Donnerstag, 29. November 2012

"Morbus Strache" zerfrisst Österreichs Verhältnis zur Europäischen Union





Es war so ein Sager, wie ihn österreichische Politiker immer öfter schnell sagen. Sie stecke das Geld lieber in das Pendlerpauschale, als es nach Brüssel zu überweisen, sagte Finanzministerin Maria Fekter kürzlich im Parlament. Sie tat es wohl im Glauben und in der Absicht, dass so etwas gut kommt in Österreich. Die einzig richtige Antwort darauf kam ausgerechnet von Kanzler Werner Faymann. "Das ist Unsinn“, sagte kurz und bündig. Es ist ihm nur recht zu geben.

Längst hat "Morbus Strache“ weite Teile des Landes und jener, die in diesem Land Politik machen, erfasst. Das EU-Bashing, das H.C. Strache seit Jahren vormacht, versuchen ihm immer mehr nachzumachen. Es ist Mode geworden, zu versuchen mit Seitenhieben gegen Brüssel billige Punkte beim Wahlvolk zu machen. Brüssel wird vorzugsweise als Geld verschlingender, undurchsichtiger Moloch dargestellt, der Österreich und seinen braven Bewohnern nichts als an den Kragen will. Davon, wo unser Land von der Mitgliedschaft profitiert, ist indes praktisch nichts mehr zu hören. Das im Wirthaussaal bei der Parteiveranstaltung verschwitzte Hemd ist allerorten näher als das feine graue Anzugstuch des Rocks, den man in Brüssel gerne zur Schau trägt.

Ausgerechnet der Kanzler, lange wegen eines Briefes an Krone-Herausgeber Dichand als Europa-Feind gescholten, macht den Eindruck, derzeit der einzige Europäer in der Spitzenpolitik des Landes zu sein. Die Volkspartei, die sich so gerne und eitel als die Hüter der europäischen Idee in Österreich darstellte, schaut dagegen schlecht aus. Der Brüsseler Gipfel in der vergangenen Woche führte das drastisch vor Augen. Von der Vetoankündigung bis zu den kleinlichen Stellungnahmen von Politikern aus aller Richtungen der Partei.

Dass es vor diesem Hintergrund Europa schwer hat in Österreich, nimmt nicht Wunder. Und dass die EU selbst samt ihrer Währung seit Jahren in einer hartnäckigen Krise steckt, macht die Situation nicht einfacher. Dass das Verhältnis zur EU und dass die Union selbst strapaziert ist, steht außer Frage. Umso wichtiger wären klare Linien in Österreichs Europa-Politik, klare Bekenntnisse zu den Zielen der Union und eine klare Orientierung und Positionierung in zentralen Themen.

Von all dem ist freilich kaum etwas zu sehen. Das Verhältnis zwischen Österreich und der europäischen Idee erkaltet zusehends. Österreich kann sich weniger denn je klar für die EU und ihre Ziele entscheiden, während die Skepsis der Österreicherinnen und Österreicher wächst. Kein Wunder, erleben sie doch Österreichs Teilnahme an der gemeinsamen Europäischen Politik vor allem als halbherzig, schlitzohrig und zuweilen unehrlich.

Da ist es nur zu logisch, dass Österreich in Brüssel kaum von Gewicht ist. Vieles von dem, was hierzulande als großes Engagement, toller Kontakt oder Initiative für Europa hinausposaunt wird, wird in Brüssel nicht einmal wahrgenommen. Österreichs Europapolitik spielt sich längst in zwei völlig unterschiedlichen Polit-Welten ab, die sich immer weniger verstehen und deren Kommunikationsschwierigkeiten immer augenscheinlicher werden. Die Reserviertheit und das Erstaunen der österreichischen EU-Abgeordneten über die Vetodrohung des hiesigen Außenministers ist besorgniserregender Beleg dafür. Da die hemdsärmeligen Politiker in Österreich, die kaum über den Tellerrand sehen, dort die von der heimischen Politik nach Brüssel entsandten Vertreter Österreichs, die unvermindert für die Europa-Idee arbeiten.

In den vergangenen Tagen ist die Idee aufgetaucht, in Österreich für Politiker einen längeren Aufenthalt in Brüssel zur Pflicht zu machen. Dieser Vorschlag hat etwas. Ein Perspektivenwechsel täte vielen der Damen und Herren gut, die sich da Tag für Tag an Brüssel abputzen. Auch weil sie dann einen tieferen Einblick in die oft sehr komplexe Materie der europäischen Politik gewinnen würden. Denn derzeit, und das ist auch ein Grund für die Europa-Phobie, fehlt es allzuoft am Basiswissen.

Darum ist gerade von Spitzenpolitikern, zumal von solchen Parteien, die sich das blau-gelbe EU-Logo so gerne als Bekenntnis zu Europa an die Brust heften, Besinnung und Verantwortung gefragt. Der Handlungsbedarf ist groß, zumal es zur Europäischen Union keine Alternative gibt. Vor allem nicht für das kleine Österreich, das bisher von der Mitgliedschaft so stark profitierte, wie kaum ein anderes Land.

Meine Meinung, Raffeienzietung, 29. November 2012

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