist nicht vorne. Ganz im Gegenteil. Europa ist im Wolkenkuckucksheim gelandet und ist dabei, den Anschluss zu verlieren. Wirtschaftlich und technologisch und verteidigungspolitisch sowieso.

Europa kann nicht mehr auf Kosten der restlichen Welt leben, sich die Rosinen herauspicken, den feinen Oberlehrer spielen und die raue Arbeit den anderen überlassen. In den Industriehallen oder auf den Feldern genauso wie im Krieg, zumal einem auf dem eigenen Kontinent. Es ist ja gut und auch wichtig, wenn man um die Zahl der Geschlechter streitet, sich für das Gendern und LGBTQ einsetzt und dafür, dass, wie in Wien, in den Öffis die Piktogramme durch geschlechtsneutrale Abbildungen ersetzt werden -aber man darf dabei die großen Linien nicht aus den Augen verlieren, an denen sich die Welt entwickelt und orientiert. Genau das aber tut man in Europa. Und genau deswegen trifft die Wahl Trumps die Menschen und die Politik so heftig.

Europa muss wieder in die Spur finden, um ernst genommen zu werden. Es muss ja nicht gleich eins zu eins umgesetzt werden, wenn gefordert wird, die Klimaziele "in ihrer ideologischen Sturheit" zu überdenken, die Blockade von Technologien aufzugeben, um die CO2-Ziele zu erreichen, das "Helikoptergeld" an Förderungen abzustellen, wie das da und dort zu lesen war - aber es sollte in diese Richtung gehen. In Richtung mehr Realitätssinn, mehr Realitätsbewusstsein und in Richtung mehr Eigenverantwortung.

Daran fehlt es. In Europa, in Deutschland, in Frankreich, in Österreich.

Dass es in Deutschland jetzt offenbar wirklich an ausreichend Papier für die Stimmzettel für die notwendig gewordenen Neuwahlen fehlt, könnte die Situation, auch wenn das Beispiel fraglos überzeichnen mag, für die meisten Staaten in Europa nicht bedrückender und eindrücklicher zeigen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung

Donnerstag, 7. November 2024

Falsche Bühne für "Polit-Schmiere"

Die Bilder, die in der vorigen Woche aus dem Parlament an der Wiener Ringstraße zu sehen waren, waren gewöhnungsbedürftig. Viktor Orbán, der so selbstbewusste wie selbstherrliche Autokrat aus dem Nachbarland, derzeit als Ratsvorsitzender sogar oberster Repräsentant der Europäischen Union, die er am liebsten aufgelöst sähe, hielt Hof, als wäre er daheim in Budapest. Ein Foto da, ein Foto dort und Wortspenden zum Wahlsieg der FPÖ zum Drüberstreuen.

Die Freiheitlichen, voran der frisch gewählte Parlamentspräsident und der Parteiobmann und ihre Entourage, gaben bei dem Spektakel die Lakaien, freuten sich wie die sprichwörtlichen Schulbuben über den Besuch und taten im noblen Ambiente des Parlaments ganz so, als hätten sie das Sagen in unserem Land. Da saßen auf einmal Leute im österreichischen Parlament, die keine Scheu hatten, mit einem international höchst umstrittenen ausländischen Politiker ohne jedes Mandat Gespräche zu führen und als Gipfel dieser "Polit-Schmiere" auch noch eine "Wiener Erklärung" zu veröffentlichen. Keine Spur davon, dass sie keinen Auftrag und schon gar kein Recht haben, im Namen Österreichs irgendetwas zu unterzeichnen.

Mitunter fühlte man sich in einer jener Kickl-Parodien, mit der Christoph Grissemann in der Sendung "Willkommen Österreich" das Land immer wieder unterhält. Mitunter fühlte man sich aber auch ganz anders, kamen einem doch beim schnellen Hinschauen auch Gedanken an einen Staatsstreich unter, bei dem es auch so sein könnte, was man da sah.

Es ist die Anmaßung, die empört, und die Art und Weise, wie die FPÖ interpretiert, dass sie bei den Wahlen die meisten Stimmen erhalten hat. Es fühlt sich jedenfalls fremd an, diese Szenerie zu sehen. Dass auf einmal die FPÖ nicht nur im Plenum und in ihren Klubräumen, sondern in den Repräsentationsräumen im Parlament sitzt und Staatschefs empfängt, ohne irgendeinen Auftrag zu haben. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber das ist wohl die neue Realität.

