Mittwoch, 25. Mai 2016

Österreich lebt



Was für eine Woche. Zunächst ein neuer Bundeskanzler, der ganz anders redet und auftritt als seine Vorgänger. Dann der Wahlkrimi am vergangenen Sonntag und Montag um das Amt des Bundespräsidenten mit einem Grünen als Sieger. Wie immer man persönlich zu den Vorgängen steht, es sind klare Signale dafür, dass Österreich lebt. Dass es doch lebt. Dass die Demokratie funktioniert. Dass die Menschen politische Entwicklungen nicht teilnahmslos hinnehmen, sich frustriert abwenden und den Dingen ihren Lauf lassen, sondern dass sie sehr wohl bereit sind, mitzumischen und mitzubestimmen. In der SPÖ waren es die Proteste beim Mai-Aufmarsch in Wien, die den Wechsel an der Parteispitze und im Kanzleramt in Gang brachten. Und bei den Präsidentenwahlen war es der freiheitliche Kandidat, der viele Menschen veranlasste, sich einzumischen und ihm nicht das Feld zu überlassen, sondern mit ihrer Stimme für den Gegenkandidaten ein Zeichen zu setzen. Das gibt Zuversicht, dass in Österreich, das Jahre am Rande der politischen Agonie hinter sich hat, Veränderung doch möglich ist. Mehr freilich auch nicht. Aber immerhin. Österreich kann ganz offensichtlich auch anders.

Vorerst gibt es nur neue Töne, ob daraus eine Musik wird, muss sich freilich erst weisen. "Wenn wir dieses Schauspiel weiter liefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall, wenige Monate, bis das Vertrauen und die Zustimmung in der Bevölkerung endgültig verbraucht sind." Was der neuen Bundeskanzler in seiner Antrittsrede sagte, spricht vielen Menschen in diesem Land aus der Seele. Dass just Kern das im Hinblick auf seinen Vorgänger, der aus der gleichen Partei kam, sagte, gibt der Aussage das besondere Gewicht, aus dem sich die Zuversicht nährt, dass mit dem ehemaligen ÖBB-Chef nun doch Bewegung in das Land kommt.

Es sind nicht wenige, und bei weiten nicht nur in seiner Partei, die hoffen, dass Kern die Erwartungen, die er mit geschliffener Rhetorik und perfektem, unaufgeregtem Auftreten erweckte, auch erfüllen wird.

Kern muss nun liefern. Denn Van der Bellen mag zwar die Bundespräsidentenwahl gewonnen haben, eindeutiger Gewinner aber ist die FPÖ. Die Freiheitlichen sind damit ungeheuer stark geworden und ein Kanzler Strache wahrscheinlicher als unter einem Präsidenten Hofer. Die Bundespräsidentenwahl machte klar wie nie zuvor, dass die FPÖ am Ballhausplatz die Türklinke schon in der Hand hat. Und viele Menschen in diesem Land machten klar, dass sie bereit sind, sie zu unterstützen, wenn es denn sein müsste, wenn sie keine Alternative mehr sehen. Die Sorgen um die Lagerbildung und um ein geteiltes Österreich sind nicht unbegründet. Diese Lagerbildung ist freilich alles andere als neu, aber sie ist mit den Wahlen sichtbar geworden, wie bisher nie. Wie Kern und Van der Bellen damit umgehen werden, wird entscheidend sein für ihre politische Zukunft und für die Zukunft unseres Landes.

Der große Verlierer der vergangenen Wochen ist die Österreichische Volkspartei. Gegen die SPÖ, ihrem Regierungspartner, schaut sie, zumindest derzeit, alt aus, grau und uninspiriert. Wie aus einer anderen Zeit. Die Parteiführung wurde von den Entwicklungen völlig überrollt. Während die SPÖ nach dem Desaster beim ersten Durchgang der Präsidentenwahlen die Konsequenzen zog und nun mit Kern glaubhaft als Träger vieler Hoffnungen dasteht, scheint die VP nach wie vor alten Mustern verhaftet. Parteiobmann Mittlerlehner wirkt an der Seite Kerns zwar wesentlich gelöster als an der Seite Faymanns, eine Neuorientierung von der Qualität, wie sie die SPÖ vormachte, ist aber in keiner Weise zu erkennen.

Die Dinge sind in Fluss geraten in diesem Land. Das ist nicht hoch genug einzuschätzen. Mehr ist es freilich nicht. Noch nicht. Nun geht es nicht nur darum, den Fluss in Gang zu halten, sondern auch darum, ihm eine Richtung zu geben, die das Land tatsächlich wieder voran und nicht endgültig in den Graben bringt. Das vor allem.

Ob jetzt aber wirklich die Zeit kommt, auf die so viele in diesem Land schon lange warten, muss sich erst weisen. Die Sehnsucht danach ist verständlich und die Wünsche, die damit verbunden sind, erst recht. Aber als Österreicher hat man gelernt, dass sich Zuversicht, große Pläne und große Worte sehr schnell in Luft auflösen können. Und die Wünsche oft Wünsche bleiben.

Raiffeisenzeitung - Meine Meinung, 25. Mai 2016

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