Donnerstag, 21. Januar 2016
Konsens des Achselzuckens
Eigentlich müsste es uns immer besser gehen. Allen zusammen. Zumindest wenn es nach den volkswirtschaftlichen Zahlen geht. Denn da gibt es immer noch, auch wenn sie zuletzt nur mehr klitzeklein waren, Zuwachsraten beim Bruttoinlandsprodukt. Mit den persönlichen Befindlichkeiten deckt sich das freilich kaum. Da beherrscht eher die Frage aus der seinerzeitigen Münchner Kultserie "Der ganz normale Wahnsinn" den Diskurs: "Wie kann es sein, dass sich der Einzelne nicht wohl fühlt, obwohl es uns allen so gut geht?" Die Kluft zwischen den Zahlen und dem persönlichen Befinden wird immer größer. Weil die Ansprüche wachsen, weil Wünsche nicht erfüllt werden können, weil alles nicht schnell genug gehen kann, weil das Leben anders ist, als man es in den Fernsehserien vorgegaukelt bekommt. Und weil es nicht so läuft, wie es die Politik gerne darstellt und verspricht. Man nimmt immer mehr in Kauf, um mithalten zu können. Um nicht zu den Verlierern zu zählen, auf die dann vielleicht auch noch mit den Fingern gezeigt wird. Als Einzelner hat man sich daran gewöhnt, und die Gesellschaft erst recht. Vieles, was aufmerken lassen, um nicht zu sagen aufregen sollte, tut das längst nicht mehr. Oft, weil alle nur mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein scheinen.
In viel zu vielen Dingen hat sich die Gesellschaft stillschweigend auf einen Konsens des Ignorierens und Achselzuckens verständigt. Und das selbst in ganz zentralen Bereichen des Lebens. Und das auch dann, wenn man selbst damit alles andere als glücklich ist. Vieles nimmt man inzwischen hin und hat es aus der öffentlichen Diskussion genommen.
Dazu gehört etwa, dass man nicht einmal mehr darüber klagt, dass man mit einer normal bezahlten Arbeit in Österreich in den meisten Fällen keine Familie erhalten kann. Man geht mittlerweile automatisch davon aus, dass zwei Einkommen nötig sind, wenn man einer Familie ein halbwegs anständiges Leben bieten will. Dass dem auch die Änderung des gesellschaftlichen Verständnisses, insbesondere der Rolle der Frauen, entgegenkommt, sollte freilich kein Grund sein, diese Entwicklung nicht zu hinterfragen.
Es geht aber nicht nur um zwei Einkommen für den Erhalt einer Familie. Es ist auch kaum ein Thema, dass mittlerweile rund 150.000 Österreicher einen Zweitjob haben und sich oft sogar in noch mehr Beschäftigungen verdingen müssen. Sei es, um über die Runden zu kommen, sei es, um etwas Butter aufs Brot zu bekommen, sei es, um sich etwas leisten zu können, was über die Grundansprüche hinausgeht.
Manche Berufsgruppen sind davon besonders betroffen. Im Vorjahr sorgte die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage für Schlagzeilen. Demnach gehen offiziell rund zehn Prozent der Polizisten, Heeresbediensteten und Spitalsärzte einer zweiten Beschäftigung nach. Und sie tun es nicht nur, weil es für sie so lukrative Nebenjobs gibt, sondern weil sie sie ganz einfach brauchen, um ihren Lebensstandard abzusichern.
Gewöhnt hat man sich selbst daran, dass ein so zentraler Wirtschaftszweig wie die Landwirtschaft, an der die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln hängt und die Pflege des Landes, von vielen nur mehr nebenher betrieben werden kann, weil das Geld hinten und vorne nicht reicht. Fast drei Viertel der heimischen Bauernhöfe werden mittlerweile im Nebenerwerb bewirtschaftet. Tendenz steigend. "Zweimal arbeiten, um einmal zu leben" nennt man das mit einem Anflug von Zynismus und Ironie. Das regt niemanden auf. Man hat sich daran gewöhnt. Wer darüber diskutieren will, wird belächelt. Als notorischer Jammerer.
Gewöhnt hat man sich auch daran, dass es in Österreich mittlerweile fast 500.000 Arbeitslose gibt. Das regt heute niemanden mehr groß auf. Davon ist, soferne man nicht selbst davon betroffen ist, in der Öffentlichkeit nicht viel zu sehen und zu spüren. Oder, gewöhnt hat man sich auch daran, dass Frauen nach wie vor schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen -auch wenn sie die gleichen Jobs wie Männer machen.
Man hat sich an so vieles gewöhnt. Oft, weil man frustriert ist, weil man abgestumpft ist, weil man mit sich selbst so sehr beschäftigt ist, weil man seine Ruhe haben möchte, weil man einfach müde ist und desillusioniert.
Schweigen sollte man dennoch nicht. Aber vielleicht öfter fragen - was ist das eigentlich für ein Land, was ist das eigentlich für eine Gesellschaft, in der wir leben?
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. Jänner 2016
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