Es ist wohl zu befürchten, dass so etwas, wie wir es in der vorigen Wochen erleben mussten, zu unserer Zukunft gehört. Es steht zudem zu befürchten, dass man sich daran gewöhnen muss, dass die Freiheitlichen einfach den Staat für ihre Zwecke, für ihre Strategien und für ihre Ziele benutzen und in einer Rolle, in der sie einfach nicht sind und die ihnen mangels Legitimation auch nicht zusteht, dennoch auf mächtig machen.

Freilich kann man sagen, die FPÖ müsse ja das Momentum nutzen und jetzt einmal Profil zeigen. Kann man. Aber die FPÖ sollte auch die Hände reichen und zeigen, dass sie sich bemüht, mit den anderen zusammenzuarbeiten, dass sie Verantwortung für den Staat und für das Gesamte nimmt und dass es nicht nur um die eigene Profilierung geht.

Und auch dem frisch gewählten Parlamentspräsidenten stünde es an, die Rolle des "Parteisoldaten", die er in Interwies immer hervorkehrte, endlich zu verlassen. Er hätte so viele andere Leute auf seinem hierarchischen Niveau einladen können, etwa Kollegen aus anderen Parlamenten. Aber nein -er lädt just den umstrittensten Staatschef in der EU ein, nimmt damit gleichsam das ganze Land als Geisel und schlägt einen Pflock ein, der abgrenzt und abtrennt.

Österreich reagierte aufgeregt und eingeschnappt. Die Kirche im Dorf wollte kaum einer lassen. Ganz abgesehen davon, dass es so ungewöhnlich nicht war, wie getan wurde. Auch andere Parteien begrüßen im Parlament gerne ihre Gäste und treten dabei zuweilen auch in einer Art und Weise auf, die ihnen eigentlich nicht anstehen würde.

Das wirft die grundsätzliche Frage auf, wie das Parlamentsgebäude über die politische Entscheidungsfindung hinaus genutzt werden soll. Und ob dazu auch Veranstaltungen wie der vielkritisierte Orbán-Besuch gehören sollen, zumal dann, wenn sie so ablaufen, wie wir sie erleben mussten.

Dabei geht es nicht um die Frage, ob das Parlament offen sein soll. Das soll es ohne Zweifel. Aber es sollte sehr wohl um die Frage gehen, ob es Bühne oder gar Spielwiese sein soll und darf für parteipolitische Interessen.

Ganz abgesehen davon - hätte Österreichs Politik den Freiheitlichen nicht so in die Hände gespielt, wie man es in den vergangenen Jahren getan hat, wäre uns das alles erspart geblieben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. November 2024

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Österreich zwischen den Zeiten

"Die erste Annäherung fand bei Tafelspitz statt", schrieb die größte Tageszeitung im Land zu Beginn dieser Woche. "In zwei Wochen will man entscheiden, ob Koalitionsverhandlungen möglich sind." Nach Tempo schaut das nicht aus. Es wird sich wohl ziehen, bis wir eine neue Regierung haben und wir müssen uns wohl darauf einstellen, länger zwischen den Zeiten zu leben. Zwischen der alten Regierung, die eine "Lame Duck" ist, wie das im Englischen wenig despektierlich, aber sehr treffend genannt wird, und vor der neuen Regierung, die kaum mehr heuer angelobt wird. Eine "lahme Ente", die keine Entscheidungen trifft und auch nicht mehr treffen kann, aber weiter im Amt sitzt, ganz gleich, wie dringlich der politische Handlungsbedarf ist im Land.

Aber es geht wohl nicht anders. Die Lage ist alles andere als einfach. Verzwickt ist noch ein Hilfsausdruck. Mit Kickl mag niemand respektive getraut sich niemand in eine Regierung zu gehen. Aber auch die Koalition zwischen ÖVP und SPÖ, für die die immer noch zu hörende Bezeichnung "große Koalition" angesichts des Stimmenschwunds längst reichlich übertrieben ist, mag man nirgendwo wirklich. Mag sein, dass schwarz-rot am besten wäre, wenn man nicht wüsste, wie weit sich diese Welten voneinander entfernt haben, wie tief auf beiden Seiten die Abneigung zuweilen geht und worunter man in der Vergangenheit zu leiden hatte.

