Donnerstag, 21. November 2019

"Verdammt hart"



Es war, wie es heute offenbar nicht anders geht, auf Twitter, wo eine der neuen Abgeordneten der Grünen einen tiefen Blick in ihre Seele und darauf, was dort wohl nicht nur bei ihr seit dem Beschluss, mit der ÖVP Koalitionsverhandlungen zu wagen, umgeht. "Eine Nacht über den Ereignissen geschlafen", steht dort, und "schlecht geschlafen" ist gleich angefügt. "Wie wir uns rückblickend wohl mal an diesen Tag erinnern werden, als die Grünen beschlossen, über eine Regierung zu verhandeln?" fragt sie sich. "Als einen Moment, als es Österreich endlich gelang, den Spuk von Türkis-Blau abzuschütteln? Oder als Beginn des Ausverkaufs der Grünen?" Trost findet sie bei "Werner", ihrem Parteivorsitzenden. Er habe gesagt, dass "wir ein Wagnis" eingehen. "Das stimmt" fügt die Neo-Abgeordnete nach der unruhigen Nacht dazu und klammert sich daran. "Wer immer bloß auf der sicheren Seite der Geschichte bleiben will, braucht erst gar nicht in die Politik zu gehen." Aber, davon lässt sie sich auch von "Werner" nicht abbringen "Die nächsten Wochen werden verdammt hart für uns werden."

Das will wohl kaum jemand bestreiten. Denn die Grünen haben es nicht nur mit Kurz und, wie sie es nennen, mit einer "gut geölten Machtmaschine" namens ÖVP zu tun, sondern auch mit den eigenen Leuten. "Koaliert erst mal und wir zeigen euch, wo ihr überall umgefallen seid", ist dort mitunter der Tenor bei den Diskussionen. Das Establishment der Grünen hat alle Hände voll zu tun, die Kritiker zu überzeugen. "Ich versteh's, wenn jemand sagt 'Ich versteh nicht, wie sich die inhaltliche Schnittmenge von Türkisgrün ausgehen soll'. Ich versteh nicht, warum man nicht mal nachseh'n und Kurz gleich die FPÖ als einzige Option quasi schenken will. Da bedanken sich die Türkisblauen in der FPÖ und ÖVP", versucht sich etwa Michel Reimon, als ehemaliger Europaabgeordneter einer der wenigen grünen Abgeordneten mit parlamentarischer Erfahrung -auch auf Twitter -in Überzeugungsarbeit.

Die Zustimmung, die er dafür bekommt, reißt gleich das Spannungsfeld auf, in dem die Partei derzeit lebt. "An alle Superlinken da draußen", schreibt einer, "Wenn nur ein einziges Kind weniger armutsgefährdet oder ein Flüchtling weniger in den Krieg abgeschoben wird, ist es schon völlig wurscht ob's Grüneaustria in der Koalition zerreißt oder nicht -danke für den Mut WKogler."

Das einzige Spannungsfeld ist das freilich beileibe nicht, in dem sich die Grünen aufreiben könnten. Ein ganz besonderes fand bisher kaum Beachtung. Mit lockereren und wohl auf Wählerstimmen schielenden Äußerungen zu NGOs hat sich Werner Kogler im Wahlkampf nachgerade in Geiselhaft der Nicht-Regierungsorganisationen begeben. Die Grünen verstünden sich als verlängerter Arm der NGOs im Parlament, ließ er allerorten wissen. Und als der Eintritt in die Regierungsverhandlungen fix war, legte er sogar noch nach. "ÖVP und SPÖ bedienen sich Riesenapparaturen. Wir wären ja dumm, wenn wir nicht den Rat der NGOs beachten würden."

Es verwundert, dass diese Aussagen und Ankündigungen noch nirgendwo aufgegriffen wurden. Man mag sich nicht vorstellen, wenn Sebastian Kurz und die anderen Parteichefs so reden würden. Dass Kurz sich und seine Partei als verlängerten Arm der Industrie, der Banken und der Bauern erklärt, die FPÖ als jenen der Burschenschaften und die SPÖ als jenen der Gewerkschaften. Was hätten die Grünen dann gesagt?

Man mag das, was Kogler da gesagt hat, als ehrlich empfinden und man mag diese Offenheit auch schätzen. Gut und richtig ist das weder da noch dort, wenn Parteien Politik so verstehen und nicht die vielschichtigen Bedürfnisse der Menschen in diesem Land in den Mittelpunkt stellen, sondern reine Interessenspolitik.

Welches Risiko Kogler da geht, zeigt sich jüngst an einer Veranstaltung von Global 2000. Die NGO, die noch vor wenigen Monaten von Koglers nunmehriger Stellvertreterin geführt wurde, geißelte in einer Veranstaltung die "Klimaschutzlähmung Österreichs". Was, fragt sich der Beobachter, wird im Fall einer Regierungsbeteiligung sein, wenn die Grünen bei diesem Thema nicht das voranbringen, was dort verlangt wird?

Wenn die Grünen dann wirklich verlängerter Arm in der Regierung sein sollten, dann muss sich Kogler wohl Sorgen machen. Das aber vermeidet er, wohl aus Selbstschutz, derzeit. "So aufregend ist das dann auch wieder nicht", pflegt er in diesen Wochen gerne all denen zu sagen, die sich allzu große Sorgen machen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. November 2019

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