Donnerstag, 24. November 2016

"Die Politik" als Sündenbock



Über die Politik kann man klagen in Österreich. Zumal darüber, wie die Wirtschaft von der Politik behandelt wird. Keine Frage. Als Industrieboss, als Gewerbetreibender, als Wirt, als Bauer, als Freiberufler. Als Kleiner, als Mittelständler, selbst als Großer. Wirtschaftsfeindliches Klima, zu wenig Förderungen, zu viel Bürokratie, zu rigide Auflagen und Vorschriften. Und und und. Es gibt genug und es ist oft genug.

Da ist es naheliegend "die Politik" zum Sündenbock zu machen, wenn Unternehmen Schwierigkeiten haben oder gar Pleite gehen, Bauernhöfe zusperren müssen und Bäcker und Fleischer und andere Gewerbebetriebe auch. Und Wirte natürlich. Der Verweis auf "die Politik" ist der einfachste Weg, wenn es gilt, ein Scheitern zu begründen. Und der leichteste auch. Und auch der beliebteste.

Mit dem eigenen Verhalten oder den eigenen Fähigkeiten werden Schwierigkeiten oder gar Pleiten, in die man gerät, im Selbstverständnis der Betroffenen selten in Zusammenhang gebracht. Da wird so getan, als wären alle ohnehin gleich gut, die immer alles richtig machen. Allesamt praktisch Weltmeister halt.

Die Wirte dieses Landes seien als die Gruppe exemplarisch als Beispiel angeführt. Knapp ein Drittel der Wirtshäuser, hieß es dieser Tage in Oberösterreich, seien in den vergangenen fünfzehn Jahren verschwunden. Die in der Öffentlichkeit diskutierten Erklärungen dafür sind bekannt. Registrierkassa, Rauchverbot, Allergenverordnung, Probleme mit Arbeitsinspektoren und mit der Personalsuche.

Aber, diese Frage wird kaum gestellt, sind das wirklich die entscheidenden Gründe? Oder gibt es in vielen Fällen nicht auch andere? Etwa, dass sich viele Wirtshäuser viel zu lange als Wirtshäuser verstanden haben und nicht als Gasthäuser? Dass gute Wirtshäuser, ganz entgegen dem Selbstbild, das die Branche von sich hat, in Wirklichkeit mitunter so schwer zu finden sind wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen? Dass sich der Gast allzu oft in einem verstaubten Ambiente der 1960er-Jahre mit seit damals kaum veränderten Speisekarten regelrecht abgespeist, aber oft nicht bewirtet fühlt? Und warum fragt man sich nicht, warum all die Italiener und Chinesen, die oft in die stillgelegten Häuser eingezogen sind, trotz "der Politik", die auch für sie gilt, leben können und warum es nach wie vor gut funktionierende Gastwirtschaften gibt, denen die Gäste die Türen einrennen?

Es sei von den Wirten abgelassen. Sie sollten nur als Beispiel dienen. Als Beispiel für ein Verhalten, das in diesem Land um sich greift. Wenn es nicht so läuft, wie es laufen sollte und könnte, ist das praktisch immer Schuld von anderen, respektive der Politik. Den eigenen Beitrag zu dieser Entwicklung hingegen mag man meist nicht in Rechnung stellen.

Nicht nur bei den Wirten ist es oft so, auch bei den Fleischern und bei den Bäckern, bei den Bauern und wohl auch bei ganz vielen anderen Unternehmen, Freiberuflern und auch bei Privaten. Das zur Sprache zu bringen, von der Eigenverantwortung zu reden, ist freilich in diesem Land nicht sonderlich statthaft. Da läuft man sehr schnell Gefahr, als Nestbeschmutzer oder ähnlich Verachtenswertes gebrandmarkt zu werden.

Dabei wäre es durchaus oft angebracht, mit sich selbst zumindest ab und an so streng ins Gericht zu gehen wie mit Politik und Behörden. Aber da ist wieder die Politik vor. In dem Fall die Oppositionspolitik. Sie hat erkannt, dass man genau damit Stimmen machen kann. Damit, dass man "der Politik" die Schuld gibt, dass man auf die "Eliten" schimpft, auf "die da oben" und auf "das System". Und damit, dass man oft eine Zukunft verspricht, die es nicht mehr gibt. Eine Zukunft in der Vergangenheit. Hinter dem Zaun, abgeschottet und selbstzufrieden. Das Rad der Zeit zurückgedreht.

