Donnerstag, 14. Januar 2016

Der verkehrte Staat



Im schönen Zell am See im Salzburger Pinzgau wälzt man aus purer Not eine Idee. Nach 43 Jahren soll wieder eine eigene Polizei her. Ein so genannter "Gemeindewachkörper", wie es im amtsdeutsch heißt. Die Bundespolizei könne wegen Personalmangel und Unzuständigkeit nicht überall sein, heißt es. Sie habe ganz einfach keine Zeit mehr. Darum überlegt man sich selbst zu helfen.

Als ab dem vergangenen Sommer die Flüchtlinge in Scharen nach Österreich drängten, waren die staatlichen Organe auch überfordert. Bei der Kontrolle sowieso, und auch bei der Hilfe und bei der der Bewältigung des Ansturms. Private mussten einspringen. Ohne die zahllosen freiwilligen Helfer, die sich ein Herz nahmen und nicht wegschauten, sondern zu helfen versuchten, wo sie konnten, wäre das Land binnen Tagen im Chaos versunken.

Und wenn irgendwo in diesem Land Berge rutschen oder Flüsse übergehen und ganze Regionen in Katastrophen unterzugehen drohen, ist das Land von vorneherein auf die vielen Feuerwehren und Rettungsorganisationen angewiesen, in denen die freiwillige Hilfe dieses Landes organisiert ist. Ohne deren Einsatz und Know-how würden jedes kleine Hochwasser, jedes noch so kleine Feuer und selbst jeder kleine Unfall rasch zu unüberschaubaren Dramen.

Es gäbe durchaus noch mehr Beispiele dieser Art anzuführen, die den Verdacht aufdrängen, dass wir in einem verkehrten Staat leben. Wo der Staat sein soll, wo er gefordert wäre und wo sich die Bevölkerung mehr erwarten und wünschen würde, ist er viel zu wenig präsent und viel zu schnell überfordert. Kein Plan, kein Personal, keine Strukturen. Und - natürlich - kein Geld. Am Letzterem freilich sollte es nicht liegen, dass der Staat seinen ureigenen Aufgaben nicht mehr recht nachkommen kann. Das ist da. "Die Ausgaben für Hoheitsverwaltung in Österreich liegen bei 1270 Euro pro Kopf - und damit 420 Euro über dem EU-Schnitt", rechnet die Industriellenvereinigung bei jeder Gelegenheit vor.

Das Problem liegt wohl eher darin, dass man viel zu viel von diesem Geld dort braucht, wo man den Staat eigentlich nicht bräuchte. Dort, wo er eigentlich nichts verloren hat, wo er oft als nichts, denn als Schikane und Gängelung empfunden wird und wo die Vorschriften, Auflagen und Gesetze den Betrieb bremsen und Ideen ersticken, weil er sich unmäßig breit macht. In den Unternehmen ist das so, in der Landwirtschaft, im Sozialwesen, in den Schulen. Die Liste der Beispiele dafür ist schier endlos.

Das alles und vieles andere zu überwachen und zu prüfen kostet. Nicht nur Nerven. Heerscharen von Menschen sind mit diesen Aufgaben gebunden und Abermillionen Euro, die der Staat in anderen Bereichen viel sinnvoller einsetzen könnte - dort, wo die Defizite längst unübersehbar sind und die Mittel notwendig wären.

Die Kluft zwischen dem zu wenig präsenten Staat auf der einen und dem überpräsenten Staat auf der anderen Seite hat längst bedrohliche Dimensionen erreicht. Während man auf der einen Seite Probleme hat, der Bevölkerung die nötige Sicherheit zu gewährleisten und in Krisenfällen die nötigen Maßnahmen zu setzen, ist die überbordende Bürokratie auf der anderen Seite dabei, dem Land und seiner Wirtschaft und damit auch den Bürgern massiv zu schaden.

Das Land leidet. Der einfache Bürger, wenn er Formulare über Formulare ausfüllen muss. Die Wirtschaft, wenn sie sich von all den Vorschriften und Vorschreibungen und Kontrollen nur mehr gepflanzt fühlt. "Heute arbeiten wir drei bis vier Wochen im Jahr, um behördliche Auflagen zu erfüllen", schrieb kürzlich auf Facebook ein Tischler aus Anlass seines Rückzugs aus dem Geschäft. Die "Paragrafenlast" sei erdrückend, meint er. "Ich könnte ein Buch schreiben, was da alles falsch läuft", sagt er. Viele andere könnten das auch. Der Unmut vor allem in der Wirtschaft ist groß wie nie. Und da braucht man gar nicht das Wort Registrierkassa in den Mund nehmen.

Angesichts der vielen neuen Schikanen, die man in  die jüngster Steuerreform ungeachtet der heftigen Proteste einbaute und angesichts der Geschichte, die das Thema "Verwaltungsreform" in diesem Land hat, sind Hoffnungen auf Änderungen wohl nichts denn ein fromme Wünsche.

Was freilich nichts daran ändert, dass man bei jeder sich bietenden Gelegenheit darüber reden sollte.

Vielleicht bringt es ja doch etwas. Irgendwann einmal.
 
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. Jänner 2016 

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