Mittwoch, 10. Juni 2020

Was kümmern die Sorgen von gestern



Es hat die Anmutung von Aufräumarbeiten nach einer Katastrophe. Nach und nach wird erst klar, was Corona wirklich angerichtet hat. Und welche Anstrengung es erfordert, alles wieder auf die Reihe zu bringen. Und wie schwierig das auch sein wird. Die allerorten aufdräuenden Auseinandersetzungen über die richtige Strategie dafür und über die Ziele sind beredetes Zeichen dafür. Und auch die heftigen Diskussionen darüber, wie alles finanziert werden soll. Längst sind die Grabenkämpfe und der politische Schlagabtausch in Gang. In Österreich, vor allem aber in der Europäischen Union.

Sichtbar wird auch, wie schwierig es wird, das umzusetzen, was in den vergangenen Wochen als selbstverständliches Ziel für die Zukunft galt und außer Streit stand. Dazu gehörte etwa, dass sich Europa und auch Österreich aus der Abhängigkeit von anderen Weltregionen lösen müssen. Dass man Produktionen wieder zurückholt aus Asien und von anderen Kontinenten, dass man wieder selbst produziert, was viel zu lange nur der Kosten und des Preises wegen ausgelagert wurde.

Weit ist man noch nicht gekommen. Denn das wirklich umzusetzen scheint sehr viel schwieriger zu sein, als man annehmen mag. Erst dieser Tage vermeldete eine Zeitung, "Masken kommen wieder aus China". In der Krise seien Schutzmasken Mangelware gewesen, heißt es. "Jetzt liefert Asien wieder und bringt die aus dem Boden gestampfte heimische Produktion in Bedrängnis." Die Lieferketten funktionieren wieder und was in Österreich erzeugt wird, interessiert nicht mehr.

Damit nicht genug. Wenn wirklich stimmt, dass, wie dieser Tage die OÖN publik machten, die Bundesbeschaffung GmbH über Jahre wirksame Aufträge für Schutzmasken und -bekleidung, für Desinfektionsmittel und andere Dinge für den Gesundheitsbereich in Milliardenhöhe ausgeschrieben hat, fügt sich das nahtlos dazu. Allein der Maskenauftrag, der ausgeschrieben ist, hat demnach ein Volumen von 168 Millionen Stück im Wert von 432 Mio. Euro. "Solche Mengen können nur Anbieter aus Fernost liefern", werden Branchenkenner zitiert. Heimische Anbieter hätten dabei kaum eine Chance zum Zug zu kommen.

Was für die Masken gilt, gilt wohl auch für all die anderen Bereiche. "Was kümmern mich die Sorgen und die Absichtserklärungen von gestern", heißt es vielmehr allerorten, während man sich längst wieder ins internationale Handelsgetümmel auf der Jagd nach niedrigen Kosten und besten Preisen geworfen hat.

Besonders bitter freilich ist das, wenn selbst die öffentliche Hand kein Bemühen erkennen lässt, wenn es nicht allein um Absichtserklärungen, sondern um konkrete Geschäfte geht. Das stellt vor allem auch die Politik vor besondere Herausforderungen. Nicht nur bei der unmittelbaren Auftragsvergabe, sondern auch, wenn es um die konkrete Umsetzung und um Weichenstellungen geht.

Längst auch ist der Bazar eröffnet, auf dem um die Mittel gefeilscht wird, mit denen man sich Zusagen und Veränderungen abkaufen lässt. "Die Europäische Kommission will mehr Unabhängigkeit in der Versorgung von Medikamenten schaffen", hieß es. Und als dann der Schweizer Konzern Novartis, von den hehren Zielen Brüssels unbeeindruckt, die Produktion von Penicillin im Tiroler Kundl einstellen wollte, war der Konzern dem Vernehmen nach nur durch "Zusagen" heimischer Politiker umzustimmen.

Es wird nicht das einzige Mal sein, dass es so läuft. Nicht in der freien Wirtschaft, aber auch nicht in den öffentlichen Einrichtungen. Was wurde etwa nicht alles versprochen und beschworen, als die Intensivversorgung in den heimischen Spitälern mit einem Mal gefährdet schien. Selbst einschlägig bekannte Wortführer, die über Jahre nicht müde wurden, die Spitalsdichte und die ihrer festen Überzeugung nach viel zu hohe Zahl der Spitalsbetten zu bekritteln, gaben klein bei und lenkten ein. Man darf gespannt sein, was davon bleiben wird, wenn es um die Kosten geht und man erkennt, dass es noch mehr Geld kostet als bisher, das Gesundheitssystem dorthin zu bringen, wie man es sich in der Krise wünschte.

Um das umzusetzen, wovon unter dem Eindruck der Krise geredet wurde, um all die Fehlentwicklungen, die man erkannte, zu korrigieren, braucht es das, was am Anfang der Krise als nationaler Schulterschluss bezeichnet und auch spürbar wurde.

Dazu braucht es den Geist, etwas gemeinsam erreichen zu wollen. Der freilich scheint bereits in Auflösung begriffen zu sein.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Juni 2020

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