Donnerstag, 7. August 2014

Vom Ernst der Politik



"Ich nehme die Politik ernst - immer noch." Der Satz, den Barbara Prammer in einem ihrer letzten Interviews knapp ein Monat vor ihrem Ableben sagte, ist so etwas, wie ein Vermächtnis. Ein Vermächtnis, das es gerade in Österreich verdient, ernst genommen zu werden.

Denn viele tun das, was Prammer bis zuletzt zu tun versuchte, nicht mehr. Politik ernst nehmen. Allerorten hallen einem die Schimpftiraden entgegen. Im Liegestuhl am
idyllischen Badesee in Kärnten, in der Schlange vor der Kasse im Supermarkt, bei der Zugfahrt in die nächste Stadt. Und erst recht natürlich im Wirtshaus. Nirgendwo gelingt es mehr sich der Miesmacherei, der Pöbelei und der Geringschätzigkeit, mit der hierzulande über Politik geredet wird, zu entziehen.

Längt ist es nicht mehr nur schick, schlecht über die Politik zu reden und über die Politikerinnen und Politiker und ihr Tun respektive Nichts-Tun zu schimpfen und sich auszulassen. Längst ist daraus echter Frust geworden. Ein Frust, der durch und durch geht und der immer mehr in diesem Land den Glauben an die Politik, ihre Möglichkeiten und ihre Notwendigkeit verleidet.

Längst geht es in den Gesprächen, die sich um Politik drehen, nicht mehr, wie früher so oft und leidenschaftlich, darum, ob nun die "Roten", die "Schwarzen", die "Grünen", die "Blauen" oder sonst wer die besseren sind, weil sie die besseren Leute und die besseren Ideen haben. Da Unterschiede zu machen hat die großer Mehrheit derer, die sich mit Politik überhaupt noch in irgendeiner Weise befassen, längst aufgegeben. Da wird nicht mehr unterschieden, da sind längst alle in einem Topf. Für immer mehr ist die Politik schlechthin das Letzte.

Ein Land wendet sich ab, immer schneller, immer öfter, immer deutlicher. Zahllose Umfragen bestätigen das, zahllose Wahlgänge mit ihren immer geringeren Beteiligungen auch.

Allzu viele in diesem Land weigern sich inzwischen zu tun, was Barbara Prammer bis zuletzt hatte. Die Politik ernst nehmen. Das freilich ist ihnen nicht zu verübeln, wenn man alleine das Revue passieren lässt, was die heutige Regierungsspitze in ihrem Wahlkampf vor Jahresfrist vollmundig versprochen hat und was daraus geworden ist. Neue Steuern statt weniger Steuern, immer höhe Budgetdefizite statt geringere. Das Bild des Überfordertseins, das ungeniert vermittelt wird, das Fehlen von fachlicher Kompetenz und von Führungskompetenz, all die zermürbenden Grabenkämpfe. Was sollte da der kleine Angestellte in Grünau, der Arbeiter in Ternitz, der Gewerbetreibende in Imst noch ernst nehmen, wenn sich selbst die Wirtschaftskapitäne von voestalpine-Chef Wolfgang Eder abwärts veranlasst sehen, die Widersprüche aufzuzeigen und schier bereits jede Woche Warnrufe abzusetzen.

Diese Warnrufe und dieser Rückzug breiter Bevölkerungsschichten von der Politik sind freilich nichts anderes, als ein Schrei nach Politik. Man möchte zu gerne das, was Prammer tat - die Politik ernst nehmen. Denn man weiß, man muss es. Es gibt kein Leben ohne Politik. Es gibt Leben ohne gute Politik, das ja. Aber es gibt kein Leben ohne Politik. Denn irgend jemand macht sie immer.

Kritische Geister meinen längst, dass auch in Österreich mangels der Bereitschaft guter Köpfe längst die "irgend jemands" am Ruder sind.

Nicht zuletzt das hat wohl die Abkehr von immer mehr Menschen von der Politik und politischen Vorgängen beschleunigt. Hat ihnen den Glauben genommen, dass die Politik respektive ihre Vertreter dazu fähig sind, ihre Aufgaben für das Land gut zu erfüllen.

Diesen Glauben wieder zu geben, ist wohl die größte Aufgabe, vor der das Land steht. Größer noch als alles andere. Man mag sich gar nicht ausdenken, wohin führen kann, wenn die Politik niemanden mehr erreicht, weil es nicht gelingt, das dafür notwendige Vertrauen und Verständnis zu erzeugen.

Die Menschen in diesem Land sehnen sich nach Führung. Sie wollen gehört werden und ernst genommen mit ihrem Unbehagen. Sie haben die Kultur satt, die in den vergangenen Jahren in der Politik eingerissen ist. Kaum etwas ist größer, als der Wunsch an die Politik zu glauben und ihr vertrauen und sie ernst nehmen zu können.

Davon freilich ist man in Österreich derzeit weit entfernt. Fahrlässig weit entfernt. Und kaum wo gibt es Anzeichen dafür, dass sich das ändern könnte.

Raiffeisenzeitung - 7. August 2014

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