Ein guter Weg ist das wohl nicht. Schon in den vergangenen Jahren haben sich zu viele in diesem Land, vor allem viele, die jetzt ihr Scheitern auf "die Politik" zurückführen, auf solche Blender verlassen, auf jene, die immer beruhigten und die immer alles versprochen haben. Auf die, die die Vergangenheit beschworen und denen neue Wege immer ein Gräuel waren. Es sind oft die, die sich nun genau deswegen als Verlierer fühlen. Genau die freilich sind jetzt wieder die, die am meisten gehört werden. Die, die rückwärts wollen. In vielen Bereichen in eine Vergangenheit, in der man noch viel mehr gejammert hat, als man das heute tut. Aber das blendet man tunlichst aus.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. November 2016

Donnerstag, 17. November 2016

Wenn nichts mehr Gültigkeit hat



Wenn es um Themen wie Flüchtlinge geht, illustriert man die Berichte gerne mit vollverschleierten Frauen, blutigen Messern und montiert gleich auch noch eine Stopp-Tafel ins Bild. Die "Tiere in Not"-Kampagne ziert das Bild eines deutschen Schäferhundes. Dazwischen lässt man Hansi Hinterseer Sätze sagen wie "Wenn du in einem fremden Land bist, musst du dich an diese Regeln und Gesetze einfach anpassen. Wenn du das nicht tust, bist du halt weg" und bringt ein Foto von Norbert Hofer beim Schuhkauf. Scheu, sich trotzdem für "unabhängigen und kritischen Journalismus" zu loben, hat man dennoch keine.

"Wochenblick" heißt die Zeitschrift, die in Oberösterreich gemacht wird und die alle Medienkanäle bespielt. Wer dahinter steht, ist bis heute nicht klar. Es bleiben nur Mutmaßungen, wenn man angesichts der vorwiegenden "blauen" Themen die transportiert werden, die FPÖ als Finanzier im Hintergrund vermutet.

Auf Mutmaßungen ist man auch beim Internetportal "unzensuriert.at" angewiesen, das aus einem Blog des seinerzeitigen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf hervorging. Auch dort werden Meldungen mit eindeutigem Stallgeruch unter dem Deckmantel eines Journalismus, der so tut, als verberge er nichts, verbreitet. Die Realität ist freilich eine andere. Es werden nicht einmal die Autoren der Texte angegeben, man verbreitet gerne Meldungen aus dubiosen Quellen wie "sputnik.polls", einer russischen Propaganda-Plattform, und man lässt, wie beim "Wochenblick", im Unklaren, wer hinter "unzensuriert. at" steht. Gemacht wird es von Leuten aus dem FP-Umfeld. Genauere Nachfragen blockt man aber gerne mit dem Hinweis auf Datenschutz ab.

Quellen wie diese sind es, aus denen sich der Hass und die Verunsicherung der Menschen nähren. Da geht es selten um Fakten, und viel öfter dafür um Gerüchte. Da werden mit Halbwahrheiten, Schreckensmeldungen und Weltverschwörungstheorien Ängste geschürt. Diese Medien sind zu einer Parallel-Öffentlichkeit geworden, in der Erwartungen bedient und Stimmungen erzeugt werden, die das Zeug haben, die Gesellschaft aus den Angeln zu heben. Denn da wird von den Nutzern, die sich den etablierten Medien gegenüber so gerne skeptisch zeigen, nichts mehr hinterfragt, da wird für bare Münze genommen, was man liest und sieht. "Krone","Heute" und "Österreich", die Rabauken vom heimischen Boulevard, nehmen sich dagegen wie seriöse Qualitätsmedien aus.

Niemand in Österreich versteht sich auf den Umgang und Einsatz mit dieser Art neuer Medien und auf das Spiel mit so genannnten sozialen Medien Facebook und Twitter so gut wie die Freiheitlichen. Geschickt haben sie eine parallele Medien-und Öffentlichkeitswelt aufgebaut und setzen diese Medien für ihre Ziele ein. HC Strache hat auf Facebook 455.000 Follower und versorgt seine Fans so direkt mit Informationen. Norbert Hofer bringt es auf knapp 300.000. Da kann Kanzler Kern nicht mit und auch nicht Außenminister Kurz. Und schon gar nicht Alexander Van der Bellen.

