Donnerstag, 28. Juni 2018

Vergesst die Sache Europa nicht!



Alle reden mit einem Mal von entscheidenden Tagen für Europa. Der Präsident des EU-Parlaments sieht sich veranlasst, vor einer Zerstörung der Union zu warnen, der österreichische Bundespräsident auch, Kommentatoren ergehen sich in düsteren Szenarien. Die deutsche Regierung wankt, aus Italien kommen schroffe Töne. Lange schon nicht war die Unsicherheit und die Verunsicherung in Europa so groß.

Spannender könnte der Zeitpunkt kaum sein, an dem mit 1. Juli Österreich für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernimmt. Auch wenn die Möglichkeiten eines Ratsvorsitzes nicht überschätzt werden sollten, die Verantwortung Österreichs und seiner politischen Führung ist dennoch eine sehr große. Und das nicht nur wegen der Situation, in der sich die Union nun befindet, sondern auch, weil Österreich derzeit, ganz anders als in den vergangenen Jahren, kein kleines Licht auf dem europäischen Politik-Parkett ist. Mit seinen prononcierten Vorstellungen zur Migrationspolitik und zum Umgang mit den Flüchtlingsströmen hat sich Kurz selbst und damit auch das Land, das er vertritt, in der EU zu einem Schwergewicht gemacht. Er ist eine der Speerspitzen im Richtungskampf in Europa, der von der Flüchtlingswelle vor zwei Jahren ausgelöst wurde. Er wird nicht nur von allen Seiten gefragt, er wird auch gehört und er kann die Linie maßgeblich mitbestimmen. Kurz ist derzeit der Star unter Europas Politikern. Viele wünschen sich so einen wie ihn, viele hören auf ihn, und viele von Europas Spitzen versammeln sich hinter ihm.

Das schmeichelt Österreichs Seele, namentlich der der Kurz-Anhängerschaft. Aber dennoch fragen sich nicht wenige verunsichert, ob Kurz auf der richtigen Seite steht, wenn er offen Sympathien mit den Visegrad-Staaten und ihren Vertretern wie Orban zeigt, wenn er Bayerns Markus Söder offen unterstützt, aber die deutsche Kanzlerin Merkel zu seiner Lieblingsfeindin gemacht hat und auch als Gegenspieler des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron gesehen wird.

Kurz mag viele Gründe für seine Positionierung haben, aber sie können auch Sorgen machen. Denn viele der Politiker, die in der Migrationsfrage auf der Seite von Kurz und Österreich sind, stehen für politische Inhalte, die sehr wenig mit denen zu tun haben, die unsere Demokratie und unser Politik-und auch unser Werteverständnis prägen. Denen demokratische Grundsätze und Einrichtungen wenig wert sind, die gegenseitige Anerkennung und Respekt gering schätzen, sondern die am liebsten auf den Tisch hauen und sich mit aller Macht durchsetzen. Und, das vor allem, die, auch wenn sie Gegenteiliges beteuern, in ihrem Innersten am liebsten die Europäische Union sprengen würden.

Genau da setzt die besondere Verantwortung von Kurz und des österreichischen Ratsvorsitzes an, den er entscheidend prägt. Gerade in der derzeit so heiklen Situation ist einzufordern, dass Österreich alles in seiner Macht Stehende tut, um den Erosionsprozess, der der Gemeinschaft so sehr zusetzt, nicht noch weiter zu befeuern. Die Sache Europa darf während des Vorsitzes und schon gar nicht durch den Vorsitz Österreichs noch weiter geschwächt werden, sondern sollte gestärkt daraus hervorgehen.

In keinem Moment darf auch nur der Anschein erweckt werden, dass es zu einem gemeinsamen Europa, zur Europäischen Union eine Alternative gibt. Viel mehr muss alles daran gesetzt werden, dass der Zusammenschluss der europäischen Staaten wieder als einzige Chance begriffen wird, die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen. Es geht dabei nämlich um weit mehr als um den Umgang mit den Flüchtlingsströmen. Es geht vor allem auch um die wirtschaftliche Zukunft und um die Position des alten Kontinents im weltpolitischen Gefüge.

Ob Kurz das zuzutrauen ist, wird immer öfter bezweifelt. Manchen gilt er mittlerweile sogar als so etwas wie der Elefant im europäischen Porzellanladen, andere reden davon, dass er dabei ist das Land zu entmündigen und die Anliegen seiner Bürger nicht mehr zu hören. Aus Brüssel ist von Irritationen über das Auftreten und Verhalten der Österreicher zu hören.

