Montag, 20. Juli 2015
Das Ende der bäuerlichen Idylle
In den nächsten zehn Jahren wird ein Fünftel der Bauern aufgeben. Wer überleben will, setzt auf Nischenangebote oder auf Wachstum. Doch so einfach ist es nicht, an neue Flächen zu kommen.
Hans Gmeiner Salzburg. Vor rund sechzig Jahren gab es in Österreich noch mehr als 400.000 landwirtschaftliche Betriebe. Heute sind es nur mehr zirka 160.000. Obwohl sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft in den vergangenen Jahren etwas verlangsamt hat, sperren immer noch sechs Bauern täglich Hof- und Stalltür für immer zu. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.
„Die Zahl der Betriebe wird in den nächsten zehn Jahren um weitere 21 Prozent auf knapp mehr als 130.000 zurückgehen“, erwartet Johannes Mayr, Chef des Marktforschungsinstituts Keyquest, der die heimische Landwirtschaft seit Jahren beobachtet. Überdurchschnittlich stark wird Mayrs Berechnungen zufolge die Zahl der Bauernhöfe sinken, die derzeit im Nebenerwerb bewirtschaftet werden. Grundlage seiner Einschätzung bildet eine Fortschreibung der Entwicklung des Strukturwandels in der Zeit seit dem EU-Beitritt im Jahr 1995. Besonders markante Einschnitte sind demnach bei den Milchbauern zu erwarten, deren Zahl in den vergangenen Jahren ohnehin bereits dramatisch gesunken ist. Mayr erwartet, dass die Zahl der Milchlieferbetriebe in den kommenden zehn Jahren von derzeit knapp 30.000 auf unter 18.000 sinken wird. Ähnlich dramatisch werde auch die Entwicklung bei den Schweinehaltern verlaufen.
„Für rund die Hälfte der österreichischen Bauern geht es ums Überleben als Landwirte“, sagt Mayr. Für sechs Prozent stehe schon jetzt fest, dass sie mit der Landwirtschaft über kurz oder lang Schluss machen werden. Elf Prozent wollen sich laut Mayr aus dem Hamsterrad ausklinken und in den nächsten Jahren den Betrieb einschränken. Mayr: „Wer in der Landwirtschaft bleiben will, setzt entweder auf Produktionsnischen wie Direktvermarktung, Bio oder Urlaub auf dem Bauernhof oder auf Wachstum.“
Vor allem junge Bäuerinnen und Bauern, die bereits über viel Fläche verfügen, sehen laut Keyquest ihre Höfe als Wachstumsbetriebe. „Aufstockung der Tierbestände und Zupachtung von Flächen stehen im Mittelpunkt ihrer Zukunftsstrategien.“ Schon in den vergangenen Jahren schnellte die durchschnittliche Milchliefermenge pro Landwirt von 17.000 auf 90.000 Kilogramm pro Jahr hinauf und wird weiter steigen. „Bei Milch ist zu erwarten, dass sich die durchschnittliche Liefermenge bis 2025 auf knapp 200.000 Kilogramm mehr als verdoppelt“, schätzt Mayr. Ein durchschnittlicher Schweinemastbetrieb hält heute statt 53 Stück, wie noch vor zehn Jahren, mehr als 100 Tiere. In dem Tempo wird es in vielen landwirtschaftlichen Produktionssparten weitergehen.
Seit dem EU-Beitritt wuchs die Durchschnittsfläche eines landwirtschaftlichen Betriebs in Österreich (inklusive der Waldflächen) von 31,5 auf 44,2 Hektar. Die Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebe hängt oft an der Möglichkeit, Flächen zuzupachten. „Die Fläche ist die neue Quote“ heißt es etwa in der Milchwirtschaft seit dem Wegfall der Lieferrechte. Gemeint ist damit, dass ein Milchbauer die Tierbestände kaum vergrößern kann, wenn ihm die Flächen fehlen, auf denen die entsprechenden Futtermengen wachsen.
Zupachten ist freilich nicht immer leicht. „Die Nachfrage nach Pachtflächen ist in vielen Regionen viel größer als das Angebot“, sagt Mayr. „Das erweist sich oft als Hemmschuh für die Pläne der Bauern, wird doch bereits rund ein Drittel der Fläche als Pachtfläche bewirtschaftet.“
Trotz des rasanten Wandels bleibt die heimische Landwirtschaft im internationalen Vergleich äußerst kleinstrukturiert. In praktisch allen Aufstellungen liegt Österreich im unteren Drittel, was die Flächenausstattung von Bauern und die Größe der Tierbestände angeht. Will die heimische Landwirtschaft aufholen und will sie preislich konkurrenzfähig bleiben, muss der Strukturwandel weitergehen. Darum sehen viele Bauern die Veränderungen nicht nur als Bedrohung.
Ein Umfrage von Keyquest ergab, dass knapp ein Drittel der Bauern den Strukturwandel für den eigenen Betrieb als Chance sieht. „Denn das bietet ihrer Ansicht nach die Möglichkeit zu wachsen und so die Zukunft abzusichern“, sagt Mayr. Die Konsumenten müssten um die sichere Versorgung nicht fürchten. „Immer weniger Bauern produzieren auch in Zukunft ungefähr gleich viel zu niedrigeren Preisen“, sagt Mayr.
Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 20. Juli 2015
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