Donnerstag, 19. Mai 2016

Bitte nicht "Österreich oberpeinlich"



Einmal etwas tun, was die heimische Bevölkerung wirklich will", sagte die Passantin in die Kamera auf die Frage, was sie vom nächsten Bundespräsidenten erwarte. "Ich glaub schon, dass er etwas bewirken kann, wenn er sich bemüht."

Die Hoffnungen schießen ins Kraut, die Erwartungen auch. "Sie werden sich noch wundern, was alles geht", hat Norbert Hofer gesagt und damit das Bundespräsidentenamt inhaltlich völlig neu aufgeladen. Da soll offenbar nichts mehr sein von einem Amtsverständnis, das von freundlichem Lächeln, Repräsentieren und ein paar mahnenden Worten bestimmt ist. Da will einer den starken Mann spielen. Das ist ansteckend. Nicht nur beim Wahlvolk. Längst hat auch der zweite Kandidat den Geschmack der Macht entdeckt. Auch von Alexander Van der Bellen kommen immer öfter Signale, die die Vermutung nahelegen, dass auch er die Machtbefugnisse stärker nutzen will.

Die beiden Kandidaten machen sich das schlampige Verhältnis zum Amt des Bundespräsidenten, das Politiker wie Bürger über Jahrzehnte kultiviert haben, zu Nutze. Nie hat man dieses Amt so richtig ernst genommen, schon gar nicht hat man sich mit der Position des Bundespräsidenten ernsthaft auseinandergesetzt. Man ließ die Dinge laufen und schätzte das Amt, dessen Inhabern man zwar offiziell huldigte, in Wahrheit gering. Man hatte nichts zu befürchten und auch nichts zu erwarten. Der Bundespräsident war immer einer aus dem rot-schwarzen Establishment. Und er war immer einer, der sich den politischen und verfassungsrechtlichen Konventionen dieses Landes verpflichtet fühlte. Einer der mitspielte.

Nun aber steht das Land vor einer völlig neuen Konstellation. Es stehen zwei Kandidaten zur Wahl, die aus Oppositionsparteien kommen. Brisant macht es ihre Bereitschaft, sich um Konventionen nicht sonderlich kümmern zu wollen, sondern die Möglichkeiten des Amtes auszureizen. Seither ist Feuer am Dach. Verfassungsrechtler sind gefragte Interviewpartner. "Ja dürfen's denn das alles, was sie versprechen?" ist dabei die Frage, um die sich alles dreht. Ihre Auskünfte sind dabei oft alles andere als klar. Schulterzucken begleitet oft ihre Antworten, relativierende Worte, Unsicherheit auch.

Es ist eine Unsicherheit, die brisant werden kann. Man staunt, wie viel einem Bundespräsidenten möglich ist, wenn die Konstellation stimmt. Wie schnell der Staat aus dem Gleichgewicht gebracht werden könnte, wenn plötzlich zusammenpasst, was man bisher nie für möglich gehalten hat. Mit der sich abzeichnenden Verschiebung der Machtverhältnisse ist mit einem Mal nicht mehr undenkbar, was bisher als undenkbar galt.

Es hat etwas von einem Jahrhundert-Hochwasser, das da auf das Land zukommt, gegen das sich abzusichern man verabsäumt hat. Es passt zu Österreich und seiner ihm eigenen Schlampigkeit. Man hat nicht genau hingeschaut, man hat die Dinge, sprich die verfassungsrechtliche Position des Präsidenten der Republik, schleifen lassen -geht ja eh und wird schon nicht so schlimm werden.

Der Bundespräsident als "schlafender Riese". Das belebt die Fantasien nicht nur der beiden Kandidaten, das befeuert auch die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger.

Da nimmt nicht wunder, dass sie ihre Vorstellungen in dieses Amt hineinprojizieren wie noch nie zuvor. Gründe dafür gibt es jedenfalls viele. Voestalpine-Chef Wolfgang Eder hat sie erst jüngst in einem Interview mit den großen Bundesländerzeitungen so komprimiert, wie kaum je einer zuvor, formuliert. "Wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit, Rekord-Staatsschulden, eine noch nie da gewesene Steuerquote und eine überbordende Bürokratie", sagte er. Die Menschen könnten sich aber immer weniger leisten, weil der Staat immer mehr brauche. Es reiche einfach nicht, Jahr um Jahr nur zu verwalten. "Wir erleben in Österreich das Ende eines Systems, an das sich die Menschen viel zu lange geklammert haben."

Wenn es nach den Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl geht, könnte er tatsächlich recht haben. Ob es sich in der Wirkung sehr vom bisherigen unterscheiden wird, ist freilich die Frage. Das TV-Duell der beiden Kandidaten am vergangenen Sonntag legte eher die Befürchtung nahe, dass es noch schlimmer kommen könnte. Vielleicht kommt wirklich "Österreich oberpeinlich", wie die renommierte Süddeutsche Zeitung den Stil beider Kandidaten befand - und das, noch ehe die Probleme des neuen Kanzlers bekannt wurden, Personal für seine Ministerriege zu finden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. Mai 2016

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