Früher hätte man der Koalition zwischen VP und SP ohne viele Einschränkungen das Wort geredet, zumal, wenn große Aufgaben anstehen und große Probleme zu lösen sind, in denen politischer Kleinkrieg nur hinderlich wäre. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Und da wie dort ist viel Porzellan zerschlagen worden. Ob die Neos da viel retten oder gar verändern können, wenn man sie in eine "Zuckerlkoalition" holt, wie dieser Parteien-Dreier schnell punziert wurde, steht in den Sternen.

Da nützen alle Beschwörungen des Kanzlers wenig, dass es ein "weiter wie bisher nicht geben darf" und dass es "Veränderungen und Reformen" brauche, "um die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können". Genauso wenig, wie wenn der SP-Vorsitzende nahezu wortgleich das Nämliche formuliert oder der Bundespräsident "neue Lösungen" und Reformen fordert, und Altes loszulassen und Neues zu wagen.

"Ja eh", ist man geneigt zu stöhnen. Man kennt das ja sattsam und zur Genüge und man mag nicht recht daran glauben, dass die wirklich umsetzen können, was sie da versprechen und fordern. Das war schon bei den vergangenen Wahlen so. Warum sollte es diesmal anders sein?

Schwarz-rot ist nicht spannend. Man erhofft sich wenig und man erwartet nicht viel. Weit und breit keine charismatischen Figuren, weit und breit keine spannenden Ideen. Nicht zuletzt deshalb ist in diesem Land wohl keine Stimmung für diese Koalition zu spüren. Nichts von dem, was man gemeinhin unter "Zug" versteht, und schon gar nichts von einer Aufbruchsstimmung, die das Land so dringend brauchen würde. Da ist nichts von Visionen für die Zukunft zu erkennen und nichts von Zielen, die das Land weiterbringen können. Und die Neos sind in dieser Konstellation wohl zu klein und allenfalls für den einen oder anderen Farbtupfer gut, wenn sie tatsächlich in die Regierung gebeten würden.

Die Zustimmung zu einer Koalition zwischen Schwarz und Rot und auch zu einer Zuckerl-Koalition entspringt wohl eher einer Mischung aus Verzweiflung und Ratlosigkeit. Zu viel hat man als Wählerin respektive Wähler schon mit diesen beiden Parteien erlebt. Da ist die Sorge größer, dass man wieder das erlebt, was man ohnehin schon kennt und von dem man oft schon so enttäuscht war, "aber irgendwer muss ja regieren", hört man oft.

Rundherum ist man nicht glücklich. Freilich ohne Alternativen zu haben. Mit den Freiheitlichen besteht zu recht Angst und Sorge, dass der Staat in den Graben fährt. Das ist aber, in einer anderen Weise, wohl auch von der Koalition zu befürchten, an die man sich "beim Tafelspitz" annäherte. Manche Kommentatoren machen sich schon jetzt Sorgen. "Sollten ÖVP und SPÖ der Versuchung erliegen, ihre diversen Wahlkampfschlager zu verwirklichen, wird das Staatsbudget endgültig aus den Fugen geraten", schreibt etwa Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten.

Vielleicht wird ohnehin noch alles ganz anders. Nicht wenige im Land meinen das. Viele hoffen unverdrossen darauf, dass FP und VP doch noch zusammenfinden. Und viele freilich fürchten sich genau davor.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 31. Oktober 2024

Die Bauern kämpfen um ihren Platz

Der Streit zwischen Spar und den Milchbauern lenkt die Augen auch auf strukturelle Probleme in der Landwirtschaft. Die Zahl der Betriebe dürfte weiter sinken.

Hans Gmeiner

Salzburg. Die Milchbauern sorgen in diesen Tagen wieder für Schlagzeilen. Die Handelskette Spar und die Bauern der MGN Milchgenossenschaft Niederösterreich, Lieferanten und Miteigentümer der NÖM, Österreichs zweitgrößter Molkerei, kommen bei den Preisverhandlungen auf keinen grünen Zweig. Spar akzeptiert die von der NÖM für ihre Milchprodukte gewünschten Preiserhöhungen nicht. Deshalb beliefert die NÖM Spar vorerst nicht mehr. Während das Handelsunternehmen mit dem Verweis auf gesunkene Kosten bei Energie, Verpackungsmaterial und Futtermitteln keine Preiserhöhungen akzeptieren will, pochen die Bauern auf Fairness und kostengerechte Preise.

