Donnerstag, 12. März 2015

Land der Unschuldslämmer



Die Medien, die Medien, die Medien! Die NGO, die NGO, die NGO! Die Opposition! Die Regierung! Die Arbeiterkammer! Brüssel! Wenn wo etwas nicht so läuft, wie es laufen soll, wenn wo etwas schief geht oder so richtig in den Graben - Schuld sind in diesem Land immer die anderen. Wirtschaftskapitäne, Politiker, Interessenvertreter verlieren sich in solchen Fällen immer öfter in Schuldzuweisungen und fühlen sich regelrecht verfolgt. Alles vermuten sie, niemand verschonen sie mit ihren Vorhaltungen und Verdächtigungen. Nur sie selbst sind nie schuld an den Schief- und fatalen anderen Lagen. Die Bösen sind immer die anderen. Nachgerade lustvoll malen sie von sich selbst an Bildern von Unschuldslämmern und völlig zu Unrecht verkannten Talenten, um jede Verantwortung nur möglichst weit weg von sich zu schieben.

In Österreich ist diese Haltung weit verbreitet. Und sie verbreitet sich immer mehr und ist dabei zur Kultur, besser Unkultur, zu werden. Vielfach wird sie schon für Unternehmensführung und - noch schlimmer - für Politik gehalten.

Schon in der kommenden Woche, davon darf man mit Sicherheit ausgehen, wird die Präsentation der Steuerreform-Vorschläge zu einem exemplarischen Beispiel dafür werden. Wenn die Reform nicht bringt, was sie bringen sollte oder was zu bringen versprochen wurde - die Schuld dafür nehmen sicherlich nicht die auf sich, die sie eigentlich auf sich nehmen müssten. Nämlich die, die die Steuerreform ausverhandelt, respektive mit ihren Wünschen, Protesten und Untergriffen zu dem gemacht haben, was sie schlussendlich geworden sein wird. Dafür werden von denen sicherlich ganz andere verantwortlich gemacht.

Dieses Phänomen, die Verantwortung abzuschieben, ist immer häufiger zu beobachten. Immer öfter werden ganze Vorträge, Seminare und Diskussionsveranstaltungen damit bestritten. Zumal dann, wenn es um die Motivation von Mitarbeitern, von Funktionären oder von Wahlvolk in welcher Konstellation auch immer geht. Wortreich präsentiert man sich im Fall von schlechten Nachrichten oder schlechtem Licht, in das man geraten ist, frei von Fehlern, missverstanden, verfolgt und als Opfer von Bösartigkeit und zeigt mit ausgestreckten Fingern auf die Medien und auf die vornehmlich als fies empfundene Konkurrenz. Je schlechter man steht, desto heftiger, desto lauter und desto länger.

Auf die Idee, dass man selbst zumindest Mitschuld dran tragen könnte, weil Fehler unterlaufen sind und nicht gut genug gearbeitet wurde, scheint kaum mehr jemand zu kommen. Ganz so als ob man damit gar nichts damit zu tun und gar nichts dazu beigetragen hätte.

Man verweigert sich nicht nur der eigenen Verantwortung, sondern verkennt, dass die Informationen, die Kritik und die Vorbehalte ja von wo herkommen -und das in den allermeisten Fällen nicht an den Redaktionsschreibtischen oder anderswo frei erfunden werden. Man verkennt, dass es andere Einschätzungen, Meinungen und Sichtweisen gibt. Und man vergisst, dass machen Informationen auch ganz gezielt gestreut werden.

Dabei müsste man das genau wissen. Denn die, die bei Bedarf in die Opferrolle schlüpfen, sind in praktisch allen Fällen auch in der anderen Rolle zu finden. In jener, die Informationen streut, in jener, die die Konkurrenz anpatzt und in jener, die kritisiert - und sei es darum, Entwicklungen zu verhindern oder gar hintertreiben zu wollen.

Dass man sich bestens drauf versteht, bemüht man sich auch gar nicht zu verstecken. Mit Floskeln wie "ich will keine Namen nennen" macht man just in Referaten, Präsentationen oder Stellungnahmen, in denen über falsche Angaben und Einschätzungen in der Öffentlichkeit geklagt wird, das Anpatzen der Konkurrenz zuweilen zum dramaturgischen Höhepunkt, streut lustvoll Zahlen und interpretiert Aussagen, die nichts im Sinn haben, als Schaden und Verunsicherung anzurichten.

Ein solches Verhalten ist nicht nur mühsam, sondern auch falsch, weil dabei mitunter sehr schnell die Urteilsfähigkeit der Verantwortlichen den Bach hinuntergeht. Beispiele dafür gibt es genug - von der Politik über die Wirtschaft bis hin zur Landwirtschaft.

Längst ist diese Unkultur zu einer Gefahr nicht nur für viele Unternehmen, sondern fürs ganze Land geworden, weil man vielfach die Realität und ihre Anforderungen aus den Augen verloren hat. Und dabei nicht merkt, dass Österreich längst keine Insel der Seligen mehr ist. Und schon gar nicht der Nabel der Welt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. März 2015

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