Mittwoch, 5. August 2015
TTIP verunsichert Bauern
Während viele Landwirte unsicher sind, ist bei ihren Vertretern und den Verarbeitern ihrer Produkte die Stimmung eindeutig pro TTIP.
Hans Gmeiner
Salzburg. Hans Reisetbauer aus Axberg in Oberösterreich, Landwirt und einer der führenden Schnapsbrenner des Landes, lässt sich vom Trommelfeuer der NGOs und mancher Parteien und Medien gegen das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA nicht beeindrucken. „TTIP wäre für uns eine Erleichterung“, sagt er. „Das brächte einen kräftigen Schub, weil es einfacher wird, auf den Markt zu kommen.“ Er würde sich bürokratische und teure Doppelgleisigkeiten bei der Lizenzierung seiner Edelbrände ersparen, die er in die USA exportiert, hofft er. „Allein die Lizenz für eine einzige Schnapssorte kostet rund 750 US-Dollar.“
Nicht alle Bauern sehen das so positiv wie Reisetbauer. Die Landwirtschaft gibt sich in der öffentlichen Diskussion sehr zurückhaltend. Viele Landwirte haben Angst vor der Billigkonkurrenz durch US-amerikanische Großfarmen, fürchten, dass Produktionsstandards aufgegeben werden, und glauben, dem Preisdruck nicht standhalten zu können – ähnlich wie seinerzeit vor dem EU-Beitritt.
Franz Sinabell vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) hat Verständnis für die Sorgen der Bauern. „TTIP macht das Leben für die Bauern nicht leichter“, er fügt aber hinzu: „Ich glaube nicht, dass es der heimischen Landwirtschaft das Genick brechen wird.“ Im Vergleich zum EU-Beitritt vor 20 Jahren sei TTIP nur eine „kleine Umstellung“.
Unbegründet sind die Sorgen vieler Bauern nicht. Eine Studie des deutschen ifo-Institutes für Wirtschaftsforschung geht davon aus, dass die Agrarimporte aus den USA nach Europa um 120 Prozent steigen, während die Exporte von landwirtschaftlichen Produkten der EU in die Vereinigten Staaten nur um 60 Prozent zulegen, wenn Zölle und andere Handelshemmnisse um ein Viertel verringert werden.
Druck sieht Sinabell insbesondere auf die Ackerbauern zukommen. „Durch eine Marktliberalisierung kommen noch größere Mengen etwa an Mais, Zucker oder Stärkeprodukten nach Europa“, sagt er. „Das erzeugt starken Anpassungsdruck.“
Den sehen auch die Schweinebauern auf sich zukommen. In den USA liegen die Produktionskosten um rund ein Viertel unter denen Europas. „Die großen Erzeuger scharren schon in den Startlöchern, um den europäischen Markt zu erobern“, heißt es dort. Keine Angst, und schon gar nicht vor dem viel zitierten Chlorhuhn, hat man hingegen bei den Geflügelbauern, deren Produktion nur einen Teil des Marktes abdeckt. „Die heimischen Betriebe erzeugen praktisch nur für den Frische-Markt“, sagt Michael Wurzer vom Geflügelverband. „Und da haben wir ganz sicher keine Chlorhuhn-Konkurrenz zu befürchten. Der Handel und die Konsumenten legen auf die österreichische Herkunft Wert.“
Insgesamt sieht Sinabell die Erzeuger von tierischen Produkten wie Fleisch oder Milch sowie auch die Weinbauern eher auf der Gewinnerseite. „Je höher der Verarbeitungsgrad der agrarischen Produkte, desto besser die Aussichten“, sagt der Wirtschaftsforscher. „Österreich und Europäer insgesamt haben gute Karten.“ Sie hätten starke Marken und eine leistungsfähige Lebensmittelindustrie. „Dazu kommt, dass die Geschmäcker diesseits und jenseits des Atlantiks zusammenpassen.“
Schon jetzt kaufen die US-Amerikaner wesentlich mehr Nahrungs-und Genussmittel in Österreich als umgekehrt. Die USA sind nach Deutschland und Italien Österreichs wichtigster Abnehmer für Lebensmittelexporte. Auch wenn mehr als die Hälfte der Exporte von insgesamt 437 Mill. Euro auf Red Bull entfallen, das in der Rubrik Getränke geführt wird, bleibt die Handelsbilanz klar positiv. Aus den USA werden derzeit nur Agrarwaren im Wert von 47,2 Mill. Euro importiert. Das entspricht gerade einmal einem halben Prozent der gesamten österreichischen Agrarimporte.
Bei den Verarbeitern und Vermarktern der heimischen Agrarprodukte herrscht im Gegensatz zu den Bauern eine uneingeschränkte Pro-TTIP-Stimmung. „Wir exportieren schon jetzt fast die Hälfte der Produktion, Tendenz steigend. Wir brauchen gute und kaufkräftige Exportmärkte wie die USA“, lässt etwa Hans Költringer vom Molkereiverband keinen Zweifel daran, dass die Milchverarbeiter das Abkommen nicht nur für notwendig, sondern auch für eine große Chance halten. Ins gleiche Horn stößt auch Katharina Koßdorff, die Geschäftsführerin des Fachverbands der Lebensmittelindustrie. „Wir begrüßen EU-Initiativen zur Verbesserung der Exportmöglichkeiten grundsätzlich. Und dazu gehört auch TTIP.“ Auch für Reinhard Wolf, Generaldirektor der Raiffeisen Ware Austria, dem wichtigsten heimischen Vermarkter von Getreide und Mais, ist TTIP nur zu begrüßen. Anders als Sinabell meint er aber, dass auch die Erzeuger von Rohstoffen wie Getreide und Mais vom Freihandelsabkommen profitieren können. „Diesen Bauern kommen die zusätzlichen Absatzmöglichkeiten der Verarbeiter und Veredler indirekt über eine verstärkte Nachfrage zugute.“
Dieser Optimismus gilt freilich nur unter der Voraussetzung, dass „sauber verhandelt“ wird, wie Költringer formuliert, und die Standards gesichert werden. TTIP dürfe kein Freibrief für gentechnisch veränderte Produkte oder hormonbehandeltes Fleisch sein. Und um Marktverwerfungen zu vermeiden, hält man Sondervereinbarungen wie Kontingente oder spezielle Zölle für bestimmte Produktgruppen für einen gangbaren Weg. Auch in den Schutz von Herkunftsbezeichnungen setzt man Hoffnungen.
Für die Agrarpolitiker ist der Spagat zwischen den Sorgen der Bauern und den Träumen der Verarbeiter eine große Herausforderung. Schon vor Monaten formulierte Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter die Marschrichtung: „TTIP bringt große Chancen für die Landwirtschaft, es gibt aber rote Linien, für die es keinen Verhandlungsspielraum gibt.“ Ob die halten werden, muss sich freilich erst zeigen. Denn geeinigt haben sich die Verhandler in Brüssel und Washington bisher auf nichts – weder auf das, was Bauern und Lebensmittelindustrie verlangen, noch auf irgendetwas, was oft so schlagzeilenträchtig befürchtet wird.
Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 5. August 2015
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