Der Streit samt Lieferstreik ist vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzungen der Bauern mit den Handelsketten, die sich bereits über Jahrzehnte ziehen. Die Milchbauern stehen seit Jahren unter großem Druck. In keinem Betriebszweig der Landwirtschaft hörten so viele Bauern auf, weil sie keine Zukunft mehr für sich sahen. Allein in den elf Jahren seit 2013 ging die Zahl der heimischen Milchproduzenten um mehr als ein Drittel auf rund 22.400 zurück. Noch drastischer fällt der Vergleich mit der Mitte der 1990er-Jahre aus. Damals gab es noch mehr als 81.000 Milcherzeuger in Österreich. Der ständige Preisdruck, hohe Kosten, immer neue Auflagen und oft auch Probleme mit der Hofnachfolge sind die Hauptgründe dafür, dass so viele Bauern aus der Produktion ausgestiegen sind. Die Betriebe sind heute deutlich größer. Hatte damals ein Milchbauer im Schnitt zehn Kühe im Stall, so liegt der Schnitt heute bei knapp 25 Kühen. Dass ein Milchbauer mehr als 100 Kühe hält, ist heute auch bei uns keine Seltenheit mehr und auch mit der Grund dafür, dass die Milchproduktion nicht zurückgegangen ist. Ganz im Gegenteil. In den vergangenen 30 Jahren erhöhte sich die Produktion um mehr als 40 Prozent auf rund 3,8 Mrd. Liter jährlich, deutlich mehr als der Inlandsbedarf.

Der Strukturwandel in der Milcherzeugung ist das eindrücklichste Beispiel dafür, dass der Strukturwandel in den landwirtschaftlichen Betriebszweigen mit Tierhaltung deutlich mehr Tempo hat als etwa im Ackerbau. Während die Zahl der Bauern in den vergangenen Jahren insgesamt jährlich um rund zehn bis zwölf Prozent zurückging, und damit deutlich geringer als in den Jahrzehnten davor, sank die Zahl der Rinderhalter insgesamt (inklusive Milchviehhalter) in den vergangenen zehn Jahren um rund 20 Prozent. Noch mehr Bauern stiegen aus der Schweinhaltung aus. Die Zahl der Schweinehalter ging in den vergangenen zehn Jahren um ein Viertel auf rund 17.000 Bauern zurück.

In diesem Tempo wird es wohl weitergehen. Erst jüngst sorgte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts KeyQuest unter den Bauern für Aufsehen. Demnach wird in den nächsten zehn Jahren die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um weitere 15 Prozent zurückgehen. Die Zahl der Haupterwerbsbetriebe soll demnach sogar um 22 Prozent sinken. Auch dort wird der Rückgang bei Tierhaltern, speziell bei Milchbauern, Mutterkuhhaltern und Rindermästern, aber auch bei Waldbauern besonders stark ausfallen. Auch die Zahl der Betriebe, die im Nebenerwerb bewirtschaftet wird, wird der Umfrage zufolge um neun Prozent sinken.

Als Hauptursachen für die Stilllegung von Betrieben und für den verstärkten Wechsel in den Nebenerwerb nennt Johannes Mayr von KeyQuest die „mangelnde Rentabilität“. Sie ist für 70 Prozent der Grund dafür, die Hof- und Stalltüren für immer zu schließen. Bei gut einem Drittel der Höfe, die aufgegeben werden, fehlt es aber schlicht an Nachfolgern. Mayr: „Vielen potenziellen Hofnachfolgern fehlt es an den wirtschaftlichen Perspektiven“. Zudem sei die zu erwartende Arbeitsbelastung ein wichtiges Entscheidungskriterium.

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hat längst weitreichende Folgen, die weit über das Schicksal von Bauernfamilien und Höfen hinausgehen. Besonders markant ist nicht nur der Verlust an Arbeitsplätzen auf dem Land, sondern auch der Wandel in der Landnutzung, der damit schon bisher einherging. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo verkleinerte sich innerhalb der vergangenen 50 Jahre die landwirtschaftlich genutzte Fläche Österreichs von 3,6 Mill. auf 2,6 Mill. Hektar, während die Wald-und Forstflächen von 2,9 Mill auf 3,4 Mill. Hektar und die weder land- noch forstwirtschaftlich genutzten Flächen von 1,4 Mill. auf 2,4 Mill. Hektar wuchsen.

