Es war die treffendste Karikatur, und es war auch die böseste. Thomas Wizany zeichnete in den Salzburger Nachrichten einen vom Furor getriebenen Innenminister Kickl, der am Rand einer Betoninsel, die für die europäische Union steht, auf die Halt suchenden Finger eines Menschen springt, auf dass er sich nicht retten kann, schon gar nicht nach Europa.
Die Stimmung rund um den Umgang mit der Migration in Richtung Europa und mit den Flüchtlingen hat sich in den vergangenen Monaten in unsäglicher Weise radikalisiert. Statt Lösungen zu finden, heizten Politiker quer über den Kontinent und quer durch die Europäische Union eine Hysterie an, die längst in keiner Relation mehr zur Realität und auch nicht zu den Erfordernissen steht.
Dabei ging nicht nur der politische Anstand verloren, sondern sehr oft auch der menschliche. Schamgrenzen fielen und Denkgrenzen auch. Was man sich früher nicht zu sagen und nicht einmal zu denken getraute, sagt und denkt man heute ungeniert. Es scheint, als sei man dabei, endgültig jedes Maß zu verlieren. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft. Da ist in Restaurants nicht zu überhören, dass man am Nebentisch über "Maximalpigmentierte" redet und in der U-Bahn nicht, dass man "mit den Flüchtlingen abfahren" solle. Und man hat auch keine Scheu mehr, darüber zu diskutieren, ob man die Flüchtlinge im Mittelmeer als Signal der Abschreckung nicht doch besser einfach ertrinken lassen sollte.
"Die Grenze des Unsagbaren und des Unsäglichen droht zu verschwimmen", sah sich dieser Tage der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angesichts der Eskalation der Worte rund um das Thema Migration, die Deutschland an den Rand des Koalitionsbruchs brachte, genötigt zu warnen.
Die selbstverliebte Gesellschaft, die in allem und jedem Alimentation, Hilfe und Unterstützung für sich selbst fordert und dabei nie genug kriegen kann, verroht in diesen Monaten in einem ungeahnten Ausmaß. In einem Ausmaß, das Sorgen macht. Als Menschen treten Migranten in diesen Monaten kaum noch in Erscheinung. Die Debatte scheint völlig entgleist zu sein, Dämme sind dabei zu brechen.
Die Sprache spiegelt die Wandlung. Da wird nur mehr von "Asyltourismus","Ankerzentren", "Flüchtlingswellen" und "Anlandeplattformen" geredet. Man hat in der Politik keine Scheu, selbst aus besonders unseligen Zeiten der Geschichte sprachliche Anleihen zu nehmen und von einer "Achse der Willigen" zu reden. Und man versteigt sich zu Forderungen, dass in Europa gar nicht mehr um Asyl angesucht werden dürfte und wird immer dreister in den Versuchen, sich die Menschenrechtskonvention zurechtzubiegen.
Und kaum jemand scheint diese Entwicklung stoppen zu wollen. Viel größer scheint das Verständnis dafür, weiter an der Spirale zu drehen. Auch wenn die Fakten andere sind und die Migration in Richtung Europa so gering ist, wie schon seit Jahren nicht, schürt man lieber Ängste -bis hin zur Lächerlichkeit.
Erst in der vergangenen Woche machten sich ausländische Journalisten über das martialische Auftreten der österreichischen Sicherheitskräfte beim Gipfel der EU-Innenminister in Innsbruck lustig. "Das haben wir nicht einmal in den schlimmsten Krisengebieten so erlebt", wunderten sie sich.
Auch wenn zweifellos Handlungsbedarf besteht und die Anliegen und die Sorgen der Menschen in Europa fraglos ernst zu nehmen sind, so ist doch in keiner Weise nachzuvollziehen und zu akzeptieren, was derzeit in Politik und Gesellschaft vor sich geht.
Europa braucht Lösungen, für die man sich nicht schämen muss und die wirkliche und nachhaltige Lösungen sind. Und es ist zu fragen, warum solche Lösungen nicht auch menschlich sein können. Davon freilich scheint man derzeit weit entfernt.
Viel eher festigt sich der Eindruck, dass man das Unvermögen, solche Lösungen zu finden, mit einer Eskalation der Worte zu übertünchen versucht. Und mit politischen Maßnahmen, die der Sache in keiner Weise gerecht werden, die aber, wie die Kontrollen an den Grenzen, für die eigenen Bürger zunehmend zur Plage und zum Ärgernis werden.
Es ist an der der Zeit, zum richtigen Maß zurückzufinden. So, wie es an der Zeit ist, zu tragfähigen Lösungen zu finden. "Es geht schlicht um ein Mindestmaß an Zivilisiertheit", stand dieser Tage in einer Zeitung zu lesen.
Und es sollte nicht um den Furor gehen, wie ihn Thomas Wizany zeichnete.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. Juli 2018
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