Donnerstag, 5. November 2020

Jugend am Abstellgleis?

So jung war noch keine Regierung. Und ausgerechnet bei ihr ist überall von den Sorgen zu hören, dass die jungen Menschen in der Corona-Pandemie von der Politik im Stich gelassen werden. "Die Jugend zahlt wieder die Zeche", schreiben die Zeitungen. Wohl nicht zu Unrecht.

Längst macht sich bei den Jungen Frust breit. Nicht nur, dass sie keine Gelegenheit hatten, ihre Matura oder ihren Schulabschluss zu feiern, dass ihnen Praktika gestrichen oder Ferienjobs abgesagt wurden und die Führerscheinkurse zu Endlosgeschichten wurden, weil die Fahrschulen nicht mehr nachkamen. Längst geht es auch ans Eingemachte, das man nicht mehr mit einem Achselzucken und ein paar beruhigenden Worten beiseiteschieben kann. Der Arbeitsmarkt für die bis zu 29-Jährigen hat sich mit Corona völlig gedreht. Auf dem Lehrlingsmarkt fehlen tausende Plätze, auch wenn da und dort davon zu hören ist, dass die Lücke kleiner wurde und nicht mehr ganz so viele Lehrstellen fehlen. Immer noch sind gut 40.000 Jugendliche, ein Drittel mehr als vor einem Jahr, derzeit arbeitslos. Inklusive derer, die derzeit AMS-Schulungen absolvieren, sind es gar 61.000. Und es werden in den nächsten Monaten wohl nicht weniger werden.

Die Politik horcht immer noch nicht auf. Die Regierung kündigt Projekte wie einen "Aktionsplan gegen Armut" oder einen "Pakt gegen die Alterseinsamkeit." Aber Programme und Initiativen für die Jungen? Fehlanzeige. Da verwundert nicht, dass der Frust wächst. Das Integral-Institut erhob, dass die jungen Menschen bis 29 ihre Situation überdurchschnittlich pessimistisch sehen. 40 Prozent, mehr als alle anderen Altersgruppen, blicken besorgt in die Zukunft und fürchten um ihre Lebenschancen. Diese Stimmungslage bestätigt auch der am Wochenende veröffentlichte "JugendTrendMonitor" von Marktagent und DocLX. Demnach machen sich inzwischen bereits 45 Prozent der Jungen Sorgen um ihre berufliche Zukunft, elf Prozent sogar sehr ernste. Fast neun von zehn der 20-bis 25-Jährigen sind überzeugt, dass Corona die Situation für Berufseinsteiger besonders schwierig macht. Und mehr als zwei Drittel halten die Maßnahmen der Bundesregierung, die beruflichen Chancen der Jugend in der derzeitigen Situation zu verbessern, für "nicht ausreichend".

Dabei hat die Zukunft noch gar nicht begonnen. Denn was den Jungen nicht nur jetzt in der Krise aufgebürdet wird, wird sich noch als große Last erweisen. Da geht es auch um die Finanzierung des Pensionssystems oder um die Klimalasten, die wir seit Jahrzehnten in die Zukunft verschieben. Da geht es auch, und das zeigt sich jetzt, wo das Land mit der Devise "Koste es was es wolle" durch die Krise zu kommen versucht, um enorme Schuldenberge, die die nächste Generation und wohl auch die übernächste abbauen muss. Der Verweis darauf, dass es noch keiner Generation so gut ging und sie vom noch nie dagewesenen Wohlstand profitiert, wird da nicht mehr verfangen. Vor allem auch, weil das für viele der Jungen auch gar nicht stimmt, so wie es nie gestimmt hat.

Es ist schwer abzuschätzen, was die Krise für die Jungen wirklich bedeuten wird und wie schlimm die Spuren sein werden, die die Erfahrungen, die sie in diesen Monaten machen, in ihren Lebenschancen und in ihren Lebensläufen hinterlassen werden. Klar ist nur, dass die Politik gefordert ist, die Jungen nicht zu übersehen und sie und ihre Sorgen ernst zu nehmen. Es muss alles getan werden, sie nicht aus dem System kippen zu lassen und ihre Chancen und Perspektiven für ihr Leben aufrechtzuerhalten.

Junge Menschen halten viel aus und sind auch belastbar. Aber auch sie haben ihre Grenzen. Und die sind schnell erreicht, wenn sie erkennen müssen, dass sie alleingelassen werden und dass man es sich zu ihren Lasten richtet. Billige Versprechungen nutzen da wenig. "Es geht darum, die jungen Menschen, die krisenbedingt um ihre Chancen gebracht zu werden drohen, in den Arbeitsmarkt, den Sozialstaat, die Gesellschaft zu integrieren", hieß es schon vor Monaten in einer großen österreichischen Tageszeitung. "Wir können es uns nicht leisten, wegen eines Virus und der damit verbundenen Verwerfungen ganze Jahrgänge junger Menschen zu verlieren."

Dem ist nicht nur zuzustimmen. Das ist auch zu leben und beständig einzufordern.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 5. November 2020

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