Dass die heimische Landwirtschaft trotz des Strukturwandels und deutlich weniger Betrieben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten heute dank der Fortschritte in Pflanzenzüchtung, Tiergenetik, Produktionstechnik und Know-how mehr erzeugt denn je, konnte nicht verhindern, dass die Wertschöpfung im Vergleich zu anderen Sektoren deutlich zurückgefallen ist und die Bauern unzufrieden sind. Wäre die Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft in Österreich seit 1995 so gestiegen wie in der Volkswirtschaft insgesamt, müsste sie laut Wifo nominell 7,6 Mrd. Euro betragen. „Tatsächlich betrug sie im Vorjahr nur 4,4 Mrd. Euro“, heißt es im Wifo-Bericht.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 31. Oktober 2024

Die Zahl der Bauernhöfe sinkt weiter

Salzburg. Seit Tagen sorgen die heimischen Bauern wieder für Schlagzeilen. Dass sich der größte Handelskonzern Spar nicht mit der zweitgrößten Molkerei des Landes NÖM über die Preise einigen kann und die Bauern daher die Belieferung eingestellt haben, lässt die Wogen hochgehen. Zugleich zeigt es strukturelle Probleme in der heimischen Landwirtschaft auf – und die gehören noch keineswegs der Vergangenheit an.

In keinem anderen Betriebszweig hörten in den vergangenen Jahren so viele Bäuerinnen und Bauern auf wie in der Milchwirtschaft. Allein in den elf Jahren seit 2013 ging die Zahl der heimischen Milchproduzenten um mehr als ein Drittel auf rund 22.400 zurück. Noch drastischer fällt der Vergleich mit der Mitte der 1990er-Jahre aus. Damals gab es noch mehr als 81.000 Milcherzeuger in Österreich. Der ständige Preisdruck, hohe Kosten, immer neue Auflagen und Probleme mit der Hofnachfolge sind die Hauptgründe dafür. Zugleich freilich ist auch die Betriebsgröße deutlich angewachsen.

Ein Ende des viel beklagten „Bauernsterbens“ ist nicht in Sicht. Erst jüngst sorgte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts KeyQuest unter den Bauern für Aufsehen. Demnach wird in den nächsten zehn Jahren die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um weitere 15 Prozent zurückgehen. Die Zahl der Haupterwerbsbetriebe soll demnach sogar um 22 Prozent sinken.

Das hat laut Daten des Wirtschaftsforschungsinstituts längst Folgen, auch über die persönlich Betroffenen hinaus: Laut Wifo hat sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich in den vergangenen 50 Jahren von 3,6 Mill. auf 2,6 Mill. Hektar verkleinert, während die Wald- und Forstflächen von 2,9 Mill. auf 3,4 Mill. Hektar und die weder land- noch forstwirtschaftlich genutzten Flächen von 1,4 Mill. auf 2,4 Mill. Hektar wuchsen. Als Hauptgrund, aufzuhören, nennen Bauernn die fehlende wirtschaftliche Perspektive. 

Salzburger Nachrichten - Seite 1, 31. Oktober 2024

Donnerstag, 24. Oktober 2024

Das Ringen mit dem Wahlergebnis

 

Es war einer der entlarvendsten Tweets, die nach den Nationalratswahlen geschrieben wurden. "Stadt/Land -Gummistiefel vs. Herz und Hirn." Hier die Leute mit Verstand, Verantwortung, Umsicht und Weitblick, dort die Einfachen, Grobschlächtigen, Verblendeten, Engstirnigen, die zu schlicht gestrickt sind, um auch nur irgendetwas zu begreifen, war damit wohl gemeint. Hier die weltläufige Stadt und ihre Bewohner, da die Leute vom Land, die hinten geblieben sind. Gegenüber was auch immer. Mehr an Verachtung geht kaum und weniger Respekt auch nicht. Eindrücklicher könnte nicht beschrieben werden, warum das Land in der Lage ist, in der es ist.

Der Tweet zeigt aber auch, wie schwer sich viele tun mit einem in demokratischen Wahlen zustande gekommenen Ergebnis umzugehen. Links der Mitte will man nicht zur Kenntnis nehmen, dass einer wie Kickl als klarer Wahlsieger hervorgegangen ist, der ihrer Ansicht nach gar nicht hätte gewinnen dürfen und den sie auch nach den Wahlen immer noch mit aller Macht zu verhindern versuchen. Man protestiert nach Kräften, geht auf die Straßen und versucht mit Petitionen und Resolutionen, das Wahlergebnis am besten ungeschehen zu machen. Ganz so, als hätte es die Wahlen nicht gegeben.

