Seit Tagen haben die Leitartikler und Kommentatoren Hochbetrieb, um die Folgen der Aussagen von Thomas Schmid bei der WKStA einzuordnen. Von der "lädierten Republik" wird geschrieben, von einer "Banausenrepublik" und davon, dass sich "hinter jedem Abgrund ein neuer Abgrund" auftut. "Das darf doch alles nicht wahr sein", stöhnte der Bundespräsident und mit ihm das ganze Land. Österreich hadert wieder einmal mit seinen Politikern, mit der Politik, mit dem, was dort passiert und mit dem, was sie anrichtet. Viele sehen sich bestätigt in ihrer Meinung, viele sind dabei, angesichts der jüngsten Ereignisse endgültig ihr Vertrauen zu verlieren, viele wenden sich ab und wollen am liebsten nichts mehr sehen und hören davon.
Politik, auch wenn das viele anders sehen und es sich für viele anders anfühlt, ist freilich nicht nur bei uns in der Krise und "zum Vergessen", wie man gerne sagt, wenn man dabei ist, sich in Rage zu reden. Und die Verwerfungen und der Wirbel können, auch wenn man das in Österreich kaum glauben mag, noch ganz andere Dimensionen haben. Man denke nur daran, was in diesen Tagen in Großbritannien abgeht, man denke an Deutschland, an Italien, an Frankreich oder an die USA, die immer noch mit dem Nachwehen der Trump-Ära zu kämpfen haben."Regierungsimplosion im Vereinigten Königreich -wie sich die Briten zum Gespött Europas machten", hieß es in diesen Tagen in den internationalen Gazetten. Als "Bananeninsel" wird seither über das einst stolze Großbritannien wenig zimperlich gespottet. Zimperlich freilich geht man auf der Insel mit seinen Politikern auch nicht um. Schon vor Wochen stellte ein Boulevardblatt einen Salatkopf auf und fragte, ob eher dieser Salatkopf verwelke oder doch eher die neue Premierministerin das Handtuch werfe. Nun, mittlerweile weiß man -der Salatkopf hielt länger.
In Italien, seit jeher für die Skandale in der Politik berüchtigt, ringt man in diesen Tagen darum, mit der neuen Ministerpräsidentin zurechtzukommen, die als Mussolini-Verehrerin und als Postfaschistin gilt. In Deutschland arbeitet man sich an Scholz, Habeck und Lindner ab und fürchtet unter der von vielen als zaudernd empfundenen Führung des sozialdemokratischen Kanzlers eine "Verzwergung" des führenden westeuropäischen Industrielandes. Und in den USA wurde gerade einer der mächtigsten Berater des ehemaligen Präsidenten ins Gefängnis gesteckt. Klare Verhältnisse, eine Politik der ruhigen Hand gar, zielorientiert und erfolgreich und wenn schon nicht skandalfrei, so doch skandalarm, gibt es heute kaum wo.
Zu fragen ist freilich, ob das jemals anders war. Wohl kaum. Im medialen Dauerfeuer empfinden wir es heute anders. Aber Krisen, Skandale, Verwerfungen, Implosionen hat es immer in irgendeinem Land zu irgendeiner Zeit gegeben. Nicht zuletzt deswegen ist auch schwer zu beantworten, ob die Politik heute schlechter und dreister ist, als sie es vor Jahren oder Jahrzehnten war. Es sei nur daran erinnert, wie sich früher bei uns in Österreich über Jahrzehnte Rot und Schwarz das Land und alles, was man haben konnte, teilten -von lukrativen Posten bis zu Wirtschaftszweigen. Und das sogar unter dem Mantel der Legalität, den man sich selbst geschneidert hat.
Und zu hinterfragen ist wohl auch, ob die aktuelle Politikergeneration wirklich schwächer und schlechter ist als ihre Vorgängergenerationen. Schwaches, wenig glanzvolles und eitles Polit-Personal hat es immer gegeben. Und viele der Politiker, die wir heute verehren und die als groß gelten, waren in ihren aktiven Zeiten oft alles andere als unumstritten. Dass Politik und Politiker heute als schlechter, unfähiger und inkompetenter empfunden werden als früher, hat wohl auch mit der permanenten Informationsflut, den Sozialen Medien, der Sensationsgier und einem modern gewordenen Populismus und seinem immanenten Interesse an Skandalisierung zu tun.
Entschuldigung darf das freilich keine sein. Wir sollten und dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Politik schlecht ist und Skandale normal sind. Woran wir alle, die gesamte Gesellschaft, aber arbeiten sollten, ist entspannter und sachlicher damit umzugehen -allein, um die Gräben nicht noch tiefer und die Fronten nicht noch härter werden zu lassen, wie das in Österreichs Parteienlandschaft, aber auch in der Gesellschaft mittlerweile der Fall ist.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Oktober 2022
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