Das alles sollte nicht abgetan werden. Nicht von den Anhängern der neuen österreichischen Politik und auch nicht von den Akteuren und ihrem Chef. Die nächsten sechs Monate sind jedenfalls sehr spannend für die Österreicherinnen und Österreicher. Ganz besonders spannend aber sind sie für die glühenden Europäer unter ihnen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. Juni 2018

Donnerstag, 21. Juni 2018

Das Eis ist dünn, auf dem wir leben



Wir leben auf dünnem Eis. Sehr dünnem sogar. Im täglichen Leben, wenn es um so einfache Fragen wie Versorgung mit Lebensmitteln oder Energie geht, wenn es um die Umwelt geht und neuerdings auch wieder, wenn es um die Politik und um die Stabilität des Zusammenlebens geht. Wir wissen es, wir zucken mit den Achseln. Warum sollen wir uns kümmern? Das tägliche Essen gibt's im Supermarkt, der Strom kommt aus der Steckdose, den Sprit fürs Auto gibt es an der Tankstelle. Also, was soll's?

Wir verhalten uns in vielen Bereichen so. Wir tun das offenbar gerne, ist es doch oft der einfachere Weg und verlangt einem am wenigsten ab. Und es ist jetzt schon bemerkenswert lange gut gegangen. Wir vergessen immer öfter, wie wurde, was jetzt ist und wovon wir leben und weshalb wir so leben können, wie wir leben. Wie viel Arbeit dahintersteht und welche Haltungen das ermöglicht haben.

Und schon gar nicht mögen wird dran denken, wenn mit einem Mal alles anders wäre. Und das muss gar nicht gleich ein Krieg sein oder ein Terroranschlag. Da reicht schon, wenn ein kleines Rädchen in diesem ganzen System an Technik, das uns umgibt und das uns das Leben so bequem macht, plötzlich nicht funktioniert. Wenn auf einmal nicht mehr hält, worauf man sich sein Lebtag verlassen hat. Wenn alle Sicherheitsstricke reißen. Die Folgen können heute so weitreichend sein wie noch nie zuvor in der Geschichte.

Gut, mancher versichert sich über beide Ohren und fühlt sich gewappnet für all das, was da kommen möge. Aber sonst? "Die Österreicher sind auf Krisen überhaupt nicht vorbereitet", sagte etwa erst kürzlich Generalstabschef Othmar Commenda bei einem Vortrag in Linz. "Wir sind unheimlich verwundbar." Die Menschen hätten keine Vorräte, ohne Energie würden Kühlaggregate und Heizungen versagen, auch Transporte gäbe es keine mehr. Innerhalb weniger Tage würde allerorten das nackte Chaos ausbrechen. Plünderungen inklusive. Und da ist noch gar nicht erwähnt, dass es dann wohl auch sehr schnell mit der Geldversorgung eng würde und mit vielem anderen mehr. Bereits nach vier Tagen ohne Strom und Wasser würden in 1,4 Millionen von 3,7 Millionen österreichischen Haushalten die Lebensmittel ausgehen. Gar nicht zu reden davon, dass heute kaum jemand noch in der Lage ist, sich irgendwie selbst zu helfen, weil es meist an den nötigsten handwerklichen Fähigkeiten fehlt.

Warnungen wie diese werden wohl weiter ohne viel Wirkung bleiben, so dramatisch sie auch sind. Das ist man gewohnt. Die Wirkung beschränkt sich allenfalls auf Staunen. Maßnahmen gibt es meist keine. Vorschläge verpuffen umgehend. Vor Jahren schlug die Landwirtschaft, nicht ohne den Hintergedanken freilich, Ordnung in die preisgeplagten Märkte zu bringen, den Aufbau von Krisenlagern vor. Vor wenigen Wochen erst sorgte die Ankündigung von Sicherheitsinseln mit bestehenden Bundesheerkasernen als Basis für Schlagzeilen.

Echo? Kaum messbar. Themen wie diese verschwinden in der Regel sehr rasch in den Schubladen.

Akzeptieren sollte man das nicht. So, wie wir es auch in andere Bereichen nicht akzeptieren sollten. Etwa, wenn es um Umwelt und Klima geht oder um gesellschaftliche Entwicklungen. Neuerdings ist auch in der Politik das Eis dabei, wieder dünner zu werden. Über Jahrzehnte oft mühsam aufgebaute Strukturen sind dabei aufzubrechen, Abmachungen, die das weltweite Zusammenleben sicherten, drohen über Bord zu gehen, oft will man nicht mehr verstehen, was man über Jahrzehnte verstanden hat. Neue Führer sind an den Schalthebeln, solche mit einem Denken, das man schon glaubte, für immer vergessen zu können. Lange bestimmende Kräfte hingegen, wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, schwächeln. Da kann alles sehr schnell sehr anders sein. Nicht nur irgendwo in der Ferne, sondern auch bei uns.

