Donnerstag, 28. März 2019

Zwei Welten in einem Land



Dass die neue Gesundheitskasse wieder in Wien angesiedelt wird, regt in diesen Tagen auf. So wie auch die geplante Asylagentur, das in Rede stehende Bundesamt für Steuerbetrugs-Bekämpfung oder die Digitalisierungsagentur in Wien und nicht in den Bundesländern angesiedelt werden sollen. Man keift, die Regierung Kurz/Strache sei "zentralistischer als jene davor", wird nicht müde, die "eklatante Bevorzugung von Wien" zu beklagen und sieht Österreich auf dem Weg in eine "absoluten Zentralismus". Und den mag man nicht, zumal dann, wenn er von Wien ausgeht. Dann schon gar nicht.

Österreich, respektive viele Österreicherinnen und Österreicher, haben ihre Probleme mit Wien. Viele empfinden die Bundeshauptstadt, nicht nur weil von dort aus das Land regiert wird und weil dort alle Zentralstellen ihren Sitz haben, als Wasserkopf. Oft ist die Sympathie, die man in diesem Land für seine Hauptstadt hegt, schnell enden wollend. Was aus Wien kommt, gilt im übrigen Österreich wenig, allenfalls als sinnlos teuer und sorgt meist für nichts denn Verärgerung. Oft fühlt man sich benachteiligt, gering geschätzt und missverstanden.

Das hat eine lange Tradition in diesem Land. Die Wiener Sicht der Dinge gilt vielen als anmaßend und herablassend. Und die Menschen, die dort wohnen, gelten oft auch als nichts anderes. Gleichzeitig ist Wien aber für viele in diesem Land Sehnsuchtsort. Tausende ziehen jährlich dorthin. Nicht immer weil sie auf dem Land weniger Möglichkeiten für sich sehen, sondern schlicht, weil ihnen das Flair der Großstadt und das Leben dort als attraktiver erscheint.

Längst ist diese Entwicklung dabei, zu einer Last für das Land zu werden. Die Spannungen werden gerade in letzter Zeit immer öfter greifbar. Und es stimmt wohl, wenn davon die Rede ist, dass die Kluft zwischen der Metropole und der ausrinnenden Provinz bereits jetzt eine der großen Bruchlinien in diesem Land ist, wie dieser Tage zu lesen war. Man kann immer weniger miteinander und man versteht einander immer weniger. Es ist, als drifteten Wien und das restliche Österreich auseinander. Zwei Welten in einem Land.

Die Entwicklung scheint nicht aufzuhalten zu sein. Die Bemühungen sind überschaubar und von wenig Erfolg begleitet. Dabei ist die Lage ernst. Von einem "veritablen Brain-Drain", mit dem die Bundesländer zu kämpfen hätten, die nicht zum unmittelbaren Einzugsgebiet von Wien gehören, schrieb schon vor zwei Jahren eine Dezentralisierungsstudie. In den kommenden Jahren würden so 50.000 Fachkräfte aus Bundesländern wie Kärnten, der Steiermark oder Tirol Richtung Bundeshauptstadt abwandern, war zu lesen. Und: "Die Wanderungsströme beginnen bereits bei
den Studierenden."

Der Zentralismus in der Verwaltung, der so gerne kritisiert wird, ist dabei nur eine der Stellschrauben, an der gedreht werden kann. Überschätzen sollte man das nicht. Dass 68 von 71 zentralen Bundesstellen in der Hauptstadt angesiedelt sind, klingt beeindruckend und aus Sicht vieler Nicht-Wiener wohl auch verwerflich. Aber von den 130.000 Arbeitsplätzen in der österreichischen Bundesverwaltung könnten der Dezentralisierungsstudie zufolge in den kommenden zehn Jahre nicht viel mehr als 3.500 dezentralisiert werden.

Schon alleine deswegen sollten das Thema und seine Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Schließlich hätte eine Dezentralisierung auch negative Seiten. In vielen Bereichen würde die Zersplitterung der Dienststellen wohl mehr Probleme schaffen als lösen. Und -wo liegt der wirkliche Vorteil, wenn ein Wiener nach Innsbruck fahren muss und nicht mehr der Innsbrucker nach Wien, Letzterer aber vielleicht statt einmal nur nach Wien, in Zukunft wegen seiner Anliegen aber nicht nur nach Wien, sondern auch nach Graz und nach Klagenfurt?

Dennoch sollte man das Thema nicht unter den Tisch kehren. Den Wasserkopf Wien unter Kontrolle zu bringen, ist eine wichtige Aufgabe, ohne Frage. Aber die Kluft zu überwinden zwischen Wien und dem Rest Österreichs, zwischen den unterschiedlichen Lebenskulturen und -anschauungen, die Abwanderung vom Land in den Griff zu kriegen und vieles andere von dem mehr, das die Politik schon seit Jahren und Jahrzehnten vor sich her wälzt, braucht wohl mehr, als ein paar Ämter nicht in Wien, sondern irgendwo in der Provinz anzusiedeln.

Denn sonst wäre das wohl eher so, wie wenn man die Erhöhung des Tempolimits auf der Autobahn für Verkehrspolitik hält.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. März 2019

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1