Donnerstag, 3. November 2016

Manifestationen des eigenen Versagens



Im Fernsehen lief dieser Tage wieder einmal eine Kampagne der Arbeiterkammer. "Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen wird immer schwieriger. Der Druck in der Arbeit steigt ständig. Trotzdem muss es gerecht zugehen", hieß es da. Man staunt. Die Arbeiterkammer sagt das? Unvermittelt drängt sich die Frage auf -ja, was haben die denn bisher gemacht in den vergangenen Jahrzehnten, dass sie eine solche Kampagne machen müssen? So wenig zusammengebracht?

Und das, obwohl sie im Land zu den einflussreichsten Organisationen zählt und obwohl sie großen Einfluss auf die Regierung hat, die von Parteifreunden geführt wird?

Über die Wirtschaftskammer lässt sich Nämliches sagen. Auch sie zählt zu den Schwergewichten im Land, auch sie ist zumindest indirekt seit Jahrzehnten in der Regierung, auch sie hat Gewicht, wie kaum sonst wer. Aber warum, fragt sich das der Beobachter zuweilen, muss dann Christoph Leitl immer noch über die zu hohen Lohnnebenkosten klagen, die Bürokratie, die den Unternehmen die Arbeit verleidet, die antiquierte Gewerbeordnung und über die zuweilen überbordende Steuerbelastung?

Nämliches lässt sich auch von den Parteien sagen, die in diesem Land den Ton angeben. Warum fühlen sich die Menschen, die zu vertreten sie vorgeben, so unwohl, so missverstanden und so wenig vertreten? Warum vertrauen sie ihnen immer weniger? Und warum sehen sie sie immer kritischer?

Das hat wohl damit zu tun, dass es zwar immer wieder jede Menge Ankündigungen gibt, sie aber immer weniger an konkreten Ergebnissen zu bieten haben. An Ergebnissen, die nicht alleine der Schadensbegrenzung dienen und nachträglich Fehler, die man den Menschen selbst eingebrockt hat, gutmachen sollen, sondern die eine neue Richtung vorgeben und wirklich Verbesserungen bringen.

Weil es so etwas kaum mehr gibt, wissen Sozialdemokraten seit langem nicht mehr wirklich, warum sie SPÖ wählen sollen. Und bei der ÖVP ist es nicht anders. Ist die ÖVP wirklich die Heimat der Wirtschaft, als die sie sich immer noch bezeichnet, fragt man sich dort. Und man fragt sich auch, ob man als Arbeitnehmer dort vertreten ist und immer öfter fragen sich selbst Bauern, ob das noch ihre Partei ist. Und immer mehr fragen, wie das alles überhaupt unter einen Hut zu bringen ist.

Dass diese Parteien seit Jahrzehnten das Land regieren und die Kammern so viel Macht haben, empfinden viele längst viel mehr als Fluch denn als Segen. Sie müssten, so denken sich immer mehr Menschen in diesem Land, mehr vorzuweisen haben, noch dazu bei dieser Machtfülle, die man hatte und immer noch hat.

Doch was sie vorzuweisen haben, wird immer öfter als zu wenig empfunden. Rekord-Arbeitslosenzahlen, Rekord-Steuerbelastung, schlechte Wirtschaftswachstumszahlen und jede Menge Zweifel am Wirtschaftsstandort Österreich sind nicht das, was man nach all den Jahrzehnten an den Hebeln der Macht eine überzeugende Bilanz nennen könnte.

Jede politische Forderung, jedes Wahlkampfversprechen, jede Kampagne gerät vor diesem Hintergrund daher zu einer Manifestation des eigenen Versagens. Man hatte ja die Möglichkeiten in der Hand, aber man bekam es eben nicht hin. Warum also, sollte man diesen Parteien weiter das Vertrauen schenken, warum soll man von den Interessenvertretungen viel halten?

Freilich steckt in dieser Sichtweise ein gehörige Portion Ungerechtigkeit. Politik ist eben nur die Kunst des Möglichen und sie ist immer nur ein Kompromiss. Aber es ist zu fragen, ob das Mögliche wirklich so klein sein muss, wie etwa das Wirtschaftspaket für Klein-und Mittelbetriebe, das man in der Vorwoche vorgestellt hat. Mit einem Mini-Investitionsprogramm für die Gemeinden und mit 25.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen (bei gut 500.000 Arbeitssuchenden), die man in Aussicht stellt, aber ohne eine Lösung für die kalte Progression, die jede Gehaltserhöhung zu einem Raub der Steuer macht und landauf landab seit Jahren für Frust sorgt?

Das hat wohl damit zu tun, dass man sich durch die Politik der vergangenen Jahrzehnte selbst den -vor allem finanziellen -Spielraum sehr beschränkt hat und dass man sich nach wie vor nach Kräften am liebsten gegenseitig blockiert.

Aber das gibt immerhin wieder Stoff für neue Kampagnen, neue Forderungen und neue Wahlkampfparolen. Wenn aber an deren Glaubhaftigkeit gezweifelt wird, darf sich freilich niemand wundern.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. November 2016

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