Donnerstag, 15. November 2012

Hausgemachter Leidensdruck


 


Man weiß es. Frau und Herr Österreicher fühlen sich gerne zu kurz gekommen, ungerecht behandelt und ungerechtfertigt ausgesackelt. Vom Staat, von den Handelskonzernen, von den Ölfirmen, von den Banken, von wem auch immer. Was alteriert man sich nicht darüber an den Stamm- und Küchentischen dieses Landes. Der Leidensbedarf ist hoch zwischen Neusiedlersee und Bodensee.

Dabei ist so vieles hausgemacht. Ohne Not und ohne Verantwortung und im wahrsten Sinn des Wortes. Erst jüngst ließ das Finanzministerium, vielerorts als Hort der Gier und der Abzocke gescholten, vernehmen, dass Jahr für Jahr hunderte Millionen Euro an staatlichen Hilfen einfach nicht abgeholt werden. Nicht abgeholt von vielen derer, die sonst nicht müde werden, über die hohe Steuerlast und den räuberischen Staat zu jammern und nicht abgeholt, von vielen derer, für die all das gemacht wurde, weil die sonst angeblich nicht über die Runden kämen.

Rund 100 Millionen lässt man jährlich einfach liegen, weil man es etwa nicht der Mühe wert findet, das Formular für die Arbeitnehmerveranlagung, den Jahresausgleich, auszufüllen. 130 Millionen bleiben dem Finanzministerium übrig, weil die steuerliche Absetzbarkeit von Kosten für die Kinderbetreuung nicht genutzt wird, und 100 Millionen, weil der Kinderfreibetrag nicht geltend wird. Im Sozialministerium wundert man sich darüber, dass nur 193.000 Menschen jährlich die Mindestsicherung, die frühere Sozialhilfe, in Anspruch nehmen. Und im Wissenschaftsministerium darüber, dass viele Studenten, die sich sonst so gerne über das Ansinnen Studiengebühren einzuführen, alterieren, einen Gutteil der staatlichen Förderungen liegen lassen und darauf verzichten, Studienbeihilfe zu beantragen.

Beispiele wie diese gibt es viele in diesem Land, in dem sich, diesem Eindruck kann man sich allzu oft nicht entziehen, so viele Menschen vor allem übers Jammern und über das, was sie nicht bekommen, definieren.

Für all das, das sei gar nicht angezweifelt, mag es Gründe geben. Zumindest da und dort. So ist etwa bekannt, dass insbesondere in ländlichen Regionen Menschen eine Scheu haben, zum Gemeindeamt zu gehen und um Sozialhilfe zu bitten. Dass man darauf einen Anspruch hat, tut dabei wenig zur Sache. Die Scham ist oft größer. Oder man weiß, dass die geringe Nutzung des Kinderfreibetrags damit zusammenhängt, dass das letzte Kindergartenjahr großteils gratis ist und somit nicht steuerlich geltend gemacht werden kann.

Die Fragen, die diese Zahlen aus dem Finanzministerium und dieses Verhalten vieler Österreicherinnen und Österreicher aufwerfen, sind dennoch diskussionswürdig. Zum einen ist die Treffsicherheit all dieser Maßnahmen zu hinterfragen, die die Politik oft in falscher Einschätzung der Realitäten durchsetzt. Zum anderen geht es dabei aber auch um nichts anderes als um den sorgsamen Umgang mit Ressourcen.

In den geschilderten Fällen ist es die Ressource Geld, die allerorten knapp zu werden droht, zumal angesichts der Finanzprobleme der EU, die längst tief in die nationalen Budgets und mithin auch in den Haushalt der Republik Österreich hinein strahlt.

Da gilt es ganz offensichtlich den Blick zu schärfen und nicht populistischem Geheul den Weg frei zu machen. Was etwa hätte man mit dem Geld, das da im Vorjahr nicht abgeholt wurde, nicht alles machen können, ist zu fragen - Initiativen in Wirtschaft und Bildung, Steuersenkungen vielleicht sogar oder Hilfe für Menschen, für die nichts vorgesehen ist. An Möglichkeiten fehlt es nicht.

Das gleiche Muster findet sich beim omnipräsenten Klagen über hohe Lebensmittelpreise. Dass hierzulande rund ein Drittel der Lebensmittel im Müll landet, weggeworfen oft just von jenen, die besonders über die Preise jammern, ist ein Thema, das sich in der Öffentlichkeit schwer tut. Über ein paar Cent mehr beim Milch- und Brotpreis einen Wirbel zu machen, ist da allemal leichter.

Nicht anders verhält es sich mit den Klagen über hohe Treibstoff-und Energiepreise. Sie füllen die Gazetten und regen die Leute auf - und nicht, dass daheim die Lichter brennen, als gäbe es kein morgen und selbst kleinste Wege lieber mit dem Auto als zu Fuß zurückgelegt werden.

Doch statt sich Fragen und Themen wie diesen zu stellen und sich in den Spiegel zu schauen, verbraucht man sich lieber am Gewohnten. Am Jammern, am Fordern. Man will sich doch die Lust am Leiden nicht madig machen lassen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. November 2012

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