Augenscheinlicher, wie im ORF-Report in der Vorwoche, hätte man den Unterschied zwischen dem herkömmlichen und dem neuen Stil in der Kommunikation nicht machen können. "Wenn ich unterwegs bin zu einer Veranstaltung und ich sitze im Auto, dann mache ich eine kleine Nachricht mit meinem Handy", sagte Norbert Hofer. "Da gibt es immer sehr, sehr viele Aufrufe." Für Van der Bellen wäre das undenkbar. "Wie stellen Sie sich das vor?" fragt er zurück. "Ich setze mich sicher nicht privat hin und bediene irgendein Gerät und das vielleicht aus meiner Wohnung."

Man mag diese Haltung für ehrbar und sympathisch halten, effektvoller ist wohl die andere.

Die Entwicklung, die wir in Österreich erleben, ist erst der Anfang. Medien wie das "Wochenblatt" oder Plattformen wie "unzensuriert.at" schießen rund um den Globus aus dem Boden. Facebook und Twitter können längst Wahlen beeinflussen. Der Kampf um die US-Präsidentschaft zeigte es.

Das Ende der Entwicklung ist damit noch nicht erreicht. "Social Bots" ist das neue Schlagwort, das für Aufregung sorgt und vor dem einem bange werden kann. Solche Bots sind Programme, die sich in sozialen Netzwerken als Menschen ausgeben. Der Nutzer merkt nichts davon. Und auch nichts davon, dass er manipuliert wird. Im US-Präsidentenwahlkampf stammte dem Vernehmen nach jede dritte Pro-Trump-Nachricht auf Twitter von so einem Roboter.

Wie die Wahlen ausgegangen sind, ist bekannt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. November 2016

Mittwoch, 16. November 2016

„Auszeithöfe“ heißt das neue Standbein für Bauern



Wien. Die Idee entstand, als ein Bankmanager davon schwärmte, wie toll er sich nach einer Reha auf einer Alm erholte. Genau das will die bäuerliche Organisation „Green Care“ für stressgeplagte, Ruhe und Erholung suchende Menschen auf sogenannten Auszeithöfen zu einem Angebot bündeln. „Wir wollen auf Bauernhöfen möglichst gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen und entsprechende Strukturen bieten“, sagt Robert Fitzthum, Obmann von „Green Care Österreich“. „Einfachheit, Natur und der Kontakt zu Tieren stehen im Zentrum.“ Begleitet werden kann das Angebot von Ärzten und anderen Gesundheitsspezialisten. „Heil- und Pflegetätigkeiten sind aber explizit ausgenommen“, sagt Fitzthum.

Die Bauern, für die der neue „Green Care“-Zweig ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein sein kann, werden in mehrmonatigen Lehrgängen für diese Aufgabe vorbereitet. Derzeit gibt es bereits vier zertifizierte Höfe.

Mit den „Auszeithöfen“ bietet „Green Care“ nunmehr insgesamt elf Angebote. Der Bogen reicht von Schule-am-Bauernhof-Programmen bis hin zu echten Pflegeangeboten für alte und beeinträchtigte Menschen. gm

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 16. November 2016

Donnerstag, 10. November 2016

Der Unterschied



Es ist nicht wirklich das, was Vertrauen erweckt in diesen Tagen. Weder die Wahlen in den Vereinigten Staaten noch die Entwicklung, die die Europäische Union nimmt. Da wie dort sind die Dinge in den vergangenen Monaten eskaliert. In Worten. Aber auch in Handlungen. Da wie dort macht sich Unsicherheit breit und wächst die Sorge. Da wie dort ist wenig Gutes zu erwarten. Und kaum etwas, was Vertrauen und Sicherheit geben könnte.

Die US-Amerikaner haben ihren Trump und ihre Clinton, die das Land tief spalten. Wir in Europa haben die Europäische Union und einen grassierenden Rechtspopulismus in den Mitgliedstaaten, der dabei ist, die europäische Idee zu zertrümmern.