Auch in Österreich geraten wir politisch zunehmend auf dünnes Eis. So sehr die Politik der neuen Regierung von vielen beklatscht, bewundert und unterstützt wird, man sollte nie die andere Seite übersehen. Die Gesellschaft könnte schnell in die Krise rutschen und das Eis, auf dem sie sich bewegt, gar zu dünn werden.

Wir scheinen derzeit auf so eine Zeit zuzugehen. Da weiß man nicht mehr, ob noch trägt, was bisher trug und was kommen wird. Aber das blenden wir ganz einfach aus. Wohl um unbehelligt weitertanzen zu können auf dem dünnen Eis - auch wenn's noch so schnell brechen könnte.


Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 21. Juni 2018

Montag, 18. Juni 2018

Er kämpft für die Bauern



Josef Moosbrugger, neuer Präsident der Landwirtschaftskammer, sieht die EU gefordert, sich zu entscheiden, welchen Weg sie in der Agrarpolitik gehen will.

Hans Gmeiner 

Wien. „In der Landwirtschaft gibt es keine Subventionen, das sind Leistungsabgeltungen. Da lege ich Wert drauf.“ Wenn es um Geld für die Landwirtschaft geht, dann lässt der Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich über Begriffe nicht mit sich reden. Für Josef Moosbrugger, Bauer aus Dornbirn und seit gut einem Monat Österreichs oberster Bauernvertreter, ist klar: „Der Landwirt erbringt Leistungen, wie die Einhaltung hoher Produktionsstandards, die Gentechnik-freie Produktion, die Pflege des ländlichen Raumes, den Nutzen, den der Tourismus davon hat, und vieles andere mehr, dafür kriegt er Geld.“

Und so soll es auch bleiben. Darum hat Moosbrugger auch kein Verständnis dafür, dass die EU die Gelder für die Bauern kürzen will. „Gleiche Leistung für weniger Geld wird es mit der Landwirtschaft nicht geben. Das sind ja keine Almosen und wir sind keine Bittsteller.“ Da hat er auch keine Scheu, selbst den Bundeskanzler persönlich in die Pflicht zu nehmen, der trotz des Wegfalls von Großbritannien mit der Devise „Kein zusätzlicher Cent aus Österreich für Brüssel“ in die Verhandlungen um das EU-Budget 2020 bis 2028 gehen will, was für die Landwirtschaft die Position nicht gerade einfacher macht. „In den bevorstehenden Verhandlungen sind jetzt der Bundeskanzler gefordert und der Finanzminister“, sagt Moosbrugger. „Da gibt es die klare Erwartung, alles daran zu setzen, die Bauernfamilien in Österreich nicht zu enttäuschen.“

Wenn das nicht klappt, ist für Moosbrugger klar, woher der Ausgleich kommen muss. „Dann sind der Bund und die Bundesländer gefordert.“ Der neue Bauernpräsident will dabei die Diskussion um das EU-Budget nicht allein auf die Landwirtschaft beschränkt sehen. „Es steht schließlich viel auf dem Spiel für die Lebensqualität in Österreich und letztendlich auch für den ländlichen Raum.“

Mit den Vorschlägen, die für die künftige EU-Agrarpolitik auf dem Tisch liegen, ist Moosbrugger alles andere als zufrieden. „Ich erkenne darin keine Ziele“, sagt er. Da seien allenfalls zusätzliche Themen dazugekommen wie Klima- und Energieziele, ohne dass man dafür aber zusätzliches Geld zu Verfügung stellen wolle. „Mehr Leistungen mit weniger Geld“ ist für Moosbrugger allerdings keine Option.

