"Für 96 Prozent der Bevölkerung ändert sich nichts." Leichtfüßig, wie immer, möchte man sagen, wollte wohl Bundeskanzler Sebastian Kurz mit seiner knappen Antwort über Fragen zur Karfreitagsregelung drüberkommen. 96 Prozent -was sind da schon vier Prozent, schwang in dieser Antwort automatisch mit. "Nicht viel", wollte er damit wohl sagen. "Das tut mir nicht weh und auch nicht unserer Bewegung." Die evangelische und die altkatholische Kirche und deren Mitglieder sehen das anders. Die Proteste werden nicht geringer und die Aufregung und die Verärgerung darüber auch nicht, dass der Karfreitag nun kein Feiertag mehr sein soll.
Sie machen in diesen Wochen eine Erfahrung, die unter der neuen Regierung, die seit etwas mehr als einem Jahr im Amt ist, schon einige Gruppen gemacht haben, die es nicht auf die nötigen Prozente Anteil an der Gesellschaft bringen und ihnen damit in den Augen der Regierenden die nötige Relevanz geben, dass man auf sie in Entscheidungen groß Rücksicht nimmt. Sie werden nicht lange gefragt nach ihren Wünschen und Bedürfnissen, sie werden nicht groß in Diskussionen und Lösungsprozesse eingebunden. Viel eher ist es oft so, dass über sie einfach drübergefahren wird und sie vor Entscheidungen gestellt werden, mit denen sie dann zurechtkommen müssen.
Bisher machten diese Erfahrungen in erster Linie Gruppierungen und Einrichtungen außerhalb des Umfelds, das den Regierungsparteien zugerechnet wird. Mit der evangelischen und altkatholischen Kirche trifft die Linie der neuen Regierung erstmals das eigene Umfeld. Das ist nicht nur bemerkenswert, darin liegt auch eine gewisse Brisanz, die ihre Folgen wohl erst zeigen wird.
Das Verständnis von Politik, wie Kanzler Kurz es mit seiner 96-Prozent-Antwort erkennen lässt, kann Sorgen machen. Denn darin schwingt immer auch ein gerütteltes Maß an Geringschätzung von kleinen Gruppen mit und von Missachtung auch. Und es wirft die Frage auf, wie man es wirklich mit Minderheiten hält in diesem Land, mit Gruppierungen in der Gesellschaft und mit Meinungen und Haltungen, die nicht mehrheitsfähig sind. Die bisherigen Erfahrungen scheinen darauf hinzudeuten, dass man sich am liebsten erst gar nicht lange bemüht um Ausgleich und auch nicht um Erklärungen. Und man lässt sich erst gleich nicht darauf ein, zu
berücksichtigen, wie sich die Betroffenen fühlen und wie sie damit umgehen können. Es legt aber auch ein grundsätzliches Thema offen, mit dem die Politik, und nicht nur die der aktuellen österreichischen Regierung, zurechtkommen muss. Wie findet man zu Entscheidungen, ohne Menschen als Opfer zu hinterlassen, ohne ihnen das Gefühl zu geben, alleine gelassen zu sein? Wie hart dürfen Entscheidungen sein, was können sie den Menschen zumuten und an welchen Punkten orientiert man sich? An Prozentzahlen? An der Klientel, die man vertritt? An dem, was den wenigsten weh tut? Was darf dabei welche Rolle spielen?
Klar scheint mittlerweile, dass Empathie in der aktuellen Innenpolitik keine Rolle spielt. Es sei denn, man hält Empathie für die Bedürfnisse zum eigenen Fortkommen der Regierungsparteien für eine politische Kategorie. Freilich ist die Politik gefordert, Entscheidungen zu treffen und nicht hinauszuschieben, und sie ist auch gefordert, sich Vorschläge und Vorhaben nicht zerreden zu lassen und am Ende nichts voranzubringen. Wohin das führen kann, ist in diesem Land sattsam bekannt. Aber dennoch ist auch von einer Regierung wie der aktuellen zu fordern, dass sie die richtige Balance zwischen Empathie und Härte findet, die politische Entscheidungen immer erfordern. Davon, ist zu konstatieren, ist man meilenweit entfernt.
Das kann Sorgen machen. Nicht nur den Sozialdemokraten und Gewerkschaften und dem Rest der Opposition, die von der Regierung vorzugsweise im wahrsten Sinn des Worts links liegen gelassen werden. Mittlerweile scheint es auch angebracht, dass man sich auch überall dort Sorgen macht, wo man sich im Regierungslager wähnt.
Und es scheint mittlerweile auch angebracht zu sein, einzumahnen, mit Minderheiten und ihren Bedürfnissen sorgsam umzugehen. Allein schon aus dem Grund, weil jeder irgendwann einmal zu einer Minderheit gehören kann, auch die, die derzeit so gerne nach Härte rufen und sie beklatschen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. März 2019
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