Donnerstag, 13. September 2018

Die Frage aller Fragen



"Wie unmoralisch sind T-Shirts für drei Euro?" wurde dieser Tage der Chef einer Billig-Textilkette gefragt, als er in Berlin ankündigte, ein Geschäft zu eröffnen. Der smarte Manager parierte gekonnt und wie erwartet, denn mit solchen Fragen lässt er sich nicht ins Bockshorn jagen. Für solche Fälle hat er Antworten jedweder Art in seinem Argumentationsbauchladen. "Wir haben viele Kunden, die sind drauf angewiesen und können es sich nicht leisten ein T-Shirt einfach wegzuwerfen", ist eine davon. Und "Unsere T-Shirts um drei Euro sind so gut wie Marken T-Shirts um 30 Euro".

Er weiß, das wirkt. Und er liegt nicht falsch damit. Wie oft lassen wir uns schnell abspeisen mit ein paar raschen Antworten, allein um eines ruhigen Gewissens willen? Wenn wir uns denn überhaupt noch aufraffen, zu fragen, woher etwas kommt, wie es gemacht wird und welche Folgen das alles haben kann -zumal dann, wenn wir meinen nicht darauf verzichten zu können.

Nicht zu fragen ist dann ja doch zumeist allemal einfacher. Es ist zuweilen, als hätten wir verlernt zu fragen, schon gar überlegte Fragen zu stellen, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Man fragt nicht nach den Arbeitsbedingungen, nicht nach den Löhnen, die gezahlt wurden, auch nicht danach, ob das gute Stück, das man erstanden hat, vielleicht gar aus Kinderhand stammt.

Und schon gar nicht fragen wir nach den Folgen unseres Handelns. Es ist dem Vernehmen nach üblich geworden im Versandhandel Jacken, Mäntel, Hosen, Schuhe und vieles andere gleich in drei Größen zu bestellen, um dann nur die passenden Stücke zu behalten und den Rest zurückzuschicken. Oder man lässt sich verschiedene Modelle von Gerätschaften jedweder Art ins Haus kommen, um zu vergleichen. Es kostet ja nichts. Niemand aber denkt daran, dass allein das auf diese Weise entstehende Verkehrsaufkommen zu einem Riesenproblem geworden ist. Nicht anders ist es bei den Unmengen an Nahrungsmitteln, die aller Aufklärungskampagnen zum Trotz immer noch tagtäglich weggeworfen werden, bei den vielen unnützen Autofahrten oder beim Energieverbrauch.

Auch wenn man da und dort Interesse und Verständnis signalisiert, am liebsten will man eigentlich gar nichts wissen von all den vielen Dingen, die einem die Freude vermasseln könnten.

Hauptsache billig ist zur Kultur unserer Zeit geworden. Und Hauptsache schnell. Auch wenn es durchaus immer wieder mahnende Stimmen gibt, und sogar politische Parteien davon leben, ist nicht zu übersehen, dass wir am liebsten immer noch ausblenden, was wir mit unserer Bequemlichkeit und unserer Gier anrichten. Immer haben wir, ganz so wie der Chef der Textilkette in Berlin, allerhand Ausreden parat, mit denen wir uns allzu gerne über kniffelige oder gar unangenehme Fragen hinwegschwindeln.

Der Bogen spannt sich vom Einkaufen bis hin zur Meinung zu gesellschaftlichen und politischen Themen. Weil man sich die Mühsal des Fragens und des Nachfragens immer seltener antun mag, gibt man sich immer öfter und immer schneller mit einfachen Erklärungen zufrieden und lässt sich mit schnellen, einfachen Antworten abspeisen.

Das hat Folgen. Nicht nur für alle möglichen Wirtschaftsbereiche oder für die Umwelt, sondern auch für das gesellschaftliche Zusammenleben. Gerade auch dafür. Auch dort ist man dabei, immer weniger zu fragen. Auch dort haben Gier und Bequemlichkeit ihr unseliges Wirken entfaltet und uns zu einer Gesellschaft von Egoisten gemacht. Das gesellschaftliche Handeln von Politikerinnen und Politikern, aber auch das der gemeinen Staatsbürgerin und des gemeinen Staatsbürgers orientiert sich heute daran. Bei Entscheidungen und Forderungen fragt kaum jemand noch mehr nach der Bedeutung für das Gegenüber, für den anderen. Oder nach Folgen für die Gesellschaft oder die Umwelt. Den meisten scheint es alleine darum zu gehen, nicht zu kurz zu kommen. "Was hab' ich davon?" ist, so scheint es viel zu oft, zur Frage aller Fragen geworden.

Genau damit spielt die Politik. Und genau damit spielt die Wirtschaft. Und genau damit machen wir es ihnen leicht, weil wir uns viel zu oft viel zu schnell mit dem zufrieden geben, was uns aufgetischt wird. So als gäbe es nur die Wahl zwischen schwarz und weiß. So als gäbe es keine Zwischentöne. Nur Off und On.

Das ist offenbar die Krux unserer Zeit. Eine Krux freilich, die wir uns selbst zuzuschreiben haben.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. September 2018

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