Dass die EU-Kommission bei den Bauern sparen will, ist für ihn unverständlich. Wenn schon gespart werden müsse, dann müsse überall gespart werden. „Auch in der Verwaltung der EU“, fügt er hinzu. „Es ist doch komisch, dass die Verwaltung in Zukunft mehr kosten soll, obwohl ein Mitgliedsstaat wegfällt.“ Moosbrugger vermisst überfällige strategische Entscheidungen für die Zukunft der europäischen Landwirtschaft und eine deutlichere Differenzierung. Ihm gefällt nicht, dass die Betriebe immer größer werden müssen, um noch eine Chance zu haben. „Wir kommen dadurch an die Grenzen dessen, was bäuerliche Familienbetriebe leisten können. Das wird den Familien zu viel und vergällt den Jungen die Zukunft“, sagt Moosbrugger. „Niemand will nur arbeiten und im Stall stehen und nichts verdienen.“

Für ihn liegt daher auf der Hand, dass sich die europäische Agrarpolitik mit der Frage beschäftigen muss, welche Ziele sie in Zukunft verfolgen wolle. „Will sie einfach eine agrarindustrielle Produktion, die dazu führt, möglichst viel Masse zu erzeugen, damit der Markt billig versorgt wird, oder will sie eine qualitativ hochwertigere, weiter entwickelte Landwirtschaft?“ Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass die Voraussetzungen und die Kosten, zu denen die Bauern produzieren können, in den EU-Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich sind. Der Kommissionsvorschlag geht ihm zu wenig weit. „Ich würde den regionalen Spielraum für eine Differenzierung erhöhen, um den einzelnen Mitgliedsstaaten mehr Möglichkeiten zu geben, ganz konkrete Strategien und Zielsetzungen zu verfolgen“, sagt Moosbrugger.

Im Hinblick auf Veränderungen in Österreich selbst zeigt er sich zurückhaltender. Da geht es ihm darum, die bisherige Politik auch inhaltlich fortzuführen und weiter zu entwickeln. „Jedes System hat Vor- und Nachteile“, sagt er. „Ich glaube, die Verteilung der Mittel innerhalb Österreichs ist nicht ganz schlecht gelungen.“ Er wünscht sich freilich Signale für extreme Bergregionen oder andere schwierige Produktionsgebiete, allein um eine flächendeckende Landwirtschaft auch in Zukunft sicherzustellen. „Wir müssen schauen, dass es auch in Zukunft eine vernünftige Ausgewogenheit gibt.“ Dabei dürfe kein Produktionsbereich bevorzugt werden. „Es muss eine Kombination sein aus kluger Weiterentwicklung des Marktpotenzials und dem Nutzen von Nischen.“

Wenig Verständnis hat Neo-Präsident Moosbrugger für die da und dort aufkeimende Kritik an den Produktionsmethoden und Forderungen nach immer neuen Auflagen. Er verwehrt sich vor allem dagegen, wenn es allein zulasten der Bauern gehe. „Wenn in Österreich etwas verboten wird, aber weiterhin Produkte importiert werden, die nicht so hergestellt werden, wie man es von den österreichischen Bauern verlangt, dann ist das nichts als eine Wettbewerbsverzerrung. Das darf man nicht durchgehen lassen.“

Bei allen Forderungen an die Politik und Öffentlichkeit nimmt Moosbrugger aber auch die eigene Berufsgruppe in die Pflicht. Mehr Marktbewusstsein steht dabei an vorderster Stelle. „Ich kann nicht den Milchstall verdoppeln und nicht vorher fragen, ob die Molkerei die Milch braucht oder nicht.“ Damit nicht genug. Im gefällt nicht, dass die Bauern kaum mehr Lebensmittelmarken in der Hand haben und dass sie vom Preis, den der Konsument zahlt, „nur das bekommen, was übrig bleibt“. „Am stärksten profitiert der Handel, die Verarbeiter holen sich, was sie brauchen, und der Rest bleibt dem Landwirt.“

Das ist Moosbrugger zu wenig. Dass es schwierig ist, das zu ändern, musste er am eigenen Leib erfahren. Mit dem Plan, in der Milchwirtschaft einen Branchenverband einzurichten, um damit mehr Gewicht gegenüber dem Handel zu haben, ist er bisher gescheitert. „Der wird blockiert", sagt er. „Auch wenn die Milchwirtschaft großteils in bäuerlicher Hand ist und auch wenn bäuerliche Funktionäre mitreden, heißt das noch lange nicht, dass es eine gemeinsame Strategie geben kann.“


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 18. Juni 2018

Donnerstag, 14. Juni 2018

Ganz unten wie ganz oben



In der vergangenen Woche geschah es wieder einmal. In einem TV-Politikmagazin, das sich sonst eher wenig um die Sorgen der Landwirtschaft kümmert, bekam ein Milchbauer, der sich von seiner Genossenschaft ungerecht behandelt fühlte, breiten Raum. Das Thema war alles andere als aktuell, die Probleme, über die er Klage führte, haben sich längst aufgelöst. Aber dafür, sich an den Genossenschaften, am Genossenschaftswesen und im Speziellen an Raiffeisen zu reiben, reichte es allemal.

