Donnerstag, 16. Dezember 2021

Es kann einem Angst werden im Land

Es kann einem Angst werden in diesen Tagen. Von den Meldungen in den Zeitungen und im Fernsehen. Von den Bildern von Demonstrationen. Und vor dem allem, was einige völlig entrückt von sich geben. "Lügenpresse" ist noch das geringste, was selbst völlig unscheinbare Zeitgenossen, denen man diese Wut nie zugetraut hätte, hinausschreien. "Massenmörder" wird skandiert, bei Demonstrationen sind Galgen zu sehen und "wenn es wirklich sein muss, müssen wir auch mit Fäusten sprechen, friedlich geht es leider nicht mehr".

Corona radikalisiert. Österreich im Advent 2021 ist nicht mehr das Österreich, das wir über Jahrzehnte kannten. Das Land brodelt. Krankenhäuser, Fernsehanstalten und Medienhäuser müssen ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärken, weil die Bedrohungen immer heftiger werden. Ärztinnen und Ärzte müssen geschützt werden. Drohungen überall, Attacken auch und Tumulte selbst vor und in Krankenhäusern.

Wie konnte es kommen, dass sich gleich so viele Menschen so hartnäckig verrennen, regelrecht aus der Spur geraten und sie der Wissenschaft, anerkannten Experten und Ärzten nichts mehr glauben wollen? Dass sie lieber irgendwelchen Meldungen vertrauen, deren Quellen sie oft gar nicht benennen können? Zeitungsverlagen mit moldawischer Adresse, die sich aber als österreichische Medien ausgeben? Experten, die ihren Namen nicht nennen, unter Pseudonymen auftreten oder auf abenteuerliche Diplome verweisen? Warum sind just da bei all diesen Leuten, die auf den Straßen ihren Unmut hinaustragen oder mit geballten Fäusten daheim sitzen, alle Vorsichts-, Unsicherheits-und Zweifelmechanismen ausgeschaltet, auf die sie sonst oft so stolz sind?

Woher kommt all dieser Hass, der sich um die Coronapolitik und die Impfung entlädt? Diese Wut und die Verachtung auch für alles, was vom Staat kommt, von der Medizin und von der Wissenschaft? Die Gründe dafür sind wohl vielfältig. Und viele sind nachvollziehbar. Die Enttäuschung von der Politik, die vielen Enttäuschungen über leere Ankündigungen gehören dazu. Auch mit enttäuschten Lebenserwartungen und gescheiterten Lebensentwürfen hat das wohl zu tun, für die man die Verantwortung überall, nur nicht bei sich selbst sehen mag. Eine große Portion haben wohl auch populistische Politiker, die Stimmungen anheizen, von denen sie hoffen, dass sie nach oben -oder im Fall des FP-Obmannes -wieder nach oben getragen werden. Und ein gerüttelt Maß tragen wohl auch viele Medien dazu bei, dass die Stimmung im Land so geworden ist, weil sie sich oft keine Schlagzeile verkneifen konnten oder weil sie gar, wie Servus-TV, die Provokation unter dem Mantel der Aufklärung zur redaktionellen Linie erhoben haben.

Überall mag etwas dran sein, und dennoch geht es viel zu wenig tief. Was wir jetzt erleben, ist schon länger angelegt, weit vor Corona und wohl über Jahrzehnte. Diese wachsende Beliebigkeit, die Entwurzelung von festgefügten Strukturen, die zunehmende Gewalt und ihre Verherrlichung gar, dieser Egoismus und diese Verantwortungslosigkeit, die sich breit machten. Es ist, als gebe es eine direkte Linie von dort zum oft völlig entgleisten Umgangston auf Twitter, zu gesellschaftlichen Themen wie zunehmenden Problemen mit häuslicher Gewalt und der nachgerade explodierenden Zahl der Frauenmorde bis hin zu dem Hass, der nun überall und immer offener zu spüren ist.

Und jetzt auch noch die Impfpflicht. Da kann einem bange werden. Denn der 1. Februar hat, wie kürzlich ein Kommentator warnte, in der Tat gesellschaftspolitisch ein "unglaublich kritisches Potenzial für die gesamte Stimmung im Land". Die Sorge wächst, dass all das, was bisher zu sehen war, nichts gegen das ist, was da kommen kann, zumal angesichts von Omikron die Zweifel an der Sinnhaftigkeit auch in Fachkreisen und nicht nur bei den Impfgegnern immer größer werden. Manche nehmen bereits gar das Wort Bürgerkrieg in den Mund, manche befürchten, dass Verwaltung und Gerichte blockiert werden, weil sie mit den möglicherweise zigtausenden Verfahren nicht zu Rande kommen, wenn Impfgegner bei ihrer Haltung bleiben und sich abstrafen lassen.

Es braucht kluge Strategien in den nächsten Wochen. Wirklich erkennbar sind die freilich noch nicht. Schuldzuweisungen der Art, dass jemand Blut an den Händen habe, werden der Herausforderung jedenfalls nicht gerecht - nicht angesichts der Spannungen im Land und auch nicht angesichts dessen, was auf uns zukommen kann.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Dezember 2021

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