Dienstag, 24. Juli 2018

"Das Problem ist ja nicht der Zucker"



Für Agrana-Chef Marihart ist das Verteufeln des Zuckers „unverantwortlicher Aktionismus“. Stattdessen sei besseres Wissen über Ernährung nötig.

Hans Gmeiner 

Wien. Eine Molkerei aus Ostösterreich verkündet, jährlich 40 Millionen Stück Würfelzucker einsparen zu wollen. Eine große Handelskette lässt ihre Kunden über den Zuckergehalt im Eigenmarken-Pudding abstimmen. Die andere tönt, man habe seit Beginn des Vorjahres 200 Tonnen Zucker bei zuckerhaltigen Getränken eingespart. Klingt nach viel, wirkt aber angesichts der Realität eher als billige Werbung, mit der man beeindrucken will.

Denn die 200 Tonnen Zucker sind nicht mehr, als ein einziger Rübenbauer in Österreich pro Jahr durchschnittlich erzeugt, die 40 Millionen Stück Würfelzucker – 165 Tonnen insgesamt – sind sogar noch weniger. Und sie nehmen sich mickrig aus angesichts der rund 300.000 Tonnen Zucker, die in Österreich pro Jahr verbraucht werden. Aber es klingt gut, hat doch Zucker seit einiger Zeit Fett als Bösewicht in unseren Kühlschränken und auf unseren Tellern abgelöst.

Johann Marihart, Vorstandschef des österreichischen Zucker- und Stärkekonzerns Agrana, nervt das Getrommel der Werber zusehends. „Unverantwortlicher Aktionismus“ sei das für ihn. „Das Problem ist ja nicht der Zucker, sondern die Ernährung“, sagt der Agrana-Chef, der auch Sprecher der heimischen Lebensmittelindustrie ist. Die öffentliche Debatte über Zucker grenzt für ihn an Irreführung. „Die Gleichung ,Weniger Zucker bedeutet auch weniger Kalorien‘ stimmt einfach nicht.“ In den meisten Fällen werde Zucker durch andere Energieträger ersetzt, vor allem durch Fette. Er warnt daher davor, die auf Verpackungen angegebenen reduzierten Zuckermengen mit eingesparten Kalorien gleichzusetzen.

Beispiele, wie Konsumenten oft in die Irre geführt werden, kann er reichlich nennen. So präsentiert er gern Cornflakes-Packungen, die sich zwar im Zuckergehalt deutlich unterscheiden, nicht aber im Kaloriengehalt. Er zeigt Butterkekse, die mit „30 Prozent weniger Zucker“ groß auf der Verpackung werben, sich im Kaloriengehalt aber vom Original nur um 4,4 Prozent bei insgesamt rund 400 Kilokalorien pro 100 Gramm unterscheiden. Und er nennt gern ein Kakaogetränk mit einem um die Hälfte reduzierten Zuckergehalt, das aber dennoch genauso viele Kalorien hat wie das stärker zuckerhaltige Original.

Marihart weiß auch die Wissenschaft auf seiner Seite. „Ich will Zucker nicht schönreden“, sagt Jürgen König, Ernährungswissenschafter an der Universität Wien. Dass Zucker krank mache, stimme aber nicht und könne nicht bewiesen werden. Auch sei Zucker kein Suchtmittel. Vielmehr werde Süßes von klein auf als Belohnung verwendet, „diesen Effekt könnte man aber auch anders erreichen“.

Für den Wissenschafter ist „nicht der Zucker das Problem, sondern der Umgang mit Lebensmitteln“. Wer etwa viel zuckerhaltige Softdrinks trinke, habe auch sonst meist ein ungünstiges Ernährungsverhalten. „Was ist dann der Anteil des Zuckers am Übergewicht oder an Krankheiten?“ Entscheidend ist für König die Energiebilanz. „Wenn Zucker aber in den Rezepturen durch andere Energieträger ersetzt wird, wird das kaum einen Effekt auf das Körpergewicht haben.“

Die Statistik bestätigt das. Obwohl der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker in Österreich in den vergangenen 20 Jahren von 41 auf 33 Kilogramm zurückgegangen ist, ist Übergewicht immer noch eines der größten Probleme. Für Marihart ist klar: „Die Diskussion über den Zucker verstellt den Blick auf die wahren Ursachen. Was wir wirklich brauchen, ist mehr und besseres Wissen über Ernährung.“

Wirtschaftlich macht es Marihart nicht wirklich Sorge, dass der Pro-Kopf-Verbrauch in Österreich in den vergangenen Jahren um fast ein Viertel gesunken ist. „Wegen des Bevölkerungszuwachses ist für uns der Gesamtabsatz gleich geblieben“, sagt er. Und auch wenn die Agrana wegen der Freigabe des Zuckermarkts in Europa und wegen Billigimporten unter Druck ist, weltweit sind die Absatzprognosen weiter gut. Marihart: „Der Weltmarkt wächst um ein Prozent pro Jahr.“


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 24. Juli 2018

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