Man tut das immer wieder gerne einmal. Es ist, als ob nicht sein kann, was nicht sein darf - dass eine Gruppe, die über 200 Jahre in der Gesellschaft und in der Wirtschaft gewachsen und die von allen Bevölkerungsschichten in einer Breite getragen ist, die ihresgleichen sucht, erfolgreich ist. Man mäkelt an der Größe von genossenschaftlichen Unternehmen herum und an der Macht. Man echauffiert sich über ihre vielseitige Struktur, darüber, dass sie in unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen präsent sind und an vielem mehr auch.

Aber die Raiffeisen-Genossenschaften funktionieren. Das freilich nicht nach dem Kopf eines Einzelnen, der meint, es besser zu wissen, als die anderen, oder nach dem, der sich die Rosinen herauspicken will, die ihm am verlockendsten erscheinen. Sie funktionieren, weil es nach den Vorstellungen aller geht. Weil die Strukturen im Kern auch immer noch demokratisch geprägt sind und weil im Kern immer noch gilt, was schon Friedrich Wilhelm Raiffeisen postulierte -Alle für einen, einer für alle.

Für Dickschädel, für Rosinenpicker, für Egoisten ist das ein Problem. Das ist verständlich. Genossenschaft ist ein mühsames Geschäft. Ganz so, wie auch Demokratie ein mühsames Geschäft ist. Da sind Tugenden verlangt, die gerade in letzter Zeit in unsere Gesellschaft viel zu oft verschütt gegangen sind. Solidarität gehört dazu, Gemeinschaftlichkeit auch und Verantwortung. Dafür fehlt vielen das Verständnis. Und dafür fehlt vielen auch der lange Atem.

Die, die Genossenschaft nicht verstehen, belächeln das System oft. Dabei gibt es gerade in der Wirtschaft keine Unternehmensform, in der die Miteigentümer auch nur annähernd so bedeutende Mitspracherechte haben, zumal dann, wenn sie nicht zu kapitalstarken Eigentümern oder gar Mehrheitseigentümern gehören. Wer wie viel Geld hat, spielt im Grund keine Rolle. Jeder kann Mitglied einer Genossenschaft werden. Es gilt im Grund nach wie vor, dass sich viele Kleine, die anders keine Möglichkeit hätten, durch den Zusammenschluss selbst helfen.

Freilich, dabei darf nicht vergessen werden, dass das nicht bedeutet, dass jedem einzelnen Wunsch nachgegangen wird und dass jedes Ansinnen erfüllt wird -schon gar dann nicht, wenn man sich damit eine Sonderstellung verschaffen will, oder wenn das den anderen Mitgliedern zum Nachteil gereichen würde. Damit muss man umgehen können.

Freilich sind heute die Anforderungen ganz andere als früher. Das nicht nur, weil sich das wirtschaftliche Umfeld sich geändert hat, sondern auch, weil die Genossenschaften so erfolgreich waren und sie mittlerweile nicht zuletzt aus diesem Grund mitunter selbst in Konzerngrößen gewachsen sind. Das freilich darf nichts daran ändern, dass die Verantwortung auch in diesen Fällen, und nicht nur auf der Primärebene, den Interessen der Mitglieder an der Basis gilt. Man sollte nie vergessen, was die Unternehmen in diese Position gebracht hat und woher sie kommen.

Das gilt auch dann, wenn das manchem Manager und Funktionär mitunter schwerfallen mag und sie ihre Verantwortung lieber anders sehen möchte. Auch, wenn nicht immer alles so laufen mag, wie man das gerne hätte, dürfen sie nie das Große und Ganze aus den Augen verlieren. Dass manche Manager und auch Funktionäre ab und an die genossenschaftliche Organisation in bestimmten Situationen und Konstellationen als Fesseln empfinden, ist verständlich. Und verständlich ist auch, dass manche, die Kapitalgesellschaften führen, die aus Genossenschaften hervorgingen, sich gern darauf berufen, ihren Aktionären verantwortlich zu sein und ihre Herkunft am liebsten verdrängen würden.

Aber wichtig bleibt selbst da, dass sie nie vergessen, wo ihre Wurzeln sind. Darin besteht die Verantwortung der Funktionäre und der Manager, die in den Genossenschaften und den Unternehmungen in ihrem Umfeld tätig sind. Der ganz unten, der ganz oben. Und die all derer dazwischen auch.


Meine Meinug - Raiffeisenzeitung, 14. Juni 2018

Montag, 11. Juni 2018

Die Genschere macht Hoffnung



Eine neue Technologie soll die Pflanzenzucht revolutionieren: Genome Editing gilt als Antwort auf die Gentechnik. Europa zögert.