Auf der anderen Seite, das soll nicht unerwähnt bleiben, tun sich freilich auch die, die Kickl zum großen Sieger gemacht haben, und auch Kickl selbst schwer damit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sie eben nur 30 Prozent der Stimmen erreicht haben und dass das weit entfernt ist von einer absoluten Mehrheit, die es ermöglichen würde, wirklich anzuschaffen in diesem Land.

Auch wenn man davon kaum reden mag -es gehen Gräben durch das Land. "Die Stadt-Land-Kluft im Wahlverhalten, die es immer schon gab, wächst", schrieb eine Tageszeitung in einer Wahlanalyse. Das Verständnis der Gesellschaftsgruppen untereinander schwindet, Versuche, Brücken zu bauen, gelten nicht mehr viel, auch nicht miteinander zu reden oder gar aufeinander zuzugehen. Stattdessen Abgrenzung allerorten, Unverständnis, Kopfschütteln, Häme auch und oft sogar Wut. Auf allen Seiten der Gräben, die sich durch das Land ziehen.

Genau auch deswegen ist es zu dem Wahlergebnis gekommen, mit dem so viele im Land nicht zurechtkommen können. Man nimmt in den urbanen Räumen nicht zur Kenntnis, dass die Anforderungen draußen am Land oft ganz andere sind. Dass man sich dort zunehmend abgehängt fühlt, alleine gelassen, wenn der Greissler zusperrt, das Dorfwirtshaus, die Post, der Doktor und die Bank, oder wenn Betreuungsplätze für Kinder oft nur schwer zu finden sind. Man kann zuweilen wenig anfangen mit der immer lauter werdenden Kritik am Auto, wenn man kilometerweit bis zu nächsten Bus-oder Bahnhaltestelle fahren muss. Oft bleibt nichts als Staunen darüber, was da in der Stadt und in der Politik geredet und diskutiert wird, weil es mit der eigenen Lebenswelt so wenig zu tun hat.

Herbert Kickl hat es geschafft, diese Unzufriedenheit in Stimmen umzuwandeln. Die anderen, vornehmlich die links der Mitte, haben es nie geschafft, die Leute in dem Maß für sich und ihre Anliegen zu gewinnen. Ihre Ideen und Warnungen sind nicht angekommen. Im Gegenteil. Sie stärkten die andere Seite. Seit Jahrzehnten.

Aber es ist nicht alleine das. Betrachtet man die ländlichen Regionen, so ist es dort vor allem im konservativ-rechten Spektrum zu Wählerverschiebungen gekommen. Also zwischen der FPÖ und der ÖVP, die bis auf wenige Ausnahmen über Jahrzehnte gemeinsam die Mehrheit im Land halten. Und das sowohl auf der Ebene des Bundes und auch in vielen Ländern und Gemeinden. Es ist vor allem die ÖVP, die jene Stimmen verloren hat, die Kickl so stark gemacht haben. Jene ÖVP, die sich nicht stolz genug brüsten kann mit ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im ganzen Land und mit ihren Landeshauptleuten, und die sich so gerne selbst auf die Schultern klopft. Obwohl man überall die Schalthebel in der Hand hat, hat man es nicht geschafft, die Probleme, die die Leute drücken und mit denen sie sich herumschlagen müssen, aufzufangen.

Nun muss man sich vorhalten lassen, dass man, bei Licht betrachtet, eigentlich verantwortlich ist dafür, dass viele Leute am Land ihre Lage so empfinden, wie sie sie empfinden, und dass sie just deswegen diesmal bei der FPÖ ihr Kreuzerl gemacht haben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. Oktober 2024

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Jetzt ist Feuer am Dach

Eine florierende Wirtschaft und ein solides Budget sind tragende Säulen für das Funktionieren der Gesellschaft. Sie entscheiden darüber, was sich diese Gesellschaft leisten kann und was nicht, was sie planen kann und was nicht und ob man es selbst in der Hand hat, sich zu helfen, wenn etwas aus dem Lot gerät -oder eben nicht. Im Sozialbereich genauso wie bei der Infrastruktur, in der Landwirtschaft, in der Bildung oder in der Wirtschaft.

