Dienstag, 9. Dezember 2014
Suche nach 190 Milliarden Euro
Lebensmittelrohstoffe wie etwa Weizen, Mais oder Soja sind heuer weltweit 190 Milliarden Euro weniger wert als noch vor zwei Jahren. Den Konsumenten und Bauern nützt das jedenfalls nicht.
HANS GMEINER
SALZBURG. Als im Jahr 2012 auf den internationalen Märkten die Preise für Getreide, Mais und Soja in die Höhe schnalzten, schrillten weltweit die Alarmglocken. Es wurde die Gefahr von Hungerkrisen beschworen und über die Preiserhöhungen bei Lebensmitteln geklagt. Die Verantwortlichen dafür waren rasch ausgemacht. Spekulationsgeschäfte mit Getreide und Mais sowie der weltweite Agrosprit-Boom wurden an den Pranger gestellt.
Zwei Jahre später ist zwar auf den internationalen Getreidemärkten alles anders. Um gut zehn Prozent höhere Welternten ließen die Preise für Weizen, Mais und Soja in den Keller stürzen. Für Weizen wird heute um rund ein Drittel weniger gezahlt als vor zwei Jahren. Bei Mais und Soja beträgt das Minus sogar rund 40 Prozent. Bei Zucker ist es kaum anders.
Das zeigt, wie volatil und labil die Getreidemärkte sind. Immer klarer wird, dass die bisherigen Erklärungen insbesondere für Preisanstiege zu kurz greifen. So wurde etwa die weltweite Biospritproduktion in den vergangenen zwei Jahren nicht eingeschränkt. In einem neuen Licht werden inzwischen auch Spekulationsgeschäfte gesehen. „Sie wurden eher mehr und bisher in ihrer Wirkung auf die Preise überschätzt“, sagt Wirtschaftsforscher Franz Sinabell. Sie brächten eher Sicherheit und Berechenbarkeit auf den Märkten. „Politische Eingriffe in Märkte, wie Exportbeschränkungen, haben weitaus weitreichendere Folgen.“
Der Preisverfall bei den Rohstoffen von den Feldern erspart in der Kette der Lebensmittelproduktion seit zwei Jahren richtig viel Geld. Weltweit liegt heuer etwa der Wert der gesamten Ernten von Weizen, Mais und Soja trotz der höheren Mengen mit 350 Mrd. Euro um rund 190 Mrd. Euro niedriger als vor zwei Jahren. In Österreich beträgt die Einsparung gegenüber 2012 allein bei Weizen und Mais rechnerisch mehr als 300 Millionen Euro.
Während vor allem die landwirtschaftlichen Erzeuger unter dem Preisdruck zu leiden haben und Einbußen bei den Einnahmen hinnehmen müssen, spüren die Konsumenten bei den Lebensmittelpreisen kaum etwas von der drastischen Verringerung der Rohstoffkosten. Und obwohl diese Einsparungen im Kampf gegen den Welthunger wie ein ungeheuer großes Hilfsprogramm wirken müssten, ist auch dort kaum etwas von Erfolgen zu vernehmen.
Nach wie vor zählen die Lebensmittel international und in Österreich zu den größten Preistreibern. Erst vor ein paar Monaten, als die Preise für die Rohstoffe längst im Keller waren, beklagte die Arbeiterkammer, dass die Lebensmittelpreise in Österreich doppelt so stark steigen wie die Inflation.
Wer vom Preisverfall profitiert und wo die fast 200 Milliarden Euro, die man sich weltweit einspart, wirklich landen, ist schwer auszumachen. „Die Konsumenten haben jedenfalls keinen Vorteil davon“, sagen Kenner der Szene wie Sinabell. „Das meiste wird einfach von den Verarbeitern und vom Handel geschluckt“, vermutet er. Niedrigere Rohstoffkosten würden erst weitergegeben, wenn die Preise über längere Zeit niedrig seien. Zwei Jahre sind dafür offenbar zu wenig. Verarbeiter und Handel erklären die unvermindert hohen Preise vor allem mit dem geringen Anteil der Rohstoffkosten an den Gesamtkosten für die fertigen Produkte. Dass sie in Zeiten steigender Rohstoffpreise immer mit den gestiegenen Kosten für die Vorprodukte aus der Landwirtschaft argumentieren, wenn es gilt, Preiserhöhungen durchzusetzen, vergessen sie dabei tunlichst.
Anders ist die Situation in Weltregionen, in denen der Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln nicht so hoch liegt wie bei uns. „Dort spürt man die Preisrückgänge sehr wohl“, sagt Sinabell. Viele Menschen hätten aber dennoch nichts davon, weil sie unter der oft schlechten konjunkturellen Situation litten und sie sich auch die günstigeren Lebensmittel nicht leisten könnten.
Zu den Nutznießern zählen aber auch die Tierproduzenten unter den Landwirten. Sie profitieren von den günstigeren Preisen für Futtergetreide und Soja. Sie brauchen das freilich ihrer Ansicht nach auch dringend. Der Preisdruck wegen des hohen Angebots, der durch die Russland-Krise noch verschärft wurde, sei in vielen Bereichen groß. Vor allem Schweinefleischproduzenten klagen. Auch für Milcherzeuger hat sich die Situation in den vergangenen Monaten drastisch gewandelt. Statt mit Rekordpreisen, wie noch zu Jahresbeginn zu bekommen, muss man nun mit Preisen für Milch und Milchprodukte leben, die schier im Wochentakt fallen.
Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 9. Dezember 2014
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