Hans Gmeiner  

Linz. Genome Editing revolutioniert die Pflanzenzucht. Anders als bei der Gentechnik werden bei diesem neuen Verfahren Gene gleicher Art nur ausgetauscht, stillgelegt oder allenfalls wieder eingesetzt, um verloren gegangene Eigenschaften nutzen zu können. Während in der Gentechnik das Material so verändert wird, wie es die Natur selbst nicht zustande brächte, bleibt man im in der Pflanzenzucht gewohnten System. Es werden in der Regel keine Fremdgene eingesetzt, und es wird auch kein transgenes Material übertragen.

Genome-Editing-Verfahren wie die Gen-Schere CRISPR-Cas (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) verkürzen die oft langwierigen Züchtungsverfahren und sind auch deutlich einfacher und wesentlich günstiger als die Verfahren der klassischen Gentechnik.

Die Fachwelt ist begeistert. Nicht nur in der Pflanzenzucht. Auch in der Medizin sieht man große Möglichkeiten. „Das ist eine ganz unglaubliche Technologie, ein ganz, ganz großer Durchbruch“, sagt etwa der Humangenetiker Markus Hengstschläger. Er sieht vor allem die Möglichkeit, heimtückische Krankheiten auszuschalten, denen bisher nicht beizukommen war.

„Für Pflanzenzüchter ist es nichts anderes als ein weiteres Werkzeug“, sagt Eva Stöger, Professorin für Molekulare Pflanzenphysiologie an der Wiener Universität für Bodenkultur, nüchtern. Die gebürtige Salzburgerin sieht die Technologie als große Chance, die Saatzucht international wieder auf eine breitere Basis zu stellen. „Diese Technologie kann auch von kleineren und mittleren Betrieben sehr gut genutzt werden.“ Das wäre laut Stöger auch „durchaus wünschenswert“, weil damit ein Gegengewicht zu den wenigen großen Konzernen entstehen könnte, die international das milliardenschwere Saatzuchtgeschäft in der Hand haben. „Damit könnte auf regionale Notwendigkeiten besser Rücksicht genommen werden.“

„Genome-Editing-Verfahren ermöglichen, ganz gezielt gewünschte Mutationen in die Pflanzen einzubringen“, sagt Stöger. Das Ergebnis sei nicht von einer auf natürlichem Weg zustande gekommenen Mutation unterscheidbar. Bisher konnten solche Veränderungen nur per Zufall und durch komplizierte Selektion in der Züchtung erreicht werden. Weil es sich nur um eine neue Methode eines seit Jahrzehnten gebräuchlichen Verfahrens handelt, ist für Stöger klar, dass die für die Gentechnik gültigen Regularien nicht auf die neuen Verfahren angewandt werden sollten. „Dieses Verfahren passt selbst für die Bio-Landwirtschaft“, sagt die Expertin.

Das Einsatzfeld für die neue Technologie ist breit gefächert. Damit können unerwünschte Eigenschaften rascher aus Pflanzen weggezüchtet werden und gewünschte Eigenschaften in die Pflanzen eingebracht werden. Wofür man bisher Jahre brauchte, scheint nun in einer deutlich kürzeren Zeit und auch zu wesentlich niedrigeren Kosten möglich. So könne damit etwa das Weizen-Gen, das für Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) verantwortlich ist, ausgeschaltet und der Weg zu einem mehltauresistenten Weizen abgekürzt werden, sagt Stöger als Beispiel.

Vor allem in den USA und in Asien hat man sich laut Stöger längst auf die neue Technologie gestürzt. In Europa hingegen weiß man immer noch nicht, wie man mit den Genome-Editing-Verfahren umgehen und ob man sie den rigiden Gentechnik-Regularien unterwerfen soll oder ob die Vorschriften für die Erzeugung von Pflanzenmutationen ausreichen. Statt wie ursprünglich Ende April geplant, wird die EuGH-Entscheidung nun noch vor dem Sommer erwartet.

Es gibt auch Skepsis. „Es ist eine neue Technologie, von der noch nicht bekannt ist, welche Folgen sie für Konsumenten und Ökosystem hat“, heißt es etwa von Biobauern zurückhaltend.

