Donnerstag, 23. September 2021

Heimtückische neue Normalität

Corona hat uns fest im Griff. Die Virenlast steigt wieder und die Kostenlast auch. Und auch der Unmut darüber wächst, dass wir uns im täglichen Leben immer noch mit Beschränkungen herumschlagen müssen, weil die Impfquote weit von dem entfernt von dem ist, was uns die Freiheit zurückgeben könnte. Immer mehr Ärzte schlagen in immer dramatischeren Worten Alarm und können nur mehr mühsam ihren Unmut im Zaum halten. Und immer weniger sehen auch die Geimpften ein, dass sie weiter Unannehmlichkeiten auf sich nehmen müssen, weil sich mehr als ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher nicht und nicht für eine Impfung entscheiden können oder wollen.

Längst hat sich eine gefährlicher Schlendrian eingenistet im Umgang mit der Pandemie, so als hätte man sie akzeptiert als Teil unseres Lebens. Um Entscheidungen drückt man sich herum, Diskussionen wie etwa um eine Impfpflicht werden tunlichst vermieden. Dass die Zahlen wieder stark steigen, wird mittlerweile achselzuckend hingenommen. Man hat sich eingerichtet. Was Ärzte und Gesundheitspersonal auf sich nehmen, wird als normal gesehen, dass nun wieder Operationen verschoben werden müssen auch. Dass Lehrerinnen und Lehrer klaglos auch unter oft unvorstellbaren Bedingungen funktionieren, wird als selbstverständlich hingenommen. Da muss man den Impfpässe vorweisen, dort ein Testergebnis. Masken in den Öffis und im Handel? Und Ausreisekontrolle? Geht ja. Was soll‘s, da muss man sich ja doch nicht impfen lassen.

Pandemie ist für viele längst das neue normal. Welche Belastung sie wirklich für die Gesellschaft und die Wirtschaft ist, wird immer weniger gesehen. Derweil beginnt die Pandemie längst überall zu drücken. Schon im Frühjahr bezifferte Agenda Austria den Schaden der Krise für das Land mit 100 Milliarden Euro. Inzwischen werden es wohl noch viele Milliarden mehr sein. „Koste es was es wolle“ war zu Beginn der Pandemie vor eineinhalb Jahren die Devise, die der Bundeskanzler ausgab, als man, und wohl auch er, noch glaubte, der Spuk sei in ein paar Wochen vorbei.

Nun ist er immer noch nicht vorbei und „Koste es was es wolle“ wächst sich zur Last für kommende Generationen aus. Jeden Tag. Die niedrige Impfquote und die Beharrlichkeit der Impfgegner und -verweigerer ist längst zu einem wirtschaftlichen Problem geworden, über die die Erholung auf dem Arbeitsmarkt und die Wachstumsraten in der Wirtschaft nicht hinwegtäuschen dürfen. „Auf viele Unternehmen kommen durch die Impfgegner hohe Kosten zu und die wirtschaftliche Erholung laufe mit vielen Ungeimpften deutlich schleppender als mit einer hohen Durchimpfungsrate, meint etwa Professor Christoph Badelt, Noch-Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes. Es geht dabei nicht allein um die hohen Kosten im Gesundheitswesen, sondern vor allem auch um die indirekten Kosten in der Wirtschaft, wie sie etwa durch Quarantäne-Fälle verursacht werden.

Man ist bisher wohl zu locker umgegangen damit. Auch weil vieles von der öffentlichen Hand ausgeglichen wurde, sind die Folgen aus dem Fokus geraten. Sich impfen zu lassen oder nicht wurde sehr stark als eine persönliche Einstellung dargestellt, finden Wissenschaftler wie die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle von der FH Klagenfurt, und damit impliziert, dass das gesamtgesellschaftlich und gesamtwirtschaftlich keine Auswirkungen habe. Ein Fehler wie sich nun immer deutlicher zeigt, wo sich die Fronten verhärten und damit Politik gemacht wird.

Was wir erleben ist nicht normal. Nicht in der Wirtschaft und auch sonst nirgendwo. Und es darf nicht normal werden. Nicht das, was die Ärzte und das Gesundheitspersonal in den Spitälern hinnehmen müssen und nicht was die Lehrerinnen und Lehrer aushalten müssen, die Schüler und ihre Eltern. Und auch nicht, was man den Unternehmen zumutet. Und schon gar nicht hinzunehmen ist, dass damit Politik gemacht wird.

Es ist eine Frage der Verantwortung, der Eigenverantwortung auch und der Solidarität. Da wie dort. Nicht nur in der Politik, sondern in der Gesellschaft insgesamt. Der Diskussionsbedarf ist groß. Und der Erklärungsbedarf auch. Verantwortung, Eigenverantwortung und Solidarität dürfen nicht nur großes Worte sein, sie müssen auch gelebt werden. Von der Politik, von den Impfgegnern, von allen. Damit die Gesellschaft, die Wirtschaft, wir alle, aushalten können, was wir aushalten müssen und der Spuk zu einem Ende kommt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 23. September 2021

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