Die Grundstimmung unterscheidet sich dennoch wesentlich. Während die Amerikaner an ihr Land glauben und nicht an seiner Bedeutung und schon gar nicht an seinem Gewicht in der Welt zweifeln, hadert man in Europa mit der Europäischen Union. Allerorten wachsen Skepsis und Ablehnung, immer größer werden die Zweifel an der Zukunft dieser Union, die gegründet wurde, um Europa zu vereinen und stark in der Welt der Wirtschaft und der Politik zu machen. Immer weniger glauben an das vereinte Europa. Statt dessen blüht allerorten der Nationalismus. Selbst die führenden Vertreter der Union scheinen inzwischen von Zweifeln befallen und nicht mehr weiterzuwissen. Sogar EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker redet, wie erst kürzlich in Wien, von einer notwendigen Neugründung der Union, und Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, plädiert dafür, die Union tiefgreifendend zu reformieren.

"Der kleinste gemeinsame Nenner wird stündlich kleiner", hieß es dieser Tage in einem Zeitungskommentar. Dem ist wohl zuzustimmen. Der Brexit, der Umgang mit den Migrantenströmen aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika und das Gezerre rund um Ceta zeigten das wie selten zuvor. Die Handlungsfähigkeit der Union tendiert gegen null. Und die gemeinsame Politik auch. Das heimische Modell hat sich durchgesetzt. Entscheidungen, denen man in Brüssel zustimmte, werden inzwischen nicht mehr nur in Österreich für null und nichtig erklärt.

Längst haben rechtspopulistische Politiker Brüssel im Schwitzkasten und die EU hat keinen Handlungsspielraum mehr. Sie haben den Europapolitikern mit ihrem Nationalismus, der sich weder um die EU und ihre Idee kümmert und denen der Missbrauch von Demokratie oft zum Mittel geworden ist, die Schneid abgekauft. Die Politiker in der EU sind freilich nicht aus der Verantwortung zu entlassen, haben sie doch allzu lange, zu oft und oft auch allzu forsch an Ideen festgehalten, die in den Mitgliedstaaten und vor allem bei der Bevölkerung auf breite Ablehnung stießen. Fingerspitzengefühl schien dabei nie eine Rolle zu spielen.

Inzwischen macht die Europäische Union mitunter den Eindruck, sturmreif geschossen zu sein. Wirtschaftlich ist man angeschlagen und politisch hat man auf der internationalen Bühne kaum mehr Gewicht. Abgesehen von Angela Merkel gibt es niemand mehr, der von den großen Blöcken als Gesprächspartner akzeptiert wird. Und auch die deutsche Bundeskanzlerin hatte schon deutlich stärkere Zeiten und sehr viel mehr Rückhalt.

Außerhalb Europas hat man wohl keine Probleme mit dieser Europäischen Union, wie sie sich heute präsentiert. Viele werden das sogar begrüßen. Für Europa selbst hingegen kann das fatal werden. Schon jetzt kann man erkennen, wohin dieser Verlust von Einfluss führen kann. Im Syrienkonflikt hat man überhaupt nichts mitzureden. Obwohl das Flüchtlingsthema längst Thema Nummer eins in Europa und zum Sprengsatz für die Union geworden ist, muss man abwarten, ob die USA und Putin doch noch irgendwie zusammenfinden. In der Türkei schert sich Ministerpräsident Erdogan einen Teufel um das, was die EU sagt, und in Moskau ist es nicht anders. Europa hat nicht die Kraft dagegenzuhalten. Und das auch, weil der Glauben an Europa verloren gegangen ist -der Glauben der Menschen, die hier leben, und auch vieler Politiker, die sie vertreten. Auf Europa ist niemand stolz, aber dafür wieder umso mehr auf die einzelnen Staaten. Dort gibt man sich, angefacht von populistischen Parteien und groß gemacht auch von Regierungsparteien, die um ihr Überleben kämpfen, einem neuen Nationalismus hin und zerstört damit das, was den Kontinent auf der internationalen politischen Bühne stark und selbstbewusst machen könnte -undenkbar in Russland und undenkbar in den USA.

Aber Realität in Europa. Eine die fürchten machen kann.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. November 2016

Donnerstag, 3. November 2016

Schaum vorm Mund und Brett vorm Kopf



Es ist wieder so eine vergebene Chance, über die Landwirtschaft zu reden. Am 11. November startet der Film "Bauer unser". Mit jeder Menge Vorschusslorbeeren.  Doch was interessant beginnt und ausgewogen,  enttäuscht schlussendlich. Es ist wieder nichts, denn ein pauschales und undifferenziertes Anpatzen der Landwirtschaft.