Diese Zusammenhänge hat man in den vergangenen Jahren aus den Augen verloren, vorsätzlich verleugnet, zuweilen im populistischen Ringen um die Stimmen der Wähler. Die gesellschaftliche Diskussion ist, überfordert freilich auch von Themen wie Migration und Pandemie, aus dem Ruder gelaufen und hat auf diese Grundlagen vergessen.

Nach den Wahlen erleben wir jetzt ein Rendezvous mit der Wirklichkeit. Jetzt ist Feuer am Dach. "Österreichs Wirtschaftslage ist noch schlechter als angenommen", heißt es jetzt selbst in der internationalen Presse. Und der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes wollte da auch nichts beschönigen. "Wir haben die längste Rezession, wenn auch nicht die tiefste seit 1946", sagt er im Radio. Und seine Kollegin von Eco Austria meint, dass das noch nicht alles sei: "Die Aussichten verdüstern sich", schrieb sie in einem Kommentar für eine Tageszeitung.

Die beiden heimischen Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für heuer einhellig ein schrumpfendes BIP voraus und für das kommende Jahr auch nicht mehr als allenfalls ein Plus von 0,8 Prozent. Dazu wurde nur wenige Tage nach den Wahlen ruchbar, dass das Budget ziemlich aus dem Ruder gelaufen ist und der Konsolidierungsbedarf in den nächsten Jahren deutlich über den zwölf Milliarden Euro liegen wird, die man bisher immer angenommen hatte.

Seither ist die Aufregung groß. Endlich möchte man sagen. Endlich widmet man sich dem Thema, an dem unser aller Zukunft und Wohlstand hängt. In den vergangenen Jahren hat man sich um die Wirtschaft und auch um das Budget ja kaum gekümmert und zumeist so getan, als sei, wenn schon nicht alles in Ordnung, so doch alles möglich. Ohne irgendwelche Folgen. So wie man sich wohl das Schlaraffenland vorstellt. Vom unseligen "Koste es, was es wolle"-Sager von Kurz, über die 32-Stunden-Wochenarbeitszeit-Forderung von SP-Chef-Babler bis hin zum noch regierenden Kanzler, der noch vor Monaten steif und fest behauptete, dass es "keine Notwendigkeit für ein Sparpaket" gebe, wurde die Realität einfach ausgeblendet. Warnungen wurden in den Wind geschlagen, Forderungen überhört, Anliegen ignoriert. Die Wirtschaft wurde über weite Strecken sich selbst überlassen, mit immer neuen Auflagen und immer noch mehr Bürokratie eingedeckt, was die Kosten über Gebühr erhöhte und die Konkurrenzfähigkeit schwächte. Statt Lösungen zu suchen und neue Wege, hat man Probleme allenfalls mit Geld zugeschüttet und so zumeist Strukturen eher einzementiert, denn sie zukunftsfähig zu machen. Und beim Staathaushalt ist es kaum anders. In die Strukturen griff man auch da nie ein. Am eindrücklichsten ist das beim Pensionssystem zu sehen. Der Aufwand alleine dafür explodierte in den vergangenen vier Jahren von 20 Mrd. auf 30 Mrd. Euro.

Nun gibt es allerlei Vorschläge und Anregungen. Der Bogen reicht vom Streichen des Klimabonus, über höhere Steuern beim Sprit, die Besteuerung von Erbschaften bis hin zu einem Durchforsten des Fördersystems.

Was wirklich kommen wird, steht einstweilen in den Sternen. Dass wir gerade gewählt haben und auf eine neue Regierung möglicherweise noch Monate warten müssen, macht die Sache nicht einfacher. Und das nicht alleine dessentwegen, sondern auch deshalb, weil längst alle Interessengruppen dabei sind, sich mit ihren Forderungen und Wünschen in Stellung zu bringen - darunter selbstredend auch viele von denen, die sonst gerne und lautstark den Förderwahnsinn im Land anprangern. Nichts zu hören ist freilich davon, dass irgendjemand bereit sei, auf irgendetwas zu verzichten. Ganz im Gegenteil. Alle wollen noch mehr. Selbst jetzt, wo alles an die Wand gefahren scheint.

Der Schaden ist nicht unbeträchtlich. Damit zurechtzukommen braucht, wie vieles in diesem Land, einen neuen Zugang, ein neues Denken. Und das freilich nicht nur in der Politik, sondern auch und vor allem bei denen, für die sie da ist - bei den Angestellten und Arbeitern, bei den Pensionisten, bei den Bauern, bei der Wirtschaft. Kurzum bei allen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Oktober 2024
 
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