Donnerstag, 14. Juni 2018

Ganz unten wie ganz oben



In der vergangenen Woche geschah es wieder einmal. In einem TV-Politikmagazin, das sich sonst eher wenig um die Sorgen der Landwirtschaft kümmert, bekam ein Milchbauer, der sich von seiner Genossenschaft ungerecht behandelt fühlte, breiten Raum. Das Thema war alles andere als aktuell, die Probleme, über die er Klage führte, haben sich längst aufgelöst. Aber dafür, sich an den Genossenschaften, am Genossenschaftswesen und im Speziellen an Raiffeisen zu reiben, reichte es allemal.

Man tut das immer wieder gerne einmal. Es ist, als ob nicht sein kann, was nicht sein darf - dass eine Gruppe, die über 200 Jahre in der Gesellschaft und in der Wirtschaft gewachsen und die von allen Bevölkerungsschichten in einer Breite getragen ist, die ihresgleichen sucht, erfolgreich ist. Man mäkelt an der Größe von genossenschaftlichen Unternehmen herum und an der Macht. Man echauffiert sich über ihre vielseitige Struktur, darüber, dass sie in unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen präsent sind und an vielem mehr auch.

Aber die Raiffeisen-Genossenschaften funktionieren. Das freilich nicht nach dem Kopf eines Einzelnen, der meint, es besser zu wissen, als die anderen, oder nach dem, der sich die Rosinen herauspicken will, die ihm am verlockendsten erscheinen. Sie funktionieren, weil es nach den Vorstellungen aller geht. Weil die Strukturen im Kern auch immer noch demokratisch geprägt sind und weil im Kern immer noch gilt, was schon Friedrich Wilhelm Raiffeisen postulierte -Alle für einen, einer für alle.

Für Dickschädel, für Rosinenpicker, für Egoisten ist das ein Problem. Das ist verständlich. Genossenschaft ist ein mühsames Geschäft. Ganz so, wie auch Demokratie ein mühsames Geschäft ist. Da sind Tugenden verlangt, die gerade in letzter Zeit in unsere Gesellschaft viel zu oft verschütt gegangen sind. Solidarität gehört dazu, Gemeinschaftlichkeit auch und Verantwortung. Dafür fehlt vielen das Verständnis. Und dafür fehlt vielen auch der lange Atem.

Die, die Genossenschaft nicht verstehen, belächeln das System oft. Dabei gibt es gerade in der Wirtschaft keine Unternehmensform, in der die Miteigentümer auch nur annähernd so bedeutende Mitspracherechte haben, zumal dann, wenn sie nicht zu kapitalstarken Eigentümern oder gar Mehrheitseigentümern gehören. Wer wie viel Geld hat, spielt im Grund keine Rolle. Jeder kann Mitglied einer Genossenschaft werden. Es gilt im Grund nach wie vor, dass sich viele Kleine, die anders keine Möglichkeit hätten, durch den Zusammenschluss selbst helfen.

Freilich, dabei darf nicht vergessen werden, dass das nicht bedeutet, dass jedem einzelnen Wunsch nachgegangen wird und dass jedes Ansinnen erfüllt wird -schon gar dann nicht, wenn man sich damit eine Sonderstellung verschaffen will, oder wenn das den anderen Mitgliedern zum Nachteil gereichen würde. Damit muss man umgehen können.

Freilich sind heute die Anforderungen ganz andere als früher. Das nicht nur, weil sich das wirtschaftliche Umfeld sich geändert hat, sondern auch, weil die Genossenschaften so erfolgreich waren und sie mittlerweile nicht zuletzt aus diesem Grund mitunter selbst in Konzerngrößen gewachsen sind. Das freilich darf nichts daran ändern, dass die Verantwortung auch in diesen Fällen, und nicht nur auf der Primärebene, den Interessen der Mitglieder an der Basis gilt. Man sollte nie vergessen, was die Unternehmen in diese Position gebracht hat und woher sie kommen.

Das gilt auch dann, wenn das manchem Manager und Funktionär mitunter schwerfallen mag und sie ihre Verantwortung lieber anders sehen möchte. Auch, wenn nicht immer alles so laufen mag, wie man das gerne hätte, dürfen sie nie das Große und Ganze aus den Augen verlieren. Dass manche Manager und auch Funktionäre ab und an die genossenschaftliche Organisation in bestimmten Situationen und Konstellationen als Fesseln empfinden, ist verständlich. Und verständlich ist auch, dass manche, die Kapitalgesellschaften führen, die aus Genossenschaften hervorgingen, sich gern darauf berufen, ihren Aktionären verantwortlich zu sein und ihre Herkunft am liebsten verdrängen würden.

Aber wichtig bleibt selbst da, dass sie nie vergessen, wo ihre Wurzeln sind. Darin besteht die Verantwortung der Funktionäre und der Manager, die in den Genossenschaften und den Unternehmungen in ihrem Umfeld tätig sind. Der ganz unten, der ganz oben. Und die all derer dazwischen auch.


Meine Meinug - Raiffeisenzeitung, 14. Juni 2018

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