Nichts dagegen, dass einschlägig bekannte Protagnisten wie Benedikt Haerlin, der den Weltagrarbericht mit verfasste, breiten Raum bekommen. Wenn aber dem gegenüber keiner anderen Meinung Raum gegeben wird und wenn einer wie der IG-Milch-Rebell Ewald Grünzweil ohne jede Relativierung sagen darf, dass es den "oberen Prozentsatz der Förderungen" nur für jene Bauern gibt, die "ihr Lebtag lang" Mitglied bei ÖVP und Bauernbund waren, ihr "Konto bei der Raika" haben und "am Sonntag brav in die Kirche gegangen sind", während sich die anderen mit dem "unteren Prozentsatz" zufrieden geben müssten, dann disqualifiziert sich der Film von selbst. Dann ist das nur billige Meinungsmache und man weiß den Informationswert des Restes einzuordnen.

Schade drum.

Vor wenigen Wochen gab es auch so eine vergebene Chance. Da machten manche Referenten eine Fachtagung der Ages zum Thema Ernährungssicherheit zu einem Fanal gegen die Biolandwirtschaft. "Bio lässt die Erträge schrumpfen und steigert die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten" stand am nächsten Tag groß in den Zeitungen. Und viele rieben sich wohl feixend die Hände, weil es gelungen war, den Bios eins auszuwischen. Schade auch um diese Gelegenheit sich ernsthaft, ohne Parteibrille und vor allem ohne Schaum vorm Mund mit einem Thema auseinanderzusetzen, das rund 150.000 Familien brennend interessiert.

Warum ist es in diesem Land nicht möglich unvoreingenommen über Landwirtschaft und über die Probleme der Bauern zu reden, ohne sich gegenseitig schlecht zu machen? Es gäbe so viele Themen, die den Bauern unter den Fingern brennen und über die man diskutieren könnte, sollte und müsste. Aber es gibt offenbar auch zumindest ebenso viele Bretter vor den Köpfen der Verantwortlichen auf allen Seiten, die genau das verhindern.

Die Selbstsicherheit und gegenseitige Geringschätzung, mit der sich die gegenübertreten, schmerzt. Denn es ist alles andere als so, dass nur schlecht ist, was man zumeist und mit großer Lust pauschal am Gegenüber schlecht zu machen versucht. Die konventionelle Landwirtschaft in diesem Land leistet gute Arbeit, sie versucht am Puls der Zeit zu bleiben und die Anforderungen der Gesellschaft und der Märkte, zu stellen. Auch die Biobauern leisten hervorragende Arbeit auf hohem Niveau. Und gleiches gilt auch für die Unternehmen rund um die Landwirtschaft. Da sitzen keine geldgierigen, gewissenlosen Schlawiner, die von nichts eine Ahnung haben und den Bauern nur schlechtes wollen.

Aber all das wollen die Scharfmacher, die auf allen Seiten und auch in Politik und Standesvertretung sitzen, nicht zur Kenntnis nehmen. Nicht, dass man damit keinen Schritt vorankommt und nicht, dass man damit auch gleich das Bild ganzer Bauerngruppen und Wirtschaftszweige in der Öffentlichkeit schwer beschädigt.

Dass es so weit gekommen ist, hat wohl auch damit zu tun, dass man in vielen Bereichen innerhalb der Landwirtschaft die gemeinsame Gesprächsbasis verloren  hat. Durch überzogene Aussagen und Aktionen und durch politische Blindheit und durch Selbstherrlichkeit. Und wegen der vielen Bretter vor den Köpfen.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land November 2016

Manifestationen des eigenen Versagens



Im Fernsehen lief dieser Tage wieder einmal eine Kampagne der Arbeiterkammer. "Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen wird immer schwieriger. Der Druck in der Arbeit steigt ständig. Trotzdem muss es gerecht zugehen", hieß es da. Man staunt. Die Arbeiterkammer sagt das? Unvermittelt drängt sich die Frage auf -ja, was haben die denn bisher gemacht in den vergangenen Jahrzehnten, dass sie eine solche Kampagne machen müssen? So wenig zusammengebracht?

Und das, obwohl sie im Land zu den einflussreichsten Organisationen zählt und obwohl sie großen Einfluss auf die Regierung hat, die von Parteifreunden geführt wird?