Die heimische Saatzuchtwirtschaft hofft dennoch, dass auch Österreich keine Steine in den Weg legt. „Das wäre für uns die Chance, an der internationalen Entwicklung teilzuhaben und den Großen Paroli zu bieten“, sagen Josef Frauendorfer und Karl Fischer von der Saatbau Linz, Österreichs größtem Saatzüchter. „Es wäre inakzeptabel, wenn wir diese Möglichkeit nicht bekämen, aber gleichzeitig Produkte, die noch dazu mit einer in Europa entwickelten Technologie erzeugt werden, importiert würden.“


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. Juni 2018

Donnerstag, 7. Juni 2018

Freiwild Landwirtschaft



In Oberösterreich muss sich die Landwirtschaftskammer mit der Arbeiterkammer wegen einer zweifelhaften Trinkwasseruntersuchung herumschlagen. Ebendort gefällt sich der grüne Landesrat immer wieder mit Zwischenrufen zu Agrarthemen. Jüngst forderte der nach dem Neonics-Verbot als nächsten Schritt gleich den Ausstieg aus dem chemischen Pflanzenschutz. In Wien blies SP-Chef Kern zur Attacke auf die Landwirtschaft und forderte Einsparungen, Global 2000 hat die mögliche Abdrift beim Pflanzenschutz als neues Thema entdeckt und die Magistratsabteilung  22 der Stadt Wien, vulgo Umweltschutzabteilung, meinte, die Schweinehaltung in Österreich anprangern zu müssen und brachte des damit sogar in die ZiB 1. Dann war da noch die Themenwoche „Mutter Erde“ im ORF in der es reichlich Saures für die Landwirtschaft gab. Und es rauschte noch eine NGO-Studie durch die Medien, derzufolge es ein Leichtes sei, Österreich ausschließlich bio zu ernähren. Freilich ohne viel vom Kleingeruckten zu reden. Davon, dass nicht mehr soviel weggeworfen werden dürfte, davon, dass man weniger Fleisch essen dürfte, und schon gar nicht davon, dass die Ausgaben für Ernährung, ganz markant ansteigen würden. 

Um die Landwirtschaft insgesamt freilich, und um die Bauern, geht es dabei meist nicht. Praktisch immer hingegen geht es darum, dass Teile der Gesellschaft aber auch der Bauernschaft selbst, wie etwa Bio Austria, aus welchen Gründen auch immer, ihre Vorstellungen von Landwirtschaft auf Kosten anderer durchsetzen wollen, um sie so zu gestalten, wie es ihnen passt. Man nimmt sich einfach heraus, überall mitzureden und Forderungen zu stellen, auch wenn man noch so wenig Ahnung von der Materie und nichts damit zu tun hat und nichts davon weiß, wie die Dinge wirklich laufen auf den Höfen und auf den Märkten. 

Wie es den Bauern geht damit, wie sie zurechtkommen und wo sie bleiben, wenn all das wirklich so käme, wie sie sich das vorstellen, ist kein Thema. Allenfalls ist man bereit, „kleine Bauern“, was immer man darunter versteht, und allenfalls noch Bergbauern unterstützen zu wollen. Alle anderen werden umgehend und ohne viel Federlesens mit der ach so bösen Agrarindustrie in einen Topf geworfen. Da wird nicht mehr differenziert. Da wird nichts mehr gehört. Da gilt der durchschnittliche österreichische Vollerwerbsbetrieb so wenig, wie der Großbetrieb im deutschen Osten oder gar in Polen, zumal dann, wenn er konventionell wirtschaftet.

Die Versuche und Bemühungen der Landwirtschaft, es der Gesellschaft recht zu machen, werden nicht anerkannt. Da gilt meist nichts. Nichts von den Umweltprogrammen, nichts von den zahllosen Beschränkungen und den vielen Auflagen, denen sich die Bauern unterwerfen.  

Dabei könnte man freilich über vieles diskutieren und müsste auch vieles weiterentwickelt werden. Das wissen und wollen auch die Bauern. Dieses Klima aber, diese überall mitschwingende Geringschätzung und dieser Umgang mit ihnen macht es schwierig.

Und es wird wohl nicht leichter werden. Denn ein Schelm, der glaubt, alles was derzeit abgeht, habe nicht auch mit den anstehenden Entscheidungen zum künftigen EU-Budget zu tun und mit der nächsten Reform der EU-Agrarpolitik.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 7. Juni 2018

Starke Männer haben Konjunktur



Es gilt ganz offenbar wieder - mächtige Männer ziehen an. Zumal dann, wenn es wie in diesen Zeiten, zum Rechtsruck in der Politik passt. Da ist es immer weniger notwendig, sich zu verstellen. Da kann man schon einmal Verständnis und Bewunderung zeigen, ohne Gefahr zu laufen, gleich verurteilt zu werden.

