Donnerstag, 6. August 2015

Ungleiche Verteilung



"Es ist auch deshalb schwer, Arbeitskräfte zu finden, weil das Arbeitslosengeld fast genauso hoch ist, wie das Arbeitseinkommen", sagte Finanzminister Schelling dieser Tage in einem Interview und löste damit heftige Diskussionen aus. Vor dem Hintergrund immer lauter werdender Klagen ganzer Branchen über die Schwierigkeiten bei der Suche nach Personal auf der einen, und bei fast 400.000 Arbeitslosen und entsprechenden Kosten auf der anderen Seite, hat die Feststellung Schellings durchaus ihre Berechtigung. Sie lenkt, unbesehen, wie richtig sie ist, die Aufmerksamkeit auch auf ein Thema, über das in Österreich nur sehr ungern und nur sehr verhalten diskutiert wird: Die, die das Bruttosozialprodukt erarbeiten, die das System erhalten, und damit die, die den Sozialstaat ermöglichen, sind im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung verdammt wenige. Und sie werden im Verhältnis immer weniger.

Der Ausbau des Sozialstaates über die vergangenen Jahrzehnte, durchaus eine Erfolgsgeschichte, hat Ungleichgewichte erzeugt, die längst zur drückenden Last geworden sind.

Nicht nur für die öffentlichen Haushalte. Auch bei denen, die das System erhalten müssen, wächst der Unmut. Rund 100 Milliarden Euro kostet dem Land inzwischen der Sozialstaat jährlich, fast ein Drittel der Wirtschaftleistung und im Verhältnis so viel, wie in kaum einem anderen Land der Welt. Man leistet sich dafür viel. Sehr viel. Oft freilich nicht nur aus Gutheit, viel zu oft leider, weil es an Ideen und Konzepten mangelt. Und an Lösungen erst recht.

Dass von den 60-bis 65-Jährigen in Österreich nur 23,3 Prozent noch arbeiten, wiewohl das gesetzliche Pensionsalter bei den Männer nach wie vor bei 65 Jahren liegt, ist nur ein Beispiel dafür. Und dass es in vielen Branchen ganz normal ist, die Mitarbeiter außerhalb der Saison in die Arbeitslose zu schicken, ein anderes. Und dass manche lieber daheim bleiben, als zu arbeiten, wenn sie dafür fast das gleiche Geld kriegen, ist ihnen auch nicht zu verargen. "Wer ist eigentlich noch produktiv tätig?" fragte kürzlich die Kommentatorin einer Tageszeitung. "Der Anteil jener an der Bevölkerung, die am Tropf des Staates hängen und ganz oder teilweise ihren Lebensunterhalt vom Staat bezahlt bekommen, ist beträchtlich", befand sie. Nicht zu Unrecht, wie die Zahlen zeigen.

Die fast 400.000 Arbeitslosen und die gut 2,7 Millionen Pensionisten und Rentenempfänger bringen es zusammen inzwischen bereits auf mehr als 75 Prozent der Zahl der Erwerbstätigen, die in den einschlägigen Statistiken mit rund vier Millionen - bei einer Gesamtbevölkerung von knapp mehr als acht Millionen - angegeben werden. Zieht man die ab, die mit der Verwaltung des Landes beschäftigt und mithin nicht produktiv im eigentlichen Sinn sind, geht das Verhältnis rasch auf 50:50 zu.

Noch drastischer zeigt sich die ungleiche Verteilung der Lasten in diesem Land beim Steuerzahlen. Aktuelle Aufstellungen zeigen, dass rund 2,5 Millionen der insgesamt 6,8 Millionen Lohn- und Einkommenssteuerpflichtigen (sowohl Aktive Beschäftigte als auch Pensionisten) keinerlei Steuerzahlungen leisten müssen. Nicht genug damit. Transferleistungen aus dem staatlichen Füllhorn in Form von Beihilfen, Unterstützungen, Subventionen, Ausgleichszahlungen und vielen anderen ähnlichen Titeln machen selbst viele von denen, die Steuern zahlen müssen, zu Verdienern am System. Sie bekommen von Staat mehr, als sie an Steuern einzahlen. Gerade einmal 20 Prozent zählen ohne wenn und aber zu Netto-Einzahlern ins System. Sie sind es also, die einen Gutteil der Lasten schultern müssen.

Nun ist nur den Allerwenigsten in diesem Land vorzuwerfen, dass sie auf krummen Wegen zu Sozialleistungen kommen, sich die Arbeitslose erschleichen oder sich in die Frühpension tricksen. Arbeitslose, Pensionen und all das andere, das der Sozialsataat bietet, wird rechtens bezogen. Die Verantwortung für die nunmehrige Schieflage und die Auswüchse dafür vielmehr in der Politik und bei den dort Verantwortlichen zu suchen, die keine Lösungen finden und sich nie getrauten, die Bremse zu ziehen. Oder, wie Schelling, zumindest manches in Frage zu stellen.

Verantwortung ist aber auch bei jenen zu suchen, die sich seit Jahrzehnten beharrlich weigern, der Wirtschaft die nötigen Freiheiten zu geben, Vorschriften und Vorgaben zu entstauben, Lasten wegzuräumen und Perspektiven für die Zukunft zu schaffen. Sie verhindern damit die so notwendigen neuen Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Dumm nur, dass die da wie dort und überall sitzen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. August 2015

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