Donnerstag, 19. November 2015
Angst ist kein Ratgeber
Paris und was dort am vergangenen Freitag geschah, ist schrecklich. Das ungeheure menschliche Leid, die ungeheure Brutalität und Kaltblütigkeit, mit der die Terroristen vorgingen.
Und Paris und was dort geschah, ist auch gefährlich. Fraglos. Aber nicht, weil die europäischen Grenzen offen sind für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und aus anderen Krisenregionen der Welt. Gefährlich ist es vor allem, weil nun die Scharfmacher, die Vereinfacher, die Blender, die Populisten möglicherweise endgültig Oberwasser bekommen in der seit Monaten in ganz Europa dräuenden Diskussion und Auseinandersetzung. Allerorten scheint die Dummheit, Blasiertheit und Präpotenz aufzupoppen. Groß ist die Gefahr, dass das letzte Quäntchen Vernunft den Bach hinuntergeht.
Schranken fallen allerorten, Hemmungen auch und oft jede Zurückhaltung. Inzwischen liken auf Facebook selbst propere Studenten, junge CVler, Hoffnungen der christlichen Volkpartei Leute, die tumbe Hassparolen gegen Moslems posten.
Freilich ist es schwer, in diesen Tagen einen kühlen Kopf und die nötige Vernunft zu bewahren. Es steht viel auf dem Spiel. Dabei geht es freilich darum, keine falschen Schlüsse zu ziehen, wenn es gilt, die richtigen Antworten auf den Terror zu finden.
Den Strom der Flüchtlinge, die zu hunderttausenden in Europa Schutz suchen, als Ursache für Paris in Zusammenhang zu bringen, ist ein solcher falscher Schluss, der genau dazu nicht taugt. Er ist nichts als Demagogie und ein populistischer Kurz-Schluss, mit dem interessierte Kreise Politik machen und schneller an ihre oft zweifelhaften Ziele kommen wollen. Denn, mit Verlaub, die Terroristen wären auch ohne Flüchtlingsstrom nach Frankreich gekommen. Und: Die Flüchtlinge fliehen genau vor diesem Terror, dem sie in ihrer Heimat seit Jahren ausgesetzt sind.
Der Terror von Paris ist weitaus perfider. Bewusst spielen die Terroristen mit der wachsenden Feindseligkeit Europas, sind nicht wenige Kommentatoren überzeugt. Das bringe Vorteile für die Extremisten, heißt es dieser Tage in einem Leitartikel. "Manche Muslime, die in den Ankunftsländern auf Ablehnung und Ausgrenzung stoßen, dürften umso bereitwilliger die Botschaften der radikalen Islamisten aufnehmen".
Diese Einschätzung ist durchaus nachvollziehbar . Aber nicht nur das ist eine Herausforderung für Europa und seine Bevölkerung. Eine Herausforderung ist auch, den politischen Scharfmachern Paroli zu bieten, die den Terror nachgerade als Gunst der Stunde empfinden - um Gesetze zu straffen und Rechte zu beschneiden, Rechtsgrundätze wie das Verbot, Menschen auf bloßen Verdacht hin einzusperren und anderes außer Kraft zu setzen, um sie alleine aufgrund der Religionszugehörigkeit zu stigmatisieren, um das Land zu einem Überwachungsstaat zu machen oder um die Demokratie und die Rechte der Bevölkerung zu schwächen.
Die Lage, in die die Welt nach den Anschlägen in Paris geraten ist, ist labil. Sie unter Kontrolle zu halten ist auch deshalb schwierig, weil das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik in den vergangenen Jahren nachhaltig erschüttert ist. Und das nicht nur in Österreich. Die Schwäche Europas, das von einer Zerreißprobe in die nächste taumelt und wo Solidarität nichts mehr ist denn Makulatur, ist in einer Phase, wie wir sie jetzt erleben müssen, eine große Gefahr. Die Union wird allenfalls noch als Selbstbedienungsladen für das Verfolgen eigener politischer Ziele begriffen. Leute wie Orban oder die neue polnische Regierung sind es, die diesen Weg weisen.
Es steht nichts Gutes zu erwarten. Die Ratlosigkeit ist zum Greifen. Die in Europa und erst recht die in Österreich. In die Pflicht zu nehmen ist freilich nicht nur die Politik. In die Pflicht zu nehmen sind auch die offiziellen Vertreter des Islam in Europa und in Österreich. Von ihnen ist eine klare Positionierung zu fordern und eine intensive Aufklärungs-und Integrationsarbeit in den eigenen Reihen.
Die Statements der vergangenen Tage waren da wie dort meist erbärmlich. Getragen von einer Angst vor Terror, mit der man glaubt, die Sorgen der Menschen auffangen zu können, und von Beschwichtigung. Dabei geht es um Anderes. Es geht darum, unsere Art zu leben, unserer Werte, die Offenheit der Gesellschaft und die politischen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte, ja Jahrhunderte zu verteidigen. Selbstbewusst und aus voller Überzeugung. Ohne Furcht. Und gemeinsam.
Und nicht nur nach außen, sondern auch nach innen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. November 2015
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