Beim Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag dieser Woche war das nicht zu übersehen. Überall beflissene Höflichkeit, viele anerkennende Worte auch und großer Respekt. Nicht nur vor seiner Macht, sondern auch vor seiner politischen Arbeit und seinen Ansichten.

Hierzulande hat er nicht nur manchen Freund wie Karl Schranz, sondern auch viele offene und stille Bewunderer. Sie reichen vom Bundeskanzler und seinem Vizekanzler, der die Teilnahme am Gespräch mit Putin wohl als so etwas wie höhere Weihen empfand, über Neo-Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer bis tief hinein in die heimische Wirtschaftsszene.

Mit Putins Methoden hat man keine Probleme, auch wenn die oft gar nicht zu den westlichen politischen Standards passen. Man blickt über seinen Umgang mit der kritischen Opposition hinweg. Und man trägt gerne seine Erklärungen, Forderungen und Einschätzungen weiter, und macht sich zuweilen gar zum Werkzeug Putins in seinem Kampf gegen Brüssel.

Putin, und wie er es macht, gefällt. Ein starker Mann, wie ihn sich viele mehr oder weniger insgeheim auch bei uns wünschen. Wer das nicht tut, oder meint, davor mahnen zu müssen, hat es immer schwerer.

Selbst Donald Trump, Putins großer Gegenspieler auf der Weltbühne, findet hierzulande immer mehr Verständnis. Selbst wenn er vielen, zumal in Europa, vor allem als brandgefährliches politisches Irrlicht gilt. Die Zahl derer, die zumindest im Stillen Verständnis für seine Maßnahmen haben, wächst.

Immer öfter mischen sich auch bei uns Erklärungen für Trumps Handeln in die Gespräche, die Aufhorchen lassen. Man ist angetan von seinem Stil. "Er hat doch völlig Recht, wenn er sich die europäischen Autohersteller vornehmen und die Zölle anheben will", heißt es dann. Die EU belege nämlich US-Autos mit zehn Prozent Zoll, die USA europäische Autos ihrerseits aber nur mit 2,5 Prozent. Und überhaupt -für Rindfleisch aus den USA betrage der EU-Zoll 68 Prozent, für Schweinefleisch 26 und für Hühnerfleisch 21 Prozent.

Man verurteilt nicht, dass Trump zu Mexiko eine Mauer bauen will und die Einwanderer heimschicken will. Und man gibt ihm Recht, wenn er mit der Aufkündigung des Atomabkommens gegenüber dem Iran den starken Mann hervorkehrt. "Der traut sich endlich was und er bewegt was."

Dass die Welt im Nu brennen könnte, und dass Trump dabei ist, die ganz Weltordnung über den Haufen zu werfen, wird zuweilen sogar wohlwollend in Kauf genommen, "weil so kanns ja nicht weitergehen, wie bisher".

Das alles hat wohl mit der Sehnsucht nach klaren Linien, mit der Sehnsucht nach überschaubarer Politik zu tun. Mit dem internationalen Rechtsruck, dem man immer weniger entgegenzusetzen hat, weil Antworten auf just diese Bedürfnisse fehlen. Die Gefahren, die das birgt, spielen immer weniger eine Rolle. Immer mehr sehen derzeit keine anderen Wege. Man neigt dazu, sich in Stammtisch-und Macht-Fantasien zu ergehen. Was über Jahrzehnte und noch längere Zeiträume erarbeitet wurde an politischer und gesellschaftlicher Kultur, wird oft nur mehr gering geschätzt, was tatsächlich auf dem Spiel steht, nicht erkannt.

Dass es so ist, hat, zumindest in Europa, auch mit der schwachen Europäischen Union zu tun. Sie hat nicht die schnellen Antworten und die schnellen Lösungen, die heutzutage erwartet werden. Sie ist auch gar nicht konstruiert dafür. Und sie hat auch keine starke Führung. Politiker in immer mehr Ländern nutzen das immer rücksichtsloser aus. Und es ist dabei nicht nur auf Ungarn oder Polen zu zeigen oder neuerdings auf Italien. Auch Österreich wird immer öfter nicht mehr zu den treuesten Europäern gezählt. Nicht, was die politische Führung anlangt und auch nicht, was die Bevölkerung anlangt. Erst jüngst zeigten sich die Österreicher wieder als besonders skeptisch. Nur 45 Prozent finden laut Eurobarometer-Umfrage die EU-Mitgliedschaft gut. Das ist weniger als in Großbritannien.

Auch wenn man das nicht als Alarmzeichen werten will, nachdenklich sollte es doch stimmen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Juni 2018
 
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