Donnerstag, 18. Mai 2017

Das Land im Taumel



Das Laute war nicht seines. Die Show auch nicht. Und auch nicht das große Taktieren. Er wollte arbeiten, pragmatisch, ohne Schnörkel und möglichst zielorientiert. Reinhold Mitterlehner war eigentlich ein Politiker, wie er immer gefordert wird. Seriös durch und durch, geradlinig und ohne Skandale. "Sie sollen arbeiten und nicht nur Show machen und streiten", heißt das gerne. Mitterlehner hat dem immer entsprochen. Und dennoch scheiterte er und die Tränen, die ihm nachgeweint werden, sind überschaubar. Jetzt ist alles Kurz. Seine Taktik, sein Auftreten, sein Charisma, seine Anzüge, seine Frisur. Eine Partei im Taumel. Und ein Land auch.

Mitterlehner ist nicht der Erste, dem es so ging. Spindelegger war so einer und viele andere auch. Durch und durch seriös, ohne Fehl und Tadel im Auftreten und auch in der Arbeit. Sie fielen nicht durch Skandale auf, nicht durch verwinkelte Machtspiele und nicht durch maßgeschneiderte Anzüge. Sie begriffen die Politik als Arbeit und nicht als Haxelbeißerei und taten sie auch. Nicht ohne Fehler freilich, aber wem gelingt das schon.

Und dennoch scheitern sie. Die "graue Maus" wird ihnen schnell als Etikett umgehängt, "zu bieder" heißt es umgehend und "zu brav". Sehr schnell verlieren Politiker dieses Schlages oft die Unterstützung. In der Partei, in den Medien, in der Bevölkerung. Da ist auf einmal der Ruf nach seriösen Arbeitern in der Politik vergessen. Da steht kaum jemand auf, um sie und ihren Zugang zur politischen Arbeit zu verteidigen, schon gar nicht solche, die etwas zu sagen haben. Und auch nicht die, die sonst bei jeder Gelegenheit die fehlende Seriosität beklagen und in jedem Politiker, respektive jeder Politikerin, einen kleinen Gauner sehen und einen, der nichts anderes im Sinn hat, als es sich für sich und seine Klientel zu richten. Ganz unbenommen davon, was man von Kurz hält, aber warum ist das so?

Der Umgang der Öffentlichkeit, und nicht nur der ÖVP, mit Politikern vom Schlag eines Reinhold Mitterlehner ist wohl auch der Ausdruck des schizophrenen Verhältnisses, das die Gesellschaft zur Politik und zu Politikern hat. Just die Politiker, die das erfüllen wollen, was von ihnen erwartet wird, tun sich am schwersten. Jene aber, die sich auf den großen Auftritt verstehen, auf große Versprechen, auf die Show auch, die Pizza ins Haus liefern oder händeschüttelnd durch die Welt reisen, die viel aufs Taktieren verwenden, haben die Schlagzeilen und die Anerkennung. Sie faszinieren und sie werden hofiert und ihnen wird einiges, mitunter sogar vieles, nachgesehen. Nicht nur wenn sie Kurz heißen oder Kern.

Mit Wonne geben sich jetzt die Medien, aber auch die Bürgerinnen und Bürger den Kabalen um Kern und Kurz hin -und der Show, die sie liefern. Das Duell der zwei beherrscht die öffentliche Diskussion und sorgt für Unterhaltung und auch Spannung. Dass all das, ohne Kern und Kurz bewerten zu wollen, weitab von dem liegt, was sich die Gesellschaft eigentlich von der Politik wünscht, gilt derzeit nicht viel.

Politiker wie Kern und Kurz auf der einen Seite und solche wie Mitterlehner auf der anderen werfen nicht nur die Frage auf, was von Politikern erwartet wird. Sie werfen auch die Frage auf, die normalerweise nur umgekehrt gestellt wird: Können sich die Politiker auf die Wähler verlassen? Können sie darauf vertrauen, das gilt, was ihnen, wie etwa Kern und Kurz in diesen Tagen, von allen Seiten zugesichert wird? Oder gehen auch sie dereinst den Weg der Mitterlehners, weil sie sich der Arbeit widmen wollen, oder den Grassers oder Haiders, die sich auf große Show und große Gesten verstanden?

Wie lange der Hype anhalten wird, werden die nächsten Monate zeigen. Und auch, was die mitunter als Speichelleckereien daherkommenden Solidaritäts-und Unterstützungsbekundungen wert sind. Das gilt für Kern und für Kurz gleichermaßen. Letzterer hat freilich noch eine zusätzliche Hypothek zu tragen. Auch wenn sich am Sonntag alle Parteigranden hinter sein Konzept und seine Liste stellten, heißt das noch lange nicht, dass Schwierigkeiten mit der Partei für alle Zukunft ausgeschlossen sind. Schon bisher hat keine Solidaritätsbekundung eines VP-Granden verhindert, dass der Obmann ein Jahr oder zwei später kalt abserviert wurde.

Mitterlehner und all seine Vorgänger wissen das.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. Mai 2017

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