Über die Wirtschaftskammer lässt sich Nämliches sagen. Auch sie zählt zu den Schwergewichten im Land, auch sie ist zumindest indirekt seit Jahrzehnten in der Regierung, auch sie hat Gewicht, wie kaum sonst wer. Aber warum, fragt sich das der Beobachter zuweilen, muss dann Christoph Leitl immer noch über die zu hohen Lohnnebenkosten klagen, die Bürokratie, die den Unternehmen die Arbeit verleidet, die antiquierte Gewerbeordnung und über die zuweilen überbordende Steuerbelastung?

Nämliches lässt sich auch von den Parteien sagen, die in diesem Land den Ton angeben. Warum fühlen sich die Menschen, die zu vertreten sie vorgeben, so unwohl, so missverstanden und so wenig vertreten? Warum vertrauen sie ihnen immer weniger? Und warum sehen sie sie immer kritischer?

Das hat wohl damit zu tun, dass es zwar immer wieder jede Menge Ankündigungen gibt, sie aber immer weniger an konkreten Ergebnissen zu bieten haben. An Ergebnissen, die nicht alleine der Schadensbegrenzung dienen und nachträglich Fehler, die man den Menschen selbst eingebrockt hat, gutmachen sollen, sondern die eine neue Richtung vorgeben und wirklich Verbesserungen bringen.

Weil es so etwas kaum mehr gibt, wissen Sozialdemokraten seit langem nicht mehr wirklich, warum sie SPÖ wählen sollen. Und bei der ÖVP ist es nicht anders. Ist die ÖVP wirklich die Heimat der Wirtschaft, als die sie sich immer noch bezeichnet, fragt man sich dort. Und man fragt sich auch, ob man als Arbeitnehmer dort vertreten ist und immer öfter fragen sich selbst Bauern, ob das noch ihre Partei ist. Und immer mehr fragen, wie das alles überhaupt unter einen Hut zu bringen ist.

Dass diese Parteien seit Jahrzehnten das Land regieren und die Kammern so viel Macht haben, empfinden viele längst viel mehr als Fluch denn als Segen. Sie müssten, so denken sich immer mehr Menschen in diesem Land, mehr vorzuweisen haben, noch dazu bei dieser Machtfülle, die man hatte und immer noch hat.

Doch was sie vorzuweisen haben, wird immer öfter als zu wenig empfunden. Rekord-Arbeitslosenzahlen, Rekord-Steuerbelastung, schlechte Wirtschaftswachstumszahlen und jede Menge Zweifel am Wirtschaftsstandort Österreich sind nicht das, was man nach all den Jahrzehnten an den Hebeln der Macht eine überzeugende Bilanz nennen könnte.

Jede politische Forderung, jedes Wahlkampfversprechen, jede Kampagne gerät vor diesem Hintergrund daher zu einer Manifestation des eigenen Versagens. Man hatte ja die Möglichkeiten in der Hand, aber man bekam es eben nicht hin. Warum also, sollte man diesen Parteien weiter das Vertrauen schenken, warum soll man von den Interessenvertretungen viel halten?

Freilich steckt in dieser Sichtweise ein gehörige Portion Ungerechtigkeit. Politik ist eben nur die Kunst des Möglichen und sie ist immer nur ein Kompromiss. Aber es ist zu fragen, ob das Mögliche wirklich so klein sein muss, wie etwa das Wirtschaftspaket für Klein-und Mittelbetriebe, das man in der Vorwoche vorgestellt hat. Mit einem Mini-Investitionsprogramm für die Gemeinden und mit 25.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen (bei gut 500.000 Arbeitssuchenden), die man in Aussicht stellt, aber ohne eine Lösung für die kalte Progression, die jede Gehaltserhöhung zu einem Raub der Steuer macht und landauf landab seit Jahren für Frust sorgt?

Das hat wohl damit zu tun, dass man sich durch die Politik der vergangenen Jahrzehnte selbst den -vor allem finanziellen -Spielraum sehr beschränkt hat und dass man sich nach wie vor nach Kräften am liebsten gegenseitig blockiert.

Aber das gibt immerhin wieder Stoff für neue Kampagnen, neue Forderungen und neue Wahlkampfparolen. Wenn aber an deren Glaubhaftigkeit gezweifelt wird, darf sich freilich niemand